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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.06.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040604016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
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- Monat1904-06
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AnzeigkU-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaltiouSstrich («gespalten) 75 nach den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahm« 25 -H. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefvrdrruug 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Annahmeschlutz für Anzeige«: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr: Morgen-Ausgabe: nachmittag» 4> Uhr. Anzeigen sind stet- an di» Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet usu früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck and Berlaa von E. Pah in Leipzig (Inh. vr. B, R. L W. Sliuthardt): Nr. 28«. Sonnabend den 4. Juni 1904. 88. Jahrgang. Var lllicbligtle vom Lage. * Der Kaiser wird angeblich den Besuch des Königs von England noch in diesem Herbst erwidern. * Präsident Kranold von der Eisenbahndirektion Berlin will am 1. Oktober in den Ruhestand treten. (S. dtsch. Reich.) * Nach Meldungen aus Petersburg soll Graf Lambsdorff seines Amtes enthoben und durch Murawiew ersetzt worden sein. (S. Rußland.) * Ein Kriegsrat unter dem Vorsitze des Zaren soll be schlossen haben, den General Stackelberg mit 12 000 Mann zum Entsätze von Port Ar thur zu entsenden. (S. russ.- iap. Krieg.) Vie fertigttellling «er rmiten aruttcden Ueberreelrabelr. „Tie Schlußsplissung des zweiten deutschen atlantischen Kabels erfolgte am 1. d. Mts., 9 Uhr abends, mit dem Dampfer „vr. Stephan". Es ist somit eine direkte Ver bindung zwischen Deutschland und Amerika hergestellt. Tie Verständigung ist vorzüglich." Mit diesen kurzen Worten meldete der Telegraph ein Ereignis, das in ver kehrspolitischer Beziehung von nicht zu unterschätzender Bedeutung zu werden verspricht. Zwar ist der Tatbestand in dem Telegramm nicht ganz korrekt dargestellt, denn einmal bestand bereits seit 3 Jahren eine deutsche Kabel linie Emden—Greetsiel—Borkum—Azoren—New Jork, und zweitens mutz auch auf dieser Linie ein einmaliges Umtelegrophieren in Horta (auf den Azoren) stattfinden. Tie Fertigstellung der neuen Kabelverbindung bleibt darum aber nicht minder bedeutungsvoll, und speziell un sere sächsische Baumwollindustrie wird sehr bald die Vor teile der neuen, größere Schnelligkeit gewährleistenden Verbindung merken und sie zu schätzen wissen. Die Vorteile einer eigenen, vom Auslande unab hängigen Kabelverbindung Deutschlands mit den übrigen Weltteilen liegen zu klar, als daß wir sie nochmals hier ausdrücklich zu betonen brauchten. Es mag genügen, daran zu erinnern, in welch eigentümlicher, retouchierter Form die Nachrichten aus dem Kriege Englands mit den Buren zu uns gelangten, und wie es oft auch deutschen Firmen unmöglich gemacht wurde, Telegramme in offener Sprache so zu befördern, wie sie es wünschten. Tas Aus kunftsmittel des Telegravhencode oder des Gebrauchs verabredeter Sprache versagte auch in vielen Fällen, da nach Ausbruch eines Krieges regelmäßig bekannt gegeben wird, datz Telegramme zwischen den vom Kriege betrof- senen Ländern in offener Sprache abgefatzt sein müssen, eine an sich ganz verständliche