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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041222029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-22
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Seite 2. Nr. tt51. W. Aahrg. leipziger Tageblatt. Tonnerstag, 22. Dezember 1W4. „Genen den Schmutz". ES hat sich wieder einmal ein Bund gebildet, der ..Bund zum Kampfe gegen den Schmutz in Wort und Bild". Der Bund hat einen Aufruf erlassen, der von einer Reihe angesehener Persönlichkeiten unterzeichnet ist. wenn auch freilich unter ihnen nicht sehr viele allererste Namen zu finden sind. Die Gesichtspunkte der neuen Vereinigung ergeben sich aus ihrem Titel und selbstver- sind ganz damit einverstanden, daß nicht ins Blaue hin» emgewirtschaftet werden ioll. da wir aber bereits im Reichshausl)alt ein Defizit von hundert Millionen haben, füt welches Deckung geschaffen werden mutz, so war es wohl einleuchtend, datz diese Deckung auch kür die sechs Millionen, die die Pensionsreform erheischt, gefunden haben würde. Ter Reichsichatzsekretär hatte recht, wenn er es ablehntc, für diese sechs Millionen Mark besondere neue Steuervorschlägc zu machen, da dock später grotz. zügige Maßnahmen getroffen werden müssen, um La« Huuoertmilllonendefizit zu beseitigen. Wir vermissen in dem Beschluß des Reichstages das sichere Gefühl für den Ernst der Zeit. Die Peysionsreform soll ja nicht nur individuell wirken, sie soll nicht nur die Dankbarkeit der Nation den Invaliden gegenüber betätigen, soll nicht mir dey sozialen Zweck verfolgen, verdiente Männer der Armut, ja bisweilen dem Elend zu entreißen, die Vor» läge soll auch der Armee als solcher zugute kommen, denn niemals war ein tüchtiges Ausbildungs-Personal not wendiger, als gerade jetzt, und bekanntlich werden weite Kreise durch den Hinblick auf die pekuniäre Unsicherheit davon abgeschreckt, ihre Söhne dem Dienste im Heere zu zuführen. Es tritt eben auch hier wieder zu tage, daß unser Volk über die Situation nicht hinreichend aufge klärt' ist. Die ausgiebige Rederei der Friedensfreunde, deren Tendenzen in einer großen Zahl unserer populär sten Zeitungen vertreten werden, übt eben doch ihre Wir. kung. Wir brauchen nicht mebr zu betonen, daß wir diese Wirkung für äußerst gefährlich halten, und wir möchten die Hoffnung aussprechen. daß die Budgetkommission sich der Pensionsgesetze besonders annimmt, so daß sie viel leicht doch noch in dieser Session zur Erledigung ge langen. » Die Sanalvsrlage. Zwei große landwirtschaftliche Organisationen im Westen baben in diesen Tagen Stellung zur Kanalvorlage genommen. Die Beschlüsse sind insofern beachtenswert, als sie in Kreisen gefaßt wurden, die fast ganz der Wählerschaft deS ZentruniS zuzuzählen sind. In der LandwirtschaftSkammer für die Provinz Westfale» wurde ein Antrag des Zentrums abgeordneten Herold, die Kammer möge erklären, daß sie gegenüber den Verbesserungen durch die Beschlüsse der Kanalkommission ihre ablehnende Haltung aufgebe, ent schieden ^abgewiesen. Der Antrag Herold erhielt nur wenige Stimmen, und die Kritik an der Kanalvorlage wie an den Beschlüssen der Kanal-Kommission blieb so scharf ab- Hzhnend wie früher. Unter anderem wurde der Antrag am Zehnhoff für das Schleppmonopol ein großer „Blender" genannt, der keine tatsächliche Bedeutung