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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041220027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904122002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904122002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-20
- Monat1904-12
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem RHaktionSstrich (Sgespolteu) 75 nach den Familiennach« richten «ttgesvalten) 50 — Tabellarischer und Zifsernsay werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Osserlenannahme 25 Auuahmeschlutz für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgade: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an Vie Expedition zu richten. Extra-Beilagen -nur mit der Morgen- Ausgabe^ nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von jruh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Palz in Leipzig -Inh. Or. V.. R. W. Klinkhardt). dir. 647. Dienstag den 20. Dezember 1904. 88. Jahrgang. Var Mcbtigrie vsm rage. * Für weitere Truppentransporte nach Süd westafrika werden voraussichtlich der Norddeutsche Lloyd- dampfer „Rhein* und die „Palatia" der Hamburg- Amerika-Linie gechartert werden. * Die beiden von der Anklage der Fälschung freigesprochenen Jntendanturoffiziere Gribeltn und Da Ulriche sind straf weise aus Paris versetzt worden. iS. Ausland.) * Der Sultan von Marokko hat alle im Regierungs dienst befindlichen Europäer entlassen. ^S. Ausland.) * Der Admrral Togo soll einem längeren Admiral die Blockade von Port Arthur überlassen und nach Tokio zurückkehren. (S. rufs.-jap. Krieg.) * Die Japaner haben die Nordforts von Ost-Kikwan- schan besetzt, nachdem sie eine Mine zum Explodieren brachten. (S. rufs.-jap. Krieg.) Segenrrichnung der MttitärvelSldnungrn. Das Interesse, das man gegenwärtig dem Militär etat und den neuen Militärvorlagen entgegenbringt, ist ein willkommener Anlaß, die Aufmerksamkeit auf eine militärrechtliche Frage hinzulenken, der man unseres Er achtens bisher zu wenig Beachtung geschenkt hat. Es ist die Frage, welche militärischen Anordnungen in der Form des Armeebefehls, und welche in der Form der Armeeverordnung zu ergehen haben. Während nämlich die Armeeverordnung, wie jede andere staatliche Verord- nung, zur ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des be treffenden Ressortministers bedarf, ergeht der Armee befehl ohne diese Gegenzeichnung. Der Kriegsminister kontrasigniert nicht den vom Monarchen ausgehenden Armeebefehl, übernimmt also auch nicht die Verant wortung dafür vor der Volksvertretung. Die Frage, welche militärischen Anordnungen gegen zuzeichnen sind und welche nicht, wird in der Verfassungs urkunde nicht beantwortet. Auch die Militärgesetzgebung schweigt sich darüber aus. Sie hat daraus verzichtet, Armeebefehl und Armceverordnung gegenständlich von ein ander abzugrenzen und hat dies der militärischen Praxis überlassen. Tie militärifchv-Praris aber ist in den vier Kontingenten, die gegenwärtig eine selbständige Kontingentsverwaltung ausllben (Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg), verschieden. In Sachsen werden zum Beispiel die Verordnungen in Personal- angelcgenheitcn vom Kriegsininister gegengczeichnet, während in Preußen dieselben Verordnungen ohne Gegenzeichnung, also in der Form des Armeebefehls und nicht in der der Armeeverordnung, ergehen. Aus