02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041216024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-16
- Monat1904-12
- Jahr1904
-
-
-
2
-
3
-
4
-
5
-
6
-
7
-
8
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PretS t» d« Hauptexpeditton oder deren An-gabe- slrllen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung tu-HauS 3.75. Durch dir Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitung-preiSliste. Diese Nummer kostet auf allen Bahnhöfen und III I bei den ZettungS-Berkäusrrn I * Redaktion und Expedition: 153 Fernsprecher 222 Johan nisgasse 8. Haupt-Ailtale Dresden: Mariensttatze 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: LarlDuncker, Herzgl.Bayr.tzofbuchhaudlg, Lützowslratze 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603). Abend-Ausgabe. AMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt -es Ltöniglichen Land- und des königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Notizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gcspaltene Petitzeile 2K Reklamen unirr dem RedaktionSstrich (4 gespalten) 75 nach den Familiennach richten (6gespalten) 50 — Tabellarischer und Ziffernsap werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenannahme 25 -H. Annahmeschlusz für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags uuunterbrocheu geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Or. V.. R. L. W. Klinkhardt). Nr. 64«. Freitag den 16. Dezember 1904. «8. Jahrgang. Var Wchtigrte vom läge. * Der Kaiser ist heute früh von der Wildparlstation nach Bromberg abgereist, wo er um 2 Uhr erwartet wurde. * Bei einer Explosion in der Pulverfabrik zu Maifritzdorf in Schlesien wurden 8 Arbeiter getötet. (S. A. a. W.) * Die Auflösung des ungarischen Reichstages und die Ausschreibung von Neuwahlen ist beschlossene Sache und wird in den nächsten Tagen erfolgen. (S. Tagesschau.) * Die Beisetzung deS Präsidenten Krüger findet heute in Pretoria statt. * Bei einem Brückeneinsturz in West-Virginien sind 25 Schulkinder ertrunken. (S. A. a. W.) * Auf dem amerikanischen Schlachtschiff „Massachu setts" erfolgte im Maschinenraume eine Explosion. 4 Personen sind tot, 7 schwer verletzt. (S. A. a. W.) * Seit Zerstörung der drahtlosen Telegraphen station in Port Arthur sind von dort keine direkten Nachrichten in Petersburg eingegangen. (S. russ.-jap. Krieg.) Vie erbödudg der stevirisnrrumme. Der Gesetzentwurf betr, Aen-derungen der Zivil- prozeßcrdnmrg vom 6. Mai 1904, der eine Ent lastung des Reichsgerichts herbeiführen soll, wird vom Geh. Rat Prof. Dr. Wach in der neuesten Nummer der „Dtsch. Juristenztg." zum Gegenstand längerer Ausführungen gemacht, die in folgenden Be trachtungen gipfeln: Daß eine Entlastung des Reichsgerichts auf alle Fälle herbeigeführt werden muß, darüber sind alle einig, nicht aber über die Mittel dazu; trotzdem darf sich das Parla ment nicht mit der Verantwortung belasten, den Ent wurf, der eine Erhöhung der Revisionsmnmc als Aus kunftsmittel vorsieht, einfach abzulchncn. Prof. Fischer behauptet zwar, gestützt auf die im „Leipziger Tageblatt" veröffentlichten Ausführungen des Senats präsidenten Dr. Bolze, ein Ausweg sei schon dürch Einführung des schriftlichen Verfahrens zu finden, und lehnt deshalb die Erhöhung der Revisionssumme ab. Fischer verlangt dagegen kürzere Fassung der Reichs gerichtsurteile, Vermeidung der „Uebcrgriffe" der Re- vificnsinstanz in das tatsächliche Gebiet und jüngere, also leistungsfähigere Arbeitskräfte am höchsten Gerichts hof. Wach dagegen meint, man dürfe dem Reichsgericht keine Vorschriften über Urteilsabfassung und Hand habung dos Rechtsmittels machen, auch keine, leicht Be einflussungen involvierende, Porsonenverschiebungen in den Senaten vornehmen. Vor allem fei für ihn die Notlage des Reichsgerichts zahlenmäßig bewiesen, da zwar von 1880—1890 ein Sinken, von da an aber bis jetzt eine stetige, zum Teil rapide Steigerung der Ge schäfte eingetreten sei, die sich auch in den „Resten" am Schlüsse jedes Jahres (1903: 1969, 1904: dagegen 2453) ausdrückt. Die Gründe dafür liegen nach Wach in der Anlage des Verfahren oder der Masse der Geschäfte, vielleicht auch in beiden zugleich. Wach hält aber trotzdem an dem Prinzip der Mündlichkeit und der Freiheit des Revisions.