Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040609024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904060902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904060902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-09
- Monat1904-06
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS-PreiS 1» der Hauptexvrdtttou oder deren Lu-gabs» pell« avgeholt: vierteljährlich ^l S.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung irr« Hau« 3.7L. Durch di« Post bezog«» für Deutsch» laub u. Oesterreich vterteljährttch 4.K0, für die Lbrigru Länder laut Zeitvnqsprei-liste. NeDakttBu: Johauultgaffe 8. Sprechstunde: b—S Uyr Nachm. Fernsprecher: 1LS Erpebittan: JohanntSgaffe S. Fernsprecher: 222. Filtalerpedttiauen: Alfred Hahn,Buchhundlg.,UntversitätSstr.S lFernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen» straß« 14 (Fernsprecher Nr 293k- u. König«» Platz 7 lFernsprecher Sk. 7K0S). HttApt-Filtale Dresden: Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt i Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlD«ncker,Herzgl.Bayr.Hofbuchbaudlg., Lützowstraße lOsFerusprecherAmtVI Nr.4603.) Nr. 29«. Abend-Ausgabe. MeWWrIllgMM Anzeiger. Amtsvkatt -es königlichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates «nd -es Volizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Donnerstag dm 9. Juni 1904. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem Rrdaktionsslrich (»gespalten) 7L nach den Familiennach» richten (ti gespalten) KO Tabellarischer und Zissernsay entsprechend höher. — (Gebühren für Nachweisungen und Ofserleiiannahme 25 Extra-Beilagen 'gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesvrderung 60.—, mit Postbe'örderung 70.—. Bnnahmeschluß ,ur tzlnzeigrn: Abrnd»Ausgabr: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig (Inh. vr. B., R. ät W. Slinkhardt). 98. Jahrgang. Var Wchtigrte vsm rage. * König Georg hat einige Stunden außer Bett zugebracht. Wenn die Besserung anhält, dürste dieReisenachEmsam 18. Juni angetreten wer den. (S. Sachsen.) * In M a r s e i l l e ist infolge der vom Präfekten ein geleiteten Verhandlungen der Konflikt mit den Dockarbeiterngelöst. Die Arbeit wird demnächst wieder ausgenommen werden. Auch die Frage des A u S » standes der Offiziere der Handels marine gilt als beseitigt. * In Uruguay haben die Regierungs- truppen einen Sieg über eine Abteilung der Aufständischen, von denen viele geiallen sind, davongetragen. 4000 Pferde sollen erbeutet worden sein. politische Lagezzchau. * Leipzig, 9. Juni. Abschaffung der Schwurgerichte? Nach der „Voss. Ztg." verlautet, daß die Kommission, die im Reichsjustizamt über dieReformdesStraf- vrozesses berät, ihr Gutachten für die Abschaf fung des Schwurgerichtes und seine Ersetzung durch ein großes Schöffengericht abgegeben habe. Zur „Beruhigung" dec öffentlichen Meinung solle dieses Schöffengericht gesetzlich Schwurgericht genannt werden. Wir fürchten nur, daß dieser irreführende Trick keinen Menschen beruhigen wird. Was man dem Schwurgericht vorwirft, ist sein demokratischer Charakter, seine angel sächsische Herkunft, seine Neigung zu Freisprechungen: was wir den Berussrichtcrn vorwerfen, ist Weltfrcmdheit, juristische Haarspalterei, Befangenheit in Klasscnvor- urteilen, Neigung, den Angeklagten von vornherein als überführt zu betrachten, Tendenz, den Buchstaben über den Geist zu stellen. Wir könnten so noch eine gute Viertelstunde fortfahren, aber wir wollen das lieber nicht