dieser verschiedenen Uebung erwächst de». Staatsrechtswissenschaft die Aufgabe, die Frage einer Untersuchung zu unterziehen. Bisher ist aber nur Weniges und Gegensätzliches darüber geschrieben worden. Natürlich kann es sich bei dieser Untersuchung nicht darum handeln, im einzelnen die Verordnungen festzustellen, welche in der Form des Armeebefehls und welche in der der Armeeverordnung zu ergehen haben. Dies wäre unmöglich, da insbesondere die Armeebefehle sich im Ein zelnen gar nicht feststellen lassen, vielmehr sich inhaltlich nach der jeweiligen, dem Heere obliegenden Aufgabe richten. Es kann sich nur darum lxmdeln, im allgemeinen die Verordnungen, welche ohne Gegenzeichnung zu er gehen haben, von denjenigen abzugrenzen, welche gegen- zuzcichnen sind. Da kann es aber wohl keinem Zweifel unterliegen, daß nur diejenigen Verordnungen ohne Gegenzeichnung zu ergehen haben, welche kraft ihres be sonderen Inhalts keine Gegenzeichnung, überhaupt keine Form vertragen, vielmehr ohne Rücksicht auf jegliche Form unbedingten Gehorsam gegen den Verordnenden verlangen. Bei allen anderen Verordnungen würde es sich nicht rechtfertigen lassen, diese anders als die übrigen staatlichen Verordnungen zu behandeln. Als solche Verordnungen sind unseres Erachtens alle diejeni gen anzusehen, durch welche das Heer bei der ihm eigen tümlichen Tätigkeit, als höchstes und letztes Machtorgan der Staatsgewalt deren Willen gegen Wider strebende zur Durchführung zu bringen, ge leitet wird. Nur diese militärischen Anordnungen unterscheiden sich nach ihrem Inhalt grundsätzlich von allen übrigen staatlichen Anordnungen: nur sie erfordern völlige Formlosigkeit und unbedingte verbindliche Kraft. Die Tätigkeit aber, durch welche das Heer dem Staate am letzten Ende die Durchführung seines Willens garantiert, besteht in der Ausübung des Waffenhand werkes und dient im Frieden zur Ausbildung des Heeres, im Ernstfälle zu Kriegs- oder Polizeizwecken. Danach gehören zu den Armeebefehlen und haben ohne Gegenzeichnung zu ergehen alle diejenigen Anord nungen, welche das Heer bei seiner Zwecktätigkeit leiten, d. h. bei seiner besonders gearteten Tätigkeit, welche in der Ausübung dos Waffenhandwerkes usw. besteht und entweder zu Ausbcldungs- oder zu Kriegs, und Polizei zwecken bient. Alle anderen Verordnungen gehören nicht zu den Armeebefehlen, sondern zu den Armeeverord- nungen und sind gegenzuzeichnen. Auch die Verord nungen in Personalangelegenhsiten müssen gegen- gezeichnet werden; denn sie gehören nicht zu denjenigen Verordnungen, welche eine Zwccktätigkeit des Heeres regeln. Sie unterscheiden sich in nichts von anderen staatlichen Verordnungen, die der Organisierung irgend einer anderen staatlichen Behörde dienen. Ob eine rcichsgesetzliche Regelung der Grenzen zwischen Armeebefehl und Armeeverordnung notwendig ist, das zu erwägen, ist die Aufgabe der gesetzgebenden Faktoren des Reiches. Hingewiesen soll nur darauf werden, daß die militärischen Anordnungen insoweit, als sie in der Form des Armeebefehls, also ohne mini sterielle Kontrasignatur ergehen, der im konstitutionellen Staate verfassungsmäßigen Kontrolle entzogen sind. Der Minister trägt dem Parlament gegenüber nicht die Ver antwortung für die Sachlichkeit und Zweckmäßigkeit dieser Anordnungen; und der Monarch ist kraft seiner monarchischen Stellung jeder Verantwort! chkeit über hoben; er ist niemandem Rechensäsaft schuldig. Daß dieser Wegfall der verfassungsmäßigen Kontrolle nur bei denjenigen militärischen Anordnungen wünschens- wert ist, die, wie der Armeebefehl, ihrem Inhalt und Wesen nach diesen Wegfall erfordern, kann wohl keinem Zweifel unterliegen. Und ebensowenig kann es zweifel haft sein, daß es kein Jdealzustand ist, wenn für die selben Anordnungen in dem einen Kontingent der Weg fall der Kontrolle für notwendig erachtet wird, in dem anderen nicht. Wer näheren Aufschluß über die von uns angeschnittene Frage sucht, der findet diesen in der eben im Verlag von Veit Co. in Leipzig erschienenen Broschüre: W. F. Mueller, Die Teilung der Militär gewalt im deutschen Bundesstaat, mit besonderer Berück sichtigung des Königreiches Sachsen. Diese enthält eine staatsrechtliche Darstellung der militärischen Ver fassung des deutschen Bundesstaates und beschäftigt sich insbesondere nut der Frage, wem die einzelnen Militär- hoheitsrcchte zustehen, dem Reiche oder den Einzel- staaten, dem Kaiser oder dem Landesherrn. Sie wird darum nicht nur in den Kreisen der Staatsrechtler und Politiker, sondern auch der Offiziere und Militärbeamten interessieren. ver rurrirck-sapsastche Weg. Ein Gespräch mit den« General Meckel. Die Gothenburger „Hanüelstidning" veröffentlicht, wie der „Frkf. Ztg." geschrieben wird, ein Telegramm ihres Berliner Korrespondenten über eine Unter redung, die er mit nem General Meckel gehabt hat, den die Japaner bekanntlich als ihren Lehrmeister in der Kriegskunst ansehen. „Der General", so schreibt er ge nannte Korrespondent, „sagte mir, er könne der Auffas sung des deutschen Generalstabes bezüglich der Lage auf dem Kriegsschauplatz und der Kriegsaussichten im großen Ganzen beistimmen: der Ausgang des Krieges ist bereits unwiderruflich entschieden, und man kann nicht glauben, daß die Russen, sei es zur See, sei es zu Lande, den Sieg werden davontragen können. Der Sieg gehört den Japanern, und weder Kuropatkin noch Roschojestwenski können daran etwas ändern." General Meckel ist ferner der Meinung, die gegenwärtige Waffenruhe in der Mantschurei werde sich keinesfalls auf den ganzen Winter ausdehnen, denn die Russen haben das größte Interesse daran, noch vor dem Fall Port Arthurs einen letzten Versuch zu machen, der Festung zu Hülfe zu kommen. Wenn Kuro patkin so lange zögert, ehe er zum Angriff schreitet, be weist dies nach der Ueberzeugung des Generals, daß er erkannt hat, daß 'das russische Heer den Japanern nicht gewachsen ist. Wenn Oyama nicht zur Offensive greift, ist es dagegen kein Zeichen, daß er sich schwach fühle: er hat ganz recht, so lange wie nur möglich zu warten, weil ec nach dem Fall Port Arthurs große Verstärkungen nebst schwerem Geschütz erhalten wird, und weil er unter dessen hoffen kann, Kuropatkin werde am Ende doch einen verzweifelten Versuch machen, die japanischen Linien zu brechen. „Eine Wendung des Kriegsglücks in der Man- tschurei bleibt-a u s g e sch l os s e n ", erklärte General Meckel. Di« Zerrgen vor der A-mmtssion Aus London berichtet eine Pariser Depesche, die Blätter veröffentlichten den sensationellen Bericht eines Bischofs aus Hüll, wonach ein russischer Regierungs agent versucht habe, mehrere Zeugen des Hüller Zwischenfalls für Rußland günstige Aus- sagen zu gewinnen. Glänzende Leiftuirgen der japanischen Martrre. Aus Tokio wird dem „Bureau Reuter" gemeldet, daß das Verhalten des Kommndanten Bezo und des Leutnants Nagakara beim Angriff auf die „Sewasto pol" besondere Bewunderung hervorruft. Die Flotte Hezos war nut Reparaturen beschäftigt, als der Angriff beschlossen wurde. Es gelang ihm, eines seiner Boore herauszubringcn. Er erreichte aber die Flottenbasis erst in dem Augenblick, als die Flottille bereits abge fahren war. Er erhielt die Erlaubnis, sich den Schif fen anzuschließen und fand trotz des blendenden Schneesturmes die „Sewastopol". Er kam so nahe heran, daß er die Russen sprechen hörte, und feuerte einen Tvrpedoab. Er näherte sich der „Sewastopol" noch weiter und ließ einen zweiten Torpedo ab. Nun traf ihn eine feindliche Granate und zerriß ihn. Nagakara brachte trotz des furchtbaren Feuers dem andern Boote Hülfe. Sein Fahrzeug wurde mehrfach getroffen, ver mochte aber doch die meisten Leute des in Not befindlichen Bootes zu retten. Zum Angriff meldeten sich übrigens mehr Freiwillige, als verwendet werden konnten. Ao- miral Togo wird wahrscheinlich einen: jüngeren Ad miral die Blockade üb er lassen und nach Tokio zurückkehren, wo der Kaiser ihm einen glänzenden öffent lichen Empfang bereiten wird. — Ein Bericht Togos selbst meldet: Als am 15. Dezember nm 4 Uhr morgens die Flottille Otakis einen heftigen Angriff gegen die „Sewastopol" ausführte, wurde ein Torpedoboot, als es sich zurückzog, mehrmals von feindlichen Geschossen ge troffen. Ter Kommandant Leutnant Nagakara und fünf Mann wurden getötet. Tas Boot konnte sich nicht mehr frei bewegen. Leutnant Nagakaras Boot eilte ihm zur Hülfe und ließ trotz heftigen Feuers nicht von dein Rettungsversuche ab. Als es aber das kampfunfähige Boot im Schlepptau hatte, brach dieTross e, von einer feindlichen Granate getroffen. Mehrere Granaten trafen auch Nagakaras Boot, bas das sinkende Schwesterschiff verlassen mußte. Nagakara dampfte zurück, nachdem er die Mannschaft des zurückgelassenen Bootes aufgenom men hatte. Zwei andere Torpedoboote wurden ebenfalls getroffen und hatten mehrere Tote und Verwundete. Besetzung vsn Oft*AikWanschan. Nach einer anderen „Reuter"-Tepesche aus Tokio wurde gestern nachmittag berichtet, die Japaner hätten am Sonntag nachmittag eine große Mine unter einem Teil der Nordforts von Ost-Kikwanschan zur Explo sion gebracht; unmittelbar darauf ging die Infanterie zum Angriff vor und besetzte das Fort. Es wurde ferner gemeldet, die Japaner hätten eine starke Stellung 1000 Meter südöstlich vom 203 Meter-Hügel besetzt und be reiteten den Angriff auf die Neustadt vor und schöben sich zwischen Liautischan und das russische Haupt guartier von Port Arthur; der Angriff gegen Sung- suscban dauere fort. Um 6 Uhr abends wird die Ein nahme der Nordforts vonKikwanschan aus Tokio bestätigt. V»n -er Mautschure». Die Erdhöhlen der Russen in der Man- schurei dehnen sich, wie ein Reuter-Korrespondent in Mukden meldet, etwa 160 Kilometer vom Hunho bis Feuilleton. Die heilige Caecilie. 55j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Gegen Morgen endlich schläft sie fest und tief, träumt etwa zwei Stunden lang gar nichts, — zu- letzt sieht sic sich im Konzertfaal auf dem Podium vor einem großen, eleganten Publikum stehen. Sie weiß, sie soll des Karlemännchens Lieblings-Schlummerlied singen, „Guten Abend, — gute Nacht" — aber sie findet diesen Anfang nicht — durchaus nicht, — ihr fällt immer nur ein: „Morgen früh — wenn Gott will — wirst du wieder geweckt!" Und mit einemmal wird sie gewahr, daß sic gar kein Konzertkleid trägt .... überhaupt kein Kleid, sondern nur ein weißes, langes Nachthemd. — Sie schämt sich fast zu Tode vor all' den fremden Menschen den tausend auf sie gerichteten Augen, — fort will sic — fort — aber sie kann nicht, — es wird unruhig im Saal, — sie soll beginnen, — aber immer nur das eine fällt ihr ein: „Morgen früh — wenn Gott will — wirst du wieder geweckt!" Regungslos und hülflos steht sie da oben und sieht an ihrem langen, weißen Nachthemd herunter — um Hilfe will sic rufen, — wen denn? Ihr ist's, als sieht sie unter den Zuhörern Hans Kühnes wohlbekanntes Gesicht, — aus seinen klugen ernsten Augen blickt er mit leidig und liebevoll zu ihr herüber. — „Hilf -- hilf mir, Hans!" — Hat sic es gerufen? Mit einem Hellen Schrei ist sie plötzlich wach, hebt sich im Bett empor, schüttelt das halb gelöste Haar zurück. — Goldener Sonnenschein flutet zum Fenster hinein, — der Vorhang ist zurückgezogen neben Annemaries Bett steht Pauline. „Was — was — ist Nachricht?" .... „Nein, nein, es ist noch zu früh für den Postboten. Nur nur .... aber gnäd'ge Frau müssen mir ver- sprechen ich hab' ja keine Ahnung gehabt. Und wenn ich hätt' gnädige Frau aus dem Konzert heraus- holen müssen, — mitten vom Singen weg, — ich würd' es getan haben, wenn ich das früher gefunden hätte" — „Gefunden? Was denn?" „Ach Gott — ich hab' doch gestern Abend eben bloß die Sachen vom Herrn, die er vorher getragen hat, genommen und weggehängt, sowie sie da lagen, und — und jetzt eben, vor fünf Minuten, wie ich sie abbürsten will, da fällt was aus der Rocktasche heraus, — und wie ich es anseh Pauline bricht in Tränen aus. Im Gegensatz dazu, zu ihrer eigenen bisherigen Auf- rcgung, ist Annemarie beinahe unnatürlich ruhig. Sie nimmt das zerknitterte Papier — liest — wirft sich im Bett herum — liest noch einmal, — fragt dann tonlos: „Gestern abend, meinen Sic?" „Ach Gott ja, — hier steht doch die Zeit angegeben: Ankunft in Berlin sechs Uhr dreißig. Da hat der Herr es spätestens um sieben gehabt, — er wird gedacht haben, weil gnäd'ge Frau doch singen sollten — aber das hätt' er nicht sollen tun! Ein Menschenleben .... wenn's auch bloß ein Kind ist — das werden gnä' Frau ja doch nie vergessen können!" Annemarie hat die Decken zurückgeworfen, steht in ihrem langen, weißen Nachthemd mit bloßen Füßen auf dem Teppich. „Helfen Sie mir beim Anziehen!" Sic hat dieselbe tonlose Stimme, sie weint keine Träne. „Bringen Sie das Kursbuch; im Zimmer des Herrn werden Sie es finden, — links auf seinem Arbeitstisch." Eingeichüchtert, — stumm gehorcht Pauline. Sie schüttelt den Kopf, - die junge Frau ist ihr Unverstand lich. Wie hat sie sich die Tage zuvor angestellt, nament lich gestern, — und' nun — keine Klage, keine Träne! Ganz methodisch zieht sie sich an, vergißt nichts, — setzt sich zum Frisieren nieder, blättert im Kursbuch; einmal hört das Mädchen sie murmeln: „Also noch fast zwei Stunden!" dann bleibt wieder alles still. Pauline geht zum Schrank, ein Kleid zu holen. Es fällt ihr ein, — das Kind wird tot sein, — die junge Frau darf nichts Farbiges anziehen. Aus Annemaries Mädchentagen hängen noch ein paar Kleider ganz hinten in dem großen Schrank, — zwei davon hat „Tante Ringhaupt" geschenkt, zwei andere hat sie sich selbst an- geschafft, die kleine Annemi Lombardi. Eines davon ist aus schwarzem Wollenkrepp, das nimmt jetzt Pauline vom Haken und legt es sich über den Arm. Wie sie es dec jungen Frau überstreift, fühlt sie ein Zusammenzuckcn der schlanken Gestalt, aber kein Wort wird gesprochen. Der Anzug ist fertig. Fremd und rührend hebt sich das weiße Gesichtchen über dem schwarzen Kleide empor. Ein paarmal muß Annemarie hochaufatmen, ehe sie zu sprechen vermag. „Danke, Pauline. Und jetzt gehen Sie und kochen mir starken Kaffee, — in Dreiviertelstunden muß ich eine Droschke haben." „Darf ich gnä' Frau nicht helfen einpacken?* „Danke — nein! Es wird nicht viel sein, — ich be sorge es selbst! Also den Kaffee!" Kaum ist das Mädchen hinaus, da öffnet Annemarie hastig die Tür nach dem winzigen Stübchen neben dem Schlafzimmer; es ist zu klein zum Ankleideraum, es stehen nur zwei Schränke darin und allerlei Dinge, die man aus dem Weg haben möchte. Die junge Frau holt einen schmalen Reisekorb von Weidengeflecht hervor. Mit dem hat sic ihren Einzug gehalten in Berlin, der stammt noch von „zn Hause". Da hinein packt sie die drei Kleider aus ihrer Mädchenzcit und etwas Wäsckie, — von den „stini mungövollen" gemalten und gestickten Gewändern rührt sic nichts an, nimmt auch kein einziges Schmuckstück mit. Aus ihrem verschließbaren Toilettenschubfach sucht sie das Geld für ihre Preiskompositionen hervor,— es ist noch fast olles da; einen Fünfzigmarkschein hat sie an ihren Vater geschickt und für sich einen neuen Sommerhut gekauft, da sie Oswald nicht darum bitten mochte. Mit einen: raschen Griff trennt sie die blaßrosa Winden herunter, die zwischen den schwarzen Spitzen hervornicken. Es geht alles schnell und geschickt; sie hat keinen anderen Ge danken, als nur den einen: „Das Karlemännchcn ist tot. und ich muß heim!" — Wie Pauline melden kommt, daß der Kaffee fertig ist. steht ihre junge Herrin, schwarzgekleidet von Kopf bis Fuß, im Zimmer und schließt den Reisekorb ab. Keine Unordnung rund umher. - das Bett zugedeckt. Schränke und Schubfächer geschlossen, die Fensterflügel zurück geschlagen, — frisch und kühl weht die Morgenluft ins Zimmer. „Ich hab' im Speisezimmer aufgctragen, — hab' ein paar Brödchen für gnäd'ge Frau zu unterwegs zurecht gemacht —" „Danke sehr. Pauline, es ist sehr gut von Ihnen." Annemarie hängt sich die Geldtasche am Riemen über die Schulter und gießt sich den Kaffee ein. „Jetzt, bitte, einen Wagen. Pauline! Es ist noch zeitig, aber ich habe einen weiten Weg zum Bahnhof!" Zögernd geht das Mädchen; es möchte noch so viel fragen und sagen, aber das junge Gesicht der „Kleinen" ist so seltsam verändert, — man kann nicht wissen . . . . Ms Pauline nach einer Weile zurückkehrt und den Wagen melden will, findet sic Annemarie regungslos vor dem Gemälde der „Heiligen Cäcilia" stehen, — die lose herabhängenden Hände in den Kleiderfalten, die Auge» mit einem eigentümlich schweren, fragenden Blick auf ihr Ebenbild geheftet. Aus der zierlichen Etagere links ist eine leere Stelle, es fällt Pauline soiort auf. Tort hat in einen: Rahmen aus grüngetöntem Holz das Familien, bild gestanden, auf welchen: das Karlemännchcn zu sehen
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