- gerichks zur Nachprüfung der gesamten (nicht nur der vom Revisionskläger gerügten) Rechtsanwendung fest, wenn er auch zugibt, daß übereilte und grundlose Revisionen eingelegt werden, die hinterher als haltlos erkannt und nicht durch kontradiktorisches Urteil erledigt (z. B. zurückgezogen) werden. Und wenn auch die Münd, lichkeit nicht gerade eine wesentliche Erscheiungsform der Urteilsgrundlage ist, so bildet sie doch das „einfachere und lebensvollere Mittel", weshalb sich auch Richter und Rechtsanwälte überwiegend für sie ausgesprochen haben. Jedenfalls würde nach Wach die Beseitigung der Münd- lichkeit dem Verfahren die Beweglichkeit rauben und es auf der Bahn des Formalismus abwärts führen. Als Hülfsmittel gegen die übermäßige Geschäftslast bleiben daher nur Vermehrung der Arbeitskräfte oder Minderung der Geschäfte. Vermehrung der Arbeits- kräfte lehnt der Gesetzentwurf (nach Wach mit Recht) ab, weil dann .zwei neue Zivilsenate nötig wären und sich dadurch das Reichsgericht monströs auswachsen würde, während es jetzt mit feinen 92 Richtern bereits an der Grenze des zulässigen Umfangs angelangt sei. Es bleibe also nur die Verminderung der Arbeits- last und diese sei nur möglich, wenn man die Revisionen einschneidend beschränke, was nur dadurch geschehen könne, daß die Revisionssumme erhöht lverde. Unsere ganze Rechtsprechung sei nun einmal aufgebaut auf der Differenzierung nach dem Werte, und nur die höchst- wertige Sache könne an das oberste Gericht gelangen. Und Zweck der dritten Instanz sei vor allem die Rechts- einheit. Darüber sei kaum noch ein Streit, es sei nicht bewiesen, daß die Rechtseinheit durch Erhöhung der Re visionssumme gefährdet werde, denn die Differenz von 1500 bis 2000 bezw. 3000 Mark decke sich nicht mit Kate gorien von Rechtssachen. Beachtenswerter scheint Wach der Einwurf, daß auch bei Steigerung der Revisions summe die Arbeitslast nicht mit dem vorhandenen Per- sonal zu bewältigen sein werde. Diesen: Einwurf tritt Wach damit entgegen, daß er sagt: Die Höhe der Entlastung nach der Vorlage zu be- ziffern, ist freilich nur annäherungsweise möglich. Die Wertgrenzc von 3000 Mark würde nach sorgfältiger statistischer Aufstellung etwa die Revisionen uni 30 Prozent mindern; bei der jetzt vorgeschlagenen Moda lität schätzen die Motive die Minderung auf 23 Proz., also doch nahezu ein Viertel der bisherigen Arbeitslast — wozu die Entlastung von Nebengeschäften (Be- schwerden) hinzutritt. Das bedeutet den Rückgang von 4000 Revisionen auf wenig über 3000. Nun er ledigten die sieben Zivilsenate im Jahre 1904 bis zum 31. Oktober 2987 Nevisionssachcn gegenüber einem Eingang von 3525. Es ist also ersichtlich, daß der Re duktion der Eingänge uni nahezu ein Viertel ihre rest lose Erledigung entsprechen würde. Genau so stellt sich die Berechnung für die Vorjahre. Also auch diese Bemängelung des Negierungsvorschlages ist hinfällig. Wach schließt: Die Notlage besteht. Ihr muß ein Ende gemacht werden. Wer die Hülfe mit „kleinen Mitteln" erstrebt, erreicht nichts; wer sie sucht in grundsätzlichem Wandel des Verfahrens, der schädigt uns. Wer irgendwelchen subjektiven Neigungen oder Idealen nachjagend den Entwurf zu Fall bringt nach dem Grundsatz: das Bessere ist der Feind des Guten — der handelt unpo litisch und fördert einen auf die Dauer unerträglichen