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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.11.1895
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189511016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18951101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18951101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-01
- Monat1895-11
- Jahr1895
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.11.1895
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Tabellarischer und Zifiernia- noch höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Äunahmeschluß fLr Adrigen: Abend-AnSgab«: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag 4Uhr Für di« Montag-Morgen-Ausgabe: Sonnabrad Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anreise» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Le!»ssg. 53«. Freitag den 1. November 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. November. Der „NeichSbote" und da« Organ des Bundes der Land- wirthe liegen im heftigsten Kriege. DaS strengconservative und hochorthodoxe Blatt hatte zu der Aechtung der „jungen" Christlich-socialen durch die „Cons.-Corr." bemerkt, daS sei schön und gut, aber daS conservative Parteiorgan hätte seine energische Warnung vor Erregung von Unzufriedenheit in der Ab sicht, „emen möglichst großen Anhang von Unzufriedenen um sich zu sammeln", nicht blo« gegen diese socialistischen Pastoren richten sollen, sondern auch gegen andere Leute und andere Bestrebungen, wo es eben so noth thäle, weil man auch dort vorhandene „Mißstände aufspürt", mit den „schwärzesten Farben ausmalt" und den Leuten vorredet, wie sie Alle- aufbieten müßten, um sich bessere Zustände zu erzwingen. Es sei verwerflich, so hatte der „Reichsbote" weiter gesagt, mit unerfüllbaren Forde rungen, mit deut Aufreizen zum Haß gegen andere Clafsen und mit Drohungen, wie der mit dem Uebergang zur Social demokratie, zu operiren. Dieses Conterfei der Berliner Leitung deS Bundes der Landwirthe war, zumal nach der im Namen von schlesischen Frauen gelieferten neuesten Hetzprobe, zu ähnlich, als daß die Bundesleitung sich nicht hätte getroffen stellen können. Sie quittirt nun in ihrer Correspondenz mit einem unsauberen Ausfall, indsm sie dem „ReichSboken", dem sie den echt conservativen Charakter abspricht, einer „Unverschämt heit erster Claffe" bezichtigt und ihn als das Organ von Elementen schildert, dir danach lechzen, Hofluft zu athmen". Freund und Feind müssen bezeugen, daß dieser Vorwurf Niemanden ungerechter treffen könnte, als den „Reichsboten", der denn auch mit besserem Grunde den Tadel zurückgiebt, indem er auf Diejenigen binzeigt, „welche, sobald ihnen die Sonne derHofgunst entgegenlacht,mit allen Lungendie vorher geschmähte Hoflust einathmen und sich in byzantinischenKundgebungen über schlagen". An diesem Streit ist interessant, daß die Leiter deS Bunde» der Landwirthe bestimmen dürfen, was als conser- vativ anzusehen ist. Die Aberkennung dieser Eigenschaft in ihrem Organ ist von der jetzt so erklärungsseligen „Cons. Corr." mit keinem Wort zurückgewiesen worden. Eia durch schlagenderer Beweis dafür, daß die Leitung des Bundes und die der conservativen Partei tbatsächlick identisch sind, hätte nicht geliefert werden können. Der „Reichsbotr" wird sich wohl bescheiden müssen. Seine anstänvige Gesinnung weist ihm Denjenigen gegenüber, die an den Hammerstein'schen Traditionen sestzuhalten entschlossen sind, die schwächere Position an. Zudem wird die Nachgiebigkeit der konserva tiven Parteileitung jetzt nach anderer Seite hin völlig in Anspruch genommen. Herr Stöcker und sein „Volk" hatten bisher