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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.08.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010801012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901080101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901080101
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-08
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Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes nn- Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzekgen-PreiS die Sgespaltene Petttzeile LS Neelameu unter dem Redacnon»strich (L gespaUea) 7S vor dea FamUienuach» richten (S gespalten) SO Dabellartscher und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühre» für Nachweisangea und Offerteuaaaahm» LS H (excl. Porto). Extra.Beilagen (gesalzt), anr mit der Morgen-Ausgab«, ohne Postbeförderuug 60.—, mit Postbesärderung 70.-^ Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab«nd-Lu»gab«: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AnSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bet den Filialen and Annahmestellen je »tue halb» Stund« früher. Anzeigen find stet» an die Expedition zn richten. Die Expedition ist Wochentag» nnunterbrochru geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- t» Leipzig 387. Donnerstag den 1. August 1901. SS. Jahrgang. Die französischen Flottenmanöver im Mittelmeer. ö. Die nunmehr beendeten französischen Flottenmanöver bean spruchen in diesem Jahre besonderes Jntresse, da sich das fran zösische Mittelmeergeschwader mit der „Escadre du Nord" zu ihnen in außergewöhnlicher Stärke vereinigte, so daß bereits in England Besorgnisse hinsichtlich der französischen Flottenan sammlung von 41 Kriegsschiffen mit 15 000 Mann Bemannung und 1012 Geschützen bei Toulon rege wurden und, wie es scheint, zu dem unlängst erfolgten starken Geschwaderzusammenzuge von 10 englischen Panzerschiffen, 9 Kreuzern, 14 Torpedoboot zerstörern und 15 Torpedobooten bei Rapallo Anlaß boten. Bereits im Borjahre hatte das französische Mittelmeer- geschwader im Verein mit dem Nordgeschwader im Atlantischen Ocean unter der Leitung des Admiral Gervais, jedoch abgesehen von einigen elementaren Evolutionen, nicht gegen einen Flotten gegner manövrirt, und hatten jene Manöver zu interessanten, allerdings in mehrfacher Hinsicht nicht zufriedenstellenden Er gebnissen geführt, deren Lehren bei den diesjährigen großen Manövern mit Gegner zur Verwendung gelangen sollten. Allerdings erfordern diese combinirten Manöver eine starke Ausgabe für Brennmaterial und belasten das Marinebudget nicht unerheblich, allein in französischen Fachkreisen hat man endlich erkannt, daß sie den verschiedenen Geschwadern einen derartigen Zusammenhang und eine solche Homogenität verleihen, daß man ihre Wiederholung und, wie es scheint, dauernde Anordnung leb haft willkommen heißt. Diese Entwickelung starker Streitkräfte und Vereinigung zahlreicher taktischer Einheiten, betont man, gestatte, bis dahin nur theoretisch zugängliche Aufgaben zu lösen. Ueberdies verliehen sie, indem sie schon im Frieden zwei in der Regel selbstständige Geschwader ein und demselben Befehlshaber unterstellten, diesen beiden Organismen Einheitlichkeit der Ziele und des Verfahrens, eine Einheitlichkeit, ohne welche diese dieselbe Flagge führenden Geschwader ohne Homogenität nebeneinander kämpfen würden, wie etwa diejenigen zweier verschiedene Sprachen sprechender Nationen. Im Vorjahre vereinigten sich die beiden Geschwader, wie