tun, denn wir fürchten, daß die Diskussion über das Thema unfruchtbar fein würde. Der Geist unserer Zeit ist reaktionär, soweit die herrschenden Stände den Geist der Zeit überhaupt widerspiegeln, und so ist es kein Wunder, wenn auch die reformatorische Tätigkeit einen reaktionären Charakter trägt. Wir sind nicht geneigt, die Institution des Schwurgerichtes in den Himmel zu heben, indessen die Ansicht, die heute in Juristenkreiscn mit mehr Temperament als Sachlichkeit verfochten wird, daß sie völlig abgewirtschaftet habe, halten wir für durchaus irrig, und wir würden es sehr bedauern, wenn sich die Nachricht der „Voss. Ztg." bestätigen sollte. Die soziale Grsamtentwicklung. Tic „Soziale Praxis" ist in der Lage, einen höchst interessanten Abschnitt aus dem demnächst erscheinenden zweiten Bande von Schmollers „Grundriß der Volkswirtschaftslehre" zu veröffentlichen. In diesem „Die soziale Gesamtentwicklung" betitelten Abschnitte betont der berühmte Gelehrte zu nächst, daß er die optimistische Hoffnung auf ein Ver schwinden aller Klassengegensätze ebenso verwirft, wie die pessimistische Lehre, die nur eine zunehmende Steigerung der Klassengegensätze in der Geschichte findet. Schmoller rechnet vielmehr mit einem Fortschritte der sozialen Ent wicklung und Ausgleichung, ohne daß es jemals zu einer vollständigen Nivellierung kommen würde. Die Ele mente der sozialen Fortentwicklung erblickt er in erster Reihe in der Steigerung der sozialen Einsicht und des V e r n n t w o r t l i ch k e i t s g e f ü h l s. Er sagt darüber: „Es wächst mit der höheren Kultur zwar stets auch der Individualismus, der Egoismus, der ErwerbStried; aber ebenso bilden sich die gesamten höheren Gefühle, die Sympathie, das Mitleid, die Mitempfindung mit Nichtverwandten, mit Be rufsgenossen, die Vaterlandsliebe, das soziale Pflichtgefühl aus. Je dichter die Menschen wohnen, desto mehr lernen sie Rücksicht auf einander nehmen. Die ^dürfnisse, die Sitten, die Lebensgewohnhciten, die Umgangc-formen werden einheit licher. Wie jedes heute jeden mit „Sie" anrcdet, so ist an der Kleidung der Millionärs oft kaum vom Arbeiter mehr zu unterscheiden. Die Zunahme städtischen Lebens steigert den Gleichheitsdrang und die Gleichheitsidee; die zunehmende poli tische Freiheit läßt die Verantwortlichkeit wachsen; mit der zunehmenden Arbeitsteilung entstehen stets auch wieder Soli- daritätsgefühlc. Die steigende Einsicht in die Zusammenhänge der Gesellschaft macht die Menschen rücksichtsvoller." Tas zweite Mittel der sozialen und intellektuellen Ausgleichung ist die Schule. „Nur eine allgemeine ge sellschaftliche Organisation des Unterrichts für alle, wie sie . . . in den letzten hundert Jahren in unserer Volks schule neben den höheren Schulen durchgeführt wurde, er möglicht zunächst eine gewisse Freiheit der Berufswahl, gibt die Möglichkeit, die Talente der unteren Klassen in höhere Schulen zu bringen, beseitigt den schroffsten sozia len Gegensatz, welcher die stärkste Abhängigkeit bedingte. Endlich weist Schmoller auf die Aenderung und fort währende Verbesserung der sozialen Institutio - ncn hin, aus die Hebung des Arbeiterstandes durch das Vereinsrecht, die Gemerkvcreine und Lcknedsgerichte, die Genossenschaften, das Vers'.chcrungsrecbt, den Arbeits» nachweis, das Arbeitcrschutzrecht usw. Er verweist ferner auf die zunehmende Beschränkung der ganz freien Konkurrenz und die veränderte Rechtsver fassung der privaten Betriebe. Die große Unternehmung werde