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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.12.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-12-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18941231022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894123102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894123102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-12
- Tag1894-12-31
- Monat1894-12
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Gleichzeitig aber zeigt sich, daß im Lager der Socialdemokratie, die eS doch wabrlich an SiegeSjubel und Triumpbgebeul zur Stärkung der „Genossen" sonst bei dem kleinsten Anlasse nicht fehlen läßt, der Jubel über den angeblich errungenen großen Sieg kein großer ist. Zwar haben die Volksversammlungen das Abkommen bestätigt, aber nirgends ohne erregten Widerspruch, den die Parteiführer nur mühsam und in gewundenen Redensarten beschwichtigten; die Opposition Hal sich überdies noch keineswegs den Mund stopfen lassen und raisonnirl folgendermaßen: Keine einzige von Len ursprünglichen fünf Forderungen der Arbeiter sei erfüllt, von der Freigabe des l. Maß die den Anlaß zum Boycott gegeben, ganz zu schweigen. Umsonst seien alle Opfer gebracht. Es liege auch gar kein Grund zu einem voreiligen Frieden vor. Derjenige Tbeil der Arbeiter schaft, der den Boycott bisher beobachtet, werke cs auch ferner thun. Man habe einmal erklärt, der Kamps solle durch geführt werden bis aufs Weißbluten. Und jetzt dieser Friede! Lieber wolle man als Krüppel auf dem Felde liegen bleiben, al- so unehrlich ca^ituliren. Auch die osficiellen Redner ge standen zu, ein .«ieg" sei nicht errungen, sie redeten sich auf einen „eßrrsldoVrn Vergleich- hinaus. So erklärte Auer: Ter Krieg habe säst acht Monat, gedauert, aber keine Partei sei dadurch so geschwächt worden, daß sie sich in dem Zustand völliger Ermattung und absoluter Hililoügkeit eine» Fi>e»<>, von ivlrm «Ärgnrr dirttrrn lasse» müsse. Der Zusammenhalt der Gegner babe sich als stärker herausgestellt, als manche (Yenoffen geglaubt hätten. Tie Hoffnung, daß mit Aushebung des Boykotts der Brauerring zerplatzen werde, werde sich wohl als trügerisch erweisen; denn die kleineren Brauer seien unterdcst in grobe finanzielle Abhängigkeit von den großen gerochen. „Wir haben ehrenvoll gekämpsl und sind entschlossen, dies weiter zu thun!" (Stür mischer Beifall.) Das schließt aber die Frage nicht aus, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, einen ehrlichen Frieden zu schließen. (Lauter Widerspruch und Beifall.) Tie Forderung der Wieder- austellung der Ausgejperrlen ist der springende Punct, und der ist angenommen. Nach 8 Monaten können die Gemaßregelten natürlich nicht mehr in ihre alten Posten cingeslellt werde». (Zurufe.) Unsere Hauptforderung ist somit erfüllt. (Zuruf: „Nein, nein!" Ter Lärm war so groß, Laß der Vorsitzende wiederholt energisch zur Ruhe mahne» mußte.) Und die socialdcmokratische „Brauer-Ztg." schreibt: „TaS. was geboten wird, ist nicht genügend, es ist nur ein halber Sieg. Wenn der Boycott aus diese Bedingung hin auf- gehoben wird, so war das kein Kampf bis zum Weißbluten; kein Entgelt für die Opferwilligkeit und Opserthätigkcit der Genossen Berlins und allerorts; keine genügende Genuglhuung für die