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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040606025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
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Vnzeigen-PrrtS die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Rrdaktioa»strich (»gespalten) 7b >4. «ach den Familiennach- richten (6 gespalten) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Äebührrn für Nachweisungen und Ossertrnannahme 2b /H. GtztrA-veilagr» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^l 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annah«, eschlutz für Anzetgru: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au-gabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen stad stet» au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» Ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pole in Leipzig (Inh. vr. v., R. L W. Kltukhardt). 98. Jahrgang. Var lvicdtigrte vom rage. * 4« vefintzen »e» König» Georg ist gestern eine verschlimmer»»»« eingetreten, so »ast Professor vr. Trentzeleoburg von hier nach Hostcrwttz berufen wurde. Die Reise des König» nach Sm» ist unter diesen UmstSntzen vorläufig verschoben morden. (S Sachs.) * Reichstag und preußische» Abgeordnetenhaus werden morgen rhoe Arbeiten wieder aufnehmen. * Für die Abgabenfreiheit der deutschen Wasser straßen ist gestern Prinz Ludwig von Bayern in einer zu Landshut gehaltenen Rede sehr warm ein getreten. (S. Dtsch. Reich.) * Ein russische» Kanonenboot vom Tip „Giljak" ist bei Port Arthur von einem Torpedo getroffen und zerstört worden. Politik Md stecdlrpliege. Tie „Grenzboten" veröffentlichen seit einiger Zeit Tagebuchblätter des verstorbenen Kultusministers Bosse. Diese Aufzeichnungen, die von einem ehrlichen und ein fachen, aber sehr unbedeutenden Manne niedergeschrieben sind, waren höchstens insofern interessant, als sie zeigen, von welchem Holze die Männer sind, die bei uns an der Spitze stehen, aber sie konnten ihrem sonstigen Inhalt nach nicht den geringsten Anspruch auf Bedeutung erheben. Jetzt indessen haben sie plötzlich einen geradezu sensatio nellen Charakter erhalten. In der letzten Fortsetzung des Tagebuches befindet sich eine Mitteilung, die sich auf den Richterstand bezieht. Als das Sozialistengesetz ge macht wurde, wollte Fürst Bismarck die Entscheidung der Beschwerden dem Bundesrate zuweisen. Dem wider sprach Bayern, und der Kanzler fügte sich. Er erklärte sich damit einverstanden, daß mit der Entscheidung eine vor- nehmlich aus Richtern zusammengesetzte Kommission be traut wurde. Dann erzählte Bosse, der damals Vor tragender Rat im Staatsministerium war, über den Ministerrat vom 20. Oktober 1878: „Als richterliche Mitglieder seien ihm (dem Fürsten Bismarck) die Mitglieder des Obertribunals v. Grävenitz, Klauswitz, Hahn und Delius als politisch vollkommen zu verlässig bezeichnet worden. Der Justizminister (Leon hardt) schlug noch den Obertribunalrat v. Holleben vor und benutzte den Anlaß — wie mir schien, wenig taktvoll und geschickt —, die preußischen Richter überhaupt als politisch zuverlässig herauszustreichen. Fürst Bismarck meinte, wenn die preußischen Juristen alle so wären, wie der Staatsanwalt Tessendorf, dann wären sie in der Re- kursinstanz zu brauchen, aber die preußischen Staats anwälte fühlten sich meist nicht als Regierungsbeamte, sondern als souveräne Richter. Den badischen Oberstaats anwalt Kiefer bezeichnete er als abschreckendes Beispiel. An badische Richter könne man also für die Kommission gar nicht denken." Diese Veröffentlichung ist ein gefundenes Fressen für die Sozialdemokratie, und -er „Vorwärts" beginnt sie auch bereit» auszufchlachten. Wir unserseits mißbilligen übrigen- die Veröffentlichung nicht, denn tn politischen Dingen steht uns die Wahrheit höher als die persönliche Rücksicht. Wir wundern uns nur, daß die „Grenzboten", die so mimosenhaft empfindlich sind, wenn Graf Bülow angetastet wird, vor einer Veröffentlichung nicht zurück schrecken, die dem Andenken des Fürsten Bismarck gerade nicht von Nutzen sein kann. Der Sache selbst stehen wir so gegenüber, daß wir das Verhalten des Fürsten Bis- marck rückhaltlos verurteilen. Indessen, wenn er skrupel los war, so war er es in der Tat nur im Dienste des Vater- landes, und seinen schlimmen Fehlern entsprachen herr liche Vorzüge. Justizminister Leonhardt war weit mehr als Fürst Bismarck verpflichtet, für die Unabhängigkeit des Richterstandes einzutreten. Er verzichtete würdelos auf die Entgegnung, die dem nur politischen Stand- punkte des Fürsten gegenüber seine Pflicht gewesen wäre. Ob wir Gründe haben, unsere Gegenwart tn Lieser Be ziehung der Vergangenheit gegenüber zu rühmen, das müssen wir dahingestellt sein lassen. Die Wahrscheinlich keit spricht dafür, daß in jedem Staate jederzeit die An schauungen maßgebend sein werden, die Fürst Bismarck zu bemänteln nicht für nötig hielt. Sie werden nur immer von einem mehr oder minder dichten Phrasengewebe ver deckt sein. Es erscheint uns daher außerordentlich naiv, lvenn die „Vostische Zeitung" von den heutigen Staats lenkern eine Erklärung darüber verlangt, daß sie mit den oben erwähnten Anschauungen nichts gemein haben, son dern von den Richtern statt politischer Zuverlässigkeit strengste Unparteilichkeit verlangen. Um Erklärungen sind die leitenden Kreise nie in Verlegenheit, und wir legen auf solche Kundgebungen nicht den geringsten Wert. Die Regierung möge praktisch beweisen, welche Stellung sie der Rechtspflege gegenüber einnimmt. Ihre Taten allein, nicht ihre Reden, sind für ihre Beurteilung maß- gebend. vek luttkch-iapanirche Weg. Die ASmxfe bei Port Adam» lieber die Kämpfe, die am 30. Mai nördlich von Port Adams stattfanden, sind folgende weitere Nachrichten in Tokio eingegangen: Japanische Kavallerie erkannte bei einem Ttreifiuge in Tschutschiatung, daß Kosaken sich in Telissu festgesetzt batten. Die daraufhin entsandte Infanterie und Kavallerie schlug die Russen, die drei Schwa dronen zählten und verfolgte sie. Bei Tschandsiatun stießen noch zwei Schwadronen zu den Russen. Die Japaner griffen nochmals an und schlugen die Russen wiederum m die Flucht. Als nun in Lüngwungmiao die Russen noch durch L Kompagnien Infanterie und eine Batterie Feldartillerie verstärkt wurden, griffen die Japaner zum dritten Male an. Die Russen zogen sich auf Telefsu zurück; die beiderseitige Kavallene war dort Montag nacht in Fühlung. Grohbrltannien ««- -<r Arieg. Aus London wird geschrieben: Im „United Service Magazine" erörtert ein Diplomat da- englische Interesse am Kriege zwischen Rußland und Japan. E» heißt darin : Eng lands Zukunft mache eS wünschenswert, daß Ruß- land weder gänzlich unterliege, noch glänzend siege, sondern nach wechselvollen schweren Kämpfen zu einem dilatierende» Friedensschlüsse gelange. DaS wahre Interesse des JnselreicheS erfordere, daß Rußland dir Mantschurei samt Port Arthur nach langwierigem Kampfe behalte, jedoch stet- auf dem Posten bleiben müsse, um sich diesen Besitz zu erhalten. Nur wenn der äußerste Osten Ruß lands diplomatische Aufmerksamkeit, sowie seine militärischen und maritimen Kräfte für längere Zeit beansprucht und binde, indem Japan als Frucht seines Ringen- Korea erwerbe und zum ständigen Wächter an den Grenzen der Mantschurei erwachse, nur dann werde Großbritannien auch an Indiens Grenzen Ruhe haben und sich im Sinne seiner politischen Ziele ruhig weiter entwickeln können. Ein glänzender russischer Feldzugssieg, der Japan vom Festlande wieder vertriebe, vermag, so wird weiter auS- geführt, England nicht nur nicht- zu nützen, sondern bedroht durch die Erstarkung deS russischen Einflusses alle englischen Jutereffen im fernen Osten, welche heute mehr denn jemals nach den Tälern de- Uangtse und den Kwangtung-Provinzen Chinas neigen. Die Festsetzung Ruß lands in der Mantfchurei verhindere andererseits, daß Japan sich allzusehr ausbreite. Obgleich die anglo - japanische Allianz von Seite Großbritanniens ehrlich gemeint werde und als Betätigung des redlichen Willen- aufrusaffen sei, Japan auf dem eingeschlagenen Wege des Fortschritts, deS politischen Aufschwunges, der nationalökonomischen Wohlfahrt und als Träger einer kulturhistorischen Mission in Korea zu unterstützen, so sei den Briten andererseits nicht damit gedient, nur das Gerüste abzugeben, auf dem sich dieses junge Reich üppig wuchernd zu machtvollster Ausbreitung auf dem ostasiatischen Festlande emporranke. AuS diesen Gründen wäre, vom englischen Gesichtspunkte aus beurteilt, Japan ein glänzender Friedensschluß, der alle Bedingungen and Voraussetzungen zu seinem Gedeihen ge währleiste, ebenfalls nicht zu wünsche«, so daß das Facit darin bestünde, daß ein ehrlicher Friede wünschenswert sei, der die beiden umstrittenen Gebiete, Mantschurri und Korea, zwischen beiden kriegführenden Staaten gleichmäßig aufteile. Der Verkauf chilenischer Arieg»schisfe an eine -er kriegführen-en Mächte. Es dürste richtig sein, daß auf zwei chilenische Kriegs schiffe sowohl Rußland als Japan ihr Augenmerk gerichtet haben. Chile hat drei Linienschiffe und zwei große Kreuzer, von denen das Linienschiff „Capitän Prat", das bereits 1890 vom Stapel lief (in La Seyne gebaut), ohne nennenswerten Gefechtswert ist. Auch mit dem 1897 resp. l896 gebauten großen Kreuzer „O'HigginS" (8600 t groß) und „Esmeralda" (7100 t groß) werden die kriegführenden Mächte gerade nicht sehr viel anfangen können; eS handelt sich um mittelmäßiger Kreuze, die bei Armstrong gebaut sind und in den 6—7 Jahren ihrer Tätigkeit sich nicht verbessert haben. Dagegen dürften die' kriegführenden Mächte sehr ihr Augenmerk auf die beiden neuen Linienschiffe, die bei Armstrong resp. Kikers ihrer Vollendung entgegensetzen, gerichtet haben. Es bandelt sich in der Tat um zwei vollwertige Linienschiffe, welche eine außerordentliche Verstärkung bedeuten werden. Die beiden Linienschiffe „Constitucion" und „Libatad" gehen, wie gesagt, ihrer Vollendung entgegen und können vielleicht in drei Monaten gefechtsbereit fern. Die beiden Schiff« sind je 12 OVO Tonnen groß, die 12 500 indizierten Pferdekräfte, welche die Maschinen entwickeln, sollen den beiden Linienschiffen eine Geschwindigkeit von 19 Knoten geben. „Constitucion" und „Libatad", welche mit je 2 Schrauben versehen sind, haben eine Länge von je 133 w, eine Breite von je 21,7 m und einen Tiefgang von 7,6 w. Eö ist ein Besatzungsetat von je 700 Mann vorgesehen. Die Armierung ist bezüglich der Mittelartillerie und Klein artillerie sehr gut, wahrend wir (deutsche Linienschiffe) vier 28 cw-Geschüne an Bord haben, die kriegführenden Mächte als schwerste Geschütze solche von 30 cm verwenden, sind sie bei den „Chilenen" mit je vier 25 cm-Geschützeo armiert, stehen also an schwerer Artillerie den neuesten Linienschiffen etwas nach. Aber dieser Umstand ist zu unbedeutend, um den Gefechtswert zu beeinträchtigen. Da beide kriegführende Mächte die Schiffe sehr gut gebrauchen können, wirb es ein heißes Bieten geben, Chile wird zweifellos ein gutes Geschäft machen und da» chilenische Parlament wird sich dann wohl zufrieden geben. Am nötigsten gebrauchen zweifellos die Japaner die Schiffe, da sie nirgend« Reserven haben, während solche den Russen bekanntlich noch in au-reichendrrweise zur Verfügung stehen. poMircde cagrrrcbau. * Leipzig, 6. Juni. Leonravallo. Wer beruflich genötigt ist — so schreibt uns unser Berliner Vertreter —, häufig die Straßen der Reichs- hauptstadt zu Fuß