in genossenschaftlich-gesellschaftlichen Formen mehr und mehr eine halb öffentliche, durch wirtschaftliche und staatliche Organe und durch die Oeffentlichkeit kontrollierte Anstalt. Mit Rücksicht aus diese ganz außerordentliche Verbesserung der sozialen Einrich tungen und Zustände kann Schmoller unserer Zeit mit Recht nachrühmen: „Sind das nickt lauter tiefeinsckneidcnde Aendcrungen unserer sozialen Institutionen, die alle dahin wirken, die bru talen Klassenkämpfe einzuschränken, die Schwachen zu heben, den Machtgebrauch der Starken einzuschränkcn, die Mittelstände nicht so leicht sinken zu kaffen wie früher? Niemals früher ist so wie im 19. Jahrhundert die Lage der unteren Klaffen unter sucht worden: niemals früher bat die Oeffentlichkeit sich so mit ihnen und der Verbesserung ihrer Lage beschäftigt; nie war ihr politischer Einfluß und ihre Macht so groß, wenn auch andere Zeitalter in kleinen Republiken viel demokratischere Ver fassungen hatten." Sozialdemokratische Parteidisziplin »nd Ehrlichkeit. Mit Herrn Josef Novicki in Berlin, Urban straße 104, ist der Deutsche Metallarbeiter verband so wenig zufrieden, daß er ihn ausschließen will. Schrecklich! Wir sprechen Herrn Novicki unser innigstes Beileid aus, denn was kann wohl für einen Deutschen schmerzlicher sein, als aus einem Verein aus geschlossen zu werden! Ueberdies aber ist Herr Novicki „Genosse" und der Verein ist sozialdemokratisch. Um so schrecklicher, uni so schmerzlicher! Fragen wir nun, was Genosse Novicki begangen bat, so erfahren wir, daß er eine Huldigungsadressc an den Kaiser unterzeichnet und sich nachher bei dem Arbeitgeber darüber beschwert bat, daß er von leinen Nebenarbeitern dieses loyalen Aktes wegen drangsaliert würde. Unsere Sympathien für Arbeiter-Huldigungsadressen sind äußerst gering, denn im allgemeinen muß man heutzutage annehmen, daß die Unterzeichner liebedienerische und streberische Zwecke ver folgen; indessen, so lange dies nickst bewiesen ist, darf man doch niemand den Ausdruck seiner freien lieber» zeugung verkümmern, und die Sozialdemokratie, die uns ja über kurz oder lang alle ans den Banden der heutigen Gesellschaftsordnung befreien will, ist doch hoffentlich ge willt, diesen fundamentalen Grundsatz zu beachten. Es scheint auch, als seien alle diese Vergehen Novickis für den Antrag auf Ausschluß nicht wesentlich maßgebend ge wesen, denn in dem Brief, in welchem sie erwähnt sind, wird schließlich noch ein drittes Vergehen angeführt, nach dem stilistischen Gesetz der Steigerung zu urteilen, augen scheinlich das schwerste. Der Metallarbeiterverband schreibt nämlich dem Delinquenten wörtlich: „Hierzu kommt noch, daß Sie jetzt im Akkord eine Mark pro Stunde erreichen, während nur sechzig Pfennige geschrieben werden sollen. Darauf ist hundert Brennern bereits ein Abzug von zwei Mark gemacht worden. Dieses die gegen Sie erhobenen Beschuldigungen." Der Verein wirft also Herrn Novicki vor, daß er den stündlichen Verdienst den Tatsachen gemäß angegeben habe. Novicki, der augenscheinlich noch nicht völlig ziel bewußt ist, hat es für seine Pflicht gehalten, die Wahrheit zu sagen Ter Verband aber hat es für Novickis Pflicht gehalten, die Unwahrheit zu sagen. Bei diesen: Ge wissenskonflikt war nach Parteiansicht die Unterordnung Novickis augenscheinlich selbstverständlich, sein Gewissen quautits nöficligeadle. Die Disziplin geht eben über alles. Auch bat Bebel ja schon einmal konstatiert, daß er im Parteiintereffe lächelnd