Aus- gesperrten und keine genügende Slrase sür ben frivolen Uebermutd der Ringbierherren. Der Arbeitsnachweis, wie ihn der „Ring" mit den „blauen Brüdern" ausgeheckt hat und der auch jetzt sür uns gelten soll, ist ein Zwitterding in des Wortes vollster Be deutung, ein Privilegium sür die gelausten Subiccte; er züchtet systematisch das Speichellecker- und Lchmarotzerthum groß und öffnet der Vetternwirthschast Thür und Thor." Aus diesen Auslassungen geht klar hervor — und das ist die Hauptsache —, kaß der „ehrliche Friede" kein dauernder sein, daß vielmehr der Krieg bei der ersten besten Gelegenheit ausS neue vom Zaune gebrochen werden wird. Und wenn eS nicht die Brauer sind, denen der nächste Krieg droht, so ist eS eine andere industrielle Gruppe, die gleich den Brauern der fest organisirtcu socialdemokratischen Masse gcgcnüberstehen wirk. Daß die letztere, gerade weil sie nicht völlig befriedigt von dem Ausgange des Bierkricges ist, die umfassendsten Vorbereitungen trifft, um aus dem nächsten Kriege noch siegreicher bervorzugehen, das kann nur bezweifeln, wer die zähe Ausdauer dieser Partei nicht kennt. Ze unzufriedener ihre Gegner also mit diesem Ausgange sind, um so eifriger und einiger sollten sie daher auch ihrerseits Borkehrunzen treffen, um einen ähnlichen ober noch ungünstigeren Ausgang des nächsteu Krieges zu verhüten. Die Theilnahme des Prinzen Arnulf von Bayer» an ter bevorstehenden ReujahrScour in Berlin kommt den süddeutschen Particularisten sehr ungelegen. Sie hatten an das anfangs angekündigte Fernbleiben des Prinzen von dieser Versammlung der deutschen Armeccommandeure um den KaiserCommenlare geknüpft, die sich jetzt als haltlos Heraus stellen. Das Sigl'sche Vaterland gehl in seinem Verdruss« so weit, den prinzlichen Befehlshaber des l. bayerischen ArmeecorpS persönlich anzugreisen, weil er angeblich bei dem Prinzregcnten die anfänglich verweigerte Genedmigung zu dieser Reife nach Berlin dock noch durchgcsetzt hat. Rach der Behauptung dieses Blattes bättc der Prinz seiner Zeit sogar direct in preußische Dienste übertreten wollen, was aber vou König Ludwig 1l. als dem Hausches kategorisch untersagt morden sei u. s. w. Diese Behauptungen zmgen, was man sich in gewissen Münchener Kreisen erzählt, aus denen der Herausgeber de« „Vaterland" gelegentlich Mittbeilnngen bezieht; ein weiteres Gewicht wird man diesen Angaben wohl nicht beilegen dürsen. Viel wahrscheinlicher dürfte vielmehr die Annahme sein, daß dem Münchener Hose die Comiucutare zu dem anfänglich angekiindigten Fvrtbleiben des Prinzen von der mililalrischcn Neujahrsfeier dcö ReichSoberhaupteS beschwerlich gefallen sind und daß man ihnen entgegen treten wollte. Gelegentliche Meinungsdiffercnzen und Mißstimmungen zwischen den einzelnen deutschen Höfen sind ja unausbleiblich, zumal in politisch so bewegten Zeiten, wie die unserigen nun einmal sind. Zn allen solchen Fällen tragen aber gerade die gehässigen Versuche der demokratischen und ultramonlanen Particularisten, die Mißstiinmung zu schüren nnd zu Zerwürfnissen zu erweitern, am meisten znr Ausgleichung der Differenzen und zur Wiederbefestigung deS Einvernehmens bei. Die bayerischen Particularisten haben dem Reiche solche Dienste schon ost wider Willen geleistet, die würlle in bergischen sind im besten Zuge, das