Andreas Hüneke Im Kampf um die deutsche Kunst - Schauplatz Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (1930-1933) Es gibt verschiedene Gründe, zu erschrecken. Man kann vor dem Fremden, dem ganz und gar Anderen und Unbegreiflichen, aber auch vor dem Vertrauten, der unerwarteten und ungewünsch ten Ähnlichkeit erschrecken. Bei seinem legendären gemeinsamen Auftritt mit Wolf Biermann in Westberlin sagte einst Wolfgang Neuss: »Seht, wie das Gesicht eures Feindes euch entsetzt, weil ihr erkennen müßt, wie sehr es eurem eigenen ähnelt.« Und Friedrich Dieckmann erzählte mir neulich sein Bild von den beiden deutschen Teilstaaten als einem siamesischen Zwillingspaar, am Rücken — der Mauer - zusammengewachsen, das 1989/90 operativ getrennt wurde. Beide drehten sich um, sahen sich erstmals ins Gesicht und erschraken vor ihrer Ähnlichkeit. Der Nationalsozialismus wird oft als das ganz Andere, Einmalige und Unvergleichbare ver standen, und das trifft in vieler Beziehung auch zu. Aber die Menschen waren nicht alle ganz anders, sondern sie waren uns sehr ähnlich. Und das zu begreifen, ist ein ebenso großer Schrecken wie das Entsetzen über die monströsen Extreme, die sich in unglaublichem Maße ausbreiteten. Es ist im Leben nicht nur wichtig, Grenzen zu überschreiten, sondern ebenso, Grenzen zu ziehen, die man nicht überschreiten will, und sich darüber klar zu werden, welche Opfer man auf sich nehmen würde, um sich nicht über diese Grenzen drängen zu lassen. Gerade das Jahr 1933 brachte eine Zeit, die solche Grenzziehungen forderte. Doch traf diese Notwendigkeit viele ganz unvor bereitet und entsprechend hilflos, denn die Anzeichen, die schon lange darauf hinwiesen, waren oft nicht ernst genug genommen worden, auch auf dem Gebiet der Kunst. Schließlich agierte in Dresden seit 1920 die unsägliche Malerin und Kunsthistorikerin Bettina Feistel-Rohmeder mit ihrer »Deutschen Kunstgesellschaft« gegen »die alten Erbfeinde deutschen Wesens, Rom und Juda« 1 und verbreitete ab 1927 über die »Deutsche Kunstkorrespondenz« Hetz artikel über den »Verfall deutscher Kunst«, der sich in der Moderne manifestiere. Im März 1933 formulierte sie dann unter der Überschrift »Was die Deutschen Künstler von der neuen Regie rung erwarten!« u. a., »daß aus den Deutschen Museen und Sammlungen alle Erzeugnisse mit welt bürgerlichen und bolschewistischen Vorzeichen entfernt werden. Man kann sie vorher in einer Häufung der Öffentlichkeit vorführen, kann diese mit den dafür aufgewandten Summen, den Namen der dafür verantwortlichen Galeriebeamten und Kultusminister bekannt machen - wor auf die Werke der Unkunst nur noch einen Nutzen haben können: nämlich als Heizmaterial öffentliche Gebäude zu erwärmen.« 2