einen falschen Eid schwören würde. Wünschenswert wäre nur. daß die strengen Sittenrichter nicht immer über die Verrottung der bür gerlichen Gesellschaft deklamierten, sondern ganz einfach feststellten, daß sie gesonnen sind, mit allen Mitteln einen Kampf um die Macht zu führen. Das würde die Situation ganz wesentlich klären. Der Streit um Marokko. Bekanntlich unterhandeln gegenwärtig Spanien und Frankreich über die Verteilung des Einflusses der beiden Staaten in Marokko. Wie ein spanischer Staatsmann der „Neuen Freien Presse" mitteilt, wird sich das Arrangement wahrscheinlich so gestalten, daß der bisherige marokkanische Besitz Spaniens Genta und Melilla nicht angetastet werden darf. Es ist ferner vorauszuselieu, daß der Norden Spanien, der Süden Frankreich zufallen wird. DaS gegenwärtige Kaisertum Marokko setzt sich eigentlich aus zwei alten Sultanaten zu sammen, dem von Fez und dem von Marakesch Marakesch dürfte der französischen, Fez der spanischen Einflußsphäre zufallen. Natürlich muß sich Spanien darauf gefaßt machen, daß Frankreich den Löwenanteil erhält. Frankreich strebt in Marokko ein Protektorat wie in Tunis an und Spanien ist ganz auf Frankreichs Ent gegenkommen angewiesen, da nicht nur England, sondern auch Italien Marokko an Frankreich preisgegeben hat. Tie letztere Vereinbarung ist nun schon sechs Jahre alt. Damals wurden zwischen Italien und Frankreich Er klärungen gewechselt, in denen sich einerseits Italien ver pssickstete. Frankreich in Marokko frei gewähren zu lasten, während dieses andererseits das Versprechen gab, nie die Hand auf Tripolis zu legen. Es ist zu erwarten, daß das Uebereinkommcn bald zum Abschluß gelangn wird. Deutsches Deich. Dresden, 8. Juai. Im Königlichen Ministerium des Innern ist nunmehr die dritte Abteilung endgültig geteilt worden. Diese Abteilung wird jetzt ausschließlich die land wirtschaftlichen Angelegenheiten des Lande» er ledigen, während der neu errichteten Abteilung Illd uute- der Direktion des erst vor einigen Tagen zum Geheimen Rar ernannten Herrn vr. jur. Schelcher die Angelegeut beiten der Industrie, des Gewerbes und de« Handels zugewiesen werden. Durch diese Teilung ist einem langgehegten Wunsche aus den Kreisen der Landwirtschaft und der Industrie und des Handels entsprochen worden. Dieser Wunsch ist auch wiederholt im Landtage zum Aus druck gekommen. * Berlin, 9. Juni. * Entlastung des Reichsgericht». Die 21gliedrige Koni- Mission zur Beratung der Vorlage für die Entlastung de« Reichsgerichts wählte zu ihrem Vorsitzenden Himburg (kons.), zu dessen Stellvertreter Bass ermann (nl.) zu Schriftführern vr. Lucas (nl.), vr. Por z ig (ul.) und Kalkhof (Schellhorn). * Die Kanalvorlgae. Was aus der Kanalvor - läge werden wird, läßt sich jetzt mit einiger Sicherheit übersehen. Die Kommission hat ihre Arbeit so gefördert, daß die vier Vorlagen, welche einen besseren Schutz gegen H ochwa s f e r bezwecken, schon in kurzer Frist an das Plenum zurnckgelangen können. Dort werden sie jeden- falls nach den Beschlüssen der Kommission angenommen, und nachdem auch das Herrenhaus seine Approbation er teilt hat, schleunigst in der Gesetzsammlung veröffentlicht werden. Anders steht es um dieeigentlicheKanal- Vorlage. Hier bewegt sich die Tätigkeit der Kam» Mission wesentlich in der Richtung, von der Regierung Aufklärungsmaterial zu verlangen. Dieses Material muß natürlich erst beschafft werden, und so lange hat die liebe Seele m der Kommission und natürlich erst recht im Landtage Ruhe. Inzwischen hat vielleicht die Handels vertragsfrage eine entscheidende Wendung genommen, und dann wird die konservative Partei sich auch definitiv über das Schicksal der Kanalvorlage entscheiden. Sollte aber auf den: Gebiete der Handelsvertragsfrage bis dahin alles beim alten sein, so wird das Nufklärungsbcdürfnis der Konservativen ganz ungeahnte Dimensionen an nehmen, und das sctfätzbare Material, das die Regierung Feuilleton. Tamms Garten. 