und der deutschen Rechtspflege höchst abträglichen Zustand. Danach wird allerdings wohl die freilich sehr uner- wünschte Erhöhung der Revisionssumme erfolgen müssen. ver ruttücd-iapanircde Krieg. Der im Reifel« He» Aaren abgehaltene Ministerrat soll sich nach einem Petersburger Telegramm mit einer kaiserlichen Kundgebung, die am 19. De zember, dem Namenstage des Zaren, veröffentlicht wer den wird, beschäftigt haben. Neber die Reform der russischen Marine verlautet, daß von Admiral Dubusoff dem Zaren ein neues Flottcnprogramm, welches von dem Großfürsten Alexey und Admiral Avellan gebilligt worden, vor zivei Tagen dem Zaren unterbreitet worden sei. Es handele sich darin um den Bau von Linienschiffen, Kreuzern. Unterseebooten und anderen Schiffen, wodurch Rußland eine Flotte erhalten würde, wie es sie noch nie besessen. Die Ausgaben für den Bau der Schiffe werden auf 1400 Millionen Rubel geschätzt. Der Zar soll den Plan bereits imPrinzip angenommen haben. Auch auswärtige Werften sollen sich an der Uebernahme der Schiffsbauten beteiligen dürfen. Nereanische». Nach einer Aufforderung der japanischen Regierung hat, wie aus Tokio depeschiert wird, Korea nunmehr die Abberufung seiner sämtlichen auswärtigen Gesandtschaften beschlossen. Russischer Vormarsch nach Süden? Der „Daily Telegraph" meldet aus Söul vom 14.: Nachrichten aus Nordost-Korea zufolge bereiten die Russen den Vormarsch nach Süden vor. Keine direkten Nachrichten von Oort Arthur. Ter „Standard" meldet aus Petersburg von gestern: Seit Zerstörung der drahtlosen Telegraphen st ation in Port Arthur find von dort keine direkten Nachrichten eingegangcn. Ta durch nicht gehindert, meldet das Pariser „Petit Journal" aus Petersburg: Im Schlosse von Zarskoje Sselo soll ein Bericht General Stössels ein gelaufen fein, wonach die gesamte Flotte von Por: Arthur sich in gutem Zustande befinde. Seit einigen Monaten seien die Schiffe unter Wasser gesetzt. Tas Feuer der Javaner habe nur die oberen Teile beschädigt. Die Maschinen und sonstigen wichtigen Be standteile seien unversehrt. Die Geschütze waren be rcits früher entfernt. Die Russen können, falls die Japaner die Schiffe stark bedrohen, diese völlig zcr - st ö r e n. Die Tatsache, daß verschiedene Schiffe sich nach der Seite neigten, rühre daher, daß sie auf den Grund gesetzt sind, wo sie von Ebbe und Flut bewegt werden. ?sltti§che Lagerrcdau. Leipzig, 16 Dezember. Erziehungsversuche an der „Leipziger Volkszeitung." „Ein Erfolg des Drotwuchcrs" hatte die „Leipz. Dolksztg." ihre Polemik gegen die Bcbelfche Reichstags. Erklärung vom 10. d. M. überschrieben und darin u. o. gemeint, es komme ja schließlich auf die Minderheit von 78 Genossen nicht an. auch sei es noch nicht ausgemacht, ob Bebel im Namen der Partei oder auch nur der Frak tion gesprochen habe. Das Trci-Millioncnrcsultat bei der letzten Reichstagswahl sei nur auf die besondere Leipziger Tonart zurückzuführen, und wenn jetzt Bebel im Namen seiner politischen Freunde damit nicht ein verstanden sei, so verleugne er die Wähler des 16. Juni Ties Verlegenheitstoben hat aber dem hiesigen sozial- demokratischen Organ nichts genützt, denn es inuß darauf hin im heutigen ..Vorwärts" einen nach seinem Wunsch fraktionsoffiziell gestempelten Rüffel hin- nehmen, in dem es heißt: Als Sonnabend, den 10. d. M., der Reichskanzler nach der Rede des Genossen v. Vollmar den Zollartikcl der „Leipziger Volkszeitung" vom 2. Dezember in der bekannten Weise zur Sprache brachte, verständigten sich die anwesenden Mitglieder der Fraktion dahin, den Genossen Bebel zu beauftragen, in seiner Rede zu er- klären, daß die Fraktion die Veröffentlichung jenes Artikels bedauere und die Verantwortung für den selben ablehne. . . . Uebrigens war der betreffende Artikel bereits unmittelbar nach