oder zu Wagen zu durchqueren, der ist in den letzten Tagen ganz sicher überraschend oft einem dicken, schwarzhaarigen Manne begegnet, der aufrecht in einem Taxameter sitzt, sich in gebietender Pose auf einen Stock stützt und die Augen unruhig und suchend umher schweifen läßt. Glücklicherweise sorgen unsere Illustrierten Blätter dafür, daß die Persönlichkeiten von Distinktion, die Berlin besuchen, uns nicht lange unbekannt bleiben. So erkannte ich sofort Herrn Leoncavallo, den Kom ponisten einer brutalen, aber wirkungsvollen, und einer nicht brutalen, aber ungewöhnlich langwelligen Oper. Herr Leoncavallo fährt augenscheinlich in Berlin Reklame, obwohl seine Persönlichkeit nicht dazu angetan ist, ihm auf den ersten Blick Sympathien zu erwerben. Nun wird ihm zwar kein Mensch daraus einen Vorwurf machen, daß er unsere Taxameter in Nahrung setzt, weniger erfreulich aber ist es, daß er durch das Medium von Reportern seine Unterredung mit dem Kaiser Wort für Wort in die Blät ter lanziert hat, und daß der Mann, der eben dazu aus erkoren war, eine unserer schönsten Dichtungen auf An- rcgung unseres Kaisers musikalisch zu gestalten, sich jetzt erboten hat, der VarietLtänzerin Tortajada eine Oper zu schreiben. Es ist eigenartig, daß wir uns immer ein bilden, durch persönliche Liebenswürdigkeiten gegen mittelmäßige Vertreter einer fremden Nation starke poli tische Wirkungen auszuüben. Wir haben Herrn Leon- cavallo, der in Italien eine winzige Rolle spielt, wie einen Größten im Reiche der Kunst empfangen. Er hat einem intimen militärischen Feste in Potsdam beigewohnt, der Kaiser hat ihn für den ersten dramatischen Komponisten Italiens erklärt, und wahrscheinlich ist man nun wieder oben fest davon überzeugt, den Dreibund gesichert und den Franzosen einen Vorsprung abgewonnen zu haben. Denn anders läßt sich der Einfall kaum erklären, ein so ur- Feuilleton. Tamms Garten. 18j Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck ««rboten. Sie sah ihn bei der letzten Frage mit besorgten Augen und zugleich mit einem leicht lächelnden Zug um die Lippen an, und -da er die Richtigkeit ihrer Vermutung nicht abzulcugnen vermochte, sondern hochroten Gesichtes und stumm neben ihr saß. fuhr sie, die Hand gegen ihn auSstreckend, fort: .Wenn du's nicht zugeben willst, wird'- dein Herz mir selbst sagen, ob es zu schnell klopft." Ihre schmalen Finger glitten dabei unter den Rand seiner Weste und legten sich auf die Herzgegend seiner Brust, daß diese eine Wärme von ihnen ausgehn fühlte, und nach einer kurzen Prüfung bestätigte sie kopfnickend: „Siehst du wohl, ich mußt'», es schlägt viel zu rasch; das darf nicht mehr gescheh« und davor müssen wir uns hüten." Nun brachte er stockend vom Mund: „Ja — seit vorgestern — woher konntest du's wissen?" Sie atmete einmal tiefer auf und antwortete: „Wenn man selbst auch — ich sagte, wir müßten uns beide davor hüten, denn ich leugne es nicht ab wie du." Stotternd fragte er: „Hast du's auch?" und nach seiner Hand fassend, drückte sie diese jetzt mit der Erwiderung: „Ich glaube, du wirst es durch'- Kleid mer ken", leich-t gegen die Stelle ihre» Herzens. Bon einem Schlag desselben fühlte er indes nichts, nur da sie aber mals tief atmete, ein weiches Drängen gegen seine Hand fläche; gleichzeitig aber überkam« ihm wie mit einem Schrvkndclanfall den Kops, daß dieser haltlos auf ihre Schuller niederglitt. So blieben sie etn Weilchen, ohne weiter zu sprechen, sitzen, bi» Amelia wiederum sagte: „Siehst du, das kommt vom Herzklopfen; sch kenn' e» auch, daß einem davon ganz wunderlich und schwach im Kopf werden kann. Deshalb tst's notwendig, so schwer mir'» auch möglich sein wird, dich nicht mehr täglich, vielleicht am besten nur jeden dritten Tag zu sehen. Aber zum Glück kommt und geht solcher Anfall vorüber; ich merke — nicht wahr? — Dir wird's wieder besser, und wir können ver ständig miteinander überlegen, waS du am klügsten da gegen tust." Sie hatte sacht seine Han- mit der ihrigen herunter gezogen, und in der Tat wich jetzt der Betäubungszustand seiner Sinne etwas von ihm ab. Zu einem wirklichen Denken konnte er zwar noch nicht gelangen, fühlte nur, daß sie dies für ihn tun, er sich ihrer verständigen Leitung überlassen müsse, und erwiderte auf alles, was ihr von den Lippen kam, mit Ja. Erst als sie einmal erwähnte, daß sie in der letzten Stacht von ihm geträumt habe, doch gleich kurz wieder -davon abbrach, fand er soviel Worte, um zu fragen: „Was träumtest du denn von mir?" Lachend schüttelte sie den Kopf: „Nein, eS war zu unsinnig, so närrisch, wie Träume zuweilen sind." Aber da er in sie drang: „Ich bitte dich, sag's mir!" gab sie nach: „Wenn du mich nicht auSspotten willst, das mußt du erst ver spreche»", und danach erzählte sie. Ihr habe geträumt, daß sie tn der Nacht vor ihrem Geburtstag im Bett gelegen und der Mond darauf geschienen. Da sei Dieter plötzlich in ihre Stube gekommen, habe ihre Hand gefaßt, einen Ring mit einem wundervollen blauen Stein ihr an den Finger gesteckt und dazu gesagt, in dem liege eine Zauber kraft, so lange sie ihn trage, müsse sie immer, bei Tag und Nacht, nur an den Geber denken. Darüber wäre sie so glücklich gewesen, wie noch niemals über etwas in ihrem Leben, hätte, als er fortgegangen, die Hand auf ihr Herz gelegt und richtig immerzu nur an ihn denken können. Und so lebhaft wie Wirklich keit hatte daS alles sich zugetragen, daß sie sogar beim Aufwachen noch eine ganze Zeit lang gemeint, der Ring müsse an ihrem Finger sein. Erst als sie ihre Hand im Morgenlicht angesehen, war's ihr klar geworden, daß sie nur geträumt hätte, und da hatte sie — zu dumm, als daß sich'S erzählen ließ — darüber weinen müssen, denn ihr war'S gewesen, er habe sie nicht mehr lieb und ihr deshalb heimlich, währen- sie geschlafen, den Ring von ihrem Finger und Herzen wieder weggenommen. Amelia beendete ihre Erzählung: „Man glaubt nicht, wie unsinnig Träume sein können, denn du kämst doch bei Nacht nicht in meine Stube herein, und da» Lächer lichste war meine Traurigkeit hinterher; du wolltest eS durchaus, sonst hätte ich dir nicht- von dem einfältigen Traum gesagt." Dazu lachte sie, aber die lebhafte Er innerung dran hatte ihr wieder einen feuchten Schimmer in die Äugen gebracht, so daß sie unwillkürlich einmal schnell über diese mit der Hand wegglttt, um da» Herab- fallen einer Träne zu verhüten. Danach jedoch flog ihr mit einem halb ängstlichen Ton vom Mund: „Aber, nicht wahr, e» war nur etn dummer Traum, und du hast mich doch noch lieb — laß deine Lippen mir es sagen!" Ihr Arm schlang sich beim letzten heftig mn seinen Hals und sie küßte ihn ungestüm, wieder und wieder, bis sie beide aufhören mußten, weil ihnen der Atem verging. Das lief zwar der von Amella aufgestellten bedachtsamen Vor- schrift zuwider, und ihr selbst kam dies auch zum Be- wußtwerden, denn sie sprach nun: „Wir wollten uns nicht so viel — verzeih' mir'S — ich hatte schuld d'ran, aber bei der Erinnerung an den bösen Traum könnt' ich nicht anders — und eS war diesmal ja auch für drei Tage, nicht wie früher nur für einen. Noch dazu für gestern mit, wo wir'S vor deinem Freund nicht konnten. Dem sag' nur von mir, für seinen guten Willen, uns beizustehn, wär' ich ihm gewiß dankbar, aber hierher in den Garten sollt' er am Nachmittag nicht wieder kommen, da wären wir beide lieber ohne ihn. Also über-übermorgen — wie schrecklich lang das klingt, und es darf doch wegen des Herzklopfens nicht früher sein. Nur einmal noch, ehe wir uns für so lange trennen müssen —" Sie konnte nicht anders, als den AbschiedSkutz noch mal» in gleicher Weise wiederholen, dann hatte sie sich sichtlich erschrocken hastig losgerisien, war durch die Hecke verschwunden, und Dieter ging allein, halb schwankenden Schritts, draußen am Gartenrand hin. Vom Scheitel bis -ur Sohle, wie von den Blutwellen überallhin fortge tragen, durchlief ihn ein heitzwogendes Gefühl, ei- fei eine Notwendigkeit, eine zwingende Pflicht, daß er der Freun- deSwarnung PetzoldS und der unbewußt damit überein- stimmenden Erkenntnis Amelias Folge leiste, seltener alS bisher mit ihr zusammenkomme. Sie war etn zu bedacht- und ahnungsloses Kind, das hatte sie heute klarer als je offenbart, seine Hand trug noch die Empfindung des Be weises dafür tn sich. Durch die Verworrenheit seiner Sinne rang sich nur ein Gedanke auf, ließ ihn immer rascher der Stadt zugchn und wieder in den Laden deS Goldschmied» eintreten. Hier wär ihm beinah ein Jubelton vom Munde geflogen, denn in einem Au»hängekasten nahm er einen schön gearbeiteten Goldrtng mit blau leuchtendem Saphirstein gewahr, so genau dem gleich, von welchem Amella in der letzten Nacht geträumt hatte, al» ob sie ihn in Wirklichkeit gesehen habe. Ohne Be- sinnen erlegte er den dafür geforderten Prei», griff eilig nach dem angekauften Schmuckstück, da» ihm die Be deutung eine» mit wundersamen Kräften begabte« Talisman» angenommen, und begab sich in einer halb- trunkenen Seligkeit davon. Am Abend aber in seiner Schlafstube steckte er den Ring an den kleinen Kinger der linken Hand, stellte sich vor, ob jener auf einen der so viel schmäleren Mädchenfinger passen werde, und ging dann, die Hand auf sein Herz legend, zu Bett. Da be- währte die Zauberkraft auch an ihm ihre Wirkung, denn al» er am Morgen erwachte, hatte er die ganze Nacht hindurch unablässig nur von Amella geträumt. Doch mit dem Aufgebot aller Willensstärke kam er in den nächsten Tagen dem Geheiß und seinem Entschlüsse nach, durch ablenkende Tätigkeit über die in ihm gärende seelische und leibliche Erregung Herr zu werden. Ge treu besuchte er seine Kollegien, vertiefte sich zu Hause in ihre schriftliche Ausarbeitung, trachtete auf dem Fecht boden nach langdaucrnder Anstrengung bis zur völligen Erschöpfung seiner Kräfte. Diese körperliche Ermüdung erschien ihm als heilsamstes Beschwichtigungsmittel; wenn er das Rappier handhabte, beschleunigte fein Herz schlag sich wohl auch, doch in ganz anderer Art, als bei dem Zusammensein mit Amella; vielmehr empfand er» al» ein gesundes Herzklopfen, durch welches daS andere, schädliche gewissermaßen überwältigt und vertrieben wurde, und wenn er sich danach erholnungsbedürftig ausruhte, ihm dabet eine Zeitlang die Augen zufielen, kam er aus einem traumlos gewesenen, kräftigenden Schlafe wieder zum Bewußtsein. Nicht Widerstand dagegen konnte er dem Drange leisten, am Nachmittag für eine Weile in Tamm- Garten zu gehen. Das verstieß nicht gegen seinen Vorsatz, da er wußte, Amella sei nicht dort, und der Garten lag auch jedesmal in einsamer Stille, so wie er ihn ein Jahr zehnt lang stets gefunden; wie ein Traum wollt's ibm Vorkommen, daß es während der letzten Wochen drin anders gewesen sei, aber schnell berichtigte sein Herz diese Borftellung, ließ keinen Zweifel an der wunder baren Wirklichkeit, denn sobald sein Kuß sich dem Obst gehege näherte, begann es wieder mit dem hastigen Klopfen, obwohl auch hier lautlose Verlassenheit umher lag. Nur ein Windstoß musste einmal hereingefahren sein, der allerhand Früchte, Pflaumen und Birnen, von den Zweigen gerissen und auf einen der Gänge hinüber geworfen hatte; der Niederfall aus den Bäumen herab konnte sie nicht bis dahin verstreut haben, Insekten waren wohl über einig« Reineclauden geraten, von denen nur noch Kerne am Boden geblieben. Vermutlich meldete sich in der stosshaften Luftbewegung Borbotschaft an, daß «in Umschlag -er lang angedanerten schönen
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