Maßregel, die aber häufig in so rigoroser Weise ausgelegt wird, daß tatsächlich Ver nunft zu Unsinn wird. So ließ z. B. der Zensor in Kap stadt Anfang 1900 eine nach Deutschland gerichtete De pesche „Vater gestorben" nicht durch, weil unmittelbar vorher die Nachricht von einer englischen Niederlage ein- getrosfen war und der Zensor hinter der harmlosen Mel dung eines familiären Trauerfalles einen Versuch witterte, vorzeitig die Meldung von dieser Schlappe nach Deutschland zu übermitteln. Tie englische Telegraphen verwaltung konnte ruhig so rigoros vorgehen, da sie in sofern ein vollkommenes Monopol für den Kabeldienst zwischen dem afrikanischen Kontinent und Europa besitzt, als sämtliche Linien in den Händen englischer Gesellschaf ten sich befinden. Auch heute noch sind etwa 245 000 j^ilometer oder reichlich drei Viertel aller in Betrieb be findlichen Kabel in englischen Händen, und die britische Regierung vermag, geschützt durch das internationale Telegraphenübereinkommen vom 22. Juni 1875, den Kabeldienst ganz nach ihrem Ermessen handhaben zu lassen, ohne datz sie Rücksicht auf die politischen und kom- merziellen Interessen anderer Länder zu nehmen hätte. Datz ein derartiges Verhältnis sich auf die Tauer nicht mit den wachsenden Ucbersee-Jnteressen Deutschlands ver trug, ist ohne weiteres klar, und der Wunsch, von diesem geradezu drückenden Monopol frei zu werden, war ebenso erklärlich wie berechtigt. Leider fehlte zu seiner Verwirk lichung noch bis vor wenigen Jahren nicht mehr als alles, denn es gab noch vor vier Jahren keine einzige deutsche Fabrik, die ein großes Ueberseekabel hätte verfertigen können. Deutscher Unternehmungsgeist wußte indessen die Schwierigkeiten zu besiegen: vor fast genau fünf Jahren, am 27. Mai 1899, wurde in Köln die „Norddeutsche See- kabelwerk-Aktiengesellschaft" unter der Führung der Firma Felten L Guilleaume, Carlswerk Mül- heim a. Rh., gegründet, und sie übernahm sofort die in Nordenham an der Weser im Entstehen begriffenen „Land- und Seekabelwerke". Für den B?u des zum Auslegen der verfertigten Kabel nötigen Dampfers hatte man allerdings noch auf England not gedrungen zurückgreifen müssen, am 9. November 1899 lief bei Dunlop L Co. in Port Glasgow der auf den Namen des damaligen Staatssekretärs des Reichspost amtes v. Podbielski getaufte Dampfer vom Stapel. Be zeichnend für die Auffassung der deutschen Unternehmer war schon die verhältnismäßig bedeutende Größe, die sie dem Dampfer hatten geben lassen: unter den damals vor handenen 43 Kabeldampfern, von denen 34 die britische Flagge führen, waren nur zehn, die den „v. Podbielski" an Größe übertrafen. Letzterer, der sich übrigens aus gezeichnet bewährte, hat mittlerweile in dem am 29. De zember 1902 auf der Werft des Stettiner Vulkan vom Stapel gelaufenen „Stephan" einen größeren Kollegen erhalten, der als erster in Deutschland erbauter Kabel dampfer der deutschen Schiffsbaukunst alle Ehre gemacht hat. Beide Dampfer haben denn auch jetzt die schwierige Aufgabe der Verlegung eines großen Tiefseekabels mit vollem Erfolge gelöst und damit den Beweis erbracht, daß auch dieser Zweig deutschen Gewerbefleißes sich aus einer hohen Stufe befindet. Gerade dec Fertigstellung dieses zweiten Kabels dürfen wir uns vom nationalen Standpunkte aus mit besonderem Stolze freuen: ist es doch in einer deutschen Fabrik hergestellt und auch größtenteils von einem auf einer deutschen Werft erbauten Dampfer gelegt worden. Es ist das ein sehr wichtiger Fortschritt, der in der kurzen Frist von drei Jahren gemacht ist: noch 1900 konnten wir von der englischen Telegraph Construction and Maintenance Company das Landungsrecht auf den Azoren nur unter der Bedingung erhalten, daß wir ihr die völlige Herstellung und Auslegung des Kabels überließen und außerdem der Europe and Azores Com pany für Vermittelung dieses Geschäftes eine Provision von 50 000 zahlten. Nur kurze Zeit Hai die Herstellung und Aus legung des Kabels beansprucht: am 11. Mai 1903 wurde von Borkum aus die Verlegung der ersten Teilstrecke nach den Azoren durch den „Stephan" begonnen, während „v. Podbielski" von New Jork aus die amerikanische Küstenstrecke legte und dann nach Nordenham zurllckkehrte. Am gleichen Datum dieses Jahres splißte (flocht) „Stephan" vor New Jork das Tiefseekabel an, und nachdem „v. Podbielski" bei den Azoren das Küstenkabel verlegt, war, wie gemeldet, am 1. d. M. die neue Verbindung hergestellt. Möge sie denn dazu beitragen, die vielfachen Ver bindungen unseres Vaterlandes mit der neuen Welt enger und enger zu knüpfen zum Wohle beider Länder, möge ihre Fertigstellung, an der der Kaiser und unsere Reichs behörden das lebhafteste Interesse genommen und durch Telegramme zum Ausdruck gebracht haben, aber vor allem auch den Anlaß geben zur Erfüllung eines Wunsches, der gerade in letzter Zeit sehr fühlbar ge worden ist: zur Herstellung eines direkten deutschen Kabels nach unseren afrikanischen Kolonien. Da es sich um eine verhältnismäßig kurze Strecke (Anschluß von Horta nach Swakopmund) handelt, dürften der Verwirk lichung des sehr berechtigten Wunsches keine großen Schwierigkeiten mehr entgegenstehen. Dr. k. ver nlttireb-iapsnircde Krieg. Gefecht bei Likiatun. Aus Tokio meldet Reuters Bureau: Eine Abteilung japanischer Kavallerie hatte am 30. Mai einen Zusammen stoß mit einer russischen aus Infanterie, Kavallerie und Artillerie bestehenden Abteilung in der Nähe von Likiatun, neun Meilen nördlich von Port AdamS, und schlug sie. Das Gefecht sing um Uhr an und dauerte zwei Stunden. Die Russen wurden nach Norden zurückgeworfcn. Die japanischen Verluste betrugen 26 Tote, darunter ein Offizier, 37 Verwundete, dabei vier Offiziere. Die Bewegung der Russen nach Silben läßt vielleicht auf einen Versuch schließen, Port Arthur zu entsetzen. Die Verluste der Russen sind unbekannt. Ariegrrit in Petersburg. Aus Petersburg wird gemeldet: In einem Kriegsrate unter dem Vorsitze des Zaren einigte sich die Mehrheit dahin, daß Kuropatkin, ohne die Position von Liaujang wesentlich zu schwächen, 12000Mann zum Entsatzevon Port Arthur abkommandieren solle, wie eS Alexejew zetzt wünsche. Kuropatkin gab demzufolge dem GeneralStackelberg Befehl, in Kaiking vier sibirische Regimenter, eine Sotnie Kosaken und eine Batterie Gebirgsgeschütze zu vereinigen. Stackelbergs Aufgabe ist, sich gegen Port Arthur durchzuschlagen. Gelänge dies, dann könnte Stößels 30 000 (?) Mann starke Garnison von Port Arthur bei einem Ausfälle auf die Unterstützung Stackelbergs rechnen. Die folgende Depesche scheint diese Meldung zu bestätigen: London, 3. Juni. Der Tientsiner Berichterstatter des „Daily Telegraph" drahtet am 2. Juni, daß russische Ver stärkungen in südlicher Richtung von Kaiping nach Wafangtien unter dem Befehl des Generals Stackelberg marschieren. Sie umfassen außer Artillerie vier sibirische Regimenter und eine Sotnie Kosaken, im ganzen etwa 12 000 Mann. Eine weitere Brigade folge. Diese Truppenmacht soll angeblich die Japaner vor Port Arthur im Rücken angreifen. Deutsches Keich. * verli«, 8. Ium. * Gouverneur v. Puttkamer. Der kaiserliche Gouverneur von Kamerun, Herr v. Puttkamer, ist, wie schon erwähnt, in Begleitung seines Adjutanten Herrn v. Kramst« am Dienstag abend aus Afrika in Berlin eingetroffea. Herr v. Puttkamer wird, wie die „Post" hört, seinen Aufenthalt im wesentlichen dazu benutzen, eine Reihe wichtiger Maßregeln bezüg lich der Kolonie zur Erledigung zu bringen. T)er Gouverneur kehrt jetzt nach Europa von einer aus gedehnten , sehr ergebnisreichen Forschungsreise bis rum Tschadsee zurück, auf der er Adamaua, da» Mandara- land und die reichen Sultanate am Tschadsee besuchte. Seine Reise hat ergeben, daß das ganze Tswadsee-Gebiet dicht bevölkert ist und dort großer Wohlstand herrscht. Die Ein geborenen, die sämtlich Mohamedaner sind, stehen auf einer hohen Kulturstufe und treiben umfangreichen Ackerbau. Nament lich Baumwolle und Tabak, und zwar von vorzüglicher Güte, werden angebaut. Die Baumwollfelder bedecken fast da ganze Ueberschwemmungsgebiet des Tschadsee-. Da» Klima von ganz Nordkamerun ist gemäßigt, gesund und durchaus fieberfrei. In Andamaua, im Gebiet der bereit- trassierten Kamerun-Eisenbahn, sind neuerdings Gold und andere Edel metalle und unweit der Küste Steinkohlen- und Petroleum felder in großer Ausdehnung gefunden worden. Die Vorarbeiten für die Kamerun-Eisenbahn, welche die ganze Kolonie von der Küste bis zum Tschadsee erschließen wird, hat das unter dem Präsidium de- Fürsten Hohenlohe - Oehringen stehende Kamerun - Bahn syndikat bereit« vollendet. Der Bau der Bahn ist dem nach gesichert. Zunächst wird eine Teilstrecke von ungefähr 200 km gebaut werden, die beim Hafen Dualla beginnt und nach Norden zum Tschadsee führt. Die Anwesenheit de- Gouverneurs von Puttkamer in Deutschland gilt auch dem Abschluß der Verhandlungen über die Kamerunbahn. Die Auffindung von Edelmetallen, Steinkohlen und Petroleum im Gebiet der Bahn hat zur Folge gehabt, daß sich ein beson deres Kamerun-Minen-Syndikat gebildet hat, um die reichen Bodenschätze der Kolonie zu heben. * Arbeite» vertretunaen. Bekanntlich batte vor einiger Zeit Geheimrat Lchmollcr im preußischen Herrenhause darauf hingewiesen, daß der verstorbene Finanzminister von Miquel sich günstig über Arbeitervertretungen geäußert habe. Kaum war ihm das Wort entfallen, da erhob sich auch schon Herr von Rheinbaben, um dem indiskreten Kathedersozialisten eine forsche Abfuhr beizu bringen. 'Nun hat aber der frühere Präsident des ReichsversicherungSamtc« Geheimrat I)r. Bödiker in Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er sich sehr günstig über die Arbeitervertreter ausspricht. Gegen dieses Zeugnis wird Herr von Rheinbaben schwerlich etwas einwenden können. Herr Bödiker spricht überhaupt goldene Worte, und wir können eS uns nicht versagen, einige Aeußerungen besonders charakteristischer Art hier anzuführen: „Tie Zunahme der Zahl der sozialdemokratischen Stimmen bei den Reichstagswahlen hat mit der Arbeiterversicherung nichts zu tun. Hätten wir die letztere nicht, so wäre jene Stimmenzahl noch viel größer und das Kolorit unserer Sozialdemokratie ungleich radikaler." Herr vr. Bödiker weist dann die Redensart vom „Un dank der Arbeiter" zurück. Erstens seien die Arbeiter nicht undankbar, zweitens aber fragt er mit Recht, wer denn eigentlich nicht unzufrieden sei, und spricht die männlichen Worte: „Die Unzufriedenheit ist die Grundlage des Fortschrittes." Man braucht sich nur — das möchten wir hinzufügen — die Tonart unserer Landwirte zu vergegenwärtigen, um zu erkennen, daß die Sozialdemokraten wahrhaftig nicht die einzigen „Begehrlichen" im Lande sind, vr. Bödiker sagt weiter: „Die Arbeiter sind vom gleichen Holze wie wir, die Besitzenden, Feuilleton. Noch. Eine Humoreske von I. Aliquis. Sia»druck verboten. Ick) hcitte zum drciundzwanzigsten Male meine Woh nung gewechselt. Anscheinend gab es in der ganzen Staat lein ruhiges Zimmer, in oem man wirklich hätte arbeiten können. Dabei war ich allmählich des ewigen Nomadenlebens gründlich müde geworden und ersehnte aus tiesstem Herzen einen Ruhehaseu, in dem ich für längere Zeit vor Anker gehen konnte. Und das war höchst notwendig, denn ich hatte eine dringende, längere Arbeit vor, die einige Monate angestrengte Tätigkeit er- sordertc. Ein Königreich aber für ein ruhiges Zimmer I So viel ich ihrer schon erprobt hatte — und ich hatte nicht nur Zimmer in allen Etagen gehabt, sondern auch in allen Vorder-, Hinter-, Seiten- und Quergebäuden —, überall war mir beim Mieten versichert worden, daß das Haus absolut ruhig wäre, und überall hatte sich nach träglich das dicke Ende in Gestalt von heulenden Zieh hunden, quarrenden Babys oder musikltebenden Jung- srauen eingestellt. Ucberhaupt die Musik. Ich bin durchaus kein Verächter der Noten — von gestochenen schwarzköpsigcn bis zu den Banknoten — aber, was zu viel ist, ist zu viel. Wenn man arbeiten möchte und nebenan eine „Jungfrau betet" oder eine Sängerin an ihrer eigenen Tonleiter hochklettcrt, und zwar chronisch, dann hört selbst bei dem musikalischsten Menschen die Ge- mütlichkeit auf. Aber diese meine vierundzwanzigste Wohnung war frei von allen Mängeln. Ich hatte selbst alle Etagen auf Musikmöglichkeit untersucht und erst dann gemietet, als ich mich von der gänzlichen Instrumenten- und Stimmlosigkeit überall überzeugt hatte. Auf die Gefahr hin, als lästiger Hausfriedensbrecher hinausgewörfen zu werden, hatte ich mich unter nichtigen Vorwänden in die Wohnungen der lieber- und Unter- wohner eingeschlichen und hatte schließlich, argwöhnisch wie ich geworden war, mit den Küchenfeen des Hauses auf den Treppenfluren kleine Gespräche angeknüpft. Alles dies natürlich nur, um mich über die musikalische Indifferenz des Hauses reichlich zu beruhigen. So wohnte ich denn bereits 14 Tage in angenehmster Ruhe und hatte mich auch heute mit Vergnügen an meine Arbeit gesetzt, da — was ist denn das? „I-a — tat« — äickati" ging es plötzlich über mir los. Sämtliche Tonleitern, bald schnell, bald langsam, bald vor- und rückwärts wurden mit unendlicher Geduld, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, gespielt, darauf folgten allerlei Fingerübungen, augenscheinlich von tastender Kinderhand ausgeführt, ebenfalls in un endlichen Wiederholungen. Ich raste! „Frau Schäfer!" rief ich meine Wirtin, „was ist denn das?" Frau Schäfer horchte eine Weile und sagte dann mit absoluter Sicherheit: „Das is en Klavier!" „Tas höre ich! Aber wo?" „Oben bei Schulzens wird's wohl sein, die haben ja auch immer 'n Zimmer möbliert vermietet." „Aber ich weiß doch, daß bisher hier kein Klavier da war?" „Stimmt ooch! Instern is se zujezogen." „Wer denn?" „Een Fräulein Dusemich." „So, recht nett; was ist denn die Dame?" „Klavierlehrerin." „Und das sagen Sie mir so ruhig? Menschenskind, das geht ja nicht, das darf ja nicht sein. Wissen Sie denn nicht, daß ich das Zimmer unter keinen Umständen gemietet hätte, wenn ich das hätte voraussehen können. Wissen Sie denn nicht, daß ich auf eine absolut ruhige Wohnung angewiesen bin, wissen Sie denn nicht " „Ja, aber Herr Doktor, ick kann doch nischt dafor!" Das war richtig. Sie konnte nichts dafür. Aber mit meiner Ruhe war es vorbei. Ich kündigte sofort, und nun ging es an das Suchen der fünfundzwanzigsten Wohnung. Diesmal fand ich ein kleines Häuschen, ziemlich weit draußen am Ende der Stadt; der Blick ging auf den nahen Wald, das Zimmer war sauber und nicht teuer, und so war der Handel bald geschlossen, um so mehr als meine neue Wirtin keine weiteren Mieter zu haben vorgab und das Häuschen auch nur ein Stockwerk mit im ganzen drei Zimmern hatte. Hier hatte ich nun doch wohl endlich das Ideal eines Zimmers, wie es mir not tat, gesunden. Alles war vor handen, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nur irgend wünschen konnte, gute Luft, schöne Aussicht, freundliche und angenehme Wirtsleute, und vor allem die -Hauptsache: Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Die wenigen Tage, die ich noch in meiner alten Be hausung zubringen mußte, wurden mir natürlich durch Fräulein Dusemichs Etüden reichlich vergällt, aber ich tröstete mich mit der Aussicht auf den nahen Wohnungs schluß und meine neue Wohnung, in der ich endlich die ersehnte idyllische Ruhe zu linden hoffte. — UebrigenS be- reitete eS mir noch eine kleine Genugtuung, von Frau Schäfer zu hören, daß die übrigen Mieter des Hauses alle über die Klimperfertigkeit von Fräulein Dusemich Be schwerde geführt hatten und Schulzens wahrscheinlich diese Mieterin bald würden an die Luft setzen müssen. Schließlich nahm auch dieser Monat ein Ende. Meine Sachen waren bald gepackt und leichten Herzens bezog ich mein neues Heim, in dem ich mich noch am selben Tage einrichtete, was ja bei einem nomadisierenden Jung gesellen wie mir nicht von besonderen Schwierigkeiten war. Mit Feuereifer begann ich nun wieder zu arbeiten und schaffte in der Tat in wenigen Stunden so viel, wie ich in der vorigen Wohnung in mehreren Tagen nicht hatte fertig bringen können. Ich fühlte mich in der neuen Wohnung bereits so gemütlich und heimisch, wie lange vorher nicht. Auf meine Umgebung hatte ich wenig geachtet, und erst als ich gegenAbend einen kleinen Gang nach derStadt unternahm, um noch einiges zu besorgen, sah ich mir beim Zurückkommen das Haus näher an. ES lag so friedlich m der untergehenden Sonne da, die Fensterscheiben glänz ten wie pures Gold. Und da wurde auch gerade ein Schild an der Tür be festigt, das ich vorher nicht gesehen hatte. Neugierig, ob meine Wirtin vielleicht meine Firma schon anschlagen ließ, trat ich näher. Aber es war nicht mein Name, der da an dem weißen Porzellanschild stand. O nein I Ich rieb mir meine Augen und glaubte an eine Gesichtstäuschung, aber was ich dort sah, war nicht wegzuleugnen. In fetten schwarzen Let tern schrie es mir entgegen: Amanda Dusemich, Klavierlehrerin. Ist das Pech?
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