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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041212028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904121202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904121202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-12
- Monat1904-12
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklame» unter dem RrdaktionSslrich (4 gespalten) 7b >4, »ach den Familiennach- richten «V gespalten) V0 — Tabellarischer und Ziffernsatz werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Ossrrtenauuahme 2b Alt»aH»eschl»tz für «ureigen: Abend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Audgabe: nachmittag« 4 Uhr. - Anzeigen find stet« an dte Expedition zn richte«. Extra-Bei Urse« «nnr mV der Morgen- Ausgab«) nach besonderer Berei-baruag. Die «rdedttto» ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. V«lz in Leipzig «Inh. Ur. V„ N. 2. W. Kltnkhardtl 98. Jahrgang. Var lliichtigrte vom lagt. * Die 84jährige Witwe de« Herzog« Ernst II. von Koburg-Gotha, geb. Prinzessin Alexandrine von Baden, ist an Diphtheriti« schwer erkrankt. * Der Papst bat in Uebereinstimmuna mit dem Kardinalskollegium da- Vetorecht ab geschafft. (Siehe Au-land.) * Eiue Nachricht, nach 72 stündigem Kampfe seien die Russen auf da- südliche Lun-User zurück- gewichen, wird vom Bureau Reuter dementiert. (S. rufs.-jap. Krieg.) * Meldungen aus Port Arthur besagen, daß am S. d. Mts. japanische Torpedoboote die »Sewasto pol- im Hafen an griffe«, lieber den Erfolg ist nicht bekannt. (T. rufs.-jap. Krieg.) Hit air „veutrche Lagerreilung". Der „Deutschen Tageszeitung" gelüstete nach dem herostratischen Ruhme, und sie brachte einen Leitartikel „Aus der Rechtsanwaltstätigkeit des Staatsmimsters a. D. Heutig". Wir sehen es heute schon für gewiß-an, daß der „sachliche" Inhalt des Artikels genau so falsch wiedergegeben ist, wie die Unterschrift, die von einem Staatsminister a. D. handelt, während Herr Dr. Hentig weder a. D. noch z. D., sondern vorläufig noch aktiv ist. Auf die faktischen Vorgänge, in der „Dtsch. Tageszeitung" zu dem Zwecke geschildert und entstellt, „einen Mann zu verderben", brauchen wir uns aber hier um so weniger einzulassen, als wir wohl in der Annahme nicht fehl gehen, daß die nächsten Tage eine vollständige sachliche A u f t»r ir n g der ausgegrabenen Angelegenheit von zu verlässiger Seite bringen werden. Zu diesem Punkte sei deshalb hier nur so viel bemerkt, daß es sich um die weit über zehn Jahre zurückliegenden, absolut ungeschäft lichen Beziehungen des damaligen Berliner Anwaltes Dr. Hentig zu einer agrarischen Persönlichkeit handelt, und daß die genaue Darstellung viel eher als Illustra tion dienen könnte zu dem Sprichwort von dem Undank, der der Welt Lohn ist, als der beabsichtigten Diskredi tierung des Herrn Hentig. Diese Cliquen-Aktion wird ihren Zweck nicht erreichen sogar bei den minder Ein geweihten und Einsichtigen nicht, die nicht aus jeder Zeile der Darstellung die technisch teilweise ganz raffi niert zweckdienliche Umformung und Verwertung, so wie die Tendenz hervorleuchten sehen. Dafür wird ge sorgt werden. An die Adresse der „Deutschen Tages zeitung" sei jedoch hier schon die gerade ihrem Verständ nis und Empfinden gewiß kapable Frage gerichtet: Aus welchem Grunde sollte denn Herr Dr. Hentig den fette» Prozeß nicht geführt haben, vorausgesetzt, daß er sich Lazu für bevollmächtigt und speziell beauftragt hätte halten können? Nun aber müssen wir noch ein paar Worte dem Gebaren der „Dtsch. Tagesztg." und der von ihr ver tretenen Interessenten widmen. Das Blatt des Herrn Dr. Oertel gehört nämlich zu jenen schulmeisterlich im übelsten unpädagogischen Sinne redigierten Zeitungen die sich eine Art Splitterrichteramt angeeignet haben und nun strenge Umschau halten und Noten erteilen. Und dieses selbe Organ treibt jetzt der Haß gegen einen „kommenden Mann", der eine neue Spezies und ihm deßhalb gefährlich zu sein scheint, zu einem Akt der Bos heit, der überall als anstößig empfunden und verurteilt wird. Als wichtiges Moment ist dabei zu beachten: gegen wen richtet sich die Aktion, was ist es für eine Persönlichkeit, was hat er pecciert? Und gerade die ganze Person des Angegriffenen macht das Vorgehen der „Deutschen Tageszeitung" so bodenlos bösartig. Die einzige Schuld deS Herrn Dr. Hentig, der schon als hoch geachteter Berliner Anwalt von seinen Kollegen der n ichtigsten Ehrenämter für würdig erachtet wurde, be steht Larin, daß er im altpreußischen Sinne Outsider ist Und demgegenüber wiegen natürlich alle positiven Ver dienste in Süddeutschland sowohl wie in Coburg-Gotha kein Lot. Daß noch jetzt, kurz vor seiner Inaktivierung, aus allen Kreisen der Bevölkerung Kundgebungen lebhaften Bedauerns über den Entschluß des Ministers kommen, daß ihm Herzog und Regent hochehrende und ausürück- lich vor aller Welt bekundete Beweise ihrer Schätzung geben, alles das schützt nicht — die ..Deutsche Tagesztg." will ihn verbannt haben. Derartige rein per- sönliche, absolut unpolitische Beschuldigungen auf Grund ausgegrabenen Materials vorzu- bringen — das überließ man bisher in gut bürgerlichen Kreisen der geringeren sozialdemokratischen und der Skandalpresse. Aber was liegt der sittigen „Deutschen Tagesztg." an solchen Erwägungen- 'wr Mann ist ja nicht reaktionär! Also muß der Zelotenecs^ der Konvertiten betätigt werden. Glücklicherweise hat nun die Intrige überall die Aufnahme gefunden, die sie verdient, so daß die „Dtsch. Tageszeitung" sich bereits genötigt sieht, eine Ent- schuldigungs- und Beteuerungsnotiz hinterher zu schicken, welche die Aufnahme des ersten Artikels in der Öffentlichkeit deutlich erkennen läßt. Die Sache ist denn doch zu genant, ganz abgesehen von jedem partei politischen Standpunkte Wir gratulieren dem Blatte zu seiner Leistung und hoffen insbesondere, daß seine einflußreichen sächsischen Gewährsmänner diese Affäre recht genau verfolgen und ihre Beziehungen danach revidieren werden. Var etbircste Niveau. Der intellektuelle Tiefstand des deutschen Parlamen tarismus ist oft beklagt worden. Wenn dies auch bis weilen von einer Seite geschieht, der man nicht ohne wei teres Uneigennützigkeit zuspreckien kann, wenn auch die Kritik der anderen, wirklich aufrichtig konstitutionell empfindenden Männer sich von Uebertreibungen nicht frei hielt, so muß doch zugegeben werden, daß Form und Inhalt der parlamentarischen Debatten nicht mehr auf der Hohe unserer großen sruckstbaren Zeit stehen, die durch Namen wie Miquel und Bennigsen clmraktcrisiert wird. Indessen, damit könnte man sich abfinden. Nicht alle Perioden tragen den Stempel der Genialität. Es ist natürlich, daß jeder Hebung eine Senkung entspricht, und wir würden uns damit trösten, daß man rrotzdem in bescheidener Selbsterkenntnis nützliche Kleinarbeit leisten kann, bis wieder das vaterländische Leben sich in neuem glänzendem Aufschwungs emporhebt. In einer anderen Beziehung aber ist Liese Resignation, diese Nachsicht nicht am Platze, ja sie würde, mit Schopenhauer zu sprechen, geradezu ruchlos sein. Es handelt sich um das ethische Niveau. Bisher ist es wohl niemand eingefallen, in dieser Hinsicht einen Vorwurf auszusprechen, allein eine Episode aus der Sitzung des preußischen Abgeordneten hauses am Sonnabend zwingt uns Betrachtungen auf, die höchst unliebsamer Natur sind und die wir gern unter- lassen würden, wenn wir es nicht für unsere Pflicht hiel ten, einen Appell an das Parlament selbst zu richten. Ter Minister Freiherr von Hammerstein hat sich mit der Ver haftung einer jungen russischen Studentin beschäftigt, welclie Maßnahme von dem Abgeordneten Dr. Friedberg bemängelt rvar. Seit langem vermissen wir bei unseren leitenden Männern jedes