er wähnt, im AtlantischenOcean zu Uebungen, jedoch ohne Flotten gegner, in diesem Jahre wurde das Mittelmeer zum Schauplatz ihrer Uebungen mit Gegner, sowie gemeinsamer Operationen gewählt. Ein besonderes Interesse knüpfte sich schon an die Manöver- Idee, die darin bestand, daß eine Macht sich im Kriege mit den beiden Mächten L und 6 befindet. hat sein Hauptgeschwader im Mittelmeer, allein eine Division dieses Geschwaders, die Division befand sich bei Beginn der Feindseligkeiten im At lantischen Ocean im Begriff, die Meerenge von Gibraltar zu passiren. Die beiden Verbündeten Mächte L und 0 hatten ihre Flotten im Ocean bezw.demMittelmeer und suchten diese, sich zu vereinigen, um zu bekämpfen. Die ^.-Flotte war stärker, wie das L- und 6-Geschwader einzeln, allein schwächer, wie ö und 0 vereinigt. Das Hauptziel der ^.-Flotte war, das L- und 6- Geschwader getrennt zu bekämpfen, als zweites Ziel suchte dieselbe die Division an sich heranzuziehen, die ihm die Ueberlegenheit über den Gegner geben sollte, selbst wenn derselbe vereinigt sei, denn in jenem Fall war die ^.-Flotte, wie erwähnt, stärker wie die L- und 6- Geschwader zusammen. An diese Manöver-Idee knüpfte sich in französischen Fach kreisen die Behauptung, sie scheine denjenigen Annahmen und Er wägungen entsprechen zu sollen, die in der vor mehreren Jahren dem Admiral Aube zugeschriebenen Schrift „1.6 pöril maritime" Vertretung sanden,>und die von besonderem Interesse seien, denn sie faßten eineVereinigungder deutschen müder italienischen Flotte im Mittelmeer im Falle eines Conflicts mit dem Dreibund ins Auge und betrachteten diese Vereinigung als eine große Gefahr für Frankreich. Es werde bei ihnen ein deutsches Geschwader angenommen, welches von der französischen Canalflotte, der „Escadre du Nord", bei Cherbourg erwartet würde. Das deutsche Geschwader könne jedoch, wurde bemerkt, da Alles im Kriege möglich sei, die 1100 Seemeilen, die es dort von Tanger trennten, mit 14 Knoten Geschwindigkeit in 78 Stunden zurücklegen, in Tanger Kohlen und Lebensmittel etn- nehmen und am vierten Tage nach seiner Abfahrt von Cherbourg, nachdem der Telegraph kaum sein Eintreffen an der afrikanischen Küste meldete, ins Mittelmeer einlaufen und sich mit der italieni schen Flotte vereinigen. Die Vereinigung der deutschen und italienischen Flotte im Mittelmeer sei in jenem Conslictsfall außerordentlich wahrscheinlich, denn es liege im Interesse der Gegner Frankreichs, sie zu versuchen. Es möge, bemerken wir, bei dieser französischen Annahme un berücksichtigt bleiben, ob, wenn das französische Canalgcschwader den bei Cherbourg nur 13 deutsche Meilen breiten Canal oder denselben im nur 4^ Meilen breiten Pas de Calais mit seinen Kreuzern zweckmäßig beobachtet, ein Vorbeigehen des deutschen Geschwaders an ihm ohne Kampf überhaupt möglich, und ob es für das letztere gerathen ist, von Cherbourg, Brest, L'orient und La Rochelle aus in seiner Verbindung bedroht, sich zu einer so weit ausholcnden Operation ins Mittelmeer zu begeben und dort im Falle eines öotreos hinsichtlich seiner Kriegsmaterial-, Munitions- und Mannschaftsergänzung nur auf die italienischen Kriegshäfen angewiesen zu sein, wohin dieselbe allerdings — ob rechtzeitig, ist jedoch fraglich — per Bahn aus Deutschland heran geschafft werden könnte. Immerhin aber konnte die Annahme der „xeril maritime" den französischen Flottenmanövern zu Grunde liegen und deren Generalidee hätte sich demzufolge im concreten Falle etwa folgendermaßen gestaltet. Das deutsche Geschwader (die französische Canalflotte) hat die Höhe von Gibraltar erreicht und approvisionirt sich in Tanger, um alsdann seine Vereinigung mit der italienischen Flotte, der Anfang Juli bei Philippeville liegenden leichten Division des französischen Mittelmeergeschwaders, zu bewerkstelligen. Das französische Geschwader, bestehend aus den Panzerdivisionen der Mittelmeerflotte, und daher stärker wie jedes der feindlichen Ge schwader, hält sich an der algerischen Küste, um den Bewegungen der Gegner zu folgen, Fühlung mit ihnen zu gewinnen, eventuell über sie einzeln herzufallen und sich ihrer Vereinigung zu wider setzen, während ein anderes, aus der Küstenpanzerdivision be stehendes, ziemlich langsames französisches Geschwader aus dem Atlantischen Ocean herbeikommt, um zum französischen Mittel meergeschwader zu stoßen, und ihm zu gestatten, den Kampf mit den beiden fremden Flotten aufzunehmen. In französischen Fachkreisen ist man der Ansicht, daß sich diese Generalidee der wirklichen Manöveridee wahrscheinlich sehr näherte; man hätte jedoch ebenso gut zwei von Gibraltar und Malta kommende englische Geschwader als Gegner annehmen können, denen gegenüber dem französischen Mittelmeergeschwader die Aufgabe zufiele, sie möglichst unter Heranziehung der Division einzeln anzugreifen und zu schlagen. Die in ihrem ersten Theil beendeten Manöver mit Gegner hatten große Ähnlichkeit mit den englischen Flottenmanövern der letzten Zeit, jedoch bestand ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen. Zwar wurde bei den französischen wie bei den englischen Flottenmanövern den Höchstcommandirenden jede Operations freiheit gelassen, allein den derzeitigen Manövern im Mittelmeer lag die Annahme zu Grunde, daß ihnen der Gegner, mit dem sie zu thun hatten, unbekannt sei und daß sie daher keinen Entschluß fassen und danach agiren konnten, bevor sie über ihn Aufklärung erlangt und sich über seine Stärke und Geschwindigkeit ver gewissert hatten. Diese Bedingungen aber näherten die Manöver möglich st der Kriegswirklichkeit. Am 20. Juni, 10 Uhr Morgens, verließ das Mittelmeer geschwader Toulon und nahm seinen Cours nach Algier, während das Nordgeschwader am 21. Juni von der Rhede von Brest aus lief und den Curs nach der Straße von Gibraltar einschlug. Zwei Tage vorher hatten die Küstenschuhpanzerfahrzeuge Bou- vines und Admiral Tröhouart, von Cherbourg kommend, sich bei Brest mit dem Nordgcschwader vereinigt. Das Mittelmeergeschwader unter dem Befehl des Admiral Maigret bestand aus den sechs Panzerschiffen „Saint-Louis", „Charlemagne", „Gaulois", „Charles Märtel", „Jaurßguiberry", und „Brennus", den drei Panzerkreuzern „Pothuau", „Latouche Tröville" und „Chanzy", den vier geschützten Kreuzern „Cassard", „Lavoisier", „Linois" und „Du Chayla", den drei Torpedoboot jägern „Dunois", „Pique" und „Espignole", sowie den beiden Geschwader-Torpedobooten „Cyclone" und „Flibustier". Das Geschwader ließ bei seiner Abfahrt von Toulon mehrere Fahr zeuge zurück, die bei Algier zu ihm stoßen sollten, und zwar das Schlachtschiff „Bouvet", auf dem Admiral Gervais am 26. Juni seine Flagge hißte, den Kreuzer „Galilei", den Torpedoboot jäger „Hallebarde", die den „Bouvet" begleiten sollten, und den Torpedokreuzer „Foudre", der dem Geschwader Reservisten zu führen sollte. Die sämmtlichen Gefechts-Einheiten des Mittelmeer geschwaders waren seit längerer Zeit in Dienst gestellt, sehr gut trainirt und gefechtsbereit. Nur zwei, bis Anfang Juni der Re serve angehörige, das Schlachtschiff „Brennus" und der Kreuzer „Lavoisier", befanden sich in anderer und offenbar minder- werthigerer Verfassung. Die Indienststellung dieser Fahrzeuge, namentlich des „Brennus", vollzog sich nicht ohne Mühe und illustrirte den Personalmangel der französischen Flotte deutlich. Der „Brennus", dessen normale Besatzung 685 Mann beträgt, erhielt nur 370, und von ihnen war überdies die weit über wiegende Mehrzahl erst seit wenigen Monaten, und selbst Tagen zur Flagge einberufen. Betreffs seiner hier und da entnomme nen Officiere galt dasselbe numerische Verhältniß. Der Marine minister hat jüngst die Zahl der Wachtofficiere der Panzerschiffe von 6 auf 5 vermindert, eine Maßregel, die zwar den Dienst betrieb in Friedenszeiten sicherstellt, von der dies jedoch in Kriegs zeiten bei dem noch erhöhten Wachtdienst und den alsdann ein tretenden Strapazen fraglich ist. Das Mittelmeergeschwader zählte somit bei seinem Auslaufe aus Toulon bei prächtigem Wetter am 21. Juni, Morgens 10 Uhr, 18 Gefechtseinheiten. Die Fahrtgeschwindigkeit seiner Schlachtschiffe betrug nur 9 Knoten, während die Kreuzer, an ihrer Spitze der „Pothuan", vorausgingen und bald am südlichen Horizont verschwanden. Sie waren beauftragt, während der Manöver mit der drahtlosen Telegraphie Versuche anzustellen, mit deren Apparaten die meisten ausgerüstet waren, und sich mit den Schlachtschiffen „Saint Louis" und „Charles Märtel", die diese Apparate ebenfalls besitzen, in Verbindung zu setzen. Die Appa rate functionirten sehr gut und es konnten mehrere Male De peschen auf 10 bis 12s^ deutsche Meilen vermittelt werden, ein, im Vergleich zu dem von Marconi selbst erzielten, sehr zufrieden stellendes Resultat. Ueber den näheren Verlauf und die Endresultate der Manöver stehen eingehendere Berichte noch aus Dieselben gestalteten sich in großen Zügen folgendermaßen. Die ^-Flotte lief am 1. Juli von Algier auö und suchte mit dem leichten L-Ge schwader Fühlung zu bekommen, worauf sie dasselbe angriff und kampfunfähig machte, da seine Kreuzer „Bruix", Feuilleton Johann Philipp Spitta. Zum 100jährigen Geburtstage des Dichters voll „Psalter und Harfe" (1. August). Von Paul Pasig (Ilmenau). ?!a<ltrr<k vtiloien. Während die Gegenwart, die in der Hauptsache im Zeichen des „Realismus" steht, sich im Allgemeinen gegen die idealen Bestrebungen, zumal auf dem Gebiete der lyrischen Dichtkunst, ablehnend verhält, ist es eine ebenso auffällige wie erfreuliche Erscheinung, daß gewisse Sänger, wie Geibel, Sturm, Gerok u. A., sich dauernd der Gunst des besseren Lesepublicums er freuen. Das liegt nicht allein darin, weil diese Dichter die unverfälschte Herzenssprache des Gemüthes reden, sondern zum guten Theile auch in der mustergiltigen Form derselben. Die Poesie ist eben eine geheimnißvolle Macht, deren sanftem Zwange das Herz sich um so bereitwilliger fügt, je einschmeichelnder die Form ist, in die er sich kleidet. Dies gilt auch ohne jede Ein schränkung von den Dichtungen Spitta's, der als der erste unter den geweihten Sängern des vorigen Jahrhunderts neben Julius Sturm, Karl Gerok u. A. von nicht unwesentlichem Einflüsse auf die Entwickelung der ernsten Dichtung dieser Zeit gewesen ist. Karl Johann Philipp Spitta wurde als Sohn eines in überaus dürftigen Verhältnissen lebenden Sprachlehrers am 1. August 1801 in Hannover geboren. Den Vater verlor er bereits in seinem vierten Lebensjahre, wo durch sich die häuslichen Verhältnisse noch trüber gestalteten. Gleichwohl ermöglichte ihm die fleißige Mutter den Besuch des Gymnasiums, dem er aber nur bis Tertia angehörte. Denn eine gefährliche Krankheit nöthigte ihn zum Verlassen der Schule, und als der Knabe sich wieder erholt hatte, waren die Mittel so weit aufgezehrt, daß an eine Fortsetzung der Studien nicht zu denken war, und der Knabe kam zu einem Uhrmacher in die Lehre. Aber diese mechanische Thätigkeit sagte seinem regen Geiste nicht zu: sein Wunsch war, studiren zu können. Endlich, >m Herbst 1818, gab die Mutter nach und ließ unter schweren Opfern den Sohn durch Privatlehrer vorbereiten, so daß der selbe bereits nach einem halben Jahre angestrengtesten Fleißes in die Prima des Gymnasiums ausgenommen werden konnte. Zwei Jahre später, im Jahre 1821, bezog er die Universität Göttinnen, um sich dem Studium der Theologie und ver wandter Drsciplinen, wie Sprachen, Literatur, Philosophie u. a., zu widmen. Man darf nun keineswegs denken, daß der Jüng ling hier zu den sog. „Kopfhängern" zählte. Jugendlicher Frohsinn und Genuß der reinen Freuden des Daseins waren sein Lebenselement. Darum trat er als eifriges Mitglied der Burschenschaft bei und nahm lebhaften Antheil an dem da mals überaus regsamen Studentenleben. Im Jahre 1824 be reits trat er nach glücklich bestandenem Examen ins Philistertum Aber, ward zunächst vorübergehend Hauslehrer, dann Pfarr- ßehilfe, und erhielt im Jahre 1830 — für die damalige Zeit «ußergewöhnlich früh —- die verantwortliche Stelle eines varnisonpfarrerS und Seelsorgers an der Strafanstalt zu Hameln. Hier wirkte er sieben Jahre in reichem Segen namentlich durch seine milde, versöhnliche Auffassung und volks- shümliche, von poetischem Hauche durchwehte Darstellung der christlichen Heilstehren, bis er im Jahre 1837 als Pfarrer nach Wecholdbei Hoya, und zehn Jahre später als Superintendent nach Mittigen im Lüneburgischen berufen wurde. Nach sechsjähriger Wirksamkeit in diesem umfangreichen Amte er folgte im Jahre 1853 Spitta's Versetzung nach Peine im Fürstenthum Hildesheim, von hier nach Burgdorf (Han nover), wo er kurz darauf, am 26. September 1859, als Superintendent im kräftigsten Mannesalter verschied. Spitta's dichterische Thätigkeit beschränkt sich im Unter schiede von den geistesverwandten jüngeren Dichtern Gerok und Sturm ausschließlich auf das lyrische Gebiet. Wir be sitzen von ihm folgende Sammlungen: Vor Allem die in aller Welt bekannte, zuerst im Jahre 1833 erschienene, unter dem Titel: „Psalter und Harfe", jetzt annähernd in 50 Auf lagen verbreitet; sodann eine zweite Sammlung, die zuerst im Jahre 1842 erschien und deren Verbreitung die von „Psalter und Harfe" fast erreicht; endlich „Nachgelassene geistliche Lieder", zuerst 1861 erschienen und seither wiederholt neu aufgelegt. Spitta bewies, daß die dichterische Verwerthung religiöser Ge danken weder an die Form des Epos, noch an die des eigentlichen geistlichen oder „Kirchenliedes" gebunden ist. Zwar haben einige seiner Lieder, wie z. B. „O komm, du Geist der Wahr heit", „Wort des Lebens, lautre Quelle", „O du schönes Welt gebäude", „Bei dir, Jesu, will ich bleiben", „Kehre wieder, kehre wieder", „Vollendet hat der Tag die Bahn", „O du Vater über Alles" u. a. m., Aufnahme in unsere besten neuen Gesangbücher gefunden. Aber zu Kirchenliedern bestimmt und sangbar als solche sind doch nur die wenigsten der Spitta'schen Lieder. Vielmehr sind es freie Ergüsse eines frommen, von seinem Gotte ergriffenen und in ihm zum Frieden und zur Freude gelangten Gemüthes, in geradezu vollendeter dichte rischer Form, die, weil sie den Zauber der Melodie in sich traor, auch zu musikalischer Gestaltung drängt. Spitta ist Optimist von reinstem Wasser, und selbst da, wo er in ergreifenden Rhythmen zur Buße und zur Einkehr mahnt, oder an den Gräbern geliebter Tobten weint, oder in ernsten Worten auf die jenseitige Vergeltung hinweist, nichts von weichlicher Senti mentalität, von himmelnder Gefllhlsseligkeit, von zelotischem Bekehrungseifer! Selbst in solchen Nachtgemälden weiß des Dichters Auge den milden, versöhnenden Strahl des sanften Mondes zu entdecken, und über all das menschliche Elend, wie immer es heißen möge, breitet sich ihm der lichte Himmel mit seinem allliebenden göttlichen Vaterherzen aus. Besonders weihevoll erklingen die Lieder, in denen der Dichter die Herrlich keit der schönen Gotteswelt feiert, die ihm freilich nicht um ihrer selbst willen ein Gegenstand aufrichtigster Bewunderung ist, sondern als lebendiges Zeugniß der ewigen Liebe und als deutlich wahrnehmbare» Gleichniß und Sinnbild himmlischer Dinge. In dieser Natursymbolik steht Spitta fast unerreicht da, und daß er mit ihr nicht nur den Forderungen geläuterter Naturbetrachtung überhaupt, sondern zugleich auch den tiefsten Bedürfnissen frommer Gemllther entsprochen hat, mag darin erkannt werden, daß seine Dichtungen, die frei sind von allem starren Dogmatismus und todtem Buchstabenglauben, mit gleichem Genüsse und zu steter Erbauung von allen wahrhaft religiös fühlenden Seelen, gleichviel welcher Richtung an- gehörig, gelesen werden: „es sind eben allgemein sittlich-religiöse und daher echt menschliche Saiten, die der Dichter anschlägt, und die daher bei Allen, deren Inneres noch nicht in ödem Mate rialismus erstickt oder in flachem Atheismus und kaltem Egoismus verknöchert und erstarrt ist, lebendigen Widerhall er- wecken. In wessen Herzen erwachte nicht mit dem fröhlich auf. glühenden Ostermorgen da» wonnige Gefühl neuer Lebens freude beim Lesen von Spitta'» „Osterfeier": „Wandle, leuchtender und schöner, Ostersonne, deinen Lauf, Denn dein Herr und mein Versöhner Stieg auS seinem Grabe auf. Als das Haupt er sterbend beugte. Bargst du dich in nächt'gen Flor; Doch jetzt komm hervor und leuchte. Denn auch er stieg längst empor!" Dabei vergißt der Dichter nicht, ernst und eindringlich zur eigenen Auferstehung zu ermahnen, und kommt zu dem Schluffe: „Sich', dein Herr ist auferstanden, Daß du könntest auferstehn, Aus der Sünden Haft und Banden In die schönste Freiheit gehn. Willst du ihm dich nur ergeben, Streift er deine Ketten ab. Und du siehst dein altes Leben Hinter dir als leeres Grab." „Am Morgen" schweift des Dichters Blick von der in pur purner Pracht aus Nebeln auftauchenden Königin des Tages hin zu jener anderen Sonne, deren milder Schein den Abend seines Lebens verklären möge: „Im Osten flammt empor der gold'ne Morgen, Und Alles, was die finstre Nacht verborgen, Wird offenbar, erhellt vom Sonnenlicht: Und all' die Wälder, all' die Höh'n und Tiefen, Die eingehüllt im Nebelbette schliefen, Steh'n glänzend vor der Sonne Angesicht" . . . Und nun die Bitte: „Du rechte Morgensonne meines Lebens, O leuchte mir denn heute nicht vergebens, Sei du mein Licht, wenn ich im Dunkeln steh', Umleuchte mich mit Glanz und Heil und Wonne, Daß ich mit Freuden in die Abendsonne Am Ende meiner Erdenwallfahrt seh'." Am Abend betrachtet er sinnenden Blickes die Blumen — was lehren sie ihn? „Die Blumen müssen wohl schweigen, Kein Ton ist Blumen bescheert, Doch, stille Beter, neigen Sie alle das Haupt zur Erd'. Wohin ich gehe und schaue, Ist Abendandacht. Im Strom Spiegelt sich auch der blaue, Prächtige Himmelsdom. Und Alles betet lebendig Um eine selige Ruh', Und Alles mahnt mich inständig: O Menschenkind, bete auch du!" Die Lieder zum Preise der herrlichen Gotteswelt stellen wir unbedenklich den trefflichsten ihrer Art an die Seite, und sie zählen zu den Perlen unserer Lyrik. Unserem Dichter ist die Erde in ihrem bunten Frühlingsgeschmeide der Schemel für die Füße ihres Schöpfers, und m den leuchtenden Sternen sieht er den prächtigen Schmuck seines Thrones: an beiden sich von Herzen zu freuen, ist die dankbare Pflicht jedes Menschen. Aber dabei soll er eingedenk bleiben: „Wenn am Schemel seiner Füße, Wenn am Thron schon solcher Schein: O was muß an seinem Herzen Erst für Glanz und Wonne sein!" Die Lilie auf dem Felde, die köstlicher gekleidet ist denn Salomo in all' seiner Herrlichkeit, ist ihm eine weise Lehr meisterin, von der er bekennt: „Du schöne Lilie auf dem Feld, In aller deiner Pracht Bist du zum Vorbild mir gestellt, Zum Lehrer mir gemacht. Du schöne Lilie auf dem Feld, Du kennst den rechten Brauch, Du denkst: der hohe Herr der Welt Versorgt sein Blümchen auch." Das „Frühlingswunder" erweckt seinen Sinn zu frohem Hoffen, und die lebenskündende Auferstehungsbotschaft weiß er beredt zu deuten: „Ueberall erschallt es deutlich: Leben ist vom Tod erwacht! Und die Erde schmückt sich bräutlich, Und der blaue Himmel lacht! Komm, dies Wunder anzusehen. Freu' dich, Seele, inniglich: Gott läßt seinen Odem wehen. Und der Frühling kommt für dich!" „Im Winter" sieht er eine ernste Leichenpredigt „von er bauungsvollem, tiefem Sinn", die ihm zuruft: „Was die Erde hat, kann nicht bestehen, Ihre Gabe heißt Vergänglichkeit! Aufwärts zu dem Himmel mußt du sehen. Suchst du ew'ge Schön' und Herrlichkeit." Manche Lieder, wie „Es zieht ein stiller Engel durch dieses Erdenland", „Ich nehme, was du mir bestimmst", „Es kennt der Herr die Seinen" u. a. m., sind so volksthümlich geworden, daß sie stets gern gesungen und gehört werden. Anderen wieder wohnt eine so reiche Fülle tröstlicher Gedanken inne, daß man nicht müde wird, bei gebotener Gelegenheit sie immer aufs Neue zu lesen, um immer aufs Neue sich an ihrem lauteren Trost quell zu erquicken und zu erbauen. Dies gilt u. A. von „Ab schied", das Manchem schon des Scheidens Weh verklärt und die Scheidestunde zu einer Segensstunde gemacht hat, von der eS nun heißt: „So sei denn diese Stunde Nicht schwerem Trennungsleid, Nein, einem neuen Bunde Mit unserm Herrn geweiht! Wenn wir uns ihn erkoren Zu unserm höchsten Gut, Sind wir uns unverloren. Wie weh auch Scheiden thut." Und wer, zumal in unseren Tagen, lernen will, sich in die mancherlei schwierigen Lagen des irdischen Daseins, das nur wenige Auserwählte auf Rosen bettet, zu schicken, der folge nur dem „Engel der Geduld": „Er macht zu linder Wehmuth Den herbsten Seelenschmerz, Er taucht in stille Dcmuth Das ungestüme Herz. Er macht die finstre Stunde Allmählich wieder hell, Er heilet jede Wunde Gewiß, wenn auch nicht schnell." So behalten Spitta's Gedichte als vorzügliche Zeugnisse eines harmonisch gestimmten, kindlich gläubigen Gemüthes für alle Lebenslagen dauernden Werth, ein neuer Beweis für die alte Thatsache, daß die Harfen unserer Sänger nie reiner und voller erklingen, als wenn sie nach dem Vorbilde des königlichen Sängers alten Bundes an den Stufen des Allerheiligsten rauschen.
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