21s Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Dock hörte Dieter der Erzählung achtlos zu, sein Denken war nicht dabei, sondern stellte sich unablässig nnr AmeUa vor, wie sie die Botschaft von dem, was ihm geschehen sei, erhalte. Trotz der hänfig erneuerten Eisauilegung ichmerzte die Wunde ihn stark, aber einen befingeren innerlichen Schmerz empfand er darüber, daß seine sesi- gehegte Zuversicht, er muffe für seine Liebe als Sieger hervorgehen, so enttäuscht worden. Offenkundig mutzte es eine sehr zweifelhafte Weltordnung sein, die das Recht dem Unrecht, das Eintreten für Edelstes und Höchstes dem Zufall länger cingeübter Fechtkunst unterliegen ließ; daraus gestaltete sich seinem empörten Gefühl ein Trost, säst eine Befriedigung hervor, daß ihm durch den Hieb die Fortsetzung der theologischen Laufbahn und der Berns, ein Lobredner solcher trügerischen Weltordnung zu wer den, verschlossen sei. Von einer Lebensgefahr infolge der Verwundung war nicht die Rede, doch trat am Abend ziem lich Hochgradiges Fieber ein, das ihn in pk>antasierendem Halbschlaf unausgesetzt, bald in Tamms Garten, bald in der Schcnkstubc der Fortuna mit Amekla zusammen brachte; sein Wärter sagte am Morgen lachend, beim Am legen des Eisbeutels habe er mehrmals krauses Zeug mit einem unverständlichenNamen dazwischen geredet, als ob er gänz närrisch in den verliebt wäre, und Dieters Herz,chlag klopfte eine Bestätigung dazu, durch die nächtlichen Traum vorgänge sei die brennende Sehnsucht in ihm zn noch höherer Steigerung angewachsc». Wach liegend, rechnete er beständig, wie viel Zeit vergehen werde, bis seine Her stellung so weit vorgeschritten, ihn wieder zur Stadt hin unter gelangen zu lassen; er snchtc sich mit seinem alten Knabenmittel zu beickwichtigeu, einmal müsse dreier Tag kommen, aber diesmal versagte es seine ost erprobte Wirkung, ihm zum aeduloigen Auslmrren zn verhelfen. Einigemal brachte öer Abend noch Wiederholung des Ficbcrzustandes nnd der gleichen Phantasten während Her- Nacht, indes die Wnnde besserte sich zusehends und machte die Kühlung nicht weiter erforderlich. So verliest sein Mitfuchs ihn, der Paukarzt kam, die Nadeln herauszu nehmen und Pflasterstreifen an die Stelle zu tun. Er sprach sich sehr befriedigt über seine, von der vortrefflichen Heilhaut des Patienten unterstützte Behandlung aus, daß er viel Renommee dadurch gewinnen und nur eine eher mannhaft zierende, als verunstaltende Narbe hintcrbleibcn werde. Doch verband er mit dieser Prognose die strikte Vorschrift noch mindestens achttägigen sorgsamsten Ver haltens und der Vermeidung jedes Hinaustretens in die -rausten winterlich rauh gewordene Lust, durch die der günstige Heilungsablauf sonst noch beeinträchtigt werden könne. Aus seinem Munde erfuhr Dieter, daß vorgestern weitere Mensuren, doch um der argwöhnischen Achtsamkeit des Pedellen willen an anderer Stelle, von der Stadt ent fernter, stattgcfundcn. Dabei habe Petzold eine leichte Blessur erlitten, nicht durch den Schläger