Gleiche zu thun. Wir würden eS deshalb beklagen, wenn der particula- ristischen Presse durch das „Umsturzgesctz" ein Maulkorb an gelegt werden sollte. Geschadet hat sie durch ihre Hetzversuche dem Reiche noch nicht; Wohl aber bringt sie an denjenigen Stellen, deren Entfremdung vom größten liebel sein würde, rechtzeitig die Folgen in Erinnerung, die nickt ausdleiben könnten, wenn die Mißstimmungen nnd reichsfeindlichen Treibereien gewisser Volksschichten die Regierungen und die Fürsten beeinflußten. Zn Frankreich hat die Meldung der „Opinione", wonach die Znteressen der lateinischen Kirche in der Levante jetzt nicht genügend gewahrt erschienen, sondern im Rück gänge begriffen wären, böses Blut gemacht. Bekanntlich gehört die Hegemonie deS französischen KlcruS in der Levante zu den intcgrirenden Bestandtbeilcn des Programms der französischen Mittelmeer- und Orientpolitik überhaupt. ZedeS Rütteln au dieser Tradition wird von den Franzosen als ein Versuch, ihr nationales Prestige unter den Völkern deS Orient« zu beeinträchtigen, empfunden. Zm Quai d'Orsay zu Pari«, wo ein Ztalien möglichst ab- günftiger Wind weht, glaubt man schon, daß es der Quirinal sehr gerne sehen würde, wenn der Varican sich von der Znteresseniotimitat, die ihn in der Levante an Frankreich knüpft, loSmachte, bezweifelt aber, ob die letzbin in Rom gehaltene orientalische BischosSconserenz zur Ermuthigung solcher Bestrebungen die Hand geboten habe. Sollte das trotzdem der Fall sein, so wird, droht man, Frankreich ein solches Attentat nickt ruhig über sich ergeben lassen, sondern ebenso energisch die dortige Position des gallikanischen Klerus verlheitigen, als cS in Peking der Fall war, als die Kurie dort eine von der franzö sischen Vertretung in Ebina unabbängige Nuntiatur entrichten wollte. Frankreich betrachtet da« Protecloral über die lateinische Kirche im Orient als seine eigenste Domäne und zugleich als eine weltliche Machtquelle, weil in den dor tigen Kirchen, -Klöstern und Schulen die französische Sprache zugleich mit der Vorliebe für französisches Wesen, französische mitten und Gebräuche gepflegt wird. Die in ihrem Denken und Fühlen französisch drcssirtcn BevölkerungSelemente bilden des Weiteren auch stet« bereitwillige Abnehmer franzö sischer Zndustrircrzeuanisse, kurz. Dank des geistlichen der Levante, das die Republik trotz ihrer eigenen stramm atheistischen Anschauungsweise pietätvoll aufrecht erkält, bat sich dort eine Art französischer Mikro losmoS herausgebildct, der eine sebr werthvolle Stütze küns tiger französischer Mackterweiterungsgelüste in jenen Gegenden abgeben kann. Die ialicnischen Prälaten und Politiker, welche dem Vatican Mißtrauen gegen Frankreich bcidringcn möchten, werden in den Preßorgancn dos Quai d'Orsay ziemlich hart angelassen. Aber auch für den Vatican selber fallen verschiedene Seitenhiebe ab, so die Abschaffung der Lazaristen aus der erythräischen Eolonie und einige Vorkommnisse gleichen Schlags, vor deren Verallgemeinerung ausdrücklich gewarnt wird. Frankreich habe sich das bis jetzt ruhig gefallen lassen, aber Toleranz sei noch lange keine Abdankung. Aus alledem gebt anscheinend da« Eine hervor, daß der Besitzstand der lateinischen Kirche im Orient einer Revision unterzogen worden ist oder dock unterzogen werden soll, und daß Frankreich sich beleidigt fühlt, weil man es dabei, seiner Meinung nach, nicht mit den nötbigen Rücksichten behandelt Kat. Nebenbei wirft diese Empfindlichkeit auch ein charaklerisckeS Streiflicht auf den Miuenkrieg, der in der Levante zwischen französischen und italienischen Machlbestrebungen geführt wird. Ter portugiesische Ministerpräsident Hintze Ribeiro scheint mit der plötzlichen Vertagung der Eortcs seinen italienischen College» copiren zu wollen, eS fragt sich nur, ob ibm derselbe Erfolg zur Seite stehen wird, wie Erispi, dem er an ziclbcwußter Energie uod staats männischer Einsicht nicht im Entferntesten gleicht. Die Volks dcwegung, welche die Kammervertagung entfesselt hat, ist fast noch starker als die im Februar anläßlich der neuen Steuerpläoe kcrvvrgcbrochcne und kann noch verbänguißvoll für da-Cabinel werden. Fortschrittler und Republikaner überschwemmen das Land mit leidenschaftlichen Ausrufe», woriu sie da- Cabinet absolutistischer Gelüste beschuldigen und die Nation zum Schutze der constttutivneUcn Freiheiten aufruscn. Ein von fünfzig Abgeordneten unterzeichnetes Manifest klagt die Regierung geradezu an, eine rcvolutionaire Lage geschaffen und ein persönliches Regiment cingcführt zu haben. That- sächlich war die Heimschickung der EorlcS, wie selbst Freunde des EabinelS Hintze Ribeiro zugeben, eine übereilte, durch die parlamentarische Lage nicht gebieterisch erheischte Maß regel. Allerdings war, so wird ziemlich allgemein gesagt, die Opposition in der Kammer zuletzt noch viel leideuschaft sicher aufgetreten als sonst, nichtsdestoweniger konnte man vorauSichen, daß selbst d,e wildelten Gegner der Regierung in ihren Angriffe» schließlich ermüden würden. Ucberdies standen dem Kauttnerpräsidttim gegenüber den ungebervigen Schreiern die neuen, verschärften DiSciplinar-Maßregeln ^ur Verfügung Zedensalls find die Wirkungen, welche die Schließung der EvrteSsession hervorrief, sür die gefammte innere Lage viel ungünstigere, als sic durch noch so tumultuöse Kammer sitzungen verursacht worden wären. Die Zornrufe der oppositionellen Parteien haben bei der durch die üble wirth- schaflliche Lage wbr mißgestimmten Bevölkerung starken Widerhall gefüllten, allerorten im Lande finden Protest versammlungen statt, di« unter massenhafter Bethciliguog aller Volkskreiie vcrlanfen. Am i). December tagte eine solche Versammln»,) >n Lissabon unter dem Vorsitz deS ehe maligen Ministers Bcirao, bald darauf eine in Oporto, am zweiten Weihnachlsfeierlage eine in Setubal. Zn allen diesen Versammlungen wie übe, Haupt in der ganzen Protestbewegung gehen Fortschrittler, EoustiluueiilcS nnd Republikaner Schulter an Schulter vor, und di« Republikaner haben durch ben Ver treter für Lissabon, Eduardo d'Äbreu, ausdrücklich erklärt, daß sic den liberalen Führer Zosö Luciano de Castro in dem Kampfe gegen die Diclalur in jeder Weise unterstützen werden. So viel steht fest, daß Hinye Ribeiro mit feinem rigorosen Auftreten den fortschrttlsichen Elementen gegenüber, daü schon mehrfach in ungerechter und verletzender Weise fick gezeigt Hai, der drohenden Republik eher den Boden vorbe reitet, als daß er ihr denselben entzieht. Zn Tänrmark tragen die Partcivcrhältnifse noch immer den Charakter de« Schwankenden und Unsicheren. Bekanntlich wurde am I. December nach dem Rücktritt des Führers der intransigenten Opposition HögSbrö vom Vorsitz des Folke things ein aus Mitgliedern des linken Flügels ter Moderaten, der dem Ausgleich feindlich gegenübcrstcht, bestehendes Präsidium gewählt. Bereits am 17. December legte der iieucPräsidcnt.wahr sckeinlich, weil die vom Folkclbing beschlossene Vermehrung der Wahlkreise dem reckten Flügel der Moderaten zu Gute kommt und eine schwere Niederlage der Opposition bedeutet, gleichfalls sein Amt nieder, und die beiden Vicepräsibenten, die sich mit ihm solidar isch erklärten, resignirtcn mit ibm. Zetzt änderte sich Plötz sich die Situation, indem an Stelle des Präsidiums der oppositio- F-nillrtsn. Zein Erbe. 14s Eine Familiengeschichte. Bon M. von Buch. Nachdruck »erdete». (Schluß.) Da richtete sich Hollbracht zu seiner vollen, stattlichen Höhe auf, tbat seinem wehen Herzen, Ihat seinem zuckenden Gesichte Gewalt an. Er ließ die Bahre ins nächste Zimmer bringen, nahm den sterbenden Svkn m die Arme, und keine Klage kam von den ertlaßten Lippen. Er flüsterte nur abgerissene, zärtliche Worte über das dunkle, junge Haupt, lüßte die brechenden Augen — er hals seinem Lieblinge sterben. Der eigentliche Todeskampf war nur kurz, der Blut verlust war so bedeutend gewesen, daß die junge, erschöpfte Natur kaum mehr Widerstand leisten konnte — bald war es vorüber. Der Wagen mit dem Arzt donnerte durch den Thorwcg, und Gerhard, der todtenblaß wartend auf der Rampe ge standen, führte den alten Herrn in« Zimmer. Die graue, stille Sommernacht schaute betrübt durchs Fenster, kein Licht in dem Raume, in dem der Tod soeben die Fackel verlöschte. Undeutlich sah man nur das Lnger, auf dem die Umrisse zweier Gestalten ineinander verschwamme«. ' Krade al« er die geliebten dunklen Äugen für immer hatte schließen wollen, hatte die Kraft des alten, wunderlichen Mannes versag«, und nun lag er auf der Leiche, — bewußt los, in tiefer Ohnmacht. Kein Großer war von der Erde gegangen, kein Gewaltiger im Reiche der Geister, Keiner, ter Geschicke lenkte oder Ke siegte — nur ein sonniges, junges Menschenkind war ge schieden; eS war eine Blütbe weniger in der Welt. Da« war eine Aufregung in der Umgegend, als das entsetzliche Ereigniß bekannt wurde, als eS bloß, der jüngste Hollbracht sei von einem Wildschützen ermordet worden. Alle Welt schien mit einander zu wetteifern, dem alten Sonder king in Walddorf wärmste Tbeilnahme an dem schweren Geschick zu bezeigen, da« ihn jäb und unerwartet betroffen. Und doch konnte Niemand so reckt Len vollen Schmerz bc preisen, Niemand konnte eS so reckt ermessen, waS ihm der -od genommen, denn all die tbeilnehmenden Freunde und bekannten baten ihn; Trost und Genüge zu finden in seinem Ailtesten, in Gerhard. ' Hollbracht Hörle die gutgemeinten Worte still mit an. drückte den Sprechenden die Hand und seufzte. — WaS er an Liebe besessen, batte er aus seinen Jüngsten übertragen. DaS Glück seines Lebens war Clemens gewesen, Clemens, der sür Gerhard gestorben war. Freilich, hätte er damals Gerhard nicht so schroff abgewiesen, wäre dieser nicht so verzweifelt auS dem Zimmer gestürzt, hätte wohl auch Clemens keine Gelegenheit gesunden, ihm nackzugehen, ihn zu suchen, und Alles wäre vielleicht anders gekommen. Vielleicht! Und wenn dieser Gedanke ihn verfolgte, so scheuchte eS ibn, gleich einem Gemarterten und Verfolgten, durch alle Räume, bis er an der Leiche trostlos zusammcu- brack. Wie ost mußte er jetzt an den Tag denken, an dem Clemens geboren wurde und an dem er, von Schwechtenbos bcimkekrend, den Weg in Nacht und Nebel verlor und vor einem Leickcnstein Halt machte. " Wenn c« für Hollbracht einen Trost gab, so war eS der, daß der rothc Christian aufgegriffen und ins Gefängniß ge bracht war und seine That mit dem Leben würde büßen müssen. Zn der Haft legte der Wilderer noch ein GcstLndniß ab: Seine Hand war cS gewesen, die vor sechzehn Zähren am Erntefest Feuer an die Scheunen gelegt hatte. Hollbrackt berührte diese Nachricht nicht sonderlich, ja, eS kam ihm nickt einm »l zum Bewußtsein, daß gerade durch den Verdacht, den Brand entzündet zu haben, ihm Gerhard zuerst verleidet uud entfremdet worden war. Ein Begräbniß fand in Walddorf statt, wie es seit Mensckengcdenken in der Umgegend nicht vorgekommen war. Die ganze Nachbarschaft, fünf Meilen im Umkreise, die Offi- ciere aus Wellstädt, die gesammten Einwohner Walddorss, sie alle wollten dem so früh und tragisch aus dieser Welt Geschiedenen die letzten Ebren erweisen Die Leiche war im Saal aufgebahrt worden. An den Wänden, die noch vor wenig Tagen zu einer frohen Feier geschmückt wurden, klang wieder dumpfes Hämmern, aber die Helle Stimme, die damals Befehle ertbeilt hatte, fehlte und die farbenprächtigen Blumen auch. AUcS war düster, schwarz, das einzige Lickt in dem traurigen Prunk waren die Thränen, die um den Todten fielen. Hollbrackt batte sich bis zum Beginn der Frier in ein Nebenzimmer zurückgezogen, er ganz allein, Nieniand sollte bei ibm sein. Wie gebrochen stand der alte Mann an der Wand, batte den Kops geneigt und lauschte auf die Tone, die an sein Ohr drangen. Da öffnete sich plötzlich leise eine Thür, eine schwarz gekleidete, dicht verschleierte Fraueugestalt trat aus ihn zu und rührte seinen Arm. „Charlottel* stammelte Hollbracht. „Ist es wahr, ist er tobt?" wollte sie flüstern, aber sie vermochte eS nicht, nur die großen, weichen Sammetaugen schienen cs zu sprechen, während ikren Körper ein krampf haftes Schluchzen durchzittcrte. „Clemens' Augen", dachte er und blickte sie an, und cS war, als empfände er wirklich eine Milderung seines Schmerzes. „Du gönntest mir kein Wiedersehen", sagte sie, nach Fassung ringend, „von seinem Sarge wirst Du mich nicht wegweisen." Er schüttelte das Haupt und blickte sie an, um in ihrem Antlitz die Züge von Clemens zu suchen — da sah er, ihr dichtes, dunkles Haar war schneeweiß geworden. Sie bemerkte cS. „Zch habe fünfzebn Zabrc das Sehnen empfunden, habe viel geweint, und Thränen bleichen das Haar." „Weine nicht um die Todrcn, weine um die Lebenden", sagte er tonlos und drückte das Gesicht in die Hand. Zm Nebenzimmer setzte leise ein Choral ein. „Nun komm", sagte Hollbracht wcick, tbat die Thür aus, und Hand in Hand schritten die geschiedenen Galten über die Schwelle. Es gab zwar ein allgemeines Kopfschllttcln, eine grenzen- lose Verwirrung in der Versammlung, als die immer noch schöne, blasse Frau an den Katafalk trat und den Platz ein nahm, der ihr gebührte. llnd dann folgte sie auch dem Sarge, durch die Gänge des Parkes, bis da« Erbbegräbniß sich aufthat, um das, was noch an