habe. Der Kund gebung der westfälischen LandwirtschaftSkammer reibte sich ein einstimmig gefaßter Beschluß des Rheinischen Bauern verein« au. Dieser Verein hielt seinen ablehnenden Stand punkt aufrecht, forderte aber für den Fall der Annahme der Kanalvorlage die ländlichen Abgeordneten der Rheinprovinz dringend auf, mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß die Entscheidung über die Kanalvorlage nicht eher erfolge, als bis durch ausreichende Zölle beim Abschluß der Handels verträge die Landwirtschaft in völlig ausreichender Weise ge schützt sei. Diese Kundgebungen zeigen nach der „K. Ztg.", daß da« Zentrum, wenn es bei der Entscheidung für die mit dem Schleppmonopol und den SchiffabrtSadgaben bepackte Kanalvorlage stimmt, die große Masse seiner ländlichen Wähler im Rheinland und in Westfalen nicht hinter sich hat. — Die „Disch. Tagesztg." widmet der Frage eine längere Betrachtung und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die Stellung de« Zentrums viel mehr gestärkt würde, wenn der von ihm um gewandelte Kanal mit konservativer Hülse angenommen werden sollte. Auch die „Kreuzzeitung" beschäftigt sich in einem Leitartikel mit der Kanalfrage und kommt dabei zu dem Resultat, daß bei Abwägung aller hierbei in Betracht kommenden Gesichts punkte die Annahme der Kanalvorlage in ihrer jetzigen Gestalt gegenüber der Ablehnung, deren Folgen sich zwar nicht mit Sicher heit überseden lassen, aber jedenfalls für die weitere Gestaltung unserer öffentlichen Verhältnisse verhängnisvoll sein könnte, als das kleinere Uehel erscheine. Eine Einigung der Konservativen werde in dieser Frage nicht mehr erhofft werden können. Das könne aber für sie kein Grund sein, ihren durch gewissenhafte Prüfung ge- wonnenen Standpunkt preiszugeben. Ihre Aufgabe werde sein, dahin zu wirken, daß die Meinungsverschiedenheit in der Kanal- frage der vollen Einheitlichkeit der konservativen Partei in allen wichtigen politischen Fragen keinen Abbruch tue. ES bleibt abzuwarten, ob die Spaltung der Konservativen in der Kanalfrage nicht doch noch weitere Folgen nach sich zieht. stündlich haben wir gegen die Bestrebungen des Bunde» nichts einzmvenden. Bedenklich finden wir nur. daß unter den Mitteln, die zur Erreichung de» Ziele» dienen sollen, auch mündliche und schriftliche Vorstellungen bei den Parlamenten aufgezächlt werden. Das würde also auf eine jener gesetzgeberischen Aktionen herauskommen, die wir von vornherein ablehnen müssen, weil er- fahrungsgemäh die richtige Grenze nicht gefunden werden kann. Aller solcher Bestrebungen bemächtigt sich dar Zentrum in enger Verbindung mit der protestan tischen Muckerei und nutzt sie gegen die Freiheit der literarischen Darstellung auS. Die vom Zentrum Paten- tierte Sittlichkeit aber wollen wir nicht. Für diese Ein führung müssen wir uns höflichst bedanken. Der Volk-- bund wird also Gutes wirken, so lange er sich auf eine private Tätigkeit beschränkt. Sobald er darüber hiizaus- geht, wird er nur die Bestrebungen der Dunkelmänner aller Parteien unterstützen. Den Verlagsbuchhändlern und Schriftstellern, die sich unterzeichnet haben, empfehlen wir. vor allein gute Bücher zu schreiben und zu verlegen. Tas gute Beispiel ist immer noch das beste Mittel zur Bekämpfung der häßlichen Exzesse. Campbell-Bannerman« Antwort. Aus London, vom 21. Dezember, schreibt unser —v.