01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.12.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041228013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-28
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BezugS-PretS t» der Haurlexpedtttrm »der der« Arrsgad». stell« «bo«d«ltt vterttlitUirltiL ^S 8.—, bet zweimaliger täglich« 8»stell»»g n>«-au« S.7L. Durch die Post bezog« für Deutsch. Umd u. Oesterreich vierteljährlich «chO, für die übrig« Länder laut Aeüuug«vreirltst«. Liefe Nummer lüftet mfall« Badudvt« »ad III H^I bet d« Aeittutgs-Veetäuf«, s» Ae»aM«a >«» Gf»«»ttie«: 1LL Fernsprecher iLL JodauatZgaffe S. Hauzzt-KtlUcke LreSbeur Marirnstrabe 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). HuuPt-KiltLie Verltn LaklD»»cker,Herjal.VayrHosbucht>anvl^ Läyowstrab» 10 LerufMteche» Amt V! Nr. 43081 Morgen-Ausgabe. WpMer.TllMaü Anzeiger. Amtsblatt des Ltömgliche« Land- und des königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes -er Stadt Leipzig. Nr. 658 Mittwoch den 28. Dezember 1904. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Peruzeile 2K -teklomea nut« dem AedtiMonSNnch l4geIvaUen> 7b nach d« goinNiennacd- richten >8gejpaller,s bO — Tadellartsch« und ^isferujap werden entlprechend düder br- rechnet. — Hebüdren für Nachweilung« und Ojjertenaanahm« !öü - Uuuadmefchlutz für Suzttgea: j Adeud-Au«gabr: vormittag» ii> Uhr. Marge»-AuSgab«: nachmittag« « Uhr. Nnzeig« nud stet« au dteLxpedtttou zu richten. Ortra-eiellagea <»ur mtt d« Morgen- Auvgab«) nach besonder« Äeretubaruug. Die Er-ebttiou ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Paiz tu Leipzig Qnh- l-r. B, R. ör W. «iiukhardtl 88. JahMng. Var Aichtigrtr vom Lage. * Der kommandierende General deS XIX. Armee korps, General der Infanterie Graf Vitzthum von Eck stadt, wird sich in den nächsten Tagen nach Rom begeben, um dem König Victor Emanuel die Thronbesteigung König Friedrich August« zu notifizieren. * Die neuen Handelsverträge werden nach amt licher Mitteilung spätestens Mitte Januar dem Reichs tage zugchen. (S. Dtsch. Reich.) * Der Kaiser bewilligte Ludwig Pietsch einen Ehrensold von 2000 vorläufig auf fünf Jahre. (S. Dtsch. Reich.) — * In der Nähe von Trier sind beim Schlittschuh ¬ fahren sieben Knaben im Alter von 6 bis 15 Jahren ertrunken. - * In Wien sind Gerächte über die bevorstehende Minister krise in Umlauf. Fest steht, daß Koerder längstens morgen vom Kaiser empfangen werden wirb. * In Paris verlangen die Fürsprecher eines entschlossenen Draufgängertums die Besetzung der acht Hafenstädte Marokko-, auch wenn diese Maßregel den Sturz deS Sultans verursachen sollte. Die Feinde kriegerischer Aben teurer warnen vor übereilten Schritten. (S. Ausland.) * Der neue Oberbefehlshaber der Atlantischen Flott« Englands, Lord Beresford ist, nach acht Tagen, plötzlich durch William Henry May ersetzt worden. (S. Ausland.) * In Singapore sind zwei japanische Transport schiff« angekommen, die erklärten, da« japanische Ge schwader, 2 Panzerschiffe, 4 Kreuzer und Mmeboole, folge ihnen; sie dampften nach Westen ab. (S. russ.-fap. Krieg.). Var Kartell mit sei Zoriaiaemskratie. Von Rechtsanwalt Hermann Martin. Der Konflikt, -er innerhalb der Freisinnigen Ver einigung über dis Frage eines Bündnisses mit der Sozialdemokratie ausgebrochen ist, hat allenthalben die größte Beachtung gefunden. Denn es ist überhaupt das erste Mal, daß dies« Frage in einer bürgerlichen Partei vor der Oeffentlichkeit aufgeworfen wird. Barth und Naumann sind die ersten Politiker, die in Wort und Schrift für sin allgemeines Kartell zwischen Liberalen und Sozialdemokraten Propaganda machen. Es wird, wohlgemerkt, nicht darüber gestritten, ob es zulässig ist, nach Analogie de« Wahlkompromisses zwischen Ultra montanen und Sozialdemokraten in Bayern zur Durch setzung einzelner wichtiger politischer Forderungen gelegentlich ein gemeinsames Vorgehen mit der Sozial demokratie zu vereinbaren. Das wird vielmehr allseitig zugegeben. Sondern darum, ob es eine gegenwärtige Aufgabe der Liberalen ist, eine Gemeinbürger, schäft, einen Block der Linken, mit Ein schluß der Sozialdemokratie, zu bilden („vorzubsreiten" Naumann). Ein Kartell, wie es jetzt unausgesprochen zwischen den freisinnigen Gruppen be steht oder früher zwischen Konservativen und National liberalen, besonders in Sachsen, bestand. Es ist ver dienstlich, daß Naumann jüngst im „Berliner Tageblatt" dieses Ziel der Bündnispropaganda entschleiert hat. Nun weiß man endlich, was auf dem Spiele steht. Diese große Deutsche Linke soll die vereinigte Macht deS Zentrums und der Konservativen, dieReaktion, brechen und die Bahn freimachen für eine großzügige demokratische Politik. Daß dieses Ziel, aufs sehnlichste zu wünschen, dann erreicht werden kann, wenn sich bei den Wahlen Sozialdemokraten und Liberale jedwede Unterstützung gewähren, setzen Naumann und Barth ohne weiteres voraus. ES ist also ein großes, weit aus- schauendes Projekt, dem beide ihre Kräfte gewidmet haben, dxs Schweißes der Edlen nicht unwert. Daß dies verkannt wird, liegt nicht im Interesse der beiden Männer oder der Nationalsozialen überhaupt. Man er weist diesen selbstlosen und von dem besten Willen bo- seelten Politikern keinen Dienst, wenn man die Gräße und Eigenartigkeit ihres Wollens verkennt. Um einer Marotte, einer Doktorfrage willen setzen Männer wie Barth und Naumann ihre Parteigruppe nicht der Go. fahr der Zersplitterung au'S. Beide wissen genau, daß weite Kreise innerhalb der Freisinnigen Vereinigung geradezu von Erbitterung gegen dis Bündnispropaganda erfüllt sind. Dio ganze Waterkant ist dagegen, dor Hähnelsche, der Freesesche, der Rickertsche, der Ehlerssche Wahlkreis. Barth und Naumann verkennen ebenso, wenig, daß mtt der „Vorbereitung" des demokratischen Blocks dis Einigung zwischen den verschie denen froisinnigen Gruppen, für dio noch dis letzte Generalversammlung der Freisinnigen Ver. eintgung einmütig eingetreten ist, aufs Aeußcrsto ge fährdet wird. Wenn es die Breslauer Freisinnigen nicht einmal fertig gebracht haben, bei den letzten Ge« metndewahlsn mit den Loialdemokraten zu, sammsnzugehen, wie will man sie dann für stn poli tisches Kartell mit der Sozialdemokratie gewinnen I Trotz alledem will dio neue Richtung, wie auch au« dem neuesten Aufsatz Naumqnns im „Berliner Tageblatt" vom 12. Dezember hervorgeht, ihre Propaganda für hie große Deutsche Linke nicht auigeben. In allen ihren Auslassungen werden nach wie vor die alten Liberalen der Halbheit und Rückständigkeit geziehen, weil sie sich von der alten Theorie daß der Liberalismus nach zwei Fronten zu rämpsen habe, nicht loszulösen vermögen. Die Männer der einsn. der reinen Fronj. sehen ans die sogenqnnten Zweifrontenmänner mitleidig herab. Und nun gar auf die Freisinnigen der DokkSpartei! DaS Bündnis mit der Sozialdemokratie soll ein Schutz- und Trutzbünönis gegen die Reaktion sein. Die Bündnisapostel fragen, während sie ihre Kanonen auf diese schwarze Wolke richten, nicht danach, ob sie mit ihrem Feuer da» eigene Dorf anzünden. Sie sitzen in einem Glashaus und werfen mit Steinen nach der schlimmen Reaktion, ohne sich darum zu kümmern, daß sie Las eigene Haus zerstören. Konservative und Ultra montane bilden zusammen die Reaktion. Worauf gründet sich nun die Hoffnung der nationalsozialen Eiferer, daß durch ein Bündnis mit der Sozialdemo kratie die Macht der Rechten gebrochen werden kann? Wird es nicht vielleicht das Gegenteil bewirken? Wird nicht das Gros der freisinnigen Wähler dieser „wander mutigen" Führung Barths und Idaumanns über die Paßhöhen die Gefolgschaft versagen und sein unten auf der Heerstraße bleiben? Nur mit dem Unterschied, daß sie künftig nicht mehr freisinnig, sondern konservativ oder antisemitisch oder nationalliberal wählen werden? Anzeichen hierfür sind genug vorhanden. Es darf nicht verschwiegen werden, daß bei der letzten Reich'stagswahl die Freisinnige Vereinigung die meisten Sitze an die Konservativen verloren hat. War dies nicht vielleicht die Quittung der Wählerschaft auf die sogenannte ge meinsame Obstruktion der Freisinnigen Bereinigung und der Sozialdemokraten gegen den Zolltarif? Wer wollte leugnen, daß im liberalen Bürgertum eine tiefe, stets wachsende Abneigung gegen den Terrorismus der Sozialdemokraten sitzt, eine Ab neigung, die durch die Flegeleien der sozialdemokratischen Presse nur verstärkt wird. Iru »tgue siuäium beherrschen die politischen Wahlen. Das ist in der ganzen Welt so. He varlamentarischer ein Land regiert wird, desto mehr gilt der Satz; VolkeSstimme, Gottesstimme! Und wenn der kühne Wurf gelänge, müßte nicht der Freisinn durch ein Bündnis mit der Sozialdemokratie allen mora lischen Einfluß auf unser öffentliches Leben, zumal auf die Regierung, einbüßen? Schlcmwort dsS ...... , .... Möglichkeit fiir die Reaktion, die Z igel der Herrschaft wieder an sich zu reißen: Wenn nämk ch die sozialdemokratische Partei und Wenn Barth und Naumann sich am Morgen von ihrem Lager erheben, so legt sich die Reaktion wie ein Alb auf ihre Brust. Wer wollte leugnen, daß sie da ist. Aber man soll sie auch nicht überschätzen! Vor allem bilden das Zentrum und die Konservativen keineswegs eine gleichartige politische Masse. Es gibt keine ein heitliche reaktionäre Rechte in Deutschland. In den meisten aktuellen politischen Fragen geht das Zentrum mit der Linken. Vor allem in der Anerkennung des ReichstagSwahlrechts. Tenn das Zentrum hat mit diesem Wahlrecht noch mmer die glänzendsten Geschäfte gemacht. Schon die Rücksicht auf die Hunderttausende katholischer Arbeiter, auf die christlichen Gewerkschaften, verbietet dem Zentrum, an dem Wahlrecht zu rütteln. In allen Fragen der sozialen Reform, in dem Verlangen nach der Rechtsfähigkeit der Berufsvereine, der Mehrbesteuerung Von Tabak und Bier, der Reform des Militärstrafkechts, in dec Polen- und Iesuitenfrage gehört das Zentrum zur Linken. Die nationalliberale Resolution für die Zwangsversicherung der Handwerker hatte gegen sich Konservative, Zentrum und die Freisinnigen und für sich die Nationalliberalen und die Sozialdemokraten! Ge wiß, dieser Kasuistik zum Trotz bleiben die Ultra montanen wegen ihres kulturfeindlichen, die Freiheit in Kunst und Wissenschaft bedrohenden Endzieles die geschworenen Gegner des Liberalismus Trotz dieser Uebereinstimmung in den wichtigsten aktuellen Fragen wäre ein generelles Wahlbündnis mit dem Zentrum unmöglich. DaS wäre Untreue gegen die liberale Wählerschaft, sträflicher Opportunismus. Aber steht da- sozialistische Endziel den Liberalen so viel näher? Man gewinnt den Eindruck, als wenn die um Barth und Naumann die Gefahr der Reaktion übertrieben, um Stimmung für ihre demokratische Linke zu machen. Wer die Zustände in unserem Vaterlande unbefangen prüft, wird dagegen zu folgendem Ergebnis kommen: Gewiß ist der Einfluß der kirchlich-orthodoxen und der konser vativ-agrarischen Kreise auf unsere Gesetzgebung un Wachsen begriffen. Gewiß ist der Wunsch weitverbreitet, das Reichsragswahlrecht zu beschränken. Gewiß seufzt unser Wirtschafts. und Verkehrsleben unter dem Drucke der agrarischen Interessen. Aber diese Reaktion ist nicht so stark, daß es zu ihrer peberwiwdunq einer so außer ordentlichen Mßnahme bedürfte, wie eines Bündnisses zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie, So lange wir uns im Deutschen Reiche des freiheitlichsten Wahl rechtes in Verbindung mit dem Einkammersystem er- freuen, haben wir Mittel genug, um im legalen poli- fischen Kampfe die Reaktion zu bekriegen. Ein Bündnis mit dem Acheron tut nicht not. Wenn pnsere politische Freihe t, wenn die Gewerbefreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und Kunst nicht anders gerettet werden könnte, als durch eine Selbstaufopferung -er liberalen Parteien, dann wollten wir gern in den Abgrund springen. So stark ist die Reaktion aber keineswegs. Wir haben sogar einige wesentliche Fortschritte gemacht: in der Reform deS MilitärstrafprozeneS und des Vereins rechtes, Auch -ie heutige Reichsregiernng ist keineswegs au'Sgesprochen konservativ und reaktionär. Wenn sie in der Frage deS Zolltarife« der Majorität -des deutschen Reichstages entgegengekommen ist und in der Kanalfraze nachgegeben hat, so war das viel mehr ein Akt kon- stitutioneller als konservativer Staatsraison. Das Schlagwort von der Reaktion ist im Begriff, zu dem- elben Gespenst auSzuwaclfsen, wie das Schlagwort dsS Umsturzes. Es gibt heute nur eine Möglichkeit für die Reaktion, die Z igel der Herrschaft wieder an sich zu reißen: Wenn nämk ch die sozialdemokratische Partei und ihre NeichStagSfrak on mit jedem Wqhlgana lawlnen- artig weiterwachfen outen, Dies ist die einzige Chance, -je die Reaktion in -er Zukunft hat- Je näher die Ge fahr einer sozialdemokratischen Majorität im deutschen Reichstage rückt, desto höher steigt der Kurs der Reaktion. Sollte man diele Gefahr beschwören können, indem man mit Eifer dafür sorgt, daß — Ker Sozialdemokratie Wähler un- Mandate zugefsihrt werdens Die große demokratische Linke soll das Mittel s-in, nm die Reaktion zu überwinden. Ein Mittel zum Zweck, eine taktische Maßregel. So wenigstens wird sie von Barth und seinen engeren Freunden verstanden. A n f jeden Fall gegen die Reaktion! ist die Samm lungsparole BarthS. Naumann und die Nationalsozialen aber »vollen den demo kratischen Block um seiner selbst willen. Wenn PfarrerMaumann jetzt von Land zu Land reckt, um den Zusammenschluß der Liberalen mit den Sozial demokraten zu predigen, so sehen wir ihn an seinem politischen Lebenswerke. Die große demokratische Linke, geschart um die klassenbewusste Lohnarbeiterscl-cist, dieses Ideal hat Naumann bereits in seinem Buche „Demokratie und Kaisertum" entworfen. Wenn er den alten nationalsozialen Verein für dieses Projekt noch nicht mobil gemacht hatte, so unterließ er das mit Rücksicht auf die Einigkeit in der Partei und aus taktischen Gründen. -Es ist bemerkenswert, baß die Nationalsozialen bei den letzten Reichstagsmahlen Nau mann nicht in einem industriellen, sondern in eurem ländlichen Kreise, Oldenburg 1, ausgestellt hatten. Dre Rücksicht auf die eigenen Anhänger und die Wählerschaft hat die Nationalsozialen bislang verhindert, die Bund- nisfrage aufzuwerfen. Sie unternehmen es heute nur deshalb, weil ihnen Barth den Rücken gestärkt hat, Die Fusion mit der freisinnigen Vereinigung bedeutet für die Nationalsozialen einen Ruck nach links und nicht Resig nation. Heute erklärt Naumann, daß sie an dem Klassencharakter des Nationalsozialismus fest- halten wollen. Bei seiner letzten großen Rede im ulten nationalsozialen Verein dagegen gab er Winem Be dauern darüber Ausdruck, daß es gälte, auf den Rhyth mus der Arbeiterbewegung künftighin zu verzichten. Wie ein Phönix aus der Asche, so ist der National- sozialismus aus der Liquidation im . vorigen Jahre emporgestiegen. Erst seit Auflösung seines alten Ver eins ist es Naumann vergönnt, für sein politisches Lebcnswerk, die große demokratische Linke, Propaganda zu machen. Kein Wunder, wenn er und seine Freunde erklären: wir Nationalsoziale haben kein Bedürfnis nach einer Spaltung der freisinnigen Vereinigung, das neue Haus gefällt un4. Die Nationalsozialen werben für den demokratischen Block, nicht bloß wie Barth, weil sie mit seiner Hülfe die Reaktion zu überwinden hoffen. Der Block ist ihnen nicht nur Mittel, sondern Ziel. Er soll ihnen den lang ersehnten Platz neben der für ihr Klasseninteresfe känipfenden, politisch organisierten Arbeiterschaft ver- schaffen. Mit dem Versuch, eine nationale Arbeiter partei zu sckraffen, sind sie gescheitert. Ihnen fehlte „die parteibildenüe Kraft" (Naumann). Die Million deut scher Arbeiter, die noch nicht zur Sozialdemokratie ge hört, haben sie nicht gewonnen. Wohl deshalb nicht, weil sie, von des Gedankens Blässe angekränkelt, den vollen Ernst im Kampfe nut der Sozialdemokratie ver missen ließen. Der staatstreue Arbeiter, verfolgt und verketzert von den Genossen, bat keinen intimeren Feind, als die Sozialdemokratie. Ihm konnte eine politische Bewegung nicht genügen, deren Leitmotiv war, den so zialdemokratischen Feind zu verstehen. Tont eomprenär« e'est taut parcknnner! Heute hat der fortgeschrittene Nationalsozialismus sein Ziel klargestellt: Die nationale Arbeiterbewegung (allein die christlichen Gewerkschaften umfassen 220 000 Mit- glieder) bedeutet nichts, die Sozialdemokratie alles. Auf jeden Fall mit der Sozialdemokra tie I Ties ist die neue nattonalsoziale Parole. Man erkennt neuerdings den Klassenkampf an. Die Na tionalsozialen haben ihren Frieden mit der Sozialdemo kratie gemacht. Die Waffen nieder vor der Sozialdemo kratie! Krieg dem Kriege mit der Sozialdemokratie! Tie Nationalsozialen von heute sehen über das so zialistische, des Nationalstolzes bare internationale, mehr oder weniger revolutionäre Wesen der sozialdemokrati schen Bewegung deshalb hinweg, weil sie das Eine leistet, was not tut: den Klassenkampf. Wenn Naumann heute schreibt: „Ein Liberalismus ohne Arbeiterbewegung har kein Ziel politischer Macht", so ist dies in einem anderen Sinne als früher gemeint. Früher hoffte er, die Ar- beiterschast um die nationalsoziale Fahne zu scharen, heute will er die nationalsoziale Fahne neben dem sozial demokratischen Feldzeichen aufpflanzen. Weil der Berg nicht zu Paulus gekommen ist, will Paulus zum Berge geben! Dieser Aufmarsch der Nationalsozialen an der Seite der Sozialdemokratie gegen die Reaktion bedeutet also einen Frontwechsel, einen vollständigen Sieg der radikalen Richtung in der nationalsozialen Partei. Wenn Göhre und Maurenbrecher diese Wendung vorausgesehen hätten, sie würden ganz sicher nicht zur Sozialdemokratie übergegangen sein. Aus der Erfurter Tagung des Nationalsozialen Vereins im September 1897 siegte mtt großer Mehrheit, die jetzt so verächtlich abgetane Zwei- frontentheorte.m glänzender Rede von S o h in vertreten. Sohin machte der nationalsozialen Presse zum Borwurf, Laß sie den Gegensatz geaen die Sozialdemokratie verschleiere und den Kampf vor allem nach rechts führe. Mit großer Wärme, aber ahne die Zustimmung der Versammlung zu finden, vertrat Göhre dem gegenüber die Einfrontentheorie, nur viel zahmer, als sie heute von Barth und Naumann vertreten wird. Und vor den Stichwahlen im Jahre 1898 lehnte es die nationalsoziale Telegiertenversammlung niit großer Ent- schiedenheit ab, eine Parole für die Sozialdemokratie auszugeben. Selbst Naumann war im vorigen Jahre noch nicht so weit fortgeschritten, daß er seine Olden burger Plähler zur Wohl de- sozialdemokratischen Gegner- m -ex StichNrqhl aufgefortyrt hätte. Daß «- nicht leicht ist, die liberal«n Wähler und Ge- wählten für da- neue, der Forderung des Klassenkampfes dienende Projekt zu gewinnen, ist selbstverständlich. Es wi Naumann deshalb auch verziehen, wenn er in der Dahl seiner «raumente die alte Sicherheit und Schlüssig, keck vermissen laßt. Man hat Len Eindruck: „Da- Beste was er weiß, will er Len Buben Loch nicht sagen." ' In seiner Auslassung im „Berliner Tageblatt" gibt er zu, daß der Revisionismus in der Sozialdemokratie unterlegen sei, „teils aber, weil es keinen hinreichenden Rücklialt für eine Politik nach Art von Iaurds im deut schen Bürgertum gibt. Dieser Rückhalt muh erst La fein, wenn die Sozialdemokraten den Gedanken ernstlich fassen sollen, einen Block der Linken bilden zu helfen. Ihn vorbereiten ist unsere Aufgab e." Naumann erkennt also an, daß die Sozialdemokratie heute noch nicht bereit ist, ein Bündnis mit den Liberalen einzugehen. Er gibt sogar zu, daß die revisionisli'we Richtung in der Sozialdemokratie am Boden liegt, daß cs sich also bloß um eine Vorbereitung des demokratischen Blocks handeln kann. Dennoch hält er daran fest, daß die liberalen Wähler schon heute für das Bündnis ge- Wonnen werden müssen. Er will jetzt schon für sein großes Projekt Stimmung machen. Und diese Bündnisstimmung bei den Liberalen soll dann die gleiche Stimmung in der Sozialdemokratie auslösen. Als ob nicht bislang der Revisionismus noch immer durch Sympathieerklärungen aus dem nationalsozialen Lager kompromittiert worden wäre. Man denke nur an Auers Verteidigung auf dem Dresdner Parteitage gegen Nau manns Lob. In der Tat, es gehört viel „Wandermut" dazu, für ein so fernes und ungewisses Ziel Propaganda zu machen. Sollte selbst ein Mann wie Naumann nicht wissen, wie unendlich schwer es hält, die Menge nach einem neuen Ziele zu führen? Und nun gar nach einem so unsicheren, in einem Menschenalter vielleicht nicht erreichbaren Ziele! Sollte Naumann nicht wissen, daß die Propa ganda für ein solches nebelhaftes Projekt absolut keine Aufgabe der praktischen Politik ist? Hat selbst Naumann noch nicht gelernt, daß die Politik die Kunst -des Erreich baren ist? Derselbe Naumann, der vor einem Jahre erst freimütig bekannt hat. Laß -er nationalsozialen Idee die parteibildende Kraft fehle! Im November 1896 ward die nationalsoziale Partei gegründet. Am 31. August 1903 löste sie sich auf Antrag Naumanns aus, weil eS ihr nicht gelungen war, bei den Reichstagswahlen im Jahre 1903, trotz der größten Anstrengungen mehr als ein Mandat zu erobern. Sieben Jahre hatte Naumann um Lea gedient, will er nun noch weitere sieben Jahre Nabel dienen, ohne gewisse Aussicht, die Braut heimzu führen? Es ist das Verhängnis der Nationalsozialen, daß es ihnen nicht gelungen ist, zu liquidieren. Sie hatten sich selbst überwunden, um endlich einmal praktische Politik zu treiben, Wahlerfolge zu erringen. Sie waren im Begriff, ein Glied des bürgerlichen Libe ralismus zu werden. Doch es sollte anders kommen. Bereits vor den Stichivahlen im Jahre 1903 hatte der Abg. Dr. Barth die verhängnisvolle Rakete steigen lassen: Wählt aus jeden Fall gegen die Reaktion, also anch einen Sozialdemokraten. Dieses Leitmotiv hat er dann unermüdlich und in immer neuen Variationen wiederholt, und dabei auch die Unterstützung einiger seiner nächsten Freunde gefunden. Das war das Lignal, welches den Nationalsozialismus von neuem zum Klassenkampf begeisterte. Was war die Barthsche Parole denn anders, als die nationalsoziale These: A u f jeden Fall mit der Arbeiterbewegung, also mit der Sozialdemokratie. Im Jahre IWä soll eine Generalversammlung der freisinnigen Vereinigung stattfinden, in der die Bündnis frage zur Diskussion gestellt werden wird. Was wird dabei herauskommen? So viel ist ganz sicher: Mehr können Naumann und Barth im besten Falle nicht er reichen, als daß sie bei den nächsten Reichstagswahlen der Sozialdemokratie ein paar tausend Stimmen und viel leicht einige Mandate zuführen. Auf Gegendienste seitens der Sozialdemokratie kann mit Sicherheit nicht gerechnet werden. Im Grunde hat die ganze Bewegung also vorerst keine andere praktische Bedeutung, als die einer Stichwahlparole für die nächsten Reichstagsivahlen. Tie V o c b e r e i t u n g auf den großen demokratischen Block bedeutet also für jetzt weiter nichts als eine Be günstigung der Sozialdemokratie zur Bekämpfung der Reaktion und zur Förderung der Arbeiterbewegung. Naumann und die Seinigen wissen aus der Geschichte des Nationalsozialen Vereins, daß sie früh ausstehen müssen, wenn cs ihnen gelingen soll, den bürgerlichen Wählern „das Gruseln vor der Sozialdemokratie" ab- zugewöhnen.- Deshalb geben sie die Wahlparole schon heute ans. Sie wissen aus zahlreichen Beispielen, daß sich die Wähler zur Unterstützung einer fremden Partei nicht kommandieren lassen. Es muß zuerst ein Gleich klang der politischen Stimmung hergestellt werden. Ter deutsche Rcichstagsivähler ist kein Söldner, der lwute für diese, morgen für jene Partei kämpft. Deshalb soll die freisinnige Wählerschaft schon heute darüber aus geklärt werden, daß sie unter den politischen Parteien keinen besseren Freund hat, als die Sozialdemokratie. Diese Aufklärungsarbeit könnte aber nur dann glücken, wenn es zugleich gelänge, das National le f ii h l, den Natwnalstolz in der freisinnigen Wähler- chaft zu unterdrücken. Tenn was die Sozialdemokratie )on der übrigen Wählerschaft am meisten trennt, ist doch hr Mangel an nationaler Gesinnung. Deutsch ist, wer >entjch fühlt und empfindet, sagt Lamprecht. Männern, >ic in politischen Gedankengängen geschult sind, mag öS Wohl möglich sein, sozialdemokratisch zu wählen, ohne Schaden an ihrer nationalen Gesinnung zu nehmen. Dies gilt aber nicht fsir die Mehrzahl der Wähler. Sie wählt nach großen Gesichtspunkten. Die Freisinnigen werden erst dann rot wählen, »nenn sie selbst rot geworden sind. Wählen heißt: Farbe bekennen. Das ist das Gefährlichste an Ker Barth-Naumannschen Propaganda, daß sie auf Kasten des nationalen Gewissens geschehen muß. So wahr eS in unserer Zeit ist, daß freiheitliche Institution- nen der beste Nährboden für nationale Gesinnung sind, so fest steht die andere Wahrheit: Freiheit allein tut's nicht. Auch das freieste Volk kann an dem Mangel natio naler Gesinnung zu Grunde gehen. Es wäre in der Tat ein Unglück für unser Volk und ein Zeichen von natio nalem Verfall, wenn e- gelänge, der liberalen Wähler-
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