den Bannfluch der „Cons. Corr." gegen die christ lich - socialen Pastoren außer Stöcker verhältnißmäßiz maßvoll kritisirt. Jetzt aber scheint er sich wieder voll als Herr zu fühlen, denn in der neuesten Ausgabe seines Blattes ist zu lesen: „Man schreibt uns aus Düsseldorf: Ter Vorstand der deutsch, conservativen Partei der Rheinland« beschloß in Anwesenheit einer großen Anzahl von Mitgliedern einstimmig ein Vertrauensvotum für Stöcker. Gleichzeitig geht uns von einem Mitglied« des Vorstandes der deutschconservativen Partei der Rheinlande die folgende Nachricht zu: Die Arußerungen der „Eons. Corresp." gegen die Geistlichen der „Naumann^Söhre'schen Richtung" haben hier auch bei entschiedenen Gegnern jener Richtung und ausgeprägten Deutschconservativen durch die Unterschiebung schlechter Motive das peinlichste Befremden und die entschiedenste Mißbilligung hervorgrrufen." Diese Berufung auf auswärtige Meinungen hat die ganze Zeit her bei Herrn Stöcker die Aufforderung zum Widerruf bedeutet. Nun haben wir selbst die Meinung ausgesprochen, daß den Naumann, Göhre u. s. w. zu Unrecht eigensüchtige Beweggründe von der „Cons. Corr." untergeschoben worden seien. Aber wir begreifen, daß Herrn Stöcker und ihm vor Allen, vielleicht sogar ihm allein unter den christlich-socialen Geistlichen, diese Beschuldigung peinlich ist. Die „Cons. Corr." bat ihn ja nicht mit einbegriffen, aber Jedermann fand ihre Charakteristik gerade auf ihn paffend. Verficht er nun in diesem Stück die Sache der Verfebmten wie seine eigene, und bleibt er, wie es den Anschein hat, hierin beharr lich, so wird ja wohl eintreten müssen, was der „Cons. Corr." von mehreren Seiten für einen solchen Fall prophezeit worben ist: sie wird abermals widerrufen müssen, nm Herrn Stöcker zufrieden zu stellen. Zum Unglück des Organs der Parteileitung hat es, unmittelbar bevor die drohende rheinische „Nachricht" im „Volk" erschien, den Vorwurf unlauterer Motive gegen die Pastoren wiederholt; die Revocation also wird noch um ein Erhebliches schmerzlicher sein, als ohnedies. In der Sache übrigens hat die Parteileitung schon capitulirt. Ihre Erklärung ging bekanntlich dahin, daß, wer nicht gegen die Herren Naumann und Göhre sei, als Gegner der conser- vativeir Partei angesehen werden müsse. Das Stöcker'sche Organ hat, wenn auch- zunächst vorsichtig, die Pastoren gegen die Anklagen der „Cons. Corr." vertheidigt, ohne daß die angekündigte Excommunication auf daS Organ oder auf seinen Hintermann ausgedehnt worden wäre. Vielleicht begnügt sich Herr Stöcker mit dieser stillschweigenden Zurücknahme. Wenn nicht, dann wird der conservative Acosta abermals vor der Synagogenpforle knien müssen, um den schweren Fußtritt des christlich-socialen Ben Jochai zu empfangen. Die socialdemokratischen Parteityrannen, denen es schon eine hohe Genuglhuung bereiten muß, daß nicht nur der Bund der Landwirthe mit seinen socialistischen Tendenzen ferner in der conservativen Partei dommirt, sondern auch Herr Stöcker und sein „junger" christlich-socialer Nach wuchs in Zukunft unter conservativer Flagge die Aufreizung der industriellen und landwirthschaftlichen Arbeiter weiter besorgen, erleben die Befriedigung, daß die „Genossen" in der bayerischen Kammer das Bedürfniß empfinden, ihren Ungehorsam gegen den Azrarbeschluß des Breslauer Partei tags einigermaßen zu compensiren. Sie haben erklärt, gegen das Gesammtbudget zu stimmen, also ein Verhalten beobachten zu wollen, das sie, al- eS ihnen ass dem Frank furter Parteitag angrsonnrn wurde, nicht scharf genug r er- urtheilen konnten. In der sehr gereizten Auseinandersetzung, die Herr Grillenberger mit Bebel über das Thema hatte, bemerkte er: „Ich halte dafür, daß unsere Budgetbewilligung eine praktischere revotutionaire Thätigketl war, at- die bürgertich-constitutiouelle Budgetverweigerung; ich steh« aus Plechanow s Standpunkt, daß nicht solche Mittel zu wählen seien, die revolutionair aussehen, sondern solche, die revolutionair wirken. Das Mittel, das wir wählten, wirkte dermaßen revolutionair und agitatorisch, denn es hat uns Vcele näher gebracht, dir sich im Falle der Budgetverweigerung ablehnend gegen uns verhalten hätten. Soll es aber die Aufgabe der par lamentarischen Thätigkeit sein, agitatorisch nach außen zu wirken, wie es gestern und heute immer wieder betont wurde, so haben wir diese Aufgabe redlich erfüllt. Wir haben große kreise ausgerüttrlt und haben damit den Boden für die Propaganda geebnet Mt dem Antrag Bebel (der die Ablehnung des Budgets den social- demokratischen Landtagsabgeordaetra zur Pflicht machte) zwingen Sie uns, uns auf einen verrückten Standpunkt zu stellen." Nachdem die Herren nun doch diesen Standpunct ein genommen haben, wird sich wohl ereignen, was Grillenberger für den Fall, daß die bayerischen Socialdemokraten das Budget ablehnen, in Aussicht gestellt hat: „Die Nltra- montanen werden sagen, die Preußen hätten un- befohlen, Ordre zu pariren! Und mit Recht." Vom Staatsanwalt bewogen, nicht dem eigenen Triebe folgend, hat sich der ReichStagsabgordnete Prcitz in Colmar zu einer Erklärung verstanden, welche seine von dem Pariser „Petit Journal" wiedergegebenen Aeußcrungen über die Stellung der Elsaß-Lothringer zu Deutschland und Frankreich einschranken soll. Sie lautet: „Es war meine Absicht, wie ich einigen Freunden bereit» erklärt hatte, gewisse crasse Unrichtigkeiten in dem von dem „Petit Journal" veröffentlichen Interview richtig zu stellen. Inzwischen ist eine Unter- iuchung wegen Hochverrat!»» gegen mich eingrleitrt wordni. Da das Gericht milder Sache besaßt ist, wärees vielleicht angemessen, zu schweigen. Wenn ich mich dessen ungeachtet zu einer kurzen Berichtigung entschließe, so geschieht es im Interesse der Wahrheit und im Interesse unseres Landes, dessen Wohl mir über Alles geht. Ich habe setbstverstäud- lich nicht gesagt: Wir schauen nach Frankreich und fordern es — gewissermaßen — zu gewaltthätigem Vorgehen auf. Darin würde eine Ausreizung zum Kriege liegen, die mir nie in den Sinn ge kommen ist. Wer mich kennt, weiß, daß ich der Anwendung von Gewaltmitteln nie das Wort reden werde, sowie, daß ich den Ehauvinismus, mag er auf französischer oder auf deutscher Seite sich geltend machen, nicht ausstachle, sondern bekämpfe. Ich habe nicht gesagt, die gegenwärtige Lage sei nicht der Friede, das wäre widersinnig und be- darf keiner näheren Widerlegung. Niemals, weder iu Wort noch Thal, habe ich Jemandem zu der Annahme Veranlassung gegeben, daß wir ge- neigt sein könnten, uns von auswärts irgendwie beeinflussen zu lassen. Wir holen unsere Parole weder in Pari» noch in Berlin. Wir entschließen uns nur nach unsern eigenen Urbrrzeugungen. Ich glaube, mich vorerst aus diese Erklärung beschränken zu sollen. Für weitere Auseinandersetzungen werde ich meinen Wählern zur Verfügung stehen in einer demnächst in Kolmar rinzubrrufenden öffentlichen Versammlung." Wir vermögen diesen Redewendungen den Charakter eines Widerrufes nicht beizumessen. Herr Preiß berichtigt wohl den einen und den andern PaffuS der Mittbeilungrn des Pariser Blattes, in der Hauptsache richtet sich seine Er klärung aber gegen die Commentare, welche seine unquaiificir- baren Auslassungen zu dem französischen Reporter in der deutschen Presse gefunden Haden. Augenscheinlich ist Herr Preiß bemüht, die gleiche Vorsicht, welche ihn zu einer Rückendeckung gegenüber dem deutschen Strafrichter veran laßte, nunmehr dem französischen Publicum gegenüber walten zu lassen. Für unS ist die Hauptsache: Herr Preiß bat dem Pariser Blatte zufolge Len Frankfurter Frieden al- für Elsaß-Lothriugen nicht verbindlich er klärt. -Wir sind nicht gebunden, d» wir nicht gefragt worden sind." Diese Aeußerung hat er nicht widerrufen. Sie bildet aber den AusganaSpunct und die Grundlage für di« Er örterung seines Pariser Auftreten«. Wenn Herr Preiß be tont, daß er und seine Gesinnungsgenossen nicht geneigt seien, sich „von auswärts", sei es von Paris, sei es von Berlin au-, beeinflussen zu lassen, so sagt er damit nicht- Anderes, als daß er zu seiner Auffassung der Rechtskraft de« Frankfurter Friedens von selbst gelangt sei. Um so mehr Grund, ihm und seinen Genossen auf Schärfste auf die Finger zu sehen. In Frankreich ist die Ministerkrisi« so rasch, als es die Umstänoe erforderten, beendet worden. Es liegt uns darüber folgende Meldung vor: * Parts, 1. November. (Telegramm.) Das Cabinet ist gebildet. Die Besetzung ist folgende: Bourgeois Innere» und Ministerpräsident, Ricard Justiz und Cultu», Eavaignac Krieg, Lockroy Marine, Berthelot Unterricht, Doumer Finanzen, Guyot-Dessaigne Arbeiten, Viger Ackerbau, Mefureur Handel, Eombrs Colonien. Das Ministerium des Auswärtigen ist noch zu besetzen, es wird Decrais an- geboten werden. Das wäre also eine Lösung der Krise nach der radicalen Seite bin, und Felir Faure hat nur correct konstitutionell gehandelt, wenn er der Bildung eine» Cabinrts Bourgeois nicht entgegen war, ja dieselbe offen begünstigte; denn in einem rein parlamentarischen Lande gehört die Regierung der parlamentarisch siegreichen Partei an, und da« sind gegen wärtig die Radicalen, denen daS Cabinet Ribot seinen Sturz zu verdanken hat. Peytral steht nicht auf der Liste, da er sich weigerte, das ihm angetragene Finanzportefeuille zu über nehmen. Eine große Frage ist freilich, ob daS Cabinet in dieser Zusammensetzung dem Präsidenten der Republik behagr Er leatesden größten Werth auf den Wiedereintritt Ha notaux', des Ministers des Aeußern, in das neue Cabinet, und sein Verbleiben galt auch als allgemeiner Wunsch der auswärtigen Regierungen, namentlich Rußland«. Aber die meisten Mit glieder deS Cabinets sind Gegner de« von Hanotaux ab geschlossenen Madagaskarvertrags. Sie verlangen die formelle Annexion statt de« von Hanotaur gewählten Protectorates, und der Minister ist trotz aller Bemühungen Bourgeois' nichl dazu zu bewegen gewesen, Cavaignac zu Liebe, der am ent schiedensten und hartnäckigsten den radicalen Standpunct ver tritt, seine Ueberzeugung zu opfern. Er lehnte daher definitiv ad. Eine zweite fatale Sacke ist die, daß Faure Cavaignac als Kriegsminister mit in Kauf nehmen mußte. Er hat wegen seines freimüthigen Berichte« über die Zustände im Heere, welchen er in der Budgetcommission erstattete, zahlreiche Feinde unter den höheren Officieren, und es verlautet schon, General Saussier werde seine Entlassung als Gouverneur von Pari nehmen, da er mit der Wahl Cavaignac'« durchaus nicht einverstanden sei. In den der CabinetSbildung vorhergehenden Beratbungen verhehlte man sich nicht die Möglichkeit, daß die Uebernabme des Kriegsministeriums durch Cavaignac in der Armee eine große Bewegung Hervorrufen könne. Daß man trotzdem an ihm festgehalten hat, zeigt, wie wenig Rücksicht die Radicalen auf die Armee nehmen und wie wenig Achtung sie ihr zollen. Ueber die progressiveEinkommensteuer ist es natürlich unter den radicalen Brüdern zu einer Einigung gekommen, aber die