Eingehen auf Prinzipienfragen. Ter Reichskanzler, dessen Begabung und Bildung wir sonst keineswegs gering schätzen, beschränkt sich darauf, mit Zeitungsausschnitten gegen die Sozialdemokratie zu polemisieren. Kern und Wesen des sozialen Problems berührt er niemals. Wenn man ihn reden hört, so ist die Existenz und die Taktik der Sozialdemokratie etwas hockst Humoristisctlcs. Wir wollen nur hoffen, daß diese Auffassung sich bei den nächsten Reichstagswahlen als berechtigt herausstellt. Die Paladine des Grafen Bülow ahmen natürlich dem Meister nach. Ihre Erörterungen beschränken sich auf Einzelfälle, ihre rednerische Technik ist vom Beifallsbedürfnis diktiert. Ter nationalliberale Abgeordnete Dr. Friedberg hatte die Verhaftung der russischen Studentin, Janina B'i'cii kriiisiert. Er hatte hervorgeboben, daß eine Vertxntu..» „um Zweck der Ausweisung, also eine admi nistrative Verhaftung mit dem Wesen eines humanen Staates und eines Rechtsstaates nicht vereinbar sei. Die Frage war also so gestellt, daß eine prinzipielle Antwori erfolgen niußte und es leuchtet wohl jedem ein, daß diese prinzipielle Antwort von weittragender Bedeutung für unser Rechtsleben ist. Wenn der Minister administrative Verhaftungen billigt, so haben wir den Beweis dafür, daß wir versuchen, uns russischen Zuständen zu nähern und es ist eine Ironie der Weltgeschichte, daß dies in demselben Augenblick geschieht, in dem die russische In telligenz einen verzweifelten Versuch macht, sich von eben diesen Zuständen zu befreien. Hören wir nun, wie der Minister von Hammerstein nach dem Bericht der Berliner Zeitungen auf die Frage des Abgeordneten Friedberg antwortete: „In dem Falle, den der Abgeordnete FrietBerg vorgebracht hat, handelt es sich um eine junge russische Studentin, die hier im vorigen Winter studierte und sich dadurch bemerkbar machte, daß sie in einer Anzahl von Versammlngen, zum Teil sozial demokratischen, erschien, daß sie teilnahm an der Feier der Märzgefallenen am 18. März und daß sie sich auch an einer Protestunterschrift gegen den Reichskanzler beteiligte. Sie ging tveg von Berlin, kam dann vor einiger Zeit wieder und hatte hier keinen festen Wohnsitz. Sie wurde schließlich gesun. den bei einem Studenten, der Karfunkelslein hieß (Heiterkeit). Sie lag mir dem Karfunkelstein im Bett (große Heilerkeit). Man fand eine Menge anarchistischer Papiere, die wahrscltein- lich ihr zugehörtcn." Wir wollen in diesem Augenblicke nicht Las „lvahr- scheinlich" betonen, sondern wir wollen nur darauf bin- wtnsen, LaßHerr v.Hammerstein es mit seinem Zartgefühl, mit seiner hohen Stellung vereinbaren kann, ein junges Mädctnm dem brutalen Gelächter einer Versammlung von Männern preiszugeben. WaS hat die sittliche Lebens führung der jungen Dame mit dem Anarchismus zu tun? Wir sind um Beispiele nickst verlegen, wenn wir beweisen wollten, daß eine derartige Einmischung in das Privat leben zu Folgen führen könnte, di« doch an vielen Stellen sicherlich als recht peinlich empfunden werden würden. Und was soll man dazu sagen, daß das Vor gehen des Ministers von den Volksvertretern mit Heiter keit ausgenommen wurde? Bei der bloßen Erwähnung des Namens Karfunkelstein schreien die Herren bereits vor Wonne. Nicht allein, daß diese Anspruchslosigkeit unser Mitleid erregt, der Mangel an gesundem Gefühl, der hier zutage tritt, ist noch viel trauriger. Der Begriff der Ritterlichkeit scheint nicht mehr bekannt zu sein. Diese Ritterlichkeit bekundet sich aber eben darin, daß sie vor dem weiblichen Geschlecht ohne Unterschied des Standes, der Konfession und der Nationalität Achtung empfindet. Wir glauben nicht, daß ein Minister sich im französischen oder englischen Parlanient einen derartigen Aus- fall gegen eine Wehrlose erlauben dürfte. Herr von Ham merstein konstatierte im weiteren Verlaufe seiner Rede, daß der Vater des Mädchens „ein durchaus angesehener und ehrenwerter Mann" ist. Trotzdem ist es ü«m Herrn von Hammerstein ganz gleichgültig, daß er den Namen dieses angesehenen Mannes vor Millionen von Menschen bloßstellt. Wir gestehen, daß wir unS da nicht rmrecht zu finden vermögen und wir bedauern, daß im Hause sich nickst ein einziger Abgeordneter gefunden hat, der gegen dieses Betragen Einspruch erhob. Ein derartiges Ver halten des Ministers schädigt — das sei -em Herrn Reichs kanzler gesagt — unser Ansehen im Airslande weit mehr, als alle politischen Ausfälle unserer Witzblätter. i-.-rv- . - vrr ru!;>;cl>-iapani5che Krieg. Neber Ha-ll veröffentlichen die „Times" nach dem Bericht eines Kapitäns Jansen vom schwedischen Dampfer „Aldebar", folgendes: Als das Geschwader die fragliche Stelle passierte, sei er durch Schein werfer beleuchtet worden, und zahlreiche Schüsse seien abgegeben werden, von denen glück licherweise keiner traf. Das russische Geschwader sei alsdann weiter gefahren. Der „Fürst Vtrinarck" Die „Times" melden aus Libau, daß der frühere deutsche Schnelldampfer „Fürst Bismarck", der den Nmen „Don" erhallen hat, als Hülfskreuzer zur Ausfahrt bereit liege. Feuilleton. Die heilige Caecilie. 48) Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Mit froh und bang klopfendem Herzen trat droben Annemarie vom Fenster zurück, huschte leicht und rasch, wie ein kleiner Vogel, in den Salon, warf einen Blick in den Spiegel: „Wie sehe ich denn aus? Bin ich auch hübsch?" Glückliche, elastische Jugend! Für den Augen blick — vergessen Sorgen und Angst und quälende Ge danken! Er, der die Treppen jetzt heraufkam. er brachte ja Hilfe, — schöne, liebe Erinnerungen an Kinderglück und Jugendlust, an Heimat und Vaterhaus! Nicht länger durfte sie allein sein und auf das unruhige Pochen ihres Herzens horchen, — zwar unruhig pochte es auch jetzt, — aber das war aus Freude! „Herr Doktor Kühne läßt gnädige Frau fragen" — „Ich lasse bitten!" Nicht einmal ausreden ließ sie Pauline. „Willkommen, HanS! Ach, wie hat es mir leid getan, daß du neulich mit Tante Babette umsonst hier gewesen bist! Meine Gesangstunde war anders gelegt worden das kam so im letzten Augenblick" — „Du siehst, ich hole eS nach, Annemarie! Ich habe einen Patienten hier in der Nähe, da nahm ich eS mir gleich vor — dein Mann nicht zu Hause? Bist du ganz allein?". „Ja, — allein! Oswald ist — er hat — er ist fort gegangen — setz' dich doch, HanS, — bitte" — „Laß' mich nur erst eine kleine Rundschau halten, — ah, — die Heilige Caecilial Frank Holbeins Werk!" Er war dicht vor das Bild getreten und musterte eS eingehend; jetzt kehrte er sich um und sah Annemarie an. — wandte sich von neuem zu dem Gemälde und wieder zu ihr. Ihr kleines Noscngesicht lächelte ihn an, verlegen und glücklich zugleich. „Nun? Bist du zufrieden? Findest du es ähnlich?" Er nickte ernsthaft. „Frank kann viel mehr, als ich jemals von ihm er wartet hatte. So viel ich davon verstehe, ist dies nach dem Gedächtnis gemalte Bild eine sehr gute Leistung. Einige kleine Freiheiten hat er sich herauSgenommen, die wollen wir ihm verzeihen. Dein Haar hat einen andern Farbenton" — „Ja, er hat es goldig schimmern lassen, — das ist doch auch viel hübscher" — „Hübscher? Ich weiß nicht! Dies lichte Braun, das du hast, sieht man gar nicht so häufig! Und deine Hände sind total anders, viel weicher und kindlicher, wie aus dem Bilde. Frank hat dir solche beseelte Jdealhände an gemalt" — „Ja, die muß eine Heilige doch haben! Bitte, vergiß nicht, Hans, daß du eine Heilige vor dir hast!" Sie lachten beide, und er meinte kopfschüttelnd: „Ich weiß doch nicht, ob mir das gefällt I Heilige sind ver pflichtet, langweilig zu sein, — das warst du eigentlich nie!" „Gottlob, nein! Das ist ja auch schon das schlimmste, was eS gibt! Lieber sich ärgern über einen Menschen, ihn 'mal unleidlich finden, — aber langweilig?" Sie schüttelte den Kopf und lachte von neuem. Er freute sich dieses Lachens, — es klang wie das Girren eines Täubchen». So hatte Annemarie immer schon ge lacht, er entsann sich dieses kosenden Klanges aus seiner Knabenzeit. Einmal, wie er schon Primaner war und auf Ferien daheim hatte Asta gesagt: „Die kleine Annemi lachen zu hören, das ist die reine Erquickung! Ich glaube, die kann Kranke gesund lachen! Nun hör' bloß!" Und sie waren in den GraSgarten gegangen. da saßen Annemarie und ihr Bruder Heinz auf einer Wippe, die sie sich selbst höchst kunstlos aus einem gefällten Baum und einem alten Brett hergestellt hatten, und jedesmal, wenn die Kleine in die Luft schnellte, kam ihr girrendes Kinderlachen durch die klare, blaue Sommer lust. — Hier vor ihm stand eine wunderhübsche, elegant gekleidete Frau, - aber Annemis Lachen hatte sie be halten und auch Annemis Augen. „Was weißt du von deinem amerikanischen Freunde? Bitte erzähl' mir von ihm!" Sie setzt sich in einen tiefen, hochlehnigen Sessel, weist ihm einen ebensolchen an. Hans Kühne rückt ihn so, daß er die Heilige Caecilia im Auge behält. „Frank? O, dem geht es gut! Er hat geheiratet, er ist glücklich, er malt eifrig. Richtig, er hat mich auch nach dir gefragt, — nach seiner kleinen Heiligen!" „Aber du hast ihm nicht geantwortet — hm?" „Ich habe sehr wenig Zeit zum Briefeschreiben. Mein Beruf nimmt mich zu sehr in Anspruch." „Ja, Asta hat es mir gesagt: sie meint, auf die Dauer würde das kaum so gehen, du gönnst dir keine Er holung!" „So lange ich sie nicht unumgänglich brauche, — nein! Im Frühling will ich heim zu den Eltern, mich ausruhen, — jetzt geht das noch nicht!" „Asta sagte mir. sie wolle sich zum Herbst von dir trennen, sich selbständig niederlassen, um auch ihrem Beruf nachgehen zu können." „Gewiß! Man kann eS ihr nicht verdenken! Sie hat nicht jahrelang studiert und schließlich mit Auszeich- nung den weiblichen Oberlehrer gemacht, um mir den Haushalt zu führen." „Aber du wirst sie sehr vermissen, — du kannst nicht ohne eine Dame sein, wenn du eine Privatklinik hältst!" „Ganz recht. Ich werde mich verheiraten wüsten." Hans Kühne sagt es nüchtern, — geschäftsmäßig, al» ob er sich ein neues chirurgisches Besteck oder einen In duktionsapparat anschaffen wolle. Es kommt eine Pause. Annemarie schlingt mechanisch ihre lange Uhrkette um ihre Finger und sieht darauf nieder. «Hast du schon" — beginnt sie zögernd. „Nein. — ach, nein!" sagt er hastig, beinahe ein wenig unwillig. „Es hat ja nun noch Zeit damit!" „Du kommst viel mit Damen in Berührung jetzt —" „O ja, — Frauen genug! Wer mir gesagt batte meine Spezialität würden nervöse Weiber sein, — ver zeih', — es klingt dir ungezogen —" „Es klingt bart und bitter! Bist du beides?" „Ein wenig! Ein Arzt, der es ernst mit seinem Beruf nimmt, hat es nie leicht, — aber dies Gebiet, das meine, ist zu unerquicklich! So viel eingebildetes Leiden, 'o viel Unvernunft, Einsichtslosigkeit, Willensschwäche! Tie heutige Zeit, die heutige Erziehung, die heutige Ebe - alles arbeitet geflissentlich darauf hin, ein schwaches, energieloses, verzärteltes Geschlecht hervorzubringen, — das ist das Material, mit dem ich zu arbeiten habe!" „Bei reichen Leuten, die nichts zu tun haben, ein müssiges Genußleben führen, wird es so sein, wie du sagst. Im Mittelstand, wo die Menschen arbeiten, mehr geistige Interessen haben, ist es anders. Die erstgenannten sind nun gerade deine Patienten. — eigentlich sind sic doppelt zu bedauern, als Opfer ihrer Zeit, ihrer Erzieh ung, ihrer Lebensweise " „Richtig, Annemi! Glaub' mir. ich sage mir das täg lich, — aber Geduld braucht eS, — nie endende Geduld." „Und eine große Menschenliebe!" „Die ich eigentlich nicht habe." „Hans!" „Soll ich mich vor dir bester machen, al» ich bin? Ich habe natürlich Interesse für meine Kranken —"
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