feinem Erscheinen Gegenstand der Besprechung im Parteivorstand ge wesen. der den Genossen Bebel beauftragte, der Redak- tion der „Leipziger Volkszeitung" wegen desselben eindringliche Vorstellungen zu machen. . . . Dann wird darauf hingewiesen, nicht die Tendenz sondern die Form sei fiir die Ablehnung des Artikels inaßgebend gewesen, während die „Leipz. Volksztg." das Gegenteil behauptet, Ums eine „sinnlose Anschul, digung" sei. Tann heißt es weiter: Es ist aber auch nicht zu entschuldigen, daß die „Leipziger Volkszeitung" Sckimpfworte als tatsächlich gefallen unterstellt, die nach den Angaben der gegne- Feuilleton. Die heilige Caeeilir. 52) Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Die kleinen Mädchen schmiegten sich schüchtern an Lina, an Tante Kühne: „Wie geht es unserem Karlemännchen, Lina?" Das kräftige, große Mädchen hob die Schultern: „Bei demselben, Kinder!" Löife, unverständliche Worte vor sich hrnlallend und stammelnd, lag das Kind in seinem kleinen Bett, — neben sich auf einem Tischchen Medizinflaschen. ein lzalb- volles Glas Limonade, Pulversä-achteln, —. den ganzen traurigen Apparat einer Krankenstube. Unter den nur halbgeschlossenen Lidern irrten die Augäpfel unstet hin und her, — es war ein quälender Anblick. Der Atem kam und ging schnell und stoßweise, die kleinen Hände be wegten sich fortwährend, öffneten sich, ballten sich zu Fäustchen, — tasteten, — suchten auf der Bettdecke. „Mein Jungchen! Karlemännchen!" Lombardi neigte sich vorsichtig über das Lager; mit seineni ergrauten Haar, seinen eingesunkenen und vergrämten Zügen sah er aus, wie des Kindes Großvater. „Kennst du Papa nicht mehr? Soll Papa an die liebe große Schwester Annemi nach Berlin schreiben, daß sie herkommt? Will Karlemännchen gern Annemi sehen?" — Keine Antwort, — immer diese halboffenen, irrenden Augen, — das wirre unverständliche Stammeln, — das Tasten der Händchen! „Es hilft nichts, Herr Lombardi!" Lina Grunewaldt schüttelte traurig den Kopf. „Ich hab schon alles ver sucht!" Er kennt uns gar nicht mehr. Er ist nicht bei sich!" „Was sagen Sie, Nachbarin, — was sager^ Sie?" flüsterte der Kopist. „Sie sind doch eine Mutter, — Sie hoben selbst kranke Kinder gehabt — raten Sie mir, — sagen Sw — Helsen Sie" — Sehr behutsam und leise legt die Frau ihre große Hand auf des Kindes Stirn. Sie fühlt sich feucht an, die Ringellöckchen sind ineinanderqeklebt. Mutter Kühne lauscht auf den heftigen Atem, auf das wirre Murmeln, — die Augen werden ihr naß. Sie kann den erwartungs vollen Blick des Mannes nicht länger aushalten, sie tritt zurück und winkt ihn ins andere Zimmer. „Sagen Sic doch, Nachbar" sic vermeidet es, ihn anzusehen, glättet an ihrer breiten Schürze, nestelt an ihrem Kleide, „wann hat doch Annemarie da in dem Konzert zu singen? Die meinten doch neulich" — Hilflos bewegt Lombardi die Hände. „Acki Gott, das soll ich jetzt wissen? Konzert? — Ja, ja, — aber ich kann mich durchaus nicht besinnen, ich — meine Gedanken sind — welchen Tag haben wir denn heute?" „Freitag!" „Ach so! Ja — Freitag! Und welches Datum?" „Den zwanzigsten!" „Dann — dann kann es morgen sein — oder auch schon heute — ich — ich hab' den Brief nicht hier, — die lebten Karten haben nur von dem Kind gehandelt, da stand kein Wort von Konzert mehr zu lesen,.... aber wenn ich den Brief suchen gehe oder Lina wird wissen, — vielleicht auch Trude" — „Nein, nein, lassen Sie nur jetzt! Es ist ja am Ende einerlei! Nun hören Sie mir 'mal zu, Nachbar, nehmen Sie sich zusammen: ich an Ihrer Stelle, — ich. — ja, ich würde doch haute noch an Annemarie depeschieren" — „Also Sie — Sie meinen — wirklich" — „Sie haben noch nie ein sterbendes Kind gesehen, — nein, Lombardi?" , „Sterbend? Soll das heißen, daß mein Karle" — Der Mann schluchzte laut auf. Die beiden kleinen