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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041213020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-13
- Monat1904-12
- Jahr1904
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Druck uud Verlag von G. Volz in Leipzig (Inh. vr. B, R. L W. Klinkhardt). Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Rrdaktion-strich (4 gespalten) 75 -H, nach de» Fomiliennach- richten (6 gespalten) SO >4- — Tabellarischer und Zisfernsay werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenaunahme 2ö ripMrr Tageblatt Anzeiger. Ämtsvkatt -es Äömglichcn Lau-- «n- des Hönigkichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und Les Nokizeiamtcs der Ltadt Leipzig. Var WAtigrle vom Lage. * Wie der Vorstand der Pensionskasse der Firma Friedrich Krupp unter dem 9. Dezember bekannt macht, machte die Firma auf Veranlassung von Frau Krupp namens ihrer Tochter Bertha der Pensions - Lasse eine außerordentliche Zuwendung von einer halben Million Mark. * In Pest drang die OpPosition ins Parlament ein, prügelte die Wachen und demolierte den Saal. (S. Letzte Tep.) * Wie der „Daily Chronicle" berichtet, wird dem englischen Parlament eine Vorlage zum Bau eines neuen Docks in Harwich zugchcn. (Siehe Ausland.) * Der „Matin" behauptet, Syvetonhabe sich getötet, weil er an seiner jetzt verheirateten Stief tochter ein zweifaches Verbrechen begangen habe. (S. Ausland.) * Ter Oberst Marchand hat die nationa - listische Kandidatur für das 2. Pariser Arrondissc. ment angenommen. (S. Ausland.) * Der bulgarische Iustizminister hat feine Entlassung eingereicht. (S. Ausland.) * Dem amerikanischen Senat ist eine Konvention zugegangen, wonach alle Gcldstreitigkeiten zwckchen a m c- rika nischen Republiken dem Haager Schiedsgericht unterbreitet werden. (Siche Aus land.) " Ter rechte japanische Flügel ist in der Offensive begriffen und bis zur Trtickaft Huanchau vorgerückt. Man glaubt, daß eine Schlacht bcvorstche. (S. russ.-jap. Krieg:) Vie Lage in verterreicd. (Von unserem Wiener -Korrespondenten.) Wien, 11. Tezember. Graf Tzieduczycki, der Obmann des Polenklubs, der an die Stelle des klugen, berechnenden Gcjchäftspolitikci s R. v. Jaworski getreten ist, um die polnische Telcgation im Rcichsrate zu kommandieren, wird „der Athener" genannt. Dieses Epitheton soll die hohe klassische Bildung bezeugen und hat einen leichten Beigeschmack der Ironie; vor der modernen politischen Praxis bestehe sein staats männisches Talent denn doch nicht ganz.' Dieser Politiker hat nun den ersten Epilog zu der vorweihnachtlichen Tagung des österreichischen Abgeordnetenhauses ge sprochen, zu dieser Tagung, die plötzlich abgebrochen wurde, als sich im Budgctausschusse eine Zweidrittel mehrheit gegen die Regierung ergeben hat, und zwar die bunteste Majorität, die man sich vorstellen kann: Tschechen und deutsche Volkspartei, feudaler Großgrundbesitz und Sozialdemokraten, Slowenen und deutsche Fortschritts partei, Italiener und Christlich-Soziale bekundeten, daß sie der Regierung kein Vertrauen entgegenbringen. Und da sagte nun Graf Dzieducycki, als alle getreuen Polen beisammen saßen: Die Deutschen und die Tschechen haben sich bei dieser Abstimmung in ein Lottexiespiel eingelassen, der Polcnklub dürfe ein solches nicht betreiben. Eine Lösung der neuesten Parlamentskrise hat aber auch dec sehr geschätzte Obmann des Polenklubs nicht ersonnen; der Vergleich mit dem Lottericspiel hat aber vielleicht doch eine tiefere Bedeutung, als sie der Ausfluß der streng realistischen cko-ul-cke8-Politik der Polen beanspruchen könnte. , Es ist nämlich eine beispiellose Verworrenheit im österreichischen Parteienleben. Eine jede große Gruppe erstrebt ihr natürliches Recht, die Macht in die Hand zu bekommen; keine aber ist stark genug, in dem national