seines Gegners, sondern weil von der Klinge desselben das Endstück abgc- sprungen und ihm durch die Bandage in den Arm ge drungen sei. Ter Hörer entnahm daraus den Grund, weshalb der Freund ihn nicht in seiner hiesigen Vereinsamung auf suchen gekonnt; er hatte das Ausbleiben Peyvlds etwas traurig empfunden, und ihm tat's in gewisser Art wohl, das solcher Berhinderungszwang die Ursache der schein baren Vergeßlichkeit gewesen. Doch als der junge Medi ziner ihn wieder allein gelassen, übcrdrängtc rasch in seinem Herzen und Kopf der Gedanke an die Liebe den an die Freundschaft. Ihm standen an seinem Aufenthalts orte keine HülsSmtttel an Büchern oder sonstiger Beschäf tigung zu Gebote, sich die langen Tagesstunden zu kürzen, aber er entbehrte sie »richt, ein Bedürfnis danach oder Langeweile rührte ibn in keinem Augenblicke an. Ohne Unterlaß entwarf und arbeitete er Pläne für seine ver änderte LcbcnSzukunft an»; das Bild des freundlichen Pfarrhauses, in das er seine Frau zu führen gedacht, war weggelöscht, er mußte sich einen neuen Aufbau für die Erreichung seines höchsten Zickes gestalten. Dazu aber gebrach'-' ihm keineswegs an zuversichtlichem Mut; im Gegenteil fühlte er, die hier verbrachte Zeit habe eine wohltätige Wirkung auf ihn geübt, seinen vorherigen Zu stand mit leidlicher nnd seelischer Kräftigung gebessert. Zur Erkenntnis war ihm anfgegangen, daß er bisher Amelias nicht wiirdig gewesen iei, erst durch seine schculvsc Kampfbereitschaft gegen den Bcschimpfer ihres Namens baS volle Recht an sie erworben habe; so hatte er dock» dcu Sieg, den höchsten Gewinn davongctragen, aber zugleich auch damit sich die Pflicht auserlegt, jetzt alle Kraft zur Erringung des gemeinsamen Lebensglückes für sic beide einzusetzen. Nnr blieb ihm noch im Zweifel, welchen neuen Beruf er dazu am besten erwählen solle; das ließ ihn beständig nachsinnen, Vorstellungen anSbilden und wieder verwerfen. Allmählich indes neigte sich seine Ent scheidung am meisten dem Ergreifen des medizinischen Studiums zu, das ihm am raschesten Selbständigkeit und ausreichenden Erwerb zu verheißen schien. Allerdings ward er voraussichtlich genötigt, sich während der Jahre bis dahin seinen Lebensunterhalt und die Kollegiengelder znm Teil durch Nachhttlfsuntericht von Schülern selbst zn verdienen, doch er hatte, was dazu erforderlich war, voll genügend auf dem Gümnastum eingeerntct und schrak für Amella vor keiner Arbeit nnd Mükffal zurück. Daß die Luft sich draußen rauh verwandelt habe, lehrte nun eines Tages der Augenschein, denn statt des Regens begannen Schneeflocken aus der dunklen Wolkendecke herab zu wirbeln nnd breiteten einen weißen Uebcrzng auf die Felder nm die Hügelwirtschaft. Doch füllte diese sich trotzdem am Nachmittag zum erstenmal wieder mit Lebendigkeit an, die gcsammtc Obvtritia kam von einem Ansslug vorüber nnd kehrte zur Einnahme eines Stch- trunkcs vor. Der „Abgekührte" ward lautstimmig be grüßt, betrachtet und allseitig sein Sckmiß vorzüglich ge heilt befunden, daß er dem Korps zu einer Renommier zierde gereiche; Detlev Peyvld beglückwünschte seinen Leibfnchs dazu nnd meinte, er solle bei einer Gelegenheit einmal wieder mit dem Gompert anbinden, um ihm in gleicher Weife heimzuzahlen. Ter Aufenthalt der Gäste dauerte nnr kurz, Dieter vermochte nicht mit dem Freunde unter vier Augen zu spreche», das trug dazu bei, ihm plötzlich den Entschluß einzngeden, daß er in ihrer Be gleitung zur Stadt zurückkehren wollte. Diesem Vorhaben