-Korrespondent. Der Liberale Bund von London hat sich an Mr. Chamberlain gerächt und in derselben Edinburgh Castle Hall, in der die historische Versammlung abgehal ten wurde, ihren so sehr angegriffenen Campbell-Banner- inan reden lassen. Die Plattform war mit grünen und weißen Tüchern, mit kleinen Nationalflaggen geziert, es wurde begeisterungsvoll gesungen; ein Vers der Hymne „6lo<1 »ave Ille King" machte den Beschluß und wurde „vitb groat gusto" ausgeführt. Campbell Bannerman war außer stände, seine Gefühle gegen den mächtigeren Widerpart zu verbergen. Als er fragte, ob jener über haupt autorisiert sei, im Namen des britischen Reiches zu sprechen, rief man: „Er ist ein Betrüger!", als er fragte, was auf dem Boden dieser Redensart zu finden fei, rief man: „Unrat"; Campbell-Bannerman selbst fügte hinzu: „Ihn und seine Tarifkommission". Gegen den Premier- Minister bemerkte der liberale Abgeordnete, eS würde ehrenhafter sein, und in Uebereinstimmung mit den Ueberlieferungen des öffentlichen Lebens, wenn die Mil glieder -er Regierung aufhören wollten, nachsichtig zu sein und Winkelzüge zu machen, wenn sie den Parteien ehrenhaft sagen wollten, was ihre Politik sei. Chamber lains System bereite der Wirtschaft Londons den grüß- ten Schaden; es verschaffe nur den Trustspekulanten Vor- teile. Der Redner setzte Chamberlain besonders deshalb herunter, weil er neulich auf den Zwischenruf: „Zucker!" nicht reagiert habe, anstatt an diesem Schulbeispiel die Segnungen des Schutzzolls zu zeigen. Mit der größten Erbitterung befehdete Campell-Bannerman die Dar- legungen seines Gegners über die Fremden - Ein wanderung. Er rechnete dem Exkolonialminister vor, daß gerade er die Einführung chinesischer Arbeiter in Transvaal verteidigt habe; er solle doch seinen Einfluß verwenden, um den britischen Arbeitern bei den Minen Arbeit zu schaffen. Die Einengung des Asyl rechts will Campbell-Bannerman nicht zugestehen. Er verurteilte die Fremdenfeinoschaft als einen Teil der ministeriellen Tendenzen, deren Kennzeichen die Be schränkung der Freiheit, die Ungleichheit zwischen Handel und .Handel, üie Ungerechtigkeit gegen die Gesamtheit der Konsumenten seien, lauter rückschrittliche und anti- demokratische Aeutzerungen. Nur sanitäre Reglements und Beaufsichtigung der Hausindustrie kann Mr. Camp- bell-Bannerman gegen Chamberlains Protektionismus und Nationalismus aufbieten. Deutsches Heich. Leipzig 22 Dezember. Wie es gemacht wird. Vor kurzem ging folgende Meldung durch die Blätter: „Am 15. November trat Dr. Ludwig Seidel, zuletzt Prediger und Gymnasialprofessor in BreSlau, in der Semiuarkirche zu Lritmeritz, nachdem er im Beisein de« Kanonikus Kowot der Seminarleitung und sämtlicher Theologen daS katholische Glaubens bekenntnis in feierlicher Weise abgelegt hatte, in die katholische Kirche ein. Dr. Seidel wird zunächst in der theologischen Lehr- anstatt in Leitmeritz den theologischen Studien obliegen und »ach deren Vollendung zum Priester geweiht werden." Die „Oesterreich. VolkSztg." ließ diesen Herrn Seidel gar au» Leipzig sein. Da eS nun weder hier noch in BreSlau einen Professor Ludwig August Seidel gibt, so kann al- zweifellos gelten, baß die Sache zu Reklamezwecken erfunden ist. Vielleicht hat dies darin seinen Grund, daß vor kurzem ein