Steuer hat nur dekorativen Werth, da sie in dieser Tagung nicht zur Verhandlung gelangen wird. Wie den fort geschrittenen Politikern die notbwendige Balancirung des nächstjährigen Budget« — gegenwärtig vielleicht das wich tigste Problem — gelingen wird, ist indessen noch eine offene und sehr bedenkliche Frage. Die Finanzkünste des RadicaliSmus aller Zeilen und Länder haben sich in der Regel nur in der Herunterwirthscbaftuug geregelter Staat«- beziehentlich Gemeindestnanzen bestätigt, aber weniger in organischem Aufbau und iu rationellem Zusammenhalten der materiellen Kräfte de« ihm verfallenen Gemeinwesen-. DaS französische Budget muß bi« Jahresschluß fertiggestellt sein, da« erkennen selbst radicale Politiker an. Da« jetzt zu Stande gekommene radikale Cabinet dürfte aber sebr bald in so vielfache innere Fehden verwickelt werden, daß man billig bezweifeln darf, daß es Zeit und Thatkraft genug für die finanziellen Aufgaben erübrigt. Wie man hieraus sieht, ist mit der Bildung eines Cabinets Bourgeois die Hauptschwierigkeit nur vertagt, aber keineswegs beseitigt. — Die letzten Meldungen über die Lösung der Krise besagen: * Parts, 1. November. (Telegramm.) Ja einer Nachtsitzling einigten sich die Minister über eine neue, gründliche Untersuchung der Südbahn-Angelegenheit, durch welche festgestrllt werden soll, wer die Verantwortlichkeit trägt. Die Minister beschlossen ferner, rin Schiedsgericht in Tarmaux einzasetzea und den Versuch zu machen, den Vertrag mit Madagaskar abzuäadern, ohne jedock die Expedition wieder zu beginnen. Falls die Abänderung un möglich sei, soll der gegenwärtige Vertrag durchgeführt werden. DaS Cabinet steht der Schaffung eiaer Colonialarmee und der Einführung einer Einkommensteuer für das Budget für l89o günstig gegenüber. * Pari«, I. November. (Telegramm.) Die radicalen und FeniH-tsir. «1 Der Kampf ums Dasein. Roman von A. von Gersdorff. Nachdruck »ervoten. (Fortsetzung.) „Da haben Sie denn wohl eine schreckliche Wuth auf den Mann?" fragte Fino. ES kam keine Antwort. Nur ein schwerer Athemzug, und erst nach einer ganzen Weile klang eS grimmig von der Bettstatt der: „Wollt' nicht, daß er mir mal begegnet. Mir überläuft'S immer ganz kalt, wenn ich bloS 'ne Uniform sehe — als könnt' ich da 'mal den Tod von haben." „Und ihr Sckatz?" „Mein Schatz — na, der schlug ein Kreuz vor mir und bat ibn, daß er ihr'« nicht entgelten ließe. Und er hat'« auch nicht gethan. Nein. Sie ist noch bei ihm im Hause. — Aber ich glaube, eS wird Tag — und ich könnte mich am Ende auf die Strümpfe machen und meinen Vetter suchen gehn." „Ja, wir können jetzt wohl hinau«. Und Sie gestatten, daß ich Ihnen auch ferner bebilslick bin." Wächter lachte auf. „Danke, Männchen. Ich hab' Ihre Hilfe genossen und bezahlt. Ihre Sorte von Arbeitsucherri ist nicht meine. Ich stell' mich lieber wo ander« an den Markt, al- in Ihre werthe Nachbarschaft." r. Ein kleine«, behagliche« Zimmer, im Schein einer hübschen, strahlend Hellen Lampe. Eine lichte MilchglaSglocke darauf mit allerliebsten gepreßten Feldblumensträußchen, dir da« Lickt farbig erschimmern läßt. Eine kunstvolle Handarbeit ist e«. Auf dem runden Tisch liegt ein weiße« Tischtuch mit einem in erhabener Stickerei darauf gearbeiteten frommen Spruch: Danket dem Herrn, denn Er ist freundlich Und Seine Güte währet ewiglich." Drei saubere Gedecke einfache« Zwiebelmuster, bübsch geschliffene Gläser darauf, eine Karaffe mit goldhellem Wein, einige Teller mit kaltem, appetitlich rötbsichem Aufschnitt, Brod und Butter mit grünen Petrrsilirsträußchen verziert, duftender Heringssalat und andere Kleinigkeiten. Da« eine Gedeck mit dem alten silbernen Serviettenring und dem großen Wappenzla« liegt vor dem altmodischen, aber sehr „Nein, meine Tochter. Jetzt wollen wir sehen, wa« Du uns Gute« zum Abend bescheert hast!" „Ach, nichts Besonderes, lieber Vater. Wa« soll man geben? Es ist so ziemlich dasselbe, was wir gestern batten, ich habe nur etwas Salat mehr angemacht." Der alte Mann nickte zufrieden. „Ist ja auch gut, mein Kind. Ouäle Dich nur nicht mit dem Küchenzettel. Tu weißt, ich bin ein alter Soldat und habe Genügsamkeit gelernt" Sie hatte nicht jene besondere Erfindungsgabe, welche mehr Abwechslung ohne mehr Mittel recht wohl in die tägliche Kost zu bringen vermag. Sie verstand gut zu wirthschasten und hatte ihr kleines HauSfrauenreich in guter Ordnung, aber Freude darin zu verbreiten, daran dachte ihre sorgeavolle Seele nicht. Der Oberst, sonst eiu ziemlich wortkarger, stiller Mann, befand sich heute in wirklich redseliger Stimmung. Lange gesuchte Arbeit hatte sich endlich gesunden, und solche, die ibm behagte. Vorläufig war er freilich nur als Vertreter eine« Freundes beschäftigt, der im HeroldSamte angestellt war . aber eS war nicht nnmöglich, daß der kränkliche Beamte die Sache ganz aufgab. So kam eS, daß der sonst so ruhige Mann heute unbewußt ganz angeregt war von einem Briese seines allen Freundes, der ihm meldete, daß in seinem Leberleiden bisher keine Besserung eingrtrrten sei. Er sah auf dem großen, überfüllten Markte Platz werden für sich in dem Gedränge. Und der rüstige, geistesfrische Oberst wollte ko gern arbeiten! Thätigkeit an sich war ihm durch lange angestrengte Arbeit in einem geliebten Berufe LrbenSbedürfniß geworden; dazu trat der berechtigte Wunsch, seine und seiner Kinder Lage — er batte noch einen Sohn, der al« Osficier in einem Garde Infanterie-Regiment stand — auf alle Weise zu erleichtern. Oberst von Andor hatte keinen Deut Vermögen. Sie lebten nur von seiner Pension, und davon ging noch eine zirmlick hoh« Summe fort für eine LrbenSversichrrungS-Police zu Gunsten seiner Tochter. Der Sohn hatte keinen Tbeil daran haben wollen; der stand auf eigenen Füßen und verlraule stolz der eigenen Kraft. Außerdem hatte der Oberst wobl zeitlebens die Ehrenschuld eine» anderen abzuzablen, für den er einst in großmüthigem Vertrauen auf seine Ehrenhaftigkeit ciagetrrtrn war. Er war früb Wittwer geworden und Maria-Margaretbe batte früh die Sorge für den HauSbalt übernehmen müssen So hatte sie nicht allzuviel über den Blickern gesessen, ihr Wissen war mehr «in praktisches auf allen Gebielen, durch falteten Hände auf der Lehne eines Stuhle« ruhend, schmale, aristokratische Hände, sichtlich gepflegt — wahrscheinlich viel fach bewundert, obwohl sie so achtlo« herabhängrnd, etwas AeltlicheS hatten. Ihre Augen folgten dem Zeiger de« großen laut tickenden Regulators in dem braunen Mabagonigebäuse mit den gelben eingelegten Sternen und Streifen am Rande. Wartend stand sie da, resignirt auf den Fortgang der Minuten harrend, bi« der Zeiger voll wie- und die acht tiefen, sonoren Schlagtöne den richtigen Moment anzeigten, wo man in strenger Pünktlichkeit den alten Pater zu Tisch bitten durfte. Arme« Weib! Aermer vielleicht, al« Jene, die in ver zweifelter Energie — um das nackte Leben kämpfend — mit Noth hinter sich, Noth vor sich, — nackte, brutale Noth — mit zwei gesunden Händen und gesunden Instinkten über den Markt des Lebens schreitet. „Lieber Vater — darf ich bitten?" „Schon acht Uhr? Wie prächtig doch die Zeit bei der Arbeit vergeht! Habe lange keine so genußreichen Stunden verlebt, seitdem ich den Sabel auS der alten Hand legen mußte, damit Jüngere die Sache besser machten. Na — ich klage nickt. Ist recht so. Immer vor die jungen Kerl« in dce Gefecht-linie. Dem alten Manne, der noch nicht wieder zum Kinde wurde, bietet sich andere Tbätigkeit. Und Arbeit findet Jeder, der Arbeit ernstlich sucht. DaS ist wie mit dem alten Herrgott — wer ihn sucht und ihn auch im Ernst und in der Wahrheit sucht, der findet ihn auch. Die schlappen, faulen, energielosen Kerl« — die sollen un« da« nicht ander- weiß machen", sagte er gedankenvoll. „Aber Väterchen! Hat Dich diese Abendarbeit auch nicht aufgeregt?" fragte die Tochter in ihrer ängstlichen sorgenden Art. „Wenn Du nur nachher schlafen kannst. Du weißt, die späten Erregungen bekommen Dir schlecht." „Mein Töchterchen darf kein kalte- Wasser in unser beste« Feuer gießen und nicht vergessen, daß ein himmelweiter Unterschied ist zwischen leerem Strohdreschrn, will Karten spielen sagen, und regelrechter, fruchtbarer Arbeit!" Sie aber dachte betrübt: Der Versuch, der sich selbst begeistert, ist noch nicht der Erfolg, der Anderen genügt. Aber sie schwieg, unterdrückte selbst ihren gewöhnlichen Seufzer, legte die Feder auf die Schale und schloß das Tintenfaß. „Heut schreibst Du doch nicht mehr?" fragt« sie auf- blickend. bequem au-sehenden Sopha, welches eine farbige gehäkelte Schlummerrolle und ein auf dunklem AtlaS gemalte- Kissen schmückt. Vor den beiden Fenstern hängen weiße, steif gestärkte Gardinen mit Lambrequins von altem Schnitt, nach einer alten Mode, der überbaupt daS meiste hier im Zimmer angehört. Einfache weiße Vorhänge trennen zuaezogen den unfreundlichen Herbstabend von dieser warmen Traulichkeit. Ein ziemlich großer, viereckiger Schultisch, bedeckt mit allen möglichen Erfordernissen für weibliche Handarbeit steht an dem einen Fenster. Da schimmert und leuchtet eS gar ver- sührerisch für Frauenaugen von lichten Seiden und tief leuchtenden Sammeten, von prächtigen Blumenmustern und Anderem mehr. An den Wänden hängen allerlei militärische Bilder in einfachsten Holzrahmen. Gruppenbilder von Offi- cirren und Unterofficieren, auch eia Porträt de« Kaiser« mit Unterschrift. Darunter zwei gekreuzte Säbel und eine fast handgroß« Silhouette: eiu feine« Männerprofil mit langen Schnurrbartendrn, deren Gekräusel mit fabelhafter Kunst fertigkeit von der Scheere wiedergegeben sind. An dem Tisck steht eine Dame und zündet unter dem blanken Messingkessel die bläulich zuckende Flamme an. Und nun beginnt da« überau- behagliche Singen und Summen, und vom Ofen her tönt die harmonische Melodie eine« prasselnden HolzfeuerS, de- ersten im Jahre, und wirft seine lustigen rothen Lichter fröhlich tanzend über die blanken Dielen. Die Dame am Tisch rückt ein letzte« Mal an den drei auf dem Tisch zusammengestellten Tassen und nickt befriedigt. E« ist eine mittelgroße, mädchenhafte Figur in einem einfach modischen Kleide von dunkelblauer Dolle, da- aber recht schlecht sitzt. E» ist augenscheinlich von ungeübter Hand gearbeitet. Ein ruhige«, blasse« Gesicht, nickt mehr jung, mit einem etwa« gepreßten Munde und klugen Augen. Hübsch ist diese Mädchenerscheinung mit ihren regelmäßigen Zügen; aber der gepreßte Mund erzählt etwa« von unterdrücktem Verdruß, di« schön geschnittenen Nuaen haben einen alten, sorgenvollen Blick — Entsagung, aber nicht lächelnde, liegt zwi)chen den feinen, etwa« stark gehobenen Brauen: für den Serlenkenner, den Menschenfreund rnbt ein weicher Schimmer unerfüllten Streben« über dem leise waltenden häu-lichen Frauenbilde. Eö ist Maria-Margarethe von Andor, einzige Tochter de« Obersten a. D. Freiherr» von Andor - Weyhern. Eine Weile stand sie noch still am Tische, dir leicht ge
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