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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041209022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904120902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904120902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
- Tag1904-12-09
- Monat1904-12
- Jahr1904
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Bezugs-PretS in Ver Hanptexpedttton oder deren AnSgabe. stellen ab geholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Anstellung in» Hau« 3.7b. Durch die Post bezogen für Devtsch- land u. Oesterreich vierteljährlich ^l 4.S0, für die übrigen Länder laut Zeitung-Preisliste. Diese Nummer rostet M ? aus allen Bahnhöfen und I II bet den Zeüuugs-Berläuferu I * Redaktion »«» Expedition: 153 Fernsprecher 222 . Johaum-gasi« 8. Hanpt-Filtale Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzg l.Bayr.Hofbuchbandlg, Lüyowsiraste 10 «Fernsprecher Amt VI Nr. 46031. Nr. 827. Abend-Ausgabe. MWgtr.TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Äiiniglichen Land- und des Königliche« Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Aolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Freitag den 9. Dezember 1904. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Redaktionsstrich <4 gespalten) 7Ü -H, nach den Familiennach- richten <6 gespalten) ÜO -H. — Tabellarischer und Zissernsay werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren für Nachweijungeu und Osfertenannahme 25 »L. Annahme,chlutz für Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AllSgab«: uachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Dr. V-, R. L W. Kliukhardt). 98. Jahrgang. Vas Nichtigste vom Lage. * Die Leipziger Konservativen stellten als Landtagskandidaten für den 3. Wahlkreis (Süden) Maurermeister Enke und für den 5. Wahl kreis (Westen) Fabrikant Reißmann auf. (S. Dtsch. Reich.) * In der Gasanstalt zu Leipzig-Sellerhausen fand heute vormittag eine Explosion statt, bei der mehrere Personen zu Schaden gekommen sind. (S. Leipz. Angel.) * Die M e tze r La n d es v e r r a t sa f f ä r e wird nm Mittwoch vor dem Reichsgericht zur Vorhand, lung kommen. (S. Dtsch. Reich.) * Die Konservativen lassen erklären, das; sie jeden Handelsvertrag ablehnen werden, der eine Erleichterung der Vicheinfuhr be deutet. (S. Dtsch. Reich.) * Die nationalistischen Pariser Blätter sprechen aus, daßSyveton das Opfer eines feigen Mordes geworden sei, und bereiten auf eine tumul- tua-vische Kammersitzung vor. (S. Ausland.) * Das dritte russische Geschwader soll am 8. oder 9. Januar 1905 ausreiscn. (S. Rnss.° japan. Krieg.) * Nach einer Depesche aus Tokio sind bei Port Arthur nun auch das Linienschiff „Ssewastopo l" und der Kreuzer „Basan" durch das japanische Feuer zerstört worden. Die Flotte soll jetzt vollkommen vernichtet worden sein. (S. Rusf.-japan. Krieg.) franrösische Ansichten. Da die Schadenfreude auf beiden Seiten des Was- gaus die reinste Freude ist, kann es nicht wunder nehmen, wenn die französische Presse sowohl den zeit weiligen Abbruch der d e u t s ch - österrcichi- schcn Handelsvertragsverhandlungen wie das Finanzcxposä des Reichs schatz sekret ärs mit herzlicher Genugtuung begrüßt. In dessen sollte sich die französische Presse auch in dieser Ge mütsverfassung vor allzu phantastischen Schlußfolge rungen- hüten. Dergleichen Vorsicht aber wird an der Leine nicht beachtet. So fügt der „ Tcmps ", der das Finanzexpos6 des Frhrn. v. Stengel als Präludium für neue Steuern, zunächst für erhöhte Bier- und Tabak steuern, auffaßt, der Stengelschen Erklärung überlegen hinzu: „Die Hülfs mittel Deutschlands haben eine Grenze. Das wird man trotz des sehr ge schickten und sehr beredten Plädoyers des Herrn von Bülow bald fest stellen. Tic Rede des Finanz ministers (damit ist Frhr. v. Stengel gemeint. Red.) ist ein Pfand dafür." Unter den Ausführungen des Frhrn. v. Stengel findet sich nicht eine einzige Stelle, die den „Temps" be rechtigte, die Etatsrede des Schatzsekretärs als Beweis dafür heranzuziehen, daß Deutschland, wie die vor stehende Auslassung des Pariser Blattes glauben machen will, au der Grenze seiner Hülfsmittel angelangt sei. Da es nicht nur für den „Temps", sondern auch für manche Politiker in Deutschland nützlich ist, die Leistungsfähigkeit Deutschlands, bezw. die Belastung der deutschen Steuerzahler, im Vergleiche mit denen anderer Länder zahlenmäßig beleuchtet zu sehen, stellen wir im Nachstehenden zusammen, welcher Besteuerung Tabak unüBierin einer Reihe der wichtigsten Kulturstaaten unterliegen. Nach den Angaben Georg v. Mayrs im „Handwörterbuchc dec Staatswissenfchaften" belief sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre (für die Ver einigten Staaven von Ainerika handelt es sich unten um den Durchschnitt der Jahre 1898—1900) dasTabak - steuer . Erträgnis auf den Kopf der Be völkerung: inFrankreich auf6,87^, in England auf 5,68-^, inJtalicn auf3,87-/k, in Oesterreich auf4,23^/r, in Spanien auf4,76<^, in Rumänien auf3,60°/k, in den Vereinigten Staaten auf 3,86 ^!, in Ungarn auf 3,23 in Norwegen auf 1,81 in Deutschland auf 1,18 Mark, in Belgien auf 0,95 Nur in Schweden, Ruß- land, Dänemark, der Schweiz und den Niederlanden war das Tabaksteuererträgnis noch geringer als in Deutsch- land. Was aber die B i e r b e st e u e r u n g anbelangt, so betrug nach den Angaben E. Struves im „Hand- Wörterbuche der Staatswifsenschaften" der Steuersatz, reduziert auf 1 Hektoliter Bier aus 13prozentiger Würze, ohne Berücksichtigung der Schwendung: in Oesterreich-Ungarn 3,69 .< in Großbritannien 4,05 .< in Italien 12,90 in Frankreich 3,20 in Belgien zirka 2,00 in Holland zirka 1,49 in Rußland zirka 4,00 .< in Dänemark 6,60 bis 7,20 in Norwegen zirka 7,23 in Rumänien 12,40 .< in Griechenland 19,20 .< in den Vereinigten Staaten 3,13 .< in Bayern zirka 2,83 in Württemberg 2,20 in Baden 1,80 bis 2,60 .< in Elsaß-Lothringen 2,45 und im norddeutschen Brausteuergebiete 0,90 .< Ter vorstehende Vergleich der Tabaksteucrerträge und des Biersteuersatzcs in den wichtigsten Kulturstaaten Europas enthält die bündigste Kritik der Anschauung, daß die Besteuerung wichtiger Kowsumartikcl im Deutschen Reiche bereits eine unerträgliche Belastung bilde. Wenn auch schon unsere Konsumsteuern keine An- nehmlichkeit bedeuten — in anderen Ländern sind sie jedenfalls noch weit höher. Der nttsiscd-japaniscbr Krieg. Die Ausreise des -ritten Geschwaders. Wie nach einer Depesche aus Petersburg nun mehr verlautet, ist als Ter m i n für die Ausreise des dritten Geschwaders der 8. und 9. Januar des nächsten Jahres ausersehen. - - „Für Tapferkeit." Dec Zar hat dem Kommandeur des 17. Armee korps, Bilderling, und dem Chef des Stabes Kuropatkins, Ssacharow, mit Brillanten ge schmückte goldene Säbel mit der Aufschrift „Für Tapfer keit" verliehen: die Wahl ist im einen wie im andern Falle unglücklich, da beide Generäle zu den am wenig sten verdienten aus der Zeit der Oberherrschaft A l c r e - jews gehören. Fürft Galitziu. Als wahrscheinlicher Nachfolger des Admirals Alexejew wird dem „Berl. Tagebl." in einem Petersburger Telegramm FürstGalitzin, der Generalgouverneur des Kaukasusgebietes, genannt. Die Mobilisierung Wolhyniens. Den Lemberger Polcnblättern wird aus Kiew be richtet, daß infolge der angekündigten Mobilisierung in Wolhynien die Gutsbesitzer sich massenhaft in die Städte flüchten, da Ausschreitungen der Reservisten befürchtet werden. InNadom demonstrierten vorgestern mehrere Tausend polnischer Sozialisten gegen die Mobilisierung und veranstalteten einen Aufzug, wobei sie regierungsfeindliche Rufe ausstießen. Die Polizei war nicht stark genug, die Demonstration zu verhindern. Unruhen auf Fornsosa. Die „Russische Telegraphen-Agentur" läßt sich aus Mukden melden, ein Teil der japanischen Territorialarmee sei zum Schutze der Bahn zwischen Hiroschima und Osaka, sowie zur Ergänzung der Polizeitruppe einberufen, die mit der Unterdrückung der im Kreise Takaupian auf Formosa ausgebrochenen U n - ruhen beschäftigt sei. Der „Afkol-" in Shanghai. Der „Standard" meldet aus Shanghai, vom 8. De- zember: Tas chinesische Kriegsschiff, welches den Kreuzer „Askold" bewachen sollte, hat, angeblich zu Reparaturzwecken, seinen Posten verlassen. „Askold" soll mit einer Maschinenausbesserung beschäftigt sein. Die demolierte Port Arthur-Flotte. * In Petersburg zirkulieren, wie es heißt, Gerüchte, nach denen schlimme Nachrichten aus Port Arthur eilige- troffen seien. Es scheint, als handle es sich darum, daß durch die japanische Beschießung der „P e r e s w j e t" i n Flammen aufgegangcn und der Panzer völlig verloren sei. Londoner Depeschen melden, daß nunmehr im Hafen von Port Arthur auch das Linienschiff „Sewastopo l" und der Kreuzer „Baja n" durch das japanische Feuer zerstört wurden und die russische Flotte jetzt vollkommen vernichtet sei. politische Lagerschau. Leipzig, 9. Dezember. Ungarisch-deutsche Verstimmungen. Zu der Unterbrechung der Verbandlungen über den dculsch-österreichisch-ungarischen Handelsvertrag teilt man der „Preuß. Korresp." von gutunterrichteter Seite mik, daß namentlich der starre Standpunkt der ungarischen Regierung die Verhandlungen auf den toten Strang geführt hat- Zwischen Deutschland und der ungarischen Regierung war eine Span nung bereits vorhanden, als der Handelsvertrag noch nicht zur Entscheidung gestellt war; die HandelsvertragSverhand- lungeu haben diese Spannung noch vermehrt. Die deutsche Regierung erblickt in dem Tisjafcben Auswanderungs gesetz eine schwere Schädigung der deutschen SchissahrtS- getelhchafteu und eine Verletzung der Freizügigkeit. Die Schiffahrtsgesellschaften haben bei der deutschen Regie rung Vorstellungen erhoben, und diese war natürlich bestrebt, die deutschen Interessen nach Möglichkeit in Schutz zu nehmen. Man hat eS der ungarischen Regierung natür lich übel vermerkt, daß die freundschaftlichen Vor stellungen des deutschen Botschafters, Grafen Wedel, keinerlei Entgegenkommen gefunden haben. In Pest aber hat man das bereits als den Versuch einer Einmischung der deutschen Regierung in ungarische innerpolityche An gelegenheiten angesehen und wurde verstimmt. Diese durch die ungarischen Auswanderungsvorschriflen hervorgerufeneu Gegensätze sind bis beute nicht ausgeglichen und haben das frühere herzliche Einvernehmen der beiden Regierungen gestört. Als einen weiteren Grund der Verstimmung zwischen Berlin und Ofen-Pest geben magyarische Blätter das geplante ungarische Volksschulge»etz an. Die deutsche Regierung habe bereits vorsichtig und takt voll die ungarische Regierung verständigt, daß, wenn Deutschland auch nicht beabsichtige, sich in ungarische Innen politik einzumifchen, die deutsche Regierung es doch für ihre Pflicht halte, die ungarische Regierung darauf aufmerksam zu machen, welchen unangenehmen Eindruck das Zustande kommen eines solchen gegen das Deutschtum Ungarns ge richteten Gesetzes in Deuychlanv hervorbringeu müsse. Daß die ungarische Regierung diesen Wink unbeachtet ließ, soll dazu beigelragen haben, die Spannung bei den Verhand lungen über den Handelsvertrag zu vergrößern. „Berliner Tageblatt" contra „Vorwärts". Eine P r e ß f e h d c, die allgemeineres Interesse be- ansprucht, wird demnächst ein gerichtliches Nachspiel fin den. Ter „Vorwärts" hatte das „Berl. Tagebl." dop pelter Moral beschuldigt, weil dies ihm mit Recht ein Messen mit zweierlei Maß vorgeworfen und sich dabei auf die „Schettler - Affäre" des Genossen Singer berufen lzatte. Der „Vonvärts" hatte mäch tig geschimpft auf die „zahlungsfähige Moral" der Schcttlcrschen Kunden, aber ebenso heftig geschwiegen, als man aufs Tapet brachte, daß auch Singers Schritte sich zu Schettler gelenkt haben. Als ihm dies vom „B. T." energisch klargemacht wurde, kam das sozial demokratische Zcntralorgan natürlich ins Gedränge und warf nun dem „B. T." vor, seine Handelsredaktion habe ihre Haltung eingerichtet nach der Beteiligung dieser oder jener Firmen am Anzeigenteil des Bianes. Dieser Angriff lwt ersichtliw mir crgenrluhen Gegenstand der Preßfebde nicku das >7»cr:noste zu tun — und das ist in den Augen des V»c.^r:s icdenfalls sein größter Vorzug. Im „B. D wird nun darauf mit folgender Erklärung aoanrnwrtci: Ter „Vorwärts stellt wiederholt die Behauptung auf, daß die Redaktion der Handelszeitung des „Bec- liner Tageblatts" sich in ihrer Haltung durch Rücksich- ten auf den Inseratenteil des ..Berliner Tageblattes" kiabe bestimmen lassen. Obwool iw erst kürzlich ohne jede Einschränkung dieser Behauptung entgegen- getreten bin (Nr. 603 des „Berliner Tageblatts") hält der „Vorwärts" an seiner Auffassung fest. Er spricht von festgestellten Tatsachen, obwohl er weiß, daß seine Behauptungen sich lediglich auf die Aus lassungen eines kleinen konservativen Finanzorgans stützen. Ich erkläre nunmehr nochmals ausdrücklich, daß der Verlag des „Berliner Tageblatts" niemals versucht hat, mich zu einer Verquickung meiner redak- Feuilleton. Die heilige Caerilie. 4Ss Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. „So, Gnäd'ge! Lassen's warm das kostbare Flöten- kehlerl verwahren!" Jung-Daniel wickelt der jungen Frau den weichen, langen Spitzenshawl um Kopf und Hals, so geschickt, wie die geübteste Kammerzofe. „Jetzt 'nein in den Wagen — und kein Wort draußen; wir haben ein' scharfen Frühlingswind, und hier d'rin gibt's a Siedhitz'n!" Annemarie nickt ihm dankend zu und spricht auch wirklich draußen und im Wagen kein Wort. Sie denkt, Oswald, der ja keine Singstimme zu schonen hat, wird zu ihr reden, sich mit ihr freuen, sie loben. Aber nein! Oswald bleibt ebenfalls stumm! Sie finden im Hotel bereits die ganze Familie um den gedeckten Tisch versammelt. Melanies Gatte hat Sekt beordert und wacht darüber, daß er kunstgerecht frappiert wird. Es gibt einen großen Aufstand, als Oswald mit der „Heldin des Abends" eintritti Alles stürmt auf Anne marie ein, will mit ihr trinken, reden, sie tätscheln, — die alten und jungen Herren der Familie machen heute und jetzt kein Hehl weiter aus ihren zärtlich-verwandt schaftlichen Gefühlen gegenüber dieser entzückenden Nichte und Cousine, — das haben sie fortan nicht mehr nötig! — Frau Mathilde Mentzel findet die ganze Scene über trieben und unnütz, — nun, mein Gott, ja, die junge Frau ist hübsch und hat gut gesungen, wenn auch mit einem merkwürdigen Raffinement für ihre Jahre, — aber cs bleibt doch noch abznwarten, ob wirklich eine Künstlerin aus ihr wird, ob sich all' diese hochfliegendcn Erwartungen, erfüllen werden! Bis jetzt hat daS enorme Talent nur Kosten verursacht, noch keinen Heller ein gebracht, — wozu das junge Geschöpf noch eitler, selbst bewußter machen, als es ohnehin ist? Und Oswald, — Oswald, der so herrlich gespielt, der sie aus dem Dunkel gezogen, ihr Namen und Stellung gegeben, — tritt er nicht ganz in den Hintergrund? Wer bekümmert sich um ihn? Keiner! Selbst dec eigene Vater, die eigenen Schwestern, — alles dreht sich um Annemarie. Nur Tante Ida tritt an ihn heran und streichelt ihn und sagt: „Es war sehr schön, Oswaldchen! Natürlich am meisten die Serenade!" was ihn wunderbarerweise zu verdrießen scheint, denn er runzelt die Stirn und setzt die Zähne auf die Unterlippe. „Ja, Kinder, nun hilft das alles nichts!" ruft Vater Mentzel in jovialem Ton, wie sic allo beim Braten sitzen und der Sekt in den flachen Glasfchalcn perlt. „Unsere Annemarie macht weiter Carricrc und wenn sie zehnmal geheiratet hat und meine Schwiegertochter geworden ist. Gib dich d'rein, Oswald, mein Sohn. Eine Frau mit solcher Stimme, — das ist kein Blümchen, das im ver borgenen blüht! Die heutige Chose hat es uns gelehrt, — das Gesindel, die Künstler und Kritiker, die geben doch nicht eher Ruhe, als bis sic unsere Kleine da haben, wo sie sie haben wollen, — nämlich, in der Ocffcntlich- keit! Also gute Miene zum bösen Spiel gemacht, Ostvald, und sie diesem Jung-Daniel in die Arme geworfen, daß er ihr den letzten Schliff gibt, — soll ja ein Teufelskerl sein und Erfolge haben, wie'n Matador!" „Alfred, du redest ein greuliches Deutsch und bedienst dich frivoler Wendungen!" mahnte Frau Mathilde leise. „Gott soll mich bewahren, Tildchen, teures Ehe- gespons!" Dem Direktor war der Ruhm der Schwieger tochter, wie der Sekt, gleicherweise zu Kopf gestiegen, er war keiner Warnung zugänglich. „Soll ich mich nicht freuen, wenn wir jetzt zwei geniale Kinder haben, — was? Und wenn ich auch als Vater den ersten Toast nicht bringen kab.n" „So bringe ich ihn als Onkel und als Familien ältester!" fiel Geheimrat Wessel dem Schwager wohl- gemut ins Wort. „Unsere Sängerin und der Komponist der „Serenade", sic sollen leben! Hurra — Hurra — Hurra!" Ein fröhliches Gläscrklingen, ein Stimmendurch einander! Alles im Knäuel um Oswald und Annemarie herum, die Arm in Arm stehen und sich beglückwünschen lassen! Oswalds Stimmung ist im Nu umgeschlagcn, — er sieht, er kann einstweilen nichts machen, er mutz mit dem Strom schwimmen! Sie ist entzückend, seine Anne marie, und datz sie ihn nicht überflügelt, — nun, dafür wird er schon sorgen! Eine schöne, begabte Frau, .... warum nicht? Eine berühmte, die mit ihm konkurriert nein! Niemals! Aber das wird nicht — kann nicht sein! Er muß heraus aus dieser Schlaffheit und Trägheit, er muß den Leuten zeigen, was er kann! Wäre nur dies Partiturenlcrnen nicht, dies Einfuchsen von Opern, der tägliche Aerger mit diesen stupiden Kerlen beim Orchester! — Unsinn! Sich jetzt nickst die Laune damit verderben! Sein ist sie, — ihm gehört sie, .... Freya, die Frühlingsgöttin! Mögen sie alle bersten vor Neid! Er legt den Arm um sie und singt ihr die ersten Takte der „Serenade" ins Ohr. Sie lächelt ihn an. „Die süße — süße Melodie! Die tragen heute all' die Hunderte im Herzen mit heim!" Es ist gegen Morgen schon, als sie endlich nach Hause kommen. Und auf dem kleinen, koketten, mit rosa Seide umhangenen Toilettentisch der jungen Frau siegt ein Brief, — ohne Postmarke und Stempel, aber mit Anne maries voller Adresse. „Wer hat ihn gebracht,' Pauline? Wann ist er ge kommen?" Pauline reibt sich Augen und Stirn, — sie ist sehr schlafestrunkcn. - «Wann? Es muß schon nach elf Uhr gewesen sein; der Portier hat ein Trinkgeld bekommen und hat mir den Brief so spät noch heramgebracht. Ein Dienstmann hat ihn unten abgegeben, hat nichts weiter zu bestellen gehabt." „Schön, Pauline! Helfen Sie mir nur, das Kleid abziehcn und die Schuhe, — vorsichtig! Geben Sie mir den geblümten Pcignoir, — w? Sie können gehen? Gute Nacht!" „Gute Nacht!" Mit einem wohligen Vorgefühl öffnet Annemarie ihren Brief. Gewiß ein Hymnus aus ihren Gesang von irgend einem unbekannten Verehrer wohl gar ein Gedicht Oswald steht hinter ihr, sieht ihr über die Schulter. „Gnädige Frau! Tic Serenade, welche Ihr Gemahl heute öffentlich gespielt und auf dem Programm als seine eigene Komposition, ogus 5, ausgegeben hat, ist von Andro Villot in Paris, einem jetzt in Belgien lebenden Musiker und ehemaligem Freund Ihres Mannes, ver faßt. Sagen Sie dem ehrenwerten Herrn Kapellmeister dies ins Gesicht, und sehen Sie zu, ob er es wagen wird, zu leugnen. — Nur die Rücksicht auf Sie, meine gnädige Frau, auf Ihre Jugend, Schönheit und hohe Begabung hält mich davon zurück, den Plagiator öffentlich zu brand- marken, wie er es verdient. — Im übrigen wird ihm auch der falsche Glorienschein als sogenannter Komponist der Serenade nicht lange mehr nützen; bald wird seine Rolle in der musikalischen Welt ausgespiclt sein. Der wahre Künstler von Ihnen beiden sind Sie! Ein unbekannter Freund." Annsniaries Gesicht ist ganz blaß geworden. Sie macht sich von dem Arm, der immer noch ihre Schulter umfaßt hält, frei, blickt Oswald ins Gesicht. „Tas ist doch eine zu nichtswürdige Verleumdung!" Ihre mutigen, jungen Augen strahlen eine ehrliche Ent- rüstung aus. „Anonym zu schreiben — mir das zu
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