Clemens irdisch war, in Empfang zu nehmen. Lange weilte sie unten im düstern Gewölbe, wo die Metall und Eichensärgc neben einander geschichtet standen, in deren Reihen der letzte Gast seine Rubestatt finden konnte. Die Menschen draußen verliefen sich, still und stiller wurde eS um sie, und als sie ausschaute, stand Hvllbracht neben ihr. Zusammen, wie sie gekommen waren, schritten sie hinaus. Die Rosen waren im Berblühen, süßer, berauschender Duft durchzog den Garten, melancholisch gurgelte das Wasser zu beiden Seiten deS Weges, und die Linden bildeten ein Dach ihnen zu Haupte» und schützten die armen, vom Weinen gerölhetcn Äugen vor der Sonne. Charlotte stand still und sah zurück aus das goldene Kreuz deS Erbbegräbnisse«. Sie gedachte deS Tages und Datums, und plötzlich wußte sie, daß sie beute vor sechzehn Zähren Eugen von Schwcchten zum ersten Male geschaut batte. Es durchfuhr sie seltsam bei dieser Erinnerung, das Weh dieser Stunde, das Glück der verfloffeueu schauerte »m Wtderstretteadeu Gemisch durch ihre Seele. „Wie ist cS Dir in den Zähren ergangen, Charlotte?" weckte sie Hollbrackl'S Stimme aus ihrer Träumerei. „O gut", und sie zog ben Schleier zurück, daß daS weiße Haar sichtbar wurde „Eugen ist ein vorzüglicher Mensch und nimmt eine Stellung in der Welt ein, die ihm zusagt. Wir sind zufrieden in unserem Kreise." „Das sreut mich", sagte Hvllbracht einfach. Als sie am EingangSgiuer stauben, fragte er: „Du kommst doch mit ins HauS ?" Sie schüttelte daS Haupt. „O nein, mein Wagen wartet, meine Mission ist hier erfüllt. Lebe wokl, Hollbrackt", stammelte sic, und Thränen erstickten ikre Stimme, „Gott erhalte Dir Gerhard und schütze Walddorf, wo mein Kind ruht." „Lebe wohl, Cbarlotte", sagte er leise, „und noch einmal, weine nickt über den Todten, weine über den Lebenden; mir ist das schwerste Tbeil geworden." Er half ibr in den Wagen und blickte sie an, und ihm war cS wieder, al« sähe er in Clemens' Augen; dann Hörle er da« Rollen der Räder und fühlte, daß er allein war. Gerhard stand neben ikm und legte den Arni in den seinen. „Darf ich nickt bei Dir sein, Vater?" Vergrämt nickte ter Alte und ließ sich ins Haus führen. Nack Verlaus eines Zabres führte Gerbark ein junge« Weib, Licsclott, in da« HauS seiner Väter, und der Sonnen schein, der seit Clemens Tote darin gefehlt, zog wieder in die vereinsamten Räume. Und als dem jungen Paar der erste Sokn geboren wurde, war die Freude groß, auch Hollbracht nahm daran Thcil. Dock als Gerhard, zitternd vor Vaterstol; uud Freude, ibm den Neugeborenen auf den Arm legte und sagte: „Er soll Clemens beißen, cS ist Dir doch recht, Vater?" da schüttelte er wider Erwarten das Haupt. „Du meinst cS gut, mein Sohn! Aber gieb ihm einen anderen Namen, laß mir die Vergangenheit", sagte er, während e« nm seinen Mund zuckte. Za, WaS sic ihm auch geschaffen mit Schmer; und Leid, er gab sie nickt hin, die Gegenwart sollte sie ihm nicht ver löschen, die Erinnerung an ein junges, kurzes Leben, und sein Herz bebte dabei in seltsamem Widerstreit der Empfindungen, halb Freude, kalb Web. llnd aus diesem Widerstreit der Empfindung klingt und klagt eö noch immer leise durch die Welt: Die Liebe schöpit die Seligkeit AuS der Tiefe de- rinnenden Strome« der Zeit.
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