zerklüfteten Zisleithanien für sich allein die Tiktatur zu erzwingen. Und am schlechtesten find die Deutschen daran. Tic Deutschen, die Repräsentanten der historischen Entwicklung und der geschichtlichen Größe Oesterreichs, sind eben auch nur ein Bruchteil geworden. Moralisch, materiell und kulturell ein führend Volk, erlitten sie teils durch Ungunst der Verhältnisse, teils auch — weshalb eine Tatsache übersehen? — durch Unterlassungen, Mängel in der Kräfteausnutzung, als ihnen die Sonne der Mach: leuchtete, Einbußen. Und da ihre Taktik stets auf das Wohl des ganzen Staates gerichtet war, des deutschen Oesterreichs, immer gewissenhaft, nie dem momentanen Vorteil Prinzipien opfernd, stehen sie da ohne Bundes genossen. Auch sie meinen, daß ein Ausgleich mit den Tschechen nötig tväre, zum mindesten eine treuga ckk-i, nie aber Mäßigung, selbstverständlich eine grundsatz getreue, gesinnungsfestc Mäßigung betätigen, wenn hinter jedem AbgeordnvZ»n zehn Programms stehen. Wie vor allem eine Verständigung mit den Tschechen anbahnen, wenn die Tschechen, eben falls vom nationalen Radikalismus bedrängt, zunächst eine klingende Bezahlung für das Aufgcben der lang jährigen Obstruktion begehren? Unter das kaudinischc Joch schreitet kein deutscher Mann. Nun aber haben sie Hand in Hand mit den Tschechen der Regierung in: Budgctausschusse einen parlamentarischen äekea bereitet, und ginge es nach gutem konstitutionellem Brauche, müßte das Beamtenministerium Dr. v. Koerber seine Portefeuilles in die Hände des Kaisers zurücklegen und dieser Vertreter aller der differenten Parteien, die sich bei der absonderlichen Abstimmung zusammenfanden, zu sich berufen und ihnen den Auftrag erteilen, ein Koali - tionskabinctt zu bilden. Ein undankbares Be ginnen. Was allo bezweckte diese Abstimmung, wenn sic kei nen praktischen Erfolg erringen oder erzwingen konnte? Würde das Ministerium Koerber demissionieren, was ihm bis zur Stunde nicht im Traume e'infiel, dann wäre es ein Erfolg der Tschechen. Tas wünschen die Deutschen nicht. Bleibt alles beim Alten, dann — dann haben sich die deutschen Parteien ihr Herz erleichtert, sic haben offen bekundet, daß es keine Regierung, ohne Schaden zu erleiden, wenn auch nur den Nachteil eines Tages, riskieren dürfe, die Deutschen zu „verneglig'ieren". Die deutschen Parteien des österreichischen Abgeordneten hauses aber fühlten sich, und dies mit Recht, durch die Rekonstruktion des Kabinetts Koerber, wie sich diese im heurigen Sommer vollzog, durch die Errichtung der slavischen Parallelklassen in Troppau und Letschen ge kränkt, und diesem Unbehagen haben sie Ausdruck ge geben. Niemand wird ihnen dies verübeln, aber Wie es in dieser besten aller Welten nun einmal der traurige Fall ist, Gefühlspoli.tik gleicht dem Jernerstehen- den, dessen nationaler Nerv nicht mitzittert, gar leicht als Lotteriespiel, wie Graf Adalbert Tzieduczyckr seinen kühlen, besonnenen Gcschäftspoleu expliziert hat. So wird sich denn im innorpolitischen Leben Oester reichs vorläufig nichts vollziehen: nach Neujahr soll ein neuer Versuch zur Flottmachung des Parlaments unter nommen werden und da hat es den Anschein, als ob die deutschen Parteien denn doch nicht die schlechtesten Lotterielose gezogen hätten. Es zeigen sich einige Chancen, als ob die Unzufriedenheitserklärung der deut schen Parteien vom Ministerium sehr beachtet würde. Vielleicht benutzt die Regierung dieses Menetekel der Deutschen zu einem weiteren Drucke auf die obstruierenden Tschechen. Denn sie kann folgendermaßen kalkulieren: Ihr Tschechen habt gegen mich gestimmt; ihr befindet Euch in der Obstruktion und wollt mich nicht unterstützen; die Deutschen aber brauche 'ich, schon uni Euch Schoch zu bieten; sie zu versöhnen ist main Inter- esse. Und der Staat würde, wenn ein Begriff eine Stimme hätte, sagen: Auch n^ein.Interesse: Nichts ist als wcun ewige ofsiziqse St im- in e n eine bei andere Bitterkeit gegen die deutschen Par teien zeigen: sie dienen damit an: schlechtesten dem Kabi- nett, dem sie dienen wollen. Und sie erraten damit wohl kaum die Intentionen Dr. v. Koerbers. Und auch die deutschen Wähler müssen sich sagen, daß es Undank- bar sei, daß ein österreichisches Beamtenministerium ge sonnen sein könnte, sich mit den Tschechen einzulassen; das wäre ein Faustschlag in die T r a d i t i o n der österreichischen Burcaukratie. Der nizri-A.japanircbe Krieg- Vie englischen Aehlenlieserungen. Man nimmt nach einer Meldung qus London in Cardiff mit Bestimmtheit au, daß die englyche Re- gierang -in Zukunft nur solchen Schiffen die Ladung v c r- weigern wird, denen wie dem „Kapitän Menzell". als zweifellos nachgewieien wird, daß sic Lagerschiffe einer kriegführenden Partei sind. Ain Freitag ging der eng lische Dampfer „Maristow" mit 5000 Tonnen nach Schanghai ab. Ter deutsche Dampfer „Romülus" ging mit 3600 Tonnen nach Hongkong in See. Der schwe dische Tamvfsr „Atlantic" ging mit mehr als 5000 Ton nen nach der Delagoabai, das deutsche Schiff „Nais" mit 3000 Tonnen nach Las Palmas oder St. Vincent, und die „Sylvina" nach Sobang mit 6000 Tonnen Koh len. Die „St. Ninian" verließ Newport mit 5000 Tonnen mit dem Bestimmungsort Batavia. Ueber den Charakter dieser Schiffe, die alle an einem Tage ab- fuhren, herrscht kein Zweifel, aber die englische Regie- rung war nicht in der Lage, sie festzuhaltcn. Nach einer Depesche aus Kapstadt ist ein deutsches Schiff ini dortigen Hafen eingclaufen; man glaubt, daß-es Kohlen für das russische Lazarettschiff „Or el", das hier gleichfalls eintraf, bringt. - - Neue Unterschlagung von Geldern -e» Noten «reuze». Ter „Kreuzztg." wird aus Petersburg ge schrieben: Je großartiger die opferwilligen finanziellen Leistungen des Roten Kreuzes sind und je mehr man im Verhältnis zu früheren'Kriegen die nutzbringende Tätig- leit seiner Einrichtungen auf dem Kriegsschauplätze und in der Heimat anerkennen muß, trotz mancher recht be denklichen noch nicht beseitigte»! Mängel, ist es um so be dauerlicher, daß die Unzuverlässigkeit mit Bezug auf die Verwaltung der Geld- mittel auch bei dieser Gelegenheit zu empfindlichen und völlig berechtigten Klagen Veranlassung gibt. Auch in neuerer Zeit treten diese in der Presse vielfach aus. So hat soeben in Moskau die auf Veranlassung des Generalgouverneu-rs Großfürsten Sergius Alexa n- drowitsch eingesetzte Kommission in der Verwaltung des dortigen Zwöigvereins de-s Roten Kreuzes eine solche Reihe von Mißbräuchen und.ein so gclvaltiges Manko in der Kasse festgestellt, daß die Präsidentin des Vereins und ihr Gatte und „Ge hülfe" ihres Amtes entsetzt werden mußten beides Persönlichkeiten der ersten Kresse der altzarischcn Residenz. Im „Krymskij Wcstnik" wird ein Brief des Vorsitzenden der Pcrckopcr Kreislandschaftsverwaltung veröffentlicht, in dem er geradezu erklärt, daß die Taurische Abteilung des Roten Kreuzes die ihnen übergebenen Sammlungen nicht an die Gouvernementsverwalkljng abgeliescrt, sondern aus ganz nichtigen Gründen zu rfickbc halten hatte. Solche und ähnliche Vorkommnisse haben zur Folge, daß die Beiträge seltener fließen, weil man im Volke das Gefühl hat, daß die Gelder nicht ihrer Be stimmung gemäß Verwendung.finden, sondern in unbc- rusene Taschen fließen. Dao Gcschrva-cr Roschöjeft-venokv» ist,, wie nach einer Londoner Depesche der „Epening Standard" berichtet, in der Bewnbai eingetroffcn. Von der Sundabai wird gemeldet, daß der Kreuzer „Oleg" und der Torpeüojäger „Grosnys" dort eintrafen. , NussisHe» Vorgehen an -er Front. Nach einem Telegramm aus Tokio wird aus dem Hauptquartier der mantschurnchcn Armee der Japaner berichtet: Gestern früh 2 Uhr griff eine Abteilung russischer Infanterie Pciläitzöu an, wurde aber bei Tagesanbruch völlig in nördlicher Richtung zu rückgetricbcn. Gestern nachmittag eröffnete russische Artillerie, die eine Stellung westlich von Monpaoschan besetzt hielt, ein Gcschützfeucr , auf Baotun und Tangtschiapaotzu; gleichzeitig beschoß russische Artillerie, die westlich veil Taschan stand, Putsaowa. Tic Beschießungen richteten keinen Schaden an. Ferner wurde Mamatscheih am rechten Ufer des Hunho von russischer Kavallerie an gegriffen; diese wurde jedoch nach Westen hin zn- rückgetrieben und verlor eine Anzahl Mannschaften, während auf japanischer Seite keine Verluste waren. — Feuilleton. Die heilige Caecilie. .48) Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. ' Das hat er halblaut vor sich hingesagt, aber Anne marie hat es verstanden. Ueber das bewegliche, noch eben ganz in Licht getauchte Gesichtchen gleitet ein eigentüm licher Ausdruck, — es liegt ein Schmerz darin und etwas von zitternder Lust zugleich. Sie erwidert nichts auf die letztgcsprochcncn Worte, — mit leicht zurückgcwor- fenem Kopf tritt sie vor das Gemälde, das sie selbst dar- stellt. „Liebe, liebe Schutzheilige, ich komme zu dir und danke dir! Wenn ich wcitergchcn darf auf dem Wege, den ich mit so viel Entzücken und Banges beschritten habe, dann darf ich nicht klagen, — dann will ich — will ich —" Ihr versagt die Stimme, sie wendet sich rasch ab. Ihm kommt, wie schon zuvor, die Idee, sic könnte nicht glücklich sein, — er verwirft sie sofort. Sie ist sehr jung, hat eine heiße, leidenschaftlich empfindende Seele, — wie heiß empfindend, das sieht und fühlt ec jetzt l — sie hat Künstlertemperamcnt, und ihre augenblickliche Erregung geht in hohen Wogen, i- damit hat er zu rechnen! Jetzt aber gehen! Sich dem Zauber dieser Per sönlichkeit entziehen! Welchen Sinn hat es für ihn, sich immer tiefer zu verstricken in Neirc und Leid? „Ich muß fort, Annemarie —" „Jetzt? Ach, — Hans —" „Ich muß! Glaub' es mir! Aber laß' dir danken sür den schönen, unvergeßlichen Genuß, den du mir be reitet!" „Es ist eine schöne Stunde gewesen, Hans! Schön auch für mich! Wir wollen beide oft daran zurllckdenken, — ja? Und du kommst bald einmal wieder, nicht wahr?" Er läßt diese letzte Frage unbeantwortet, — lügen will er nicht, — die Wahrheit sagen kann er nicht — mithin.. „Empfiehl mich deinem Mann, Annemil Es tut mir leid, ihn nicht zu kennen, — sehr leid!" „Und wenn du heimreisest, Hans," — jetzt ist s ie es,- die den letzten Satz, den er gesprochen, hastig übergeht — „wenn du heimreisest, und ich sehe dich nicht zuvor, — dann — dann grüße — dann sag' meinem Vater — sag' den Kindern " Das zuckende Mündchen müht sich umsonst, noch ein Wort hinzuzufügcn. Jetzt dies süße Geschöpf in die Arme nehmen und sprechen dürfen: „Nicht weinen, meine kleine Annenii! Wir reisen zusammen heim, — wir beide!" Zehntes Kapitel. Nun ist sie wieder allein in ihrem Musikzimmer, wie zuvor, — uud doch ganz, ganz anders, wie zuvor! — Tic Tränentropfen hängen ihr noch an den Wimpern, aber sic lächelt jetzt schon wieder. Zwei Gcdankenfolgen sind in ihr, — immer dieselbe: Hans und ihre Lieder! Tie beiden wird sic fortan nie mehr von einander trennen können! Sie fühlt ihr eigenes Ich sehr stark, sehr intensiv und ist doch ganz über ihre Persönlichkeit hinausgehoben. Im Zimmer geht sie auf und ab und ist sich dessen nicht bewußt. Wie im Aetbcr schreitet sie. Liebkosend fährt ihre Rechte über die Tasten des Klaviers, — die wehmütig süße Weise wacht auf: „Daß Gott dich behüte! Fahr' wohl!" ' Kein wirbelnder Flockcntanz mehr draußen. Weiß alles und kalt und still, — und unter der schneeigen Decke, da schlummern die begrabenen Frühlingshoffnungcn? — Die begrabenen? Als ob es keine Auscrsteknmg gäbe!! — Ist der Frühling nicht die Jugend? Und was hat die Jugend zu begraben, was unwiderruflich dahin wäre? Wieder fort vom Flügel, — lautlos, -- leicht, wie ein Flaumfcderchcu sich bewegt. Neben dem schrägge- rückten Sessel Halt gemacht, — die Hand auf die Lehne gestützt solch' ein ausdrucksvoller blonder Männer ¬ kopf, — und so viel Licht in den Augen! Ein bedeuten der Mann, von dem man überall spricht! Und jhr .Jugend freund! Und der erste, der ihre Lieder gehört! Wie gut, daß sie sie ihm vorgespiclt und -gesungen, daß sie dec raschen Eingebung gefolgt ist! — Wenn er heimfährt, um sich auszuruhen und zu er- holen, und sie geben ihm sein altes kleines Zimmer, und die Mutter bringt ihm sein Glas Buttermilch, — der Vater kommt schwerfällig herein, setzt sich breit dem Sohn gegenüber, einen durchdringenden Geruch „ach scharfer Lohe verbreitend, . . . auch d a wird er wieder hinein passen, er, der berühmte Arzt, der mit Einladungen aus den vornehmsten Häusern Berlins überschüttet wird, — er, der auf dem besten Wege ist. ein reiclxw Mann zu werden, — Asta bat es gesagt. Ein Mensch, wie Hans Kühne paßt überall hin. Und doch ist er eine besonders stark geprägte Individualität! Eben darum achtet und schont er anderer Eigenart! Ihm wird wohl sein in der grünen Stille da draußen, in der freien, leichten Luft, unter den guten, einfachen Menschen! Schön müßte cs sein, mit ihm gehen zu können, — alles von sich werfen und tief aufatmen und sagen: „Ich gebe nach Hause!" Ein schriller Glockenton — wie der die Stimmung entzweiriß, sie jählings auffahren ließ! Schon Oswald? Unmöglich! Und er pflegte auch nicht zu schellen. . . . . Nein, — nur Briefe? Die kommen zu jeder Tageszeit — Annemarie hatte keine Freude an ihnen, wenn sie nicht „von zu Hause" kamen. Seit' jenem einen ano nymen Schreiben lebte sie in beständiger Furckst vor einem neuen, sah jeden Brief mit geheimem Bangen an, .... was hatte ihr der unbekannte Warner Wohl noch alles zu sagen? Hier zwei große viereckige Briefe, — einer an Oswald, einer an sie selbst gerichtet; eine rund- geschäftsmäßige Hand, Poststempel einer großen rheinischen Stadt . . . . wie ihr die Finger zitterten, sic sich setzen mutzte und solches Herzklopfen bekam ..... Ach, Unsinn! ES wird ja nichts sein damit! Bloß weil Hans Kühne davon eingenommen war und sie selbst. . . . . natürlich, sie selbst — och Gott, — aber wenn es nun .... wenn es nun wäre!! Ist das richtig? Sjeht das da, schwarz auf weiß? Kann das überhaupt sein? „Für den Frouenchor den ersten Preis von fünf hundert Mark, — für das Lied, in Anbetracht des Um standes, daß wir nienials ein und derselben Persönlichkeit zwei e r ste Preise zu erteilen pflegen, einen zweiten Preis von einhundert und fünfzig Mark —" Sie fchaut sich rundum im Zimmer, sic sieht auf die Straße hinaus, sie denkt zu träumen! Daß sic jetzt allein sein muß, — keinen Menschen neben sich hat, mit dem sic ihr Glück teilen darf, -- keinen Menschen vor allem, der es ihr bestätigen, mit lauter Stimme vorlcscn kann, daß sie — wirklich sie — Wozum ist HanS Kühne von ihr gegangen? Warum hat er nicht eine, nur eine einzige armselige halbe Stunde noch bei ihr bleiben können, um ihr dies tragen zu helfen? Ihre träumerisch umhcrirrenden Augen kehren Plötz lich zu dem Briefblatt in ihrer Hand zurück, stürzen sich gleich zwei aus der Höhe niederstoßenden Falken auf ihre Beute steht es noch da? Ist cs nicht verschwunden? „Für den Frauenchor den ersten Pktzis von fünf- hundert Mark, für das Lied, in Anbefracht —" Ja, ja, das sind dieselben Worte, die sic soeben ge lesen hat! Soeben? Ist es nicht eine Stunde her, — eine Woche. - ein Monat? Gar keine Zeitrechnung gibt cS mehr für sie! ' Einen zitternden Jubellaut stößt sie aus, — eiu Lachen ist dabei und ein Schluchzen, . ... und w, lachend und schluchzend zugleich, fliegt sie dem Mann entgegen, der
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