katholischer Lehrer und ein katholischer Pfarrer in BreSlau bezw. Rohmstock zur evangelischen Kirche übergetreten sind, was große Verstimmung in katholischen Kreisen erregt hat. Berlin, 22. Dezember. * Boztalrefarmerifche Anttiatitze. Anläßlich ihres sechzig- jährigen Bestehens hat die westfälische Firma Funcke K Hueck in Hagen letzthin durch Stiftung einer Wilwen- und Waisen- Versicherung für ihre Arbeiterschaft ein Maß sozialen Em pfinden- betätigt, da- großer Anerkennung wert ist. Die Schwierigkeiten, welche zu Überwinden sind, bevor eS zur reich-gesetzlichen Regelung der Arbeiter-Witwen- und Waisenversicherung kommen kann, sind zur Zeit noch nicht abzuseben. Jedenfalls werden sie sich nicht al- geringe darstellen. Um so erwünschter und nützlicher ist eS, wenn industrielle Firmen den Abschluß bei Vor entscheidungen nicht abwarten, vielmehr, soweit dies in ihren Kräften strbt, selbständig auf dem in theoretischer wie prak tischer Hinsicht noch in mancher Richtung unerforschten und dunklen Gebiete vorschreiten. Die Früchte einer derartigen Initiative können nicht ausbleiben. Sie werden sich zeigen in der Sicherung fester Arbeiterstämme und der Erziehung von Arbeitern zu Stützen der Produktion, aus die Verlaß ist, und die sich auch dann al« tragsähig und kräftig erweisen, wenn da, wo daS soziale Empfinden minder rege ist, manches in« Wanken und Schwanken kommen könnte. * Die Stimmung in tzer Freisinnigen Bereinigung. Ueber den Stand der Dinge in der Freisinnigen Vereini gung veröffentlicht die „Weserztg." eine Reihe von Betrach tungen. Da- Blatt bebt hervor, daß der Standpunkt Naumanns in der „Nation", der „Berliner Zeitung" und der „Hilfe" vertreten wird, außerdem in einem Rostocker „Blättchen" „Die Morgenröte". Auf entgegen gesetztem Standpunkt aber stehen alle TageSblätter der Freisinnigen Vereinigung, außer der „Weserzeitung" daS „Berliner Tageblatt", dre „Danziger Zeitung", die „Ostsee zeitung", die „Kieler Zeitung". Die „Weserztg." vergißt den „Börsenkourier" zu erwähnen. Außer der „Nation" ist also nicht ein einzige- Organ, das schon vor der Fusion den Standpunkt der Freisinnigen Verewigung ver trat, mit der von Naumann und Barth empfohlenen Taktik einverstanden. In der „Nation" ist eS jüngst so dar gestellt worden, daß der Gedanke an ein generelles Bündnis mit der Sozialdemokratie nur von den Gegnern erfunden sei. „Da bitten wir um Aufklärung", bemerkt dazu die „Weserztg.", „worin sich ein generelle- Bündnis von der Bildung eines Blocks der Linken unterscheidet. Weiter ist eine Zuschrift an die „Weserztg." über die Verhältnisse der Freisinnigen Ver einigung m Mecklenburg als Phantasien im Bremer Rats keller verspottet und dem Gewährsmann der „Weserztg." als Motiv Haß untergelegt worden. Der Gewährs mann der „Weserztg." antwortet darauf: Sollte man dabei auf die eigene Gemütsstimmung der „Nation" rück- schließen dürfen? — Prinz August Wilhelm, der drittjüngste Sohn deS Kaiserpaares, hat sich, der „Post" zufolge, zurzeit der Abi- turientenprüfung im Prinzenhause zu Plön zu unterziehen. Während seine Brüder, die Prinzen Oskar und Joachim, bereits bei ihren Ellern weilen, wirb Prinz August Wilhelm erst am Freitag die Reise nach dem Neuen Palais anirelen. — Major Dietrich von Kotze, «in Neffe deS Zeremonien meisters von Kotze, ist in eine Irrenanstalt übergeführt worden. Maior von Kotze war in der bekannten Affaire seines Vetters stark engagiert und hat unter anderm auch die beiden Pistolen-Duelle mit Freiherr» von Schrader ausgefochten. — Noch dem bisherigen Gang der EinigungS-Berhand- lungen zwischen den Vertretern der Arbeitgeber und Arbeit nehmer der Berliner Holzindustrie, die Gewerbegerichts. Lirektor v. Schulz als Unparteiischer leitet, kann man annehmen, daß ein dapernder Fried« noch vor Ablauf des Jahre« erzielt wird. * Meppen, 22. Dezember. Japanische Offiziere haben am Montag auf dem Kruppschen Schießplatz größere Schießproben vorgenommea, ebenso russische Offiziere. " A-l«, 22. Dezember. Wegen MaiestSt-beleidigung war eia hiesiger Schlaffer zu S Monaten Gefängnis verurteilt. Er will total betrunken gewesen sein. Der Schlaffer war von einem Droschkenbesitzer denunziert worden, der vom Angeklagten seiner Zeit einmal wegen GchankvergedrnS angezrigt worden war. * Altenburg» 21. Dezember. Der Landtag ist heut« wieder geschlossen worden, nachdem die Statberatungen zu Ende geführt worden waren. * Koburg, 21. Dezember. Die Ursache deS Todes der Herzogin Alexandrine war eine entzündliche Infiltration der Lunge. Es ist neunwöchige Hoftrauer angeordnet worden und Schließung de- Hoftheater- bi- zum Tag nach der Bei- setzuag. * Karlsruhe, 21. Dezember. Dem Großherzog, der durch da- Ableben seiner Schwester, der Herzogin Alexandrine von Koburg-Gotha, in tiefe Trauer ver setzt worden ist, gehen von allen Seiten und au« allen Ländern Kundgebungen herzlicher Teilnahme und Mittrauer zu. Als einer der ersten bat der Kaiser seine Teilnahme ausgesprochen, dann die Könige von Sachsen und Württem berg, auch der Reichskanzler. Auf eine Reise nach Koburg zur Beisetzung muß der Grobherzog auf ärztlichen Rat ver zichten, doch werden die Großherzogin, der Erbgroßherzog lowie die Prinzen Karl und Max an der Beisetzung, die am 27. Dezember stattfiudet, teilnehmen. * München, 2k. Derrmber. Hier fanden gestern und vor gestern Sitzungen von Vertretern de« preußischen Eisenbahn ministerium- und der bayrischen Bahnverwaltung der Eisen- ba h n-Bet rieb S mittel ge meinschaft statt. Ilurlanck. Frankreich. * Die Dreyfu-angelrgenheit vor dem Kassation-Hofe. Die Pariser Agentur „Information" teilt mit, -aß die Dreysusaffäre am 15. Februar vor dem Kassations hofe zur Verhandlung gelange. Der Staatsprokurator Baudouin schließt in seinem Bericht, -aß Dreyfus vor ein anderes Kriegsgericht verwiesen werde, und äußert ferner die Ansicht, daß DreyfuS nicht auf Grund de« Artikels 76 des Strafgesetzbuches ab^eurteilt werden könne, sondern nur auf Grund des spionagegesetzes von 1886. * Die Blätter des Herrn Delcassb über Marokko. Der „Temps" und das „Journal des Dubais" befür worten pflichtgemäß ein energisches Vorgehen von Seiten der französischen Regierung. Der „Temps" schreibt, der französische Gesandte in Tanger dürfe die geplante Reise nach Fez unter keinen Umständen auf schieben. Frankreich wolle das Werk der Umgestaltung Piarokkos nicht unterstützen, aber dieses dürfe nicht unterbrochen werden. Man müsse, wenn es er forderlich sei, den Sultan aus die sehr ernsteu Fragen aufmerksam machen die ein widerstrebendes Verhalten für ihn lzaben würde. * Verantwortung der Frau Syveton vor den nativ- nalistischen Führern. Aus Paris wird telegraphiert, daß Frau Syveton für gestern abend mehrere Führer der Nationalisten, sowie die Herausgaber nationalistischer Blätter zu sich geladen hatte. Sie las ihnen die Aussagen vor, die sie vor dem Untersuchungsrichter ab gegeben hat. Diese enthielten die vonFrauM6naro gegen ihren Stiefvater Syveton erhobenen Beschuldigungen, so wie die bereits bekannten, den Selbstmord Syvetons bc- treffenden Tatsachen. Wie ein Berichterstatter des „Gaulois" erzählt, beklagte sich Frau Syveton bitter dar über, daß einzelne nationalistische Blätter gegen sie den Verdacht ausgcstreut hätten, daß sie ihren Mann er- mordet habe, und erklärte, daß sie durch den Tod ihres Gatten in materieller Hinsicht einen größeren Schaden erlitten habe, als ihr durch die Versicherungs- Prämie von 150 000 Francs, für die Syveton bei einer amerikanischen Versicherungsgesellschaft cingekauft wor- den war, ersetzt werden könne. Die Erklärungen der Frau Syveton, so bemerkt der Berichterstatter des „Gau lois", machten auf die Versammelten, die sich schweigend entfernten, einen peinlichen Eindruck. Italien. * Die Erholungsreise des Kardinals Puzyna. Wie nach der „N. Fr. Pr." polnischen Blättern gemeldet wird, hat sich der Fürstbischof von Krakau, Kardinal Puzyna, von Ron:, wo er jüngst erkrankt war, zu seiner Erholung nach Neapel begeben. Dem Kardinal wurde während seines Aufenthaltes in Rom jenes schon erwähnte Edikt des Papstes Pius X. zur Kenntnis ge bracht, wonach den Kardinalen, welche im Konklave bei einer Papstwahl im Namen was immer für eines Staates ein Veto gegen irgend einen der Tiarakandi- daten einbringen sollten, die strengsten kanoni sch e n S t r a f e n angedroht werden. Das betreffende päpstliche Edikt dürfte nicht veröffentlicht werden, da die Regelung der auf die Papstwahl bezüglichen Verhältnisse als interne Angelegenheit des Vatikans angesehen wird. Rußland. * Der Semftwopräsident vom Zaren gerüffelt. Wie der offizielle „Regierungsbote" meldet, hat der Präsident der Semstwos der Gouvernements, Tschetnigoff, der zu gleich Adelsmarfchall ist, am 15. Dezember dem Kaiser telegraphisch ein Bittgesuch der Semstwos wegen einer Reihe allgemeiner staatlicher Fragen unterbreitet. Der Zar setzte auf das Telegramm folgenden Vermerk: „Ich finde die Handlungsweise des Präsidenten verwegen und taktlos. Die Fragen der Staatsverwaltung sind nicht Sache der Semstwos, deren Wirkungskreis und Rechte durch das Gesetz genau bestimmt sind." Nach diesem Regierungsakt wird sich der Zar in der nächsten Woche nach Minsk begeben, um die dort nach dem Kriegs schauplätze abgehenden Truppen zu inspizieren. Heute morgen besichtigte er in Zarskoje Selo die Pontonab teilungen, die nach dem Kriegsschauplätze abgehen. * AuS den revolutionären russischen Kreisen. In Genf soll das unsinnige Gerücht verbreitet sein, daß Sassanoff, der Mörder Plehwes, wirklich in Zürich gewesen sei, sodann den Anarchisten Breschkowsky be suchte und nach London weiter fuhr. Auffallend bleibe, daß für den am 13. d. M. in Petersburg als Mörder PlebweS verurteilten Mann vom Gerichtshof selbst sofort ein Gnadengesuchs» den Zaren gerichtet wurde. Begabung sowohl, als auch seinen speziellen Wünschen, vollkommen entspricht. Ich zweifle nicht, — wir alle zweifeln nicht, daß er, frei von drückenden Lasten, von