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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041223021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-23
- Monat1904-12
- Jahr1904
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Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. «nzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktionSstrich («gespalten) 75 nach den Fanriliennach» richten <6 gespalten) 50 -H. — Tabellarischer und Ziffernsatz werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme Lb Rnnahmeschluh für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-All-gabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von srüy 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Dr. B., R. L W. Kliukhardtj. Nr. 653. Var llückstigzte vom läge. * Die Gräfin Montignoso ist nicht aus Sachsen ausgewiesen worden, sondern begibt sich auf Grund freier Vereinbarung außer Landes. (S. Leitartikel.) * Oberst Leutwein trifft mit Dampfer „Lucie Woermann" voraussichtlich am 30. d. M. in Ham burg ein. * In Salzburg findet heute ein t o s k an i s che r Familienrat statt. (S. Aus aller Welt.) * Auch der Admiral Bi enaim« bat die Kandi datur in Syvetons Wahlkreis abgelehnt. (S. Ausland.) * Der französische Gesandte in Tanger hat seine Reise nach Fez aufgegeben und alle französischen Staatsangehörigen zum Verlassen von Fez aufgefordert. (S. Ausland.) * Nach einer Erklärung des russischen Konsuls in Hüll ist auch der letzte der von den russischen Agenten geworbenen Fischer umgefallen. (S. russ.-jap. Krieg.) * Es wird bestätigt, daß die „Sewastopol" von einem japanischen Torpedo getroffen wurde und ein großes Loch erhalten hat. Die Russen versuchen eine Ausbesserung. (S. russ.-jap. Krieg.) Vie SriMil Monlignoro. Ueber den Aufenthalt der Gräfin Montignoso werden von den informierten Kreisen zurzeit noch alle Angaben verweigert. Doch ist anzunehmen, daß die Gräfin sich noch in der Billa des Herrn Rechtsanwalt Dr. Zehme in Gautzsch befindet und daß die Abreise jede Stunde zu erwarten ist. Aeine Ausweisung der Gräfin. Es ist die Frage angeschnitten worden, ob die sächsischen Behörden ein Recht auf die Ausweisung der Gräfin geltend machen könnten. Dazu wird uns von autoritativer Seite mitgeteilt: Von einer Ausweisung der Gräfin Montignoso aus Dresden und damit auch aus dem Königreich Sachsen kann keine Rede sein. Der Kronprinzessin ist nur das Betreten des Taschenbergpalais und des Residenzschlosses untersagt worden und da sie von anfang an erklärt hatte, daß sie, wenn sie ihre Kinder gesehen, Dresden sofort wieder verlassen werde, hätte die Behörde keine Veranlassung, irgend welche weiteren Schritte zu tun. Die Organe der Re gierung haben sich in dieser Beziehung der Gräfin gegen über mit dem größten Takt benommen und sind in der konziliantesten Form verfahren. Ebenso haben die Besprechungen, die im Hotel Bellevue zwischen den Herren Justizrat Dr. Körner, Rechtsanwalt Dr. Zehme und der Gräfin stattfanden, das vollständige Einverständnis bei den zu behandelnden Fragen ergaben. Daß von einer Ausweisung Freitag den 23. Dezember 1904» der Gräfin keine Rede sein kann, geht auch daraus hervor, daß sie ungehindert nach Leipzig fahren und hier Aufenthalt nehmen durfte. Der Eindruck im Reiche und in Oesterreich. Die Dresdner Reise der Gräfin Montignoso wird in der Berliner Presse nur spärlich kommentiert, man beschränkt sich meist aus die Wiedergabe der offiziösen Drahtmetdungen. Wirkliche Meinungsäußerungen finden sich nur im „B. T." und im „Vorwärts". DaS „Bert. Tagebl." kommt auf die Kundgebungen bei der Abfahrt der Gräfin Montignoso von Dresden zu sprechen und sagt: Man kann doch nicht annehmen, daß die Dresdener Vivatrufer die Verfehlungen der Prinzessin gebilligt haben. Das wäre doch eine Verwirrung aller sittlichen Begriffe, wie man sie sich schlimmer gar- nicht vorstellen kann. Man muß also in diesem Verhalten der hyper loyalen Dresdener nur eine weitere Demonstration gegen den jetzt regierenden König, also gegen den ehemaligen Gemahl dieser allzu temperamentvollen Luise von Toscana und jetzigen Gräfin Montignoso erblicken. Das war in der Tat eine schöne Weihnachtsbescherung für Dresden und das sächsische Königshaus. Aber so wenig diese Demonstration auf eine klare Vorstellung in den Massen schließen läßt, eines ist sicher daraus zu folgern, daß zwischen großen Bruchteilen der sächsischen Bevölkerung und dem sächsischen Herrscherbause eine tiefe psycho logische Verstimmung, um kein anderes Wort zu gebrauchen, ob walten muß. Für die Kräftigung des monarchischen Gedankens ist solch ein Zustand nicht gerade geeignet. Hier befindet sich das „Berl. Tgbl." entschieden im Irr tum, denn in Dresden wie im ganzen Lanve erfreut sich König Friedrich August einer großen Popularität. Die ganz uneingeschränkte Parteinahme eines unzweifelhaft großen Teils der sächsischen Bevölkerung für die frühere Kron- Prinzessin gehört in das nur dürftig erleuchtete Gebiet der Massenpsyche. Politische klare Erwägungen spielen dabei schon deswegen nur zweite oder dritte Rollen, da die Be wegung zum größten Teil von der weiblichen Bevölkerung getragen wird. Der „Vorwärts" kommt auf die oben abgetane Frage nach dem Recht einer Ausweisung zu sprechen und wirst sich natürlich aus durchsichtigen Gründen dafür ins Zeug, daß der Gräfin keinerlei Aufenthaltsbeschränkung auferlegt werden dürfe. Telegraphisch wird noch gemeldet: * Wien, 23. Dezember. Von gut orientierter Seite wird der „N. Fr. Pr." geschrieben: Ueberraschend kam die Nach richt, daß die Gräfin Montignoso in Dresden aufgetancht sei, nicht. Namentlich dieGrenzpolizei batte strengeWeisung,darüber zu wachen, ob die Gräfin sächsischen Boden betrete. Nichts kann den Hof von dem einmal gefaßten Beschluß ab bringen, das mit der Gräfin getroffene Uebereinkommen, wonach diese nicht mehr nach Sachsen kommen sollte, unbedingt aufrecht zu erhalten. Dagegen sind kiesige Hofkreise der Ansicht, daß die Gräfin noch immer sächsische Staats angehörige ist und man ihr den Aufenthalt in Sachsen kaum verweigern dürfe. Durch ihre Rückkehr bat sie das getroffene Uebereinkommen gebrochen, auf welchem eine finan zielle Unterstützung basierte. * Salzburg, 23. Dezember. Der toscanische Hof ist über das Vorgehen der Gräfin Montignosi in größter Bestürzung. Man glaubte sie in Florenz, wohin sie mit ihrem Töchterchen und der Gräfin Fugger gefahren war. Die Meldung von ihrer An kunft in der sächsischen Hauptstadt traf gestern nachmittag hier ein. DaS Oberhofmeisteramt zog Erkundigungen in Florenz ein, da der Hof die Dresdner Meldung nicht glaubte, doch blieben diese ohne Antwort. ver AuMana in Ziilstvertakrista. Vie militärische Lage. AuS der Omaheke liegen Nachrichten vor, die ein weitere« nach Westenwandern versprengter Herero-Banden erkennen lassen. Oberleutnant Gras Brockdorff hat eine derartige Horde auf dem Wege von Olavi — NaidauS nach Oinike — Omaruru angegriffen und zerstreut, und General von Trotha bat dem Detachement von Fiedler den Auftrag erteilt, di« Gegend um Omaruru vom Gegner zu säubern. Diese Bewegung nach Westen aber — zweifellos die „ultiwu rruio" der Herero — wirb aller Wahrscheinlich keit nach binnen kurzem ins Stocken geraten und wiederum in ein östliches Ausweichen umschlagen. Wir stehen im Schutzgebiet jetzt kurz vor dem Beginn der Regenzeit, die einen hervorragenden Einfluß auf die weitere Kriegführung ausüben wird. Tie brennenden Fragen sind vor allem, wenn die ersten Niederschläge ein treten, ob sie ergiebig sein und ob alle Landesteile gleichmäßig begünstigt sein werden. Das letztere ist aber im ganzen Süd afrika nur reckt selten der Fall; meist bleiben einige Land schaften — insbesondere von den östlichen — von den für die Erneuerung der Flora so überaus wichtigen stärkeren Regen frei, so daß dann in diesen Gebieten unter dem Einfluß der gesteigerten und durch Niederschläge nicht abgekühlten Hitze der kommenden Periode eine förmliche Ausdörrung eintritt. Als unmittelbare Folge tritt das Versiegen der letzten Quellen und Wasserbecken ein, die von der Trockenheit betroffenen Landschaften werden für Menschen und Tiere ungangbar, und auch das Wild zieht sich in mehr begünstigte Regionen zurück. Daß die zu erwartende gesteigerte und absolute Wasserarmut einzelner Gebiete ungünstig auf die Beendigung des Feldzuges ein wirken müsse, kann der „Dtsch. Kol.-Ztg." nicht als er wiesen gellen. Es dürfte vielmehr bei dem heutigen Stande der Dinge auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz eine weitere Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Herero durchauv »ickt unerwünscht jein. Die nächste Zukunft muß diese interessante Frage entscheiden, denn der Beginn der Regenzeit, der für den mittleren und südlichen Teil des Schutzgebiets im allgemeinen auf etwa Mitte Januar angenommen wird, tritt für die nördlichen Gebiete oft bereits im Dezember ein. Aus dem hohen Norden des Schutzgebiets — dem Ambo- lande — wird gemeldet, daß der deutschfeindliche Ovambo- Häuptling Nechale zahlreiche Herero bei sich ausgenommen habe. Diese Nachricht ist insofern von hoher Wichtigkeit, als sie beweist, daß der genannte, mächtige und einflußreiche „Kapitän" nicht aufgehört hat, die deutsche Macht zu miß achten und seiner feindlichen Haltung erneut Ausdruck zu geben. Wir versagen es uns, auf eine Beurteilung des in der Zukunft liegenden Ovambo-Feldzugs einzugehen, und zwar, weil die Haltung der übrigen Ovambo-Stämme sich zur Zeit ebensowenig übersehen läßt wie der kriegerische Wert des Volkes, seine Hülfsquellen und die Zahl seiner Krieger überhaupt. Jedenfalls weist die vernichtende Niederlage der portugiesischen Erpedition am Kunene darauf hin, die Ovambo mit aller soldatischen Vorsicht anzufassen und keine Maßregel zu unter lassen, die einen schnellen und nachdrücklichen Sieg auch unter den schwierigsten Verhältnissen sichern kann. Vor allem wird auch zu beachten sein, daß das Amboland seit Jahrzehnten das Durchgangsgebiet für einen enormen Waffen- und 98. Jahrgang. Munitionshandel und -Schmuggel nach allen Himmels richtungen bildet. Ueber die Haltung der Felbschuhträger, des Hottentotten stammes, der die Gegend östlich von KeetmanShoop gegen die Grenze des Schutzgebietes hin bewohnt, war bisher noch nichts Bestimmtes bekannt geworden. Als die Nachricht von dem Aufstand Hendrik Witbois in KeetmanShoop einlief, war ihr Kapitän Han« Hendrik zufälligerweise dort; er er klärte, daß er von dem Ausstande der WitboiS nichts wisse, und gelobte, Frieden zu halten. Noch am 26. Oktober bezeichnete die Meldung die Felbschuhträger als treu, aber bald darauf sprach eine Meldung (vom 2. November) von Gerüchten, die von einem Abfall eines Teiles des Stammes berichteten. Wie nun die bereits mitgeteilte Mel dung des Generals v. Trotha au- Windhuk vom 20. d. M. ergibt, sind die Felbschuhträger tatsächlich aufständisch geworden, aber von Major v. Lengerke bei Koes (Kleinfvntein), dem Hauptsitze des Stammes, ge schlagen worden. Die 3. Ersatzkompagnie und der Zug Gebirgsbatterie, die Major Lengerke zur Sicherung von KeetmanShoop und Bersaba zurückgelassen hatte, sind über Lüderitzbucht und Kubub in das Schutzgebiet eingrrückt; eine Meldung vom 8. Dezember hat angrlündigt, baß sie von Bersaba gegen Gibeon vormarschieren sollten. Dort ist Wohl inzwischen Oberst Deimling mit der Halbbattrrie Stuhl mann eingetroffeu; denn nach einem der letzten Telegramme des Generals v. Trotha gedachte er am 13. d. M. dort an zukommen. Im äußersten Süden — im Großnamaland — bat ein erneuter Angriff Morengas aus die von Hauptmann von Koppy besetzte Station Warmbad die bisher ungeschwächte Krasl dieses Gegners bewiesen, während Hendrik Witboi in der Tat unter den raschen Schlägen deS Obersten Deimling stark geschwächt erscheint. Die rund 60 Gefallenen bei NariS und die 15 000 Stück verlorenes Vieh werden dem allen Verräter zu denken geben. — Das Weihnachtsfest naht, und während wir die heilige Nacht in frohem Kreise feiern, stehen Tausende deutscher Brüder fern der Heimat in heißem Kampfe. Ihnen grünt kein duftender, lichtergeschmückter Tannenbaum — bald im glühenden Sonnenbrand, bald vom Sturmwind der Steppe ümbeult — folgen sie freudig ihrer harten Pflicht: Wir aber wollen ihnen — stolz auf ihre Ruhmestaten und voll Dank barkeit für ihre Hingebung — vom Weihnachtsfeste zurusen: „Glück, Dank und Ehre unseren tapferen Truppen im fernen Südwestafrika!" Der wechsel in, Go«ver«e»nent. Auf die Verhältnisse, unter denen Gouverneur Leutwein aus Deutsch-Südwrstafrika scheidet, wirft eine Schilderung von Dr. E. Th. Förster in GroH-Lichterfelde im „Reichsb." ein grelles Schlaglicht. Dr. Förster nimmt Leutwein in Schutz gegenüber den Beschuldigungen, durch seine Gutmütig keit gegen die Schwarzen den Aufstand veranlaßt zu haben. Darin, wo Leutwein gefehlt habe, hätten alle gefehlt. Höchlichst verwundern muß man sich aber, schreibt Dr. Förster, „daß der General von Trotba so well gegangen ist in der Lr- niedriguug des früheren verdienstvollen Gouverneurs, ihm selbst das Kommando als Oberst gegen den Bandenfuhrer Morenga, als einfachem Obersten, zu verweigern. Er hat darum nachgesucht und wurde abschlägig beschieden. Vielleicht gönnte man dem tapfe ren Manne nicht den Tod vor dem Feinde, den er sich wohl wünschen mochte, angesichts der Beschimpfungen, mit denen ihn frühere Freunde überhäuften." Von „Beschimpfungen" kann doch wohl keine Rede sein, sondern lediglich von dem Vorwurf, baß Leutwein auf seinem Feuilleton. " Und zürne nicht! Weihnachtserzählung von Teo von Torn. verboten. I. „Nee, Staberow — wie ich mich freue! Wahr haftigen Gott! Ist dock) mal wieder 'n Mensch! Wo man so lange keinen gesehen hat! Haben Dich denn die Aufpassers überhaupt 'reingelassen?" Der alte Baron von Knieper lzatte den Krückstock unter den Arm geklemmt, um beide Hände frei zu haben. Mit diesen beiden Händen betastete er glückselig die Stoppel- lvangen und die Glatze seines einstigen Gutsnachbarn und spätereil Oberinspektors Jochen Staberow, der sich das auch friedlich gefallen ließ. Nur als der Baron die schwachen Allgen zu dicht an sein Gesicht brachte, so daß die gelbweißen Lambrequins des kolossalen Schnauz barts ihn kitzelten, machte er eine krause Nase und wandte den Kopf ein wenig zur Seite. „Wenn du mir 'n Kuß geben willst, Baron", sagte er in jener ernsten und bedächtigen Art, durch welche Jochen Staberow auch der unwesentlichsten Bemerkung einen An strich von Wichtigkeit zu geben wußte, „denn mach' 'n bißchen fir, weil ich sonst niesen muß. Setz' dich man überhaupt bin mit deinen kranken Knochen. Wieso meinst du. daß sie mich nicht 'reinlassen sollten?" „Weil das eine Schwefelbande ist! Deshalb. Sieh' mal, vorige Woche hatte ich mir bei Behncke in Lübeck ein Faß Roten bestellt, wovon ich dir nu so schön ein Glas vorsetzen könnte. Glaubst du, sie haben'» durchgelassen? Gott bewahre! Vorgestern war der Lewin hier — du weißt doch: der buckelige Lewin aus Neubrandenburg, mit dem ich immer meine Geschäfte gemacht habe — den haben sie gar nicht erst auf den Hof gelassen. Die Seffi hat gesehen, wie er mit seinem alten Fliegenschimmel wieder hat abfahren müssen. Und ich sitz' da ohne die fünfzig Taler, die ich so nötig brauche. Ist das eine Zucht!" Jochen Staberow pfiff leise durch die Zähne und machte ein Gesicht, als hätte er eins der schwierigsten Rätsel des Lebens gelöst. „Nu weiß ich auch, weshalb ich beinah' hab' schwören müssen, daß ich dir kein Geld borgen tu'." „Siehst du, da hast du die Katzenpastete! Diese ver flüchtigen Triddelfitze! Verweigern einem alten Mann ans seinem eigenen Grund und Boden — ist dir was, Jochen Staberow?" „Nee, mich hat bloß mal gehüstert. Ich muß mich wo verkühlt haben." „Na denn schon' dich man, daß du nicht auch den verfluchten Neißmirtüchtig in die Scharniere kriegst. Also uns wollt' ich doch sagen? Ja: sie verweigern einem nicht bloß den standesgemäßen Unterhalt, sondern auch die Möglichkeit, daß man sich was pumpt. Mach' dir einen Begriff, Staberow, was das für ein Zustand ist! Aber ich weiß, daß du mein Freund bist und dich nicht be schwatzen läßt von der Schwefelbande. Ich mein', fünfzig Taler sind schließlich auch kein Geld —" Der emeritierte Landwirt beantwortete den zwischen Zuversicht und Zagheit auf ihn gerichteten Blick mit den verständnislosen Frageaugen eines Schwerhörigen. „Du siehst eigentlich noch ganz gut aus, Baron-", sagte er mit einer Ueberzeugung, als wenn er die ganze Zeit über an nichts anderes gedacht. „Verändert hast du dich gar nicht in den zwei Jahren, wo wir uns nicht gesehen. Bloß in den Nerven mußt du einen kleinen Knacks weg gekriegt haben — wegen der allgemeinen Unruhigkeit. Weshalb humpelst du immer in der Stube 'rum, Baron?" „Weil ich suche, was ich dir vorsetzen könnt'. Die Seffi ist in der Stadt — und außer dem greulichen 'Sauerbrunnen seh' ich nichts. Oder magst du vielleicht ein Glas Sauerbrunnen?" „Dieses weniger. Du wirst schon noch etwas anderes finden. Geh man immer deiner Nase nach, die sieht so schön bunt aus, als wüßte sie eine bessere Quelle." „Das sind doch die Polypen, Staberow", erwiderte der alte Herr in einem tiefen, vorwurfsvollen Brusttöne. Gleich darauf nahm das verwitterte Gesicht einen listig geheimnisvollen Ausdruck an. Er legte den Finger an die Nasenwurzel und machte: „Sssssss—t! Mir fällt was ein, Staberow. Wie man vergeßlich wird mit den Jahren, das glaubt kein Mensch. Ich l)ab' wahrhaftig noch eine Flasche von dem bewußten Portwein. Und wenn du mir schwörst, daß du der Seffi nichts sagen und dir hinter her ordentlich den Schnabel wischen wirst, dann sollst du was 'von abhaben." Jochen Staberow nickte ernst und verfolgte mit Inter esse, wie der Baron zu seinem Lehnstuhl stelzte, den Sitz desselben aufhob und nach einem sichernden Blick aus dem Fenster, sowie unter allerhand umständlichen Vorsichtsmaßregeln eine Flasche hervorholte. Als der Schah gehoben war, nickte Jochen Staberow noch einmal — und zwar befriedigt. „Du kannst dich ganz auf mich verlassen, Baron. Wenn ich schon beeidigt habe, daß ich dir nichts borgen werde, .weshalb soll ich nicht schwören, mir den Mund zu wischen! Das geht in einem hin. Du scheinst aber in aller Vergessenheit schon ganz hübsch genascht zu haben an der Flasche? Es ist man kaum noch 'n Viertel drin." „Wahrhaftig!" rief der Alte in ziemlich glaubwür diger Ueberraschung, indem er die Flasche gegen das Licht hob. „Daß muß rein ausgelaufen sein. Aber das kommt davon, wenn man mit der edlen Gottesgabe Ver stecken spielen Muß. Ich würde eS auch nicht tun — nu trink' mal erst, Staberow, aber vorsichtig, daß du dich nicht verschlückcrst! — würde es nicht tun, wenn die Seffi nicht gar eine so große Abneigung gegen alles hätte, was nach Wein aussieht. Kannst du dir vorstellen, Staberow, daß das Mädel den Wein als den Anfang von allem Unglück ansieht? Was eine Unvernunft, nicht wahr? Nee, trink' man allein aus! Mir ist gerade jetzt, als wenn die blauen Mädelsaugen über Wald und Haide hinweg durch die Wände sehen bis tief hinein in das alte schwache Herz." Er ließ sich schwerfällig und unter leisem Aufstöhnen in den Sessel sinken. Tas Holzbein steif von sich gestreckt, die kurzen, gichtisch verkrümmten Finger über dem respek tablen Bäuchlein verschränkt, schaute er angelegentlich auf die Chaussee hinaus. Die letzten braunen Blätter rieselten von den Bäumen, und die kahlen Zweige zitterten wie fröstelnd im Herbstwind. War es das, was ihn da draußen fesselte? Schaute er nach der Tochter auS? Oder wollte er nur nicht zu sehen, wie sich Jochen Staberow den guten Tropfen zu Gemüte zog? Letzterer schien das anzunehmen; denn bei jedem Schluck wandte er sich diskret zur Seite und vermied jedes Schnalzen oder jede sonstige Aeußerung des Behagens. Erst nachdem er die Flasche geräuschlos beiseite gestellt und daun umschichtig mit beiden Hand rücken die Lippen wischte, konstatierte er einfach: „Nu ist's alle, Baron." „Tas ist es wohl", erwiderte dieser mit einem so schweren Seufzer, daß Herr Staberow in seinem be eidigten Reinigungsgeschäft überrascht innehielt. Aber er begriff bald, daß diese schmerzvolle Resignation sich nicht auf den Rest Wein bezog. „Komplett alle", fuhr der Alte mit abgeivandtemGesichte fort; „da pickt kein Hahn ein Tippelchen von ab. Und für mich sollt' mir das schon egal sein. Ist man denn überhaupt noch 'n Mensch — mit seinen halben Knochen und den verflüch tigen Polypen? Da ist es schon am besten, man kriegt mit dem Spaten was hinten vor und legt sich um. Aber daS Mädel, Staberow! So ein Wurm von knapp acht zehn! Herrgott im hohen Himmelszelt! Kannst du dir
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