Mädchen kamen bestürzt aus der Küche hcrbeigelaufen, sie brachen in lautes Klagen aus, als sic den Vater weinen sahen. „Still, Kinderchen! Nicht — nicht! Hier darf man nicht mehr so laut sein! Lieber Nachbar, wir müssen das hinnehmen, wie es Gottes Wille ist! — Da Sie mir sagen. Sie haben es Annemarie versprechen müssen, sie zu benachrichtigen, wenn — wenn es an der Zeit ist, so halt' ich es für meine Pflicht, obgleich ich kein Arzt und kein Studierter bin. Ihnen auf meine Verantwortung zu- zureden: Was du tust, — das tue bald! Wir stehen alle in Gottes Hand, aber Ihr Kleiner wird nicht lange mehr auf Erden sein. Seine Zeit ist gekommen, — er geht zu seiner Mutter!" Zwölftes Kapitel. „Kein Brief gekommen, Pauline? Keine Depesche?" „Nein, gnädige Frau! Ich habe im Schlafzimmer das Kleid zurechtgelegt, — die Handschuhe, — die Unter- züge, — haben gnädige Frau an die seidenen Schuh- bänder gedacht beim letzten Ausgang?" „Was für seidene Schuhbänder?" „Zu den weißen Schuhen, — wir meinten doch beide, da müßten neue Bänder daran!" „So? Meinten wir? Das weiß ich nicht mehr! Nein, — ich habe nichts besorgt!" „Dann nehmen wir in Gottes Namen noch einmal die alten Bänder! Sie gehen schon noch zur Not! Aber jetzt ist's auch an der Zeit, daß wir uns frisieren, gnädige Frau! Der Wagen ist doch zu halb acht bestellt — und wenn wir" — „Still, Pauline! Hat es nicht eben geläutet?" „Ich habe nichts gehört!" „Gehen Sic doch einmal nachsehen! Aus Vorsicht! Fiir alle Fälle!" Mindestens zum zwölften Mal im Laus des heutigen Nachmittags wurde Pauline von Annemarie „aus Vor- sicht" und „sllr alle Fälle" in den .Hausflur geschickt, um sich zu überzeugen, ob cs ,richt geklingelt habe! Das Mädchen ging aber gutwillig, zog auch kein mürrisches Gesicht, — die junge Frau tat ihr leid!" Daß die Ehe „nicht sehr schön ging", hatte Pauline schon lange heraus! Ter „Herr", der sich anfangs vor Verliebtheit nicht zu lassen gewußt hatte, mußte seiner reizenden Frau bald überdrüssig geworden sein — oder vertragen sich die beiden nicht? Pauline hatte oft einen ziemlich erregten Wortwechsel gehört, — und „er" sah immer so schlecht gelaunt aus, — Gott bewahre einen! Immer kam er mit einem Gesicht nach Hause, wie zehn Tage Rcgenwetter! Eine Freundin wußte es Pauline zu sagen: man hätte ihm die Kapellmeisterstelle bei der Oper gekündigt — — ja, das war freilich schlimm! Ohne Beschäftigung und ohne Brot dasitzen — wie das dem verwöhnten Herrn wohl schmecken würde? Und die vielen Rechnungen wurden auch nickt bezahlt, — die Lieferanten drängten und machten grobe Be- merkungen, — neulich hatten ein Paar aus der Treppe ganz laut geschimpft! — Sie, „die Kleine", — anders titulierte Pauline ibre junge Gebieterin nie, wenn sie von ihr sprach oder an sic dachte, trotzdem Annemarie keineswegs klein und- während ihrer Ebe nock gewachsen war, — „die Kleine" also nahm sich ja zusammen, das muhte wahr ''ein! Sie half tüchtig mit im Hausstand, holte ein, nahm Pauline manche Arbeit ab und machte alles flink und gut. E? war nur keine reckte Freudigkeit mehr dabei! Was war das früher für ein Trillern und Singen gewesen, für ein Lacken und Plaudern, — und wie hatten die Augen geleuchtet, die Lippen gelächelt! Jetzt ... die zunge Frau sang ja noch, und cs klang wunderschön aber irgendwie war die Sacke anders geworden, es fehlte das Aufjubelnde, Frohlockende im Ton'. Gang, -- Hal tung Ausdruck — alles hatte sich geivaudelt feit einiger Zeit. Auch gab es keinen Wortn>cckscl mehr zwischen „ihm" und ..der Kleinen". Sic schienen wenig miteinander zu sprechen, und nie mehr ertappte Pauline ihren Herrn dabci, daß er seine entzückende junge Frau im Arm hielt und küßte!! Nun war noch die Sorge uni den kleinen Bruder dazu gekommen. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht