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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.12.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011217025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901121702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901121702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-17
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Ämlobkatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Polizei-Amtes der LLadt Leipzig. Dienstag den 17. December 1901. Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile LL Ls. Reklamen unter dem RedactionSstrich (»gespalten) 75 vor den Familiennach richten (6 gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 35 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ÜO.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmtschlub für Änzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Di« Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 95. Jahrgang. Her Krieg in Südafrika, vatha verwunden Der Oberbefehlshaber der Boeren, Louis Botha, soll be kanntlich nach «nur sehr unbestimmten und nicht als amtlich, aber auch nicht als Reutermeldung gekennzeichneten tele graphischen Nachricht vom 5. December, die angeblich vom Censor bis zum 16. December zurückgehalten worden ist, an einem be reits vor dem 5. December liegenden Tage in einem Gefecht beiLuneberg (wahrscheinlich ist Luneburg gemeint. D. R), etwa 200 Kilometer nordwestlich von Nkandhla und beinahe ebenso weit südöstlich von dem Geländedreieck Belhel-Karolina- Ermelo, durch einen Schuß unterhalb des linken Knies ernstlich verwundet fein. Die Richtigkeit dieser Nachricht halten wir für höchst unwahrscheinlich. Eine ernstliche Verwundung des Generals Botha, der neben De Wet und Delarey der gefährlichste Gegner der Engländer ist, würde, wie die „Berl.N.N." zutreffend bemerken, ein Ereigniß von einer solchen Bedeutung für den afrikanischen Krieg fern, daß selbst der ungeschickteste Censor eine Meldung darüber nicht zurückhalten würde. Im Gegen- theil wäre anzunehmen, daß der britische Oberfeldherr persönlich eine Meldung darüber erstattet haben würde, die zu ihrer Ver öffentlichung in London nicht länger als höchstens 24 Stunden gebraucht haben würde. Nach der jetzt vorliegenden nichtamt lichen Mittheilung müßte aber Botha's Verwundung schon vor etwa zwölf Tagen geschehen sein. Dieser Vorfall bringt den Bericht vom 7. December aus Carnarvon in Erinnerung, nach welchem der Commandant Maritz, auch einer der vielen tüch tigen Boerenfiihrer, im südwestlichen Theile der Capcolonie durch einen Schuh m die Brust, wobei ihm Stücke seines zerschmetterten Revolvers in die Brust gedrungen seien, schwer verwundet sein sollte. Eine Bestätigung dieses Berichts ist bisher nicht bekannt gegeben. Der Zweifel an der Richtigkeit der Meldung über Botha's Verwundung erscheint aber auch noch deshalb ge rechtfertigt, weil ei nicht glaublich ist, daß Botha am 5. De cember oder kurz vorher in Luneburg gewesen ist. Vermuthlich ist er aus dem Gelände zwischen Karolina, Bethel und Ermelo seit längerer Zeit nicht herausgekommen, es sei denn, daß er vor den gegen ihn operirenden Colonnen der Generäle Bruce Hamilton, Spencer und Plumer nach Norden ausgewichen ist. Mit Sicherheit über den Aufenthalt des Generals Botha zu urtheilen, ist jedoch ganz unmöglich, die englischen Truppen befehlshaber wissen augenscheinlich selbst nicht darüber Bescheid. Wunderbar klingt eS, daß der ernstlich verwundete, noch dazu im Bein getroffene Botha durch Verkriechen in einen Busch den Verfolgern entgangen ist. Waren die Verfolger von Botha vielleicht noch schwerer verwundet als er, so daß sie ihm nicht in den rettenden Busch nachkriegen konnten, um diesen wichtigen Fang zu machen, der doch sicherlich von Lord Kitchener königlich belohnt worden wäre? — Wir halten also vorläufig bis zum Eingang amtlicher Aeußerungen die Nachricht von Botha's ernst licher Verwundung für ebenso unrichtig, wie die von der schweren Verwundung des Commandanten Maritz * London, 16. December. Das „Reuter'sche Bureau" meldet auS Nkandhla (Zululand vom 12. December: Die Boeren ziehen sich von Neuem an der Grenze deS ZululandeS im Babanango-District zusammen. In der letzten Nacht erschien eine kleine Abtheilung in der Nähe deS FortS Prospekt, > politische Tagesschau. * Leipzig, 17. December. Wenn Parlamentsferien der soctaldrmokratischen Presse die Gelegenheit nehmen, Aussprüche lebender Staatsmänner und bürgerlicher Redner zu dem Zwecke zu verdrehen, „Aufhetzung in dieMasse zu trage n", so greift sie in die Vergangenheit zurück, um ihren Lesern einen der großen Tobten in einer Weise vorzuführen, die diesem Zwecke dient. Am liebsten den F ü r st e n Bismarck. Sein Einfluß auf die deutsche Politik ist ja gering geworden, geringer, als man bei feinen Lebzeiten sich's hätte träumen lasten. Aber die Socialdcmvkratie weiß gut genug, daß die Erinnerung an ihn im Volke um so lebendiger wird, je mehr man ihn entbehrt, und daß jeder Fleck, der an seinem Bilde haften bleibt, das Volt an seinen Idealen irre und den Ver führungskünsten der „Genossen" zugänglicher macht. So sucht denn jetzt das socialdemokratische Centralorgan, das an den Bismarck-Publicationen der letzten Zeit schweigend vorüber gegangen ist. weil sie kein Material zu jenem Zwecke lieferten, mit glühendem Eifer aus den soeben veröffentlichten Tagebüchern des Generalfeldmarfchalls Grafen Blumenthal Stellen heraus, die sich zur Verunglimpfung Bismarck's verwenden lasten. Unter der Ueberschrift: „Wie Bombardements gemacht werden", knüpft der „Vorwärts" an den Widerspruch Blumen- thal's gegen das Bombardement von Paris und an das Ein treten Bismarck's für dieses Bombardement die Verdächtigung, daß die Beschießung der französischen Hauptstadt nur „eine jener brutalen Marotten Bismarck's", „eine nutzlose Barbarei" und „in militärischer wie in humanitärer Beziehung vollständig unnütz und frivol war". Wenn der „Vorwärts" in seinem Artikel die Thatsache unterschlägt, daß auch Generalfelidmarschall Graf Roon mit äußerster Energie die Eröffnung des Bombardements betrieben hat, und zwar vornehmlich aus militärischen Gründen, so wird man sich über eine solche Manier der Be fehdung Bismarck's nicht mehr wundern. Die Nichtachtung in dessen, mit welcher der „Vorwärts" über die politischen Gründe sich hinwegsetzt, aus denen Bismarck die Eröffnung des Bombardements dringend befürwortete, ist in derThat erstaunlich. Was war wohl noch den Erfahrungen der Geschichte Deutsch lands, von denen die letzte erst vier Jabre vorher gemacht worden war, begreiflicher als baß Bismgrck in schlaflosen Nächten, wie er in seinen „Gedanken und Erinnerungen" erzählt, die Gefahr europäischer Jnterventionsversuche sich gegen wärtig hielt, wenn die Fortdauer des Verzichts auf das Bom bardement Deutschland im Lichte der Schwäche erscheinen ließ? Der „Vorwärts" findet solch: Erwägungen „natürlich nicht stichhaltig". Wie aber die Zeitgenossen von 1870 gedacht haben, geht aus dem „Europäischen Geschichts los e n d e r" auf jenes Jahr hervor. In der Uebersicht der Er eignisse des Jahres 1870 heißt es dort: „An Gelüsten zur Einmischung hat es weder in London, noch in Wien, noch in Turin gefehlt, nach den Tagen von Sedan sind sie sogar recht ernstlich aufgetreten, und ein Programm, über daS man damals sich nicht einigen konnte, wäre doch viel leicht zu Stande gekommen ..... wäre di« Macht nicht ge wesen, mit der doch Niemand den Muth hatte, anzubinden." Kann man klarer für die Nothwendigkeit plaidiren, das An sehen dieser Macht ungeschmälert zu erhalten? — Mit demselben Feuereifer, mit d«m der „Vorwärts" die Bismarck'sche Auffassung bekämpft, vertritt er die englische, dir Uebergabe der fran zösischen Hauptstadt lediglich vom Hunger zu erwarten. Um die Kritik, die Bismarck an dem englischen Standpunkte geübt hat, kümmert sich der „Vorwärts" einfach nicht, obwohl jene Kritik durchschlagend ist. „Es mag dahingestellt bleiben", schreibt Bismarck in den „Gedanken und Erinnerungen" in dieser Hin sicht, „ob bei der englischen Einwirkung zu Gunsten der Huma nität des Aushungerns nur Empfindsamkeit und nicht auch politische Berechnung im Spiele war. England hatte kein praktisches Bedürfniß, weder uns noch Frankreich vor Schä digung und Schwächung durch den Krieg zu behüten, weder wirthschaftlich, noch politisch. . . . Die Initiative zu irgend einer Wendung in der Kriegführung ging in der Regel nicht von dem König aus, sondern von dem Generalstabe der Armee od«r dem Höchstcommandirenden am Orte, dem Kronprinzen. Daß diese Kreise englischen Auffassungen . . . zugänglich waren, war menschlich natürlich: die Kronprinzessin, die verstorbene F r a u M o l t k e' s , die Frau des Grafen Blumen thal und die Frau des demnächst maßgebenden Generalstabs- officiers v. Gottberg waren sämmtlich Engländerinnen." — Den englischen Standpunkt ohne Weiteres als den der Huma nität anzusehen, verbietet sich für jeden unbefangenen Deutschen aus einem doppelten Grunde. Einmal ist Bismarck's Frage, ob die Greuel der Commune zum Ausbruch gekommen sein würden, wenn nicht die Hungerzeit das Freiwerden der anarchistischen Wildheit vorbereitet hätte, vollkommen berechtigt. Zum Zweiten aber hat sich die englische Humanität auf Kosten der deutschen Truppen geltend gemacht, die vor Paris Leib und Leben in die Schanze schluaen. Roon drängte, wie sein Sohn in den „Denkwürdigkeiten" aus dem Leben des Generalfeldmarschalls schreibt, haupisächlich darum auf das Bombardement, weil man den Einschließungs truppen die Genugthuung verschaffen müsse, daß nicht blos immer auf sie geschossen werde, und Roon selbst schrieb am 6. Januar 1871 an Herrn von Wedemeyer: „Sie können sich kaum vorstellen, mit welcher Freude hier von der Cernirungsarmee diese Thatsache der Beschießung begrüßt worden ist! Der Jubel darüber ist in allen Reihen, bis auf die Trainsoldaten herunter." — Die Erwartung Roon's, daß die Beschießung einen großen moralischen Eindruck auf die Pariser machen werde, hat nicht getrogen. Schon der erste Act der Beschießung hatte den Erfolg, daß die Franzosen den Mont Avron fast im Galopp räumten; und die belagernde In fanterie ist von da an durch die Festungsartillerie nicht mehr incommodirt worden. Doch was kümmert sich das inter nationale Centraloraan der deutschen Socialdemokratie um die Frags nach dem Wohl« deutscher Truppen, wenn es die Wahl hat, üls Schirmherr des „Mekkas der Cultur" aufzutreten und „Aufhetzung in di« Massen zu tragen"?! Angesichts der deutschfeindlichen Polenbewegung er wacht auch die alte Liebe der Frau ose« für die Polen wieder. Natürlich verschmilzt sie mit dem Hasse grgen Deutschland und der Sehnsucht nach Revanche, und dieses Conglomorat von Ge fühlen treibt zu dem dringenden Ersuchen an Rußland, die in Preußen angeblich mißhandelten und verfolgten Polen in den rechten Arm zu schließen — der linke muß selbstverständlich für die Bittsteller selbst frei bleiben. Man sieht, das politische Recept, das die ultramontane Presse in Deutschland zur Einschüchterung der Preußischen Regierung verschreibt, wird bereitwilligst in der französischen Apotheke ausgefllhrt. Ein charakteristisches Decument der französischen Aufhetzung bi«tet der vor einigen Tagen im „Eclair"von dem berllhmien'DrutschenfreflerAndröC'hsrada me geschriebene Artikel, der die preußischen Polen als die „Boeren" Preußens und die Provinz Posen als das „europäische Trans vaal" bezeichnet. Nach den Schilderungen Chorädame's, des geistigen Oberhauptes der gegen Deutschland gerichteten sla- vischen Liga, ist jeder einzelne preußische Beamte der Provinz Posen ein Lord Kitchener im Kleinen. Die Uebertreibungen, veren der Centrumsabgeordnete Ro«ren bei der Polen-Interpellation sich schuldig machte, wachsen nun bei dem französischen Agitator Chsradame ins Ungeheuerliche: „Der deutsche Lehrer", schreibt er, „schlägt mit solcher Brutalität auf die Polenkinder ein, er ihnen in seinem „kuror tsuronieus" Arme und Beine bricht; er mißhandelt diese seiner Obhut anvertrauten Kinder so schwer, daß der Tod die Folge davon ist, wie mehrere neuerliche Processe enthüllt haben." Wie es sich nun mit der Todesursache eines der bestraften Knaben verhält, geht aus folgendem Thatbcstande hervor: Der betreffend« polnische Schulknabe hatte ln der Schul« wegen Ungehorsams und Widerspenstigkeit einige Schläge mit dem Stocke auf die Hand und auf den Körper- theil erhalten, der von jeher für solch« Zwecke als be sonders geeignet angesehen wird. Der Knabe, der nach der Züchtigung munter war, ist dann fünf Tage später gestorben. Die Section ergab, daß der Knabe in Folge Vereiterung des Blinddarms verschieden war, und weiter stillte sich heraus, daß diese Vereiterung die Folge des Eindringens eines Zwetschen- kernes in den Blinddarm gewesen war. Zum Ueberflusse wurde auch noch festgestellt, daß der Knabe schon vor der Züch tigung seiner Multer gegenüber über Schmerzen im Leibe ge klagt hatte, so daß also den Polen auch die Möglichkeit ent zogen ist, etwa zu behaupten, der Lehrer habe dem Knaben den Zwetschenkern in den Blinddarm hineingeprügelt. Die ganze polnisch-klerikale Darstellung, die nun dem Franzosen Chsradame Stofs zu einer Anklage auf Kindermasscnmord liefert, beruht also auf Lug und Trug! Solche infame Verdäch tigungen und Verleumdungen der deutschen Lehrer durch Herrn Andrö Chsradame zeigen sich als herrliche Frucht der von Herrn Roeren und seinen Gewährsmännern ausgestreuten Saat! Da bei ist Herr Roeren ein hervorragendes Mitglied der im deuischen Reichstage ausschlaggebenden, als die festeste Stütze des Staates sich anpreiscnden Fraktion, und welche sittlichen Elemente cs sind, denen diese Fraction ihren besonderen Schutz angedeihen läßt, haben die gestern an 'dieser Stelle mitg«theilten eidlichen Aussagen des Kreisschulinspectors Winter über die im ver flossenen Jahre in der katholischen Schule in Wreschen noth- tvcndig gewordenen Bestrafungen gezeigt. Hoffentlich erkennt das Centrum aus den Auslassungen des Herrn And ü Chsra- damc nun wenigstens, in welcher Weise es durch seine Polen protection den internationalen Schürern in die Hände arbeitet, die durch die infamsten Lügen Deutschland bei anderen Völkern in Mißkredit zu bringen und ihm politische Verlegenheiten zu be reiten suchen. Gleichviel aber, ob das Centrum zur Einsicht kommt oder nicht: die preußische Regierung muß den Hctzartike'n des französischen Panslavisten Andrv Chäradame entnehmen, daß sie die dringendste Veranlassung hat, in den pol nischen Provinzen Wandel zu schaffen, und lassen ihre Maß nahmen noch zu wünschen übrig, so hat der Reichskanzler Graf Bülow den Ministerpräsidenten Grafen Bülow darauf auf merksam zu machen, daß politische Verlegenheiten Preußens auch Verlegenheiten des Reiches sind. Zwischen Cd'le und Araentinie», die wieder einmal nicyt wissen, ob sie sich schlagen oder vertragen sollen, ist die Eifer sucht fast so alt, wie diese beiden Staaten selbst; sie ist im Laufe der Jahrzehnte nicht geschwunden, sondern beständig ge wachsen und zieht ihre Nahrung aus der noch immer nicht ge regelten Grenzfrage. Als am 22. September 1898 nach lang wierigen, aber vergeblichen Verhandlungen der beiderseitigen Sachverständigen, Diego Barros Aarana für Chile und Fran cesco P. Moreno in Santiago, der chilenische Minister deS Aeußern, Latorre, und der argentinische Gesandte für Chile, Piiiero, sich endlich dahin einigten, die strittige Frage dem schieds richterlichen Urtheil der Königin von England zu unterbreiten, schien der Streit endgiltig beseitigt, da ja doch beide Theile durch diese Wendung sich ihrer eigenen Meinung entäußern zu wollen erklärten. Aber seit einer Reihe von Monaten wissen wir, daß Fruilleton. Gräfin Leszek. 2j Roman von Heinrich Lee. .. Nachdruck dtrbottll. „DaS ist doch Leonard!" Sie sprach den Namen aus, als wäre Leonard nicht viel wenigrr als ein Mann wie Bismarck, und nun auf Misko'S neue Fragen begann sie von Leonard zu erzählen. Leonard war ihr Lehrer, und sie war seine Elevin. Ihre ganze LebenSgcschichte erzählte sie. Auch ihre Eltern waren Artisten gewesen. Als vierjähriges Kind hatte sie von ihrem Vater den ersten Unter richt bekommen. Er zog mit seiner Familie in kleinen Zeltcircussen herum, oder, wenn er kein Engagement bekam, auf Dörfer und Landstädtchen, wo sie von einem HauS, von einem Platz zum anderen wanderten und das Honorar für ihre Künste mit der Muhe in Kupferpfennigen einsammelten. Eines Tages, bei einem Salto über «ine Reihe Stühle, landete der Vater falsch und brach . die Wirbelsäul«. Die Mutter, eine Spanierin, von der Sisi auch ihr AeußireS geerbt hatte, krankte schon lang« an einem Brustleiden, und nun war ihn einzige Rettung ihnS VaterS Schwester. Tante Camilla war früher bei der Bühne gewesen, beim Ballet, bis sie, ihrer Corpulenz halber, diese Laufbahn aufgeben mußte und nach mancherlei Abenteuern bei einem Tentcircus ein« Stelle als Garderobier« und — schrecklich zu sagen — Aufwärterin bekam. In diesem „Geschäft", so drückte sich Sisi in ihrer Erzählung aus, brachte Tante Camilla das halbwüchsige Mädchen sammt ihnr Mutter unter. Die Mutter producirte sich nur noch auf dem niedrigen Drahts«il und als Tyroler Tänzerin, w«il sie dazu noch rin altes Costüm besaß, daS zum Liegenbleiben zu schade gewesen wäre, bis si« eine Lungenentzündung bekam und nach wenigen Tagen starb. In dieses Geschäft war ein junger Reiter «ingetret«n — „ricler", sagte Sisi auf Englisch, wie sie denn überhaupt allerlei fremdländisch« Ausdrücke in ihre Rede vermengte — drr Frau Camilla den Vorschlag machte, Giss, di« bisher nur Parterre ge arbeitet hatte, al» Elevin auSzubilden. Er wollte nichts dafür bezahlt nehm«n, nur sollt« sich Sisi dafür verpflichten, eine be stimmte Reihe von Jahrrn mit ihm in dieselben Engagements zu pehrn. Frau Camilla ging auf diesen Vorschlag ein. Seit drei Jahren r«isten sie nun schon mit Leonard; Sisi'» Ausbildung war vollendet, und so waren st« in diesem Hrrbst zu Frankloff- ge kommen. DaS »ar ihre Geschichte. „Warum wohnt Herr Leonard nicht mit Ihnen hier im Hotel?" fragte MiSko, — er konnte sich von dem Gedanken an diesen Menschen nicht loSreißen. „Ich weiß nicht", sagte Sisi einfach — „er wohnt nie mit UNS." Zst er gut zu Ihnen?" Sisi machte ein nachdenkliches Gesicht. „Manchmal ja — manchmal aber nicht", sagte st«. „Und Ihre Tante? Sie hat Sie wohl damals wegen des Armbandes recht ausgescholtenF" Sisi lachte. „Ja", erwiderte sie, „da hat sie schrecklich geschimpft. Ich konnte doch aber nichts dafür." Misko hätte sich vielleicht sagen können, daß die Art und Weise, in der Sisi sich ihm in dieser Unterhaltung enthüllte, nicht eben eine große Intelligenz verrieth. Aber ihre Naivetät ent zückt« ihn nur. „Wenn Ihre Tante mich mit Ihnen hi«r sähe — würde sie darüber nicht sehr böse sein?" „Ja. Ich soll mit keinem Herrn reden — besonders aber, wenn si« nicht dabei ist." „Sie wird glauben, daß Sie auf Ihrem Zimmer sind." „Nein." Sie schüttelte den Kopf, und harmlos setzte sic hinzu: „Sie hat mir befohlen, daß ich hier auf sie warten soll." Frau Camilla hatte es also geradezu darauf angelegt, daß er Sisi einmal allein antraf. Sie schien sich davon etwas zu ver sprechen. Misko wollte wissen, wo Frau Camilla hingcgangen war und Anderes. Ihr Tutu war entzwei, und Frau Camilla mußte ihr bis heut« Abend ein anderes machen. Tutu — was war daS? Sisi erklärte eS ihm — „Tutu". so hieß der Musselin schurz unter dem Oberkleid«. „Fräulein Sisi!" sagte MiSko plötzlich leis«, und sich ver gessend, preßte er ihre Hand und legte seinen Arm um sie. „Lassen Sie mich! Lassen Sie mich!" rief sie, und «rschreckt wich sie vor ihm hinter den Tisch zurück. „WaS batte er gethan? Wozu hatte er sich hinreißen lassen? In diesem Augenblicke wurde von der Tbür her wieder ein Geräusck vernehmlich. ES war Frau Camilla. Ob sie hinter der GlaSthür schon Zeuge der Scene gew«s«n war, daS mußte dahingestellt bleiben. „Was machst Du denn hier wieder?" rief sie streng, dann befahl sie Sisi — den Gruß Misko'S mit einem kalten „Guten Tag" erwidernd — ihr auf der Stell« zu folgen. Seit diesem Morgen, seit er sie mit einem flüchtigen Drucke an sich gepreßt, war er in Sisi verliebt. Aber wenn er ihr seitdem begegnete, dann hatte ihr Gesicht bei seinm Gruße etwas Scheues, beinahe Furchtsames. Sie fürchtete sich vor ihm. Und seine Verliebtheit war zur Leiden schaft geworden. Göppendors hatte es durchgesetzt, daß er seit seinem Aufenthalte in der Stadt sich zuweilen im Casino oder in der Weinstube einfand, wo die jüngeren Officiere zum Frühstück zusammenkamen. Die Veränderung in Misko war ihm nicht entgangen. Aber erst, seit Misko sich von ihm auf die Morgen besuche im Circus mitnehmen ließ, war ihm Alles klar. „Was geht cs mich an?" dachte Göppendorf für sich. Auch Monsieur Leonard war manchmal auf den Proben. Oft probirte er mit Sisi auch zusammen. Sisi trug dann um ihre Hüften einen dicken braunen Strick, an dem er sie packle und mit ihr jonglirte. Dabei rief er ihr halblaute Worte zu, Kom mandos, meist in französischer Sprache. Denn Monsieur Leonard war Franzose, wenn er sich wie die meisten anderen Artisten infolge des beständigen Nomadenlebens seiner Natio nalität auch kaum noch bewußt war. War er mit Sisi in der Probe fertig, so kümmerte er sich nicht weiter um sie. Monsieur Leonard war auch noch in seinem schäbigen Probeanzug etn hübscher Mann, seine größte Zierde aber war sein schöner schwarzer Schnurrbart, und kein Morgen verging, wo nicht in dem gläsernen Briefkasten am Buffet im Circusrestaurant ein anonymes oder auch nicht anonymes LiebeSbriefchen für ihn bereit lag. Auch werthvolle Manschettenknöpfe, Hemdenknöpfe, Busennadeln und anderer Schmuck strömte ihm nicht selten zu. Solche Gegenstände verkaufte er sofort an einen kleinen Agenten, der zwischen dem Personal immer Herumschlich, denn trotz seiner Schönheit galt Monsieur Leonard für ziemlich, ja sogar für sehr habsüchtig. Misko aber sah, daß er wegen Sisi nicht eifer süchtig auf ihn zu sein brauchte. Sisi war nur ein Zögling für ihn — nichts weiter. Misko'S Leidenschaft wuchs und wuchs. Wie war sie so schnell gekommen? Er wußte eS nicht. Sie war da. Wie eine Elementargewalt hatte sie von ihm Besitz ergriffen und vielleicht um so unwiderstehlicher, weil er für jedes weibliche Wesen bisher unzugänglich gewesen war. Er war jung und unberührt und sein Herz und seine Sinne glichen deshalb einem jungfräulichen Erdreich, auf dem die Saat noch in doppelter Kraft und Ueppigkeit emporsprießt. Sisi besitzen! Wenn er sich also Frau Camilla's Verlangen unterwarf? Sisi heirathen. Als zum ersten Mal dieser Ge danke vor ihn trat, fuhr er davor zurück. Die LeSzeks gehörten zum ältesten Adel und in diese ehrwürdige Ahnenreihe sollte sich eine Kunstreiterin gesellen. Misko glaubte, seinen Vater vor sich hintreten zu sehen und drohend die Hand erheben. In der alten Weinstube an dem Frühstücksstammtisch, an dem es Göppendorf gelungen war, MiSko nunmehr zuweilen mitzubringen, fand sich regelmäßig auch noch ein anderer Gast in Civil ein. Das war Herr von Below. Er war nicht mehr jung, ein schweigsamer Mensch und führte sonst ein zurück gezogenes Junggcsellenlebcn. Der Kellner nannte ihn „Herr Rittmeister . Er war Officier gewesen und wie MiSko ge legentlich von Göppendorf hörte, unter Verzichtleistung auf seine militärische Karriere eine Zeit lang Schulreiter — auch eine Circusexistenz. Bei seinen alten Regimentskameraden in un getrübtem Andenken stehend, war er spater, nachdem er in seiner so merkwürdigen neuen Laufbahn irgend welches Unglück gehabt hatte, über das er aber in seiner wenig redseligen Manier nichts Genaues verlauten ließ, hier in die entlegene Stadt deS Ostens übergesiedelt, wo er nun schon seit einer Reihe von Jahren in seiner bescheidenen Weise lebte. Auch Herr von Below gehörte zu den Circus-Habituos, nur in seiner besonderen Art. Er verkehrte mit den Künstlern wie mit seinesgleichen, und wenn es bei den Proben einmal schwierige Aufgaben gab, die in sein früheres Fach schlugen, zum Beispiel als einmal die eben ein getroffenen spanischen Maulthiere eingeritten werden sollten, so sah man ihn mit Hand anlegen — ein junges, besonders schwieriges von diesen Thieren, das alle anderen Reiter ab geworfen hatte, bestieg er und brachte es so zur Raison. Selbst Monsieur Leonard war mit ihm gut Freund, und Sisi sah man, da ihrer Tante ein solcher Mann wohl nicht gefährlich schien, zutrauliche Worte mit ihm austauschen. Misko fühlte sich zu Herrn von Below, obwohl seine Bekanntschaft mit ihm sich nur auf die paar Begegnungen an dem besagten Stammtisch be schränkte, wo Misko sich nicht weniger still verhielt als Herr von Below selbst, doch eigenartig hingezogen. Misko hatte keinen Vertrauten auf der Welt. Hätte er aber in dem Kampfe der Gefühle, der in ihm gährte, Jemand sein Herz ausschütten dürfen — es wäre Herr von Below gewesen. So also standen die Dinge, als an jenem Morgen Fürst Ostromudoff auf der Bildfläche erschien. Göppendorf und Fürst Ostromoduff — „Fürst" ist ein vornehmer Titel, aber in Ruß land giebt es so viele Fürsten wie in anderen Ländern einfache Barone — kannten sich von einem vergnügten Abend in einem Berliner Balllocal her. Fürst Ostromudoff, seinem Berufe nach moderner Globetrotter, stand im Begriff, nach Montecarlo zu reisen. Er hatte Göppendorf an jenem denkwürdigen Abend in Berlin das feste Versprechen gegeben, wenn er durch seine Garnison kam, ihn aufzusucben, und nun hatte er dieses Der« sprechen erfüllt. Des Fürsten schwache Seite, bei all' der sonstigen Gutmüthigkeit und Gemüthlichkeit, die Göppendorf ln der kürzen Zeit an ihm hatte schätzen gelernt, war da- weibliche Geschlecht. „Wenn ein Mädchen mir gefällt, dann Hilst kel«
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