setzte Pctzold jedoch entschieden Warnung und Weigerung entgegen, die Schneelnft fei heute kür sein erstes HinauS- gehen ins Freie zu ungünstig, er muffe jedenfalls noch bis morgen Geduld haben. Ta alle sich schon zum Weggang gerüstet hatten, konnte Dieter ihm nur unbemerkt zu- flüstern, dann möge er Amella von seiner Wiederher stellung benachrichtigen und daß er am andern Nachmittag um die gewohnte Stunde in die Fortuna kommen werde. Dazu nickte der junge Senior kurz; es hatte aufgehürt zu schneien, doch die Dämmerung begann, und der wieder allein Belassene blickte den Davonwanderndcn durchs Fenster nach. Der Gedanke, daß »ast noch vierundzwanzig Stunden vergehen sollten, ehe er ihnen Nachfolge, hatte, seitdem er schon eben dazu im Bcgrin gewesen, kaum mehr Ertragbares für ihn Aber bei besonnener lieber legung mußte er in doppelter Hinsicht das Richtige der Fürsorge des Freundes anerkennen, der offenbar auch in Erwägung gezogen, daß es heute für die Möglichkeit eines ANeinanrresfcns Amellas schon zu spät sei nnd sie durch eine Uebcrraschung in Gegenwart Anderer der Gefahr ausgesetzt werde, ihr Geheimnis nicht bewahren zu können Und jetzt kam Dieter doch sein altes Mittel zur Hülfe, denn die eine Nacht noch und der halbe Tag nach ihr mußten vergehen, und beseligend lag's ihm im Gefühl, der nächste Augenblick schon lasse ihn die Treppe der Fortuna zum Glück hinanstcigcn. Als dann am nächsten Nachmittag die erharrte Stunde wirklich angebrochen war nnd der Wirt ihn, mit Kreide ans der Schiefertafel die Rechnung ausgemacht, entdeckte er etwas überrascht, daß er den Betrag nicht in der Börse bei sich führe: weshalb diese beinahe leer sei, konnte er sich nicht entsinnen, wahrscheinlich hatte er an dem Mensur morgen vergessen, zn Hanse Geld lnneinzutun. An diesem augenblicklichen Mangel lag indes nichts, selbstverständlich beiaß ein Angehöriger des neuen Korps nnbeschränkten „Vun:p"kredit in der Wirnckmft, w daß er sich, auch ohne seine Schuld entrichtet zn haben, alsbald auf bei: Weg be gab. Um die naturgemäß noch ziemlich üark gerötete Narbe aus der Stirn zu verdecken, trug er deu Mützen schirm etwas tief berabgezogen; flüchtig rührte ihn ein mal unterwegs der Gedanke an, die Entstellung »eines Gesichtes könne auf Amella einen zurückfchreckendcn Ein druck ausüben, dock siel diese Besorgnis sogleich wieder von ihm ab. Eckle Liebe war von jeder Aeußertickkcit nn abhängig; in sich selbst empfand er als unzweiielhast, die scinige wurde eher noch eine Erhöhung gewinnen, wenn seiner Braut ein Unfall solche Verletzung zugeiügt batte, und zudem hatte der Hieb ihu kür sie, ans einer durch die Enttvürdigung ihres Namens veranlaßten Mensur gc troffen. Davon indes wollte er aus mehreren Gründen Schweigen bewahren, um nicht ruhmredig ,n erscheinen, sic nicht zu betrüben und in ihr kein quälendes Gefühl zu erwecken, daß sie die Schuld au der Verunstaltung »eines Gesichtes, wie der Nötigung zum Ausgeben feines theolo gischen -tudiums trage. Obne etwas um sich her zu sehen und zu hören, legte er die halbstündige Entfernung zurück, mußte unterwegs nickt mebr gegangen, sondern gelaufen sein, denn überrasch«, sau ungläubig tras er weit vor seiner Erwartung au der Tür der Fortuna ein und eilte in den Vorraiim der Sckeulüube hinaus, "ier hielt er eitlen Augenblick horchend an; alles war still, kein Stimmen klang erscholl durch die Tür, die er nun hastig öffnete, und
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite