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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041224022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-24
- Monat1904-12
- Jahr1904
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BezugS-PretS i> d« HanptexpedVio» oder der« Lu-gab» stell« abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung tu» Hau» 3.7k. Durch die Post bezog« für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich ^ll 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitung»preiSliste. Diese Rümmer kostet auf all« Bahnhvf« und III I beidenZeituog»-Bertäuse« I* Redaktion uu» Gx-editton: 1K3 Fernsprecher 222 JohanniSgafse 8. Haupt-Filiale Dresden. Marien strotze 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin. CarlDuncker, Herzal.Bayr.Hofbuchbandlg* Lützowstratze 10 (Fernsprecher Amt Vl Nr. 4603). Abend-Ausgabe. ltWMr.NllgMaü Anzeiger. Ämtsbkatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 28 Re kl argen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten- 75 -H, nach den Familiennach richten (6 gespalten' 50 — Tabellarischer und Zifsernsay werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 -H. -lnnahmefchlutz für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an dre Expedition zn richten. Extra-Beilagen lnor mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Ervedttton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E Polz in Leipzig (Inh. vr. V-, R. <L W. Kliukhardt). Nr. 655. - Tonnabend den 24. Dezember 1904. 98. Jahrgang. Vs» Aicdtigrte vom Lage. * Der Schaden anläßlich des Wuthaer Eisen bahnunglücks übersteigt eine halbe Million. (S. A. a. W.) * Die Verlobung des Großfürsten Cyrill von Rußland mit der geschiedenen ehemaligen Groß herzogin von Hessen gilt nunmehr als sicher be vorstehend. (S. A. a. W.) * Ein schweres Eisenbahnunglück ereig ¬ nete sich gestern abend in Paris; bis jetzt wurden 10 Tote und 21 Verwundete geborgen. (S. A. a. W.) * In Venedig fanden gestern irreden- tistische Kundgebungen statt. (S. Ausland.) * Der Tchiedsgerichtsvertrag -wischen Spanien und Amerika ist gestern unterzeichnet worden. * Die chinesischen Behörden beschlagnahmten bei Fangtai 3 Millionen Stück Patronen, welche, an eine russische Firma in Tientsin adressiert, für die russische Armee bestimmt waren. (S. russ.-jap. Krieg.) * Der Zar hat ein Edikt über die Pässe der Land bevölkerung, der Provinzialvertreter, Studenten und Juden unterzeichnet. (S. Ausland.) kine Mahnung. Erst vor wenigen Tagen haben wir darauf Hinweisen müssen, daß der Ausbau der deutschen Flotte abermals ver tagt worden ist. Der Etatsentwurf für 1905 enthält lrotz dringender Befürwortung politisch und technisch interessierter Kreise wiederum kein neues großes Programm, und die Besorgnis läßt sich nicht mehr unterdrücken, daß Rücksichten auf die Stimmung in England dafür maßgebend sind. Wir haben nicht weit auszuholen, um schwerwiegende Verdachtsmomente dafür beizubringen. Während der deutsche offiziöse Telegraph geschwätzig jegliche irgendwie für uns Deutsche anerkennende englische Preß stimmen verbreitet, schweigt er wie das Grab bei jeder un freundlichen Aeußerung. Das ist kein Borwurf für das Wölfische Bureau, dessen Lebensbedingungen eine solche Unterordnung unter die Wünsche der Regierung erklären. Es handelt sich hier also um eine amtliche Superredaktion. Diese hat eS denn auch verhindert, daß eine Meldung des Bureaus Reuter, das in England dieselbe Stellung ein nimmt, wie bei unS das Bureau Wolff, in Deutschland durch Wolff verbreitet wurde, obwohl diese lapidaren Worte das Verhältnis Deutschlands zu England wie ein Scheinwerfer vor aller Welt klarlegten. Wir tragen diese in der deutschen Presse nur durch Privatmeldungen verbreitete und überhaupt fast überall unter den Tisch gefallene hochwichtige englische Kundgebung hiermit nach: Angesichts der Aufmerksamkeit, die von der „Nordd. Allg. Ztg." und anderen deutschen Zeitungen auf Sir Thomas Barclays Er klärungen zugunsten eines besseren englisch-deutschen Einvernehmens und auf die günstige Besprechung der Bemühungen des Sir Thomas Barclay von feiten des „Standard" gelenkt wurden, er fährt die ,,Reut. Agent ", daß die zum Ausdruck gebrachten An sichten lediglich persönlicher Art sind und nicht als solche betrachtet werden dürfen, die die Ansichten der offiziellen Kreise Londons wiedergeben. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien sind, was Len Standpunkt der praktischen Politik anbetrifft, durchaus zufriedenstellend, aber die Annahme, daß irgend etwas geschehe, was das herzliche Einvernehmen zwischen Frankreich und Großbritannien abzuschwächen berechnet wäre, würde durchaus irrig sein." Man hat sich bei dieser unmanierlichen, ja brutalen Be handlung Deutschlands daran zu erinnern, daß damals schon verkündet war, auch Kaiser und Kanzler würden den betriebsamen Herrn Barclay empfangen. Nun wird man eS auch natürlich finden, wenn wir bei demBergleich der osficiösen englischen und der deutschen Sprache unS der schwersten Besorgnisse nicht erwehren können. Bei dieser unserer Haltung, deren positive Seite unsere Stellung zu der Flottenfrage ausmacht, haben wir bisher nicht allzuviel Bundesgenossen gefunden. Dafür ist unter den Wenigen einer, auf den wir stolz sind — der Deutsche Flotten-Verein. Es ist ein Zeichen uner schrockener vaterländischer Gesinnung, daß der Deutsche Flotten-Verein immer wieder drängt, die Verstärkung unserer maritimen Streitkräfte nicht zu verzögern. Hiermit löst der Verein sein Versprechen ein, das er vor Monaten gegeben, als er nämlich in einer offiziellen Kundgebung erklärte, er werde unbekümmert um Rücksichten nach unten oder oben(!) seinem Programm treu bleiben. Damit ist der, man möchte sagen tragikomische Fall gegeben, daß die Regierung von dem unter allerhöchstem Protektorat begründetem Verein zur intensiveren Wahr nehmung der maritimen Interessen gedrängt wird. In der beute zur Ausgabe gelangten offiziellen Vereinsmitteilung heißt es also: Ter Teutsche Klotten-Beretn uu» die Politik. Ter Deutsche Flotten-Bereln steht jeder Parteipolitik fern. Er dient lediglich vaterländischen Interessen und zwar in voller Unabhängigkeit nach oben wie nach unten. In dieser Unabhängig keit liegt seine Hauptstärke, weil sie dem Flotten-Verein das Recht und die Freiheit sichert, nicht nur beledrend und auf- klärend, sondern, wenn nötig, auch warnend sich an unsere Volksgenossen zu wenden. Letzteres wird geradezu zur Pflicht, wenn es sich bei der Flottenfrage auch gleichzeitig um Existenzfragen des deutschen Volkes handelt in Ver bindung mit dem Stande der Dinge auf dem Gebiete aus wärtiger Politik. Da allerdings hätte es keinen Sinn, wenn der Flotten-Verein beiseite stehen und sich blind stellen wollte, dann würde er kein nationaler Verein im besten aber auch ernstesten Sinn des Wortes sein, und auf diese Eigenschaft legt er den größten Wert, weil sie in erster Linie dazu beiträgt, ihn in den Mittelpunkt nationaler Bestrebungen zu stellen. Die Entwicklung der weltpolitischen Dinge hat aber seit Jahresfrist einen solchen Verlaus genoinmcn, daß die Flottenfrage für Deutsch land zu einem Brennpunkt nationaler Forderungen geworden ist, insofern sie mit den Interessen der ganzen Nation in un trennbarem Zusammenhänge steht. Namentlich auch angesichts der mehr oder minder verhüllten Drohungen gegen Deutsch land in der englischen Presse, welche jenseits des Kanals von unvergleichlich größerem Einfluß auf die Stimmung des Landes wie auf die Entschließungen! der Regierung ist, wie in Deutsch land. So hat seiner Zeit der Englische Flotten-Verein (uavul leaguo) in bestimmtester Weise öffentlich Einspruch erhoben gegen das Flottenprogramm der Regierung, weil ihm dies nicht weit gehend genug erschien. Er hat dabei geltend gemacht, daß er die Rolle des treuen Hofhundes spiele, welcher rechtzeitig seine Stimme erschallen lasse, um zu warnen. In England hat sich damals die öffentliche Meinung auf die Seite der Xavai leaxuo gestellt und die Regierung sah sich genötigt, das Flottenprogramm nach deren Forderungen zu ändern. Das war also schließlich auch eine politische Sache, es ist aber niemand in England eingefallen, der Naval loaguo aus ihrem Vorgehen einen Vorwurf zu machen. Auch der Flotten-Verein betrachtet seine Forderung, unverzüglich an eine Revision des durchaus ungenügenden Flottengesetzes von 1900 heranzutreten insofern als eine politische, weil von der Erledigung dieser Frage hauptsächlich die Stellung abhängt, welche das Deutsche Reich zukünftig „im friedlichen Rate der Völker" ein- nehmen wird. Dazu bedarf es einer starken Flotte, und eine solche sichert das Flottengesetz von 1900 eben nicht in abseh barer Zeit. Damit begründet dieser ursprünglich zu ganz auderen Zwecken begründete Verein eine Selbständigkeit der Gesinnung, die wegen ihres Mutes gerade bei dem eigenartigen Charakter der Vereinigung rückhaltlose Anerkennung verdient. Wann aber werden wir die Früchte sehen? 8. Der rurrisch.japanische Weg. Vie Nachrichten-Agenturen. Aus Tokio wird der „Frkf. Ztg." geschrieben: Seitdem wir in der „Deutschen Japanpost" eine deutsche Zeitung in Japan haben, ist ein direkter Depeschendienst von Berlin sowohl nach Shanghai wie nach Jokohama eingerichtet worden. Die „Deutsche Japanpost" hat nun mit einer Anzahl von in Japan erscheinenden Zeitungen eine Vereinbarung getroffen, nach welcher diese Zeitungen die deutschen Telegramme gleich nach Eintreffen in Abschrift er halten. So bat man denn das Vergnügen, wenn man eine hiesige Zeitung, etwa die „Japan Times", zur Hand nimmt, unter der Rubrik: „Letzte Nachrichten" untereinander zu finden: 1) Reuters Depeschen an die „Japan Times". 2) Depeschen auf Grund besonderer Abmachungen mit der „Tokio Asahi". Die „Tokio Asahi" wird von Baron Snyematsu in Lon don informiert. 3. Depeschen von der „Jiji". Die „Jiji" steht mit dem Lon doner „Daily Telegraph" in Wechselverbindung, wie die „Japan Mail" mit der Londoner „Times". 4. Depeschen aus Grund einer besonderen Abmachung mit der „Deutschen Japanpost". Während die Tendenz der oben genannten drei ersten Quellen im allgemeinen dieselbe ist, steht der Depeschendienst der „Deutschen Japanpost" natürlich aut ganz anderer Grund lage. So bekommt man oft genug die widersprechendsten Nachrichten in einer Zeitungsnummer untereinander zu lesen. Das „Kobe Cbronicle", das sich seinen unabhängigen Standpunkt während des ganzen Krieges bewahrt hat, spricht in einem längere» Leitartikel sein Bedauern über diese Zustände aus. Das Blatt bemerkt, daß die Interessen aller Ausländer hier im Grunde genommen die gleichen seien. Warum aber sich befehden? Es sei demütigend für unS Europäer zu sehen, wie eine jede Depeschenagentur in Japan den Eindruck her vorzubringen versuche, daß ihr Land und ihre Regierung die wahren Freunde Japans seien. Reuter fing an. Er ließ keine Gelegenheit vorübergehen zu melden, dieses oder jenes Schiff sei von Deutschland an Rußland verkauft, oder daß irgend ein deutsches Schiff die Baltische Flotte unterstütze oder das überhaupt gar Verdacht in Deutschlands Neutra lität zu setzen sei. Dann setzte der deutsche Telegrammdienst ein, und wir erfuhren die Qualität der Koblen, welche die Baltische Flotte gebraucht, wir hörten die Namen der eng lischen Kohlenschiffe, die die Flatte begleiten und anderes mehr. Hay» Propaganda. In Washington wurde nach einer telegraphischen Meldung gestern der Text der Note des Staatssekretärs Hay veröffentlicht, durch welche den Sistnatarmächten der Haager Konvention mitgeteilt wird, daß die Einladungen zu einer zweiten Haager Friedenskonferenz eine freundliche Auf nahme gefunden haben. Die Note gibt den Inhalt der Antworten der Mächte wieder, einschließlich des russischen Vorschlags, die Versammlung bis zum Ende des Krieges zu verschieben, und der Antwort Japans, in welcher dieses dem Vorschläge beipflichtet, vorausgesetzt, daß die Friedensbedingungen für den augenblicklichen Krieg nicht berührt würden. Chiffrierte Telegramme aus Wladiwostok sollen in Petersburg eingetroffen sei», und es handelt sich angeblich um chiffrierte Instruktionen, die Admiral Skrydloff dem Admiral Roschdjestwensky über die Bewegungen der japanischen Flotte übermittel» lasten will. Allem Anschein nach dürfte es, wie gefolgert wird, bei Singapore noch nicht zu einer großen Seeschlacht zwischen dem russischen und dem japanische» Geschwader kommen, vielmehr dursten sich die Japaner vorläufig daraus beschränken, den Gegner beobachtend zu verfolgen. A«» Mulden meldet vom 23. Dezember der dort stationierte Reuter korrespondent, daß es den Russen gelang, mehrere Be lagerungsgeschütze auf der Fahrstraße 4^/z lrw nach Süden vorzuschieben, obgleich die Japaner ein ziemlich heftiges Artilleriefeuer unterhielten. Der Feind ver schoß ungefähr 100 Granaten. Der angerichtete Schaven ist geringfügig; >2 Mann wurden verwundet. Da eS in Mul den schwierig ist, Vorräte zu erkalten, haben die chinesischen Beamten viele chinesische Flüchtlinge nach Norden ab- aeschoben. Der Marschall Oyäma soll sein Hauptquartier in Llaujazxg aufgeschlagen baden. Wie der „Standard" meldet, werden die russischen Vor posten beständig durch frische Truppen verstärkt. Die ja panischen Offiziere sind der Ansicht, daß die Soldaten aus den europäisch en Rußland weniger brauchbar sind al» die sibirischen. Aur SoeuL berichtet der „Daily Telegraph" vom 23. Dezember, im Norden von Korea batten scharfe Gefechte statt gefunden, in denen die Japaner siegreich Ware». Der in Nordkorea kommandierende russische Oberst wurde wegen seiner Tapferkeit zum General befördert; er hat sein Haupt quartier am oberen Ualu. Das Hauptquartier des japa nischen Generals wird telephonisch mit dem Palais des Kaisers von Korea verbunden. Nach dem „Newyork Herald" wird die japanische Garnison stark vermindert, die Truppen gehen nach Norden. Die Mündung des Aalu und der Hafen von Tjchinnampho sind zugefroren. Die Japaner wollen eine leichte Eisenbahn über das Eis nach den Inseln legen, nm Vorräte für die mantschurische Armee befördern zu können. L Millionen Gewehrpntronen. Nach einer Meldung der „Times" aus Peking wurden am 23. Dezember in der Nähe von Peking bei der Eisen bahnstation drei Millionen Gewchrpatronen beschlagnahmt, die an eine russische Firma in Tientsin adressiert waren, aber offenbar nach Port Arthur weitergehen sollten. Die Munition war, in Wollpaketen versteckt, mit Kamelen von Kalgan gebracht worden. Feuilleton. H Und mrne nicht! Weihnachtserzählung von Teo von Tarn. Naa>oru<I oerftoien Der Alte hatte halb ungeduldig, halb verständnislos zugehört. Auch bei der letzten Eröffnung verzog er zunächst keine Miene. Sein trüber Blick wanderte von der Tochter zu Jochen Staberow, die sich ihrerseits be klommen ansahen. Plötzlich lachte der Baron dröhnend auf und schlug sich klatschend aus die Schenkel. Es war ein Lack-en welches daS Blut in den Adern erstarren machte. Das Gesicht färbte sich blaurot und der Atem ging keuchend, bis er für einen Moment ganz aussetzte. Tas junge Mädchen umklammerte ihn verzweifelt und preßte das Händchen gegen die gedunsenen Wangen und die feucht- kalte Stirn. „Nichts mehr!" schrie sie gellend. „Gehen Sie! Sic töten mir den Vater! Oh, wie ich Sie hasse!" Walter von Meck wurde aschfahl. Die Lippen be wegten sich, aber brachten keinen Laut hervor. Dann wandte er sich und ging. Der Baron hatte sich bald erholt. Es war nicht der erste Anfall dieser Art, welchen er zu überstehen gehabt. Er löste sanft die Arme der Tochter und erhob sich, elastischer fast als sonst. „Wo hast du deinen Wagen, Staberow?" „Beim Krugwirt unten im Don. Willst 'n Stückchen svaziercniahren, Baron?" „Ja, und zwar bis nach der Ltadt. Wieviel Leute wohnen eigentlich dort, Staberow?" „Stückener achttausend." I „Dieses weniger. Aber ich weiß es nu ganz genau, „Oha! Was 'n Berg Menschen! Ich mein', daß es I daß du eine große Verrücktheit begehst, Baron", erwiderte da doch einen Winkel geben müßte, wo noch zwei Menschen Jochen Staberow, indem er sich angelegentlich bemühte. mehr leben könnten, ungestört von hinterlistigen Hunds-' fötters, meinst nicht?" „Tas schon", erwiderte Jochen Staberow und schllt-, telte den Kopf. Tann zog er sein buntes Sacktuch, aber nicht um zu schnauben, sondern um seinen Schädel blank zu reiben, wie er das immer tat,, wenn er besonders scharf nachzudcnken hatte. „Ich will dir man sagen, daß das eine große Verrücktheit ist, was du da vorhast. Wo man sechzig Jahr gelebt hat, da geht man nicht von Mitt- woch auf Donnerstag weg, sozusagen. Aber das ist ja nu deine Sache, und ich will dir da nicht reinrcden, Baron. Als ich gestern gehört hab', wie es um dich steht, bin ich rausgckommcn, um dir zu sagen, daß ich in meinem Haus ein nettes Stübchen hab' für dich und auch eins für die Baroneß. Ich hab' nur nicht dran gedacht, daß du gleich mitkommen würdest, und da wird § Ficken mit der Einrichtung noch nicht fertig sein — Du kitzelst mich schon weder mit dci'm Borstenbart an der Nase, Baron — — —" s „Staberow! Freund! Nur 'raus hier — ob einge das Verdeck hochzuschlagen. „Steig' man ein, unsre Baroneß kommt hier hinten, wo cs überwindig ist. Schon mächtig kühl, was? Hoppla, tritt nicht auf deine Tulpen zwiebels, Baron! Tas Ferkel müssen wir denn vorn zwischen die Beine nehmen " „Sta—be—row! Du hast das Schwein von „dem" ?" „Natürlich von „dem"! Weshalb soll ich von „dem" kein Ferkel kaufen? Geschäft ist Geschäft." „Und du hast es richtig bezahlt? Kannst du das be schwören, Staberow?" „Ich will dir man sagen, Baron, daß ich heut nu genug hab' von der Schwörereil Erst, daß ich dir nichts pumpen soll, dann Wege:: des Portweins, und jetzt soll ich das Ferkel auch noch beeidigen! Das wird mir zuviel auf einen Tag." „Aber wieso hast du es denn gekauft?" fragte der Alte hartnäckig. „Zum Donnerlichting, weil du dir eins gewünscht hast, um in der Stadt ein bißchen Betrieb zu haben. richtet oder nicht!" Ficken wird zwar schöne Augen machen, am besten ist, „Tas sagst du so. Wenn's dir auch egal ist, Ficken wir zeigen's vorläufig gar nicht — und ich weiß auch denkt darüber anders. Sie ist 'n bißchen eigen. Aber wenn du durchaus willst, können wir es draus ankommen . lassen. ES dauerte noch an drei Stunden, bis alles zur Ab fahrt bereit war. Jochen Staberow hatte unbändig lange auf sich warten lassen, so, daß der Baron bereits miß trauisch geworden war. Als er dann endlich mit seinem Kälberwagen beranstuckerte, knurrte ibn der Alte an. „Ist dir wohl schon wieder leid geworden, he?" noch nicht recht wo wir das Vieh einlogieren. Einen Stall hab' ich keinen. Aber es wird schon Rat werden." Der Baron drückte gerührt die Hand des Freundes und ließ sich nunmehr auf dem Wagen verstauen. „Dann danke ich dir auch vielmals, Staberow." sagte er leise und mit einem letzten Blick auf das Pardubitzer Herrenhaus. „Und sobald ich Geld geborgt bekomme, kriegst du daS ausgclegte wieder. Komm', mein Nuckechen!" Damit hob er den angstvoll guikenden Vier füßler auf den Schoß und tätschelte beschwichtigend die rosige Schwarte. „Sei still, mein Kleines, du wirst eS bei deinem alten Herrn besser haben, als bei diesem Määäää —" „Halt den Mund, Baron!" raunte Jochen Staberow unwillig, „das ist Kinderkram!" Tann nahm er die Leine, und das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung. Obwohl Theobald von Knieper eben noch wie ein „Zickenbock" gemacht hatte — laut und herausfordernd, ein Protest und ein Kampfruf zugleich — war er sich der Schwere dieses Augenblicks wohl bewußt. Das Ferkel als das letzte, was ihm von Pardubitz geblieben, fest im Arm, saß der Alte von nun an regungslos und schwieg. Nur als man rechts vor dem Dorfe an dem Friedhöfe vorbeikam. wo das weiße Kreuz des Knieperscben Erb- begräbnisses die bäuerlichen Grabstätte,: hoch überragte, wmkte er nut der .Hand und murmelte: „Laß man, Mutting — ich komme bald und werd' mich verantworten — bald — spätestens am Weihnachtsheiligabend." Der Herbstwind, welcher kalt und schneidend die dunkle Chaussee hinauffegte, nahm das Wort und wehte es hinüber. Dann trieb er mächtig die Backen auf und blies wie der Fön durch den Wald, damit das Rauschen der Buchen die Wehklage eines jungen Herzen? übertöne, ob eines allzu raschen zorngeborenen Wortes H. „Fieken!" Keine Antwort. Nur ein verstärktes Rasseln von Tövfen und Löffeln aus der Gegend der Küche. „Fräulein Sophia!" Das nämliche Resultat bloß mit dem Unterschiede, daß sich in dem Ensemble von erregten Geräuschen noch ein Brummen unlerscheiden ließ. Jochen Staberow kniff ein Auge zu und kraute sich bedenklich Hinterm Ohr. „Nu hat sie'S 'raus", flüsterte
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