inneren Konflikten und schweren seelischen Enttäu schungen, alsbald sein herrliches Talent voll entfalten wird. Sein gefesselter Genius wird die Schwingen regen, er wird seinen Freunden und Angehörigen, der ganzen musikalischen Welt die Oper schenken, die er uns einst- weilen schuldig bleiben mußte, und unser aller Stolz auf ihn wird neue Nahrung finden." „Tante Mathilde ist stark pathologisch!" flüsterte Melanie von Vaffewitz ihrer Cousine Margot zu. „Sie hat immer dem Größenwahn zugcneigt — jetzt hat sie ihn!" Margot nickte kaum merklich. Und doch wandelte es sie wie Mitleid an, wenn sie auf die Frau blickte, die, ein Bild kaum überstandenen Leidens, mit halb gebrochener Kraft diese krampfhaften Anstrengungen machte, ihr Götzenbild auch vor andern auf dem Picdeskal fcstzuhalten, das sie ihm in ihrer mütterlichen Verblendung jederzeit angewiesen! Es blieb nach dieser stolzen Prophezeiung ganz still im Kreise. Tic ineisten Zuhörer hatten die Augen ge senkt, — Direktor Mentzel atmete schwer, seine Stirn war gefurcht, ex hatte siark gealtert in letzter Zeit. Töricht upd nutzlos schien ihm seiner Frau Beginnen, — wußten sie nickt alle, alle, wie es um den „genialen Sohn" stand, - wie nicht eine der in ihn gesetzten Erwartungen sich rsüllt balle. — welche Miibe, welche Demütigungen cs gekostet, ihm endlich wieder einen Posten auszuwirken, — wie schuldlos dos liebreizende Geschöpf, das Oswald wäh lend, kurzer Zeit sein Weib genannt, an dem raschen Sinke» emes Sternes gewesen, der nur ein trügerisches Flacker feuer gezeigt hatte? — Wenn nur erst alles vorüber. — wenn nur schon auch das letzte gesagt worden wäre und er den Staub von seinen Füßen schütteln könnte, befreit von der Pein, immer aufs neue diese Gesichter zu sehen, die eingeweiht waren in die Geschichte seines Hauses! . . „Ta wir uns in eine dauernde Trennung von unserem einzigen Sohn nur schwer finden könnten," — Frau Mathilde Mentzel hob ihre Stimme derartig, daß auch der aufmerksam lauschenden Schwester mit dem Hörrohr kein Wort entging — „so hat mein Mann Schritte getan, fortan feine Tätigkeit an den neuen Aufenthaltsort unseres Sohnes zu verlegen, und dies ist ihm gelungen. Wir verlassen Berlin in wenigen Wochen für immer!" Dieser letzte Trumpf verfehlte seine Wirkung nicht. Alles erhob sich von den Sitzen; die ganze Familie um- Hrängte die Rednerin, — von allen Seiten Ausrufe, wie: „Es ist doch nicht möglich!" „Wie ist das nur so schnell gekommen?" „Wir hatten ja keine Ahnung!" klangen durcheinander. Auf allen Gesichtern Staunen, Befrem den, — auf keinem wirklicher Kummer, — in keinem Auge eine Träne! Tante Ida Wessel, die einzige, die mit dem Herzen Anteil nahm, konnte die Zeit nicht erwarten, Schwester Elise daheim die aufregende Neuigkeit mitzu teilen. Jo diesem Empfinden ging für sie alle- andere unter. Sie gönnte sich's kaum, ihrer Schwester und dem Schwager ein paar Worte zu sagen. Eilig schob sie ihr Hörrohr zusammen und suchte schon jetzt mit den Augen den Ausgang. Am liebsten wäre sie sofort auf- und davongegangen. ES blieben indessen auch die übrigen nicht lange mehr. Eine.unbefaflüene Stimmung kam nicht auf. Niemand unternahm es, Annemarie Lombardi, den einstigen „Schützling der Familie", den „Eindringling", zu ver teidigen, — welchen Zweck hätte das gehabt? Man würde sich zu guterletzt noch mit Mentzels erzürnen müssen, — mit Mentzels, die das Feld räumen wollten, die man vielleicht in Jahren nicht mehr Wiedersehen würde! Onkel Alfred sah ohnehin unbehaglich und gedrückt genug aus, — der hatte wenig oder nichts von allem geglaubt, was seine Gattin der Familie soeben vorgetragen I — Daß sich dies wirklich so verhielt, hätten diejenigen, welche so dachten, bestätigt gefunden, wenn sie Direktor Mentzel beim Verlassen de- Ringhauptschen Familien tages hätten beobachten können. Er hatte sich einen Wagen herangewinkt und wartete nun, bis seine Frau und Tochter Platz genommen hatten. Schwerfällig und langsam stieg er nach ihnen ein und lehnte sich wie ein todmüder Mann in seine Wagenecke. Alle Würde und Selbstsicherheit war wie mit harter Hand von seinem Gesicht fortgewischt. ,.k*iuita oomeckin!" murmelte er, als das Gefährt sich in Bewegung setzte. In dem schönen, stillen Tarten, der die stattliche „Villa Caecilia" in der Corneliusstraße umgibt, wandeln zwei Damen Arm in Arm langsam einher. Rekonvaleszenten sind's. Doktor Kühne hat es nicht leicht mit ihnen gehabt. — wie überhaupt seine stetig zu- nehmende Praxis die ausgiebigsten Anforderungen an ihn stellt. ES ist nichts geringes, ein gesuchter, berühmter Arzt in Berlin zu sein, aber ihm ist keine Ermüdung, kein Nachlassen seiner wohltuenden Frische und Elastizität anzumerken. Nach wie vor geht e» wie ein Fluidum der Beruhigung, der Sympathie von ihm aus, zum Nutz und Frommen seiner Patienten. „Eine ipahre Herzstärküng, den Mann bloß von weitem zu sehen!" bemerkt die ältere der beiden Damen, eine Vierzigerin mit blassem, vollem Gesicht, die Gestalt zur Korpulenz neigend. Sie kommt aus Naumburg, spricht stark sächsisch, ist erst seit kurzer Zeit hier. Ihre Bemerkung bezieht sich auf die Tatsache, daß Doktor Kühne soeben im Geschwindschritt den Garten durchquert, die Damen freundlich gegrüßt hat und jetzt in einem Seitenflügel des Gartenhauses verschwindet. „Mir kommt es vor, als wäre mir gleich besser zu mute!" fährt die Naumburgerin fort. „Lachen Sie mich nur aus, — es ist natürlich Einbildung,.... aber wenn's mich glücklich macht. warum nicht?" „Gar nicht lach' ich Sie aus!" Die binsenschlanke Brandenburgerin, etwa achtundzwanzigjährig, eine der ältesten Patienten Doktor Kühnes, ein besonders „schwerer Fall" und dem Arzt mit geradezu fanatischer Dankbar- keit ergeben, schüttelt lebhaft den Kopf. „Mir geht es genau so, wie Ihnen! Wie bin ich her gekommen, — wie bin ich todeselend gewesen, — eben nur bereit, in den Sarg gelegt zu werden .... nun, ich sage nichts weiter, — er will es nicht, daß seine Patienten sich untereinander von ihren Krankheiten erzählen, und natürlich hat er recht! Bloß so viel: ohne ihn läge ich im Sarge, und ich hab' es nie für möglich gehalten, daß ein Mensch auf Gottes Erdboden mit dem andern solche himmlische Geduld haben könnte, abscheuliches, unleidliches Geschöpf, das ich damals war! Wenn ich heimkomme, — die werden Augen machen! Die werden es nicht glauben wollen, daß ich das wirklich bin! Ein paar Wochen bleib' ich aber noch, — sollen sich die Leute in Gottesnamen über mich und meine Schwärmerei lustig machen! Ich kann mich so schnell noch nicht von meinem Doktor trennenI" (Schluß folgt.)
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