01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.06.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040610019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904061001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904061001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-10
- Monat1904-06
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Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklame« unter dem RedaktionSprtch l4 gespalten) 7V nach den Famtlieunach» richten (6 gespalten) VO Tabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung« und Offertenannahm« A Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, odn» Postbeförderung 60.—, mit Postbrsürderung 70-—. Unnahnreschlutz f»r Unzrigenr Abrnd-AuSgab«: vormittag« 10 Uhr. Morgea-AuSgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet »oa früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck and Verlag vo« G. Pol» in Leipzig (Inh. vr. «., R. L W. Kliakhardth Nr. 281. Freitag den 10. Juni 1904. 98. Jahrgang. Var wichtigrte vom lagt. * Da« Sächsische Ministerium hat die Beschwerde der Leipziger Ortskrankenkasse und der früheren Distriktsärzte, die sich gegen die Verordnung der Königl. KreiSbauptmannschaft Leipzig vom 7. Mai und die darin getroffenen Maßregeln zur ärztlichen Versorgung der Kassen mitglieder richtete, als unbegründet ab gewiesen. * Die Budgetkommisfion des Reichstags nahm gestern einen Antrag an, wonach der neue Servistarif am 1. April 190k in Kraft treten und wonach ferner die Regierung ersucht werden soll, zusammen mit der nächsten Revision des ServiStarifS einen besonderen Gesetz entwurf über Gewährung von Wohnungsgeld- Zuschüssen vorzulegen. (S. Bericht.) * Der Reichstag nahm gestern den Gesetzentwurf betr. Bekämpfung der Reblaus im wesentlichen nach den Beschlüssen zweiter Lesung endgültig an. (S. Bericht.) * Bei Beratung des Gesetzentwurfs, betr. die Kaufmannsgerichte, erklärte gestern im Reichstage Graf PosadowSky, die Regierungen würden weder daS aktive noch das passive Wahlrecht der Frauen annehmen. (S. Bericht.) * Das Kaiserpaar wohnte gestern der Wieder einweihung der renovierten Heiligblutkapelle in Heiligengrabe bei. (S. Dlsch. Reich.) Der eiserne Ving. Aus Paris und Wien kommen überraschende Mel dungen. Ihr Inhalt und Umfang ist zwar noch nicht völlig festgcstellt, indessen läßt sich heute schon das Eine lagen, daß ein weltwichtiges Ereignis entweder unmittel bar bevorsteht oder sich schon vollzogen hat. Zwischen England und Ruhland ist, wie es scheint, in der Tibet- frage ein freundschaftliches Abkommen getroffen worden und zwar wird behauptet, dah England die Rechte Ruß lands in Tibet anerkannt habe. Es gehen uns zu diesen! Thema die nachfolgenden Ausführungen zu, denen wir hier Raum geben, ohne sie uns in allen Punkten völlig zu eigen machen zu wollen. Unser Gewährsmann schreibt: Wirklich, man kann heutzutage das Wort des alten Laube: „Beim Theater kommt alles anders!" auch auf die Weltbühne übertragen. Die Offiziösesten der Offi ziösen ,die Eingcwcihtesten der Eingeweihten, die Leute, die das Gras wachsen hören und mit unfehlbarem Scharf- blick die Nebel der Zukunft durchdringen, sic alle hätten noch gestern eine höhnische Lache aufgeschlagen, wenn man ihnen als bescheidene Vermutung vorgetragen hätte, was heute eine imponierende Wahrheit geworden ist. War doch die Auffassung ganz allgemein, daß Eng.and die kriegerischen Verlegenheiten seines russischen Gegners benutze, um in Tibet im Trüben zu fischen. Noch gestern sprachen japanische Zeitungen es unumwunden aus. Eng- land sei in der Lage die Tibetfrage ganz nach Gutdünken und ohne Besorgnisse vor einer Intervention dritter zu lösen. Und heute zeigt sich, daß England nichts weniger als schwarze Pläne sinnt; König Eduard reicht dem Zaren die Friedenshand, und England scheint bereit, nachzu- geben, entgegenzukommen, und das alles nur um des lieben Friedens willen. Tas klingt traktätchenhaft. es klingt wie eine Erfindung der Baronin Suttner, und es ist wohl geboten, zunächst zu zweifeln und zu forschen, ehe man an eine derartige Wandlung der englischen Politik und des englischen Volkscharakters glaubt. Ein Rückblick auf die geschichtliche Betätigung des bri tischen Volkes läßt es nicht eben angezeigt erscheinen, so ohne weiteres an die Lammnatur des, wie die Roman tiker sagen, „perfiden Albion" zu glauben. Unwillkür lich denkt man, es müßten sich tiefe Pläne, wohl ersonnene Anschläge unter der sauber geglätteten Oberfläche bergen. Und es ist natürlich, daß wir die neue Konstellation miß- trauisch betrachten. Denn schon heißt es, es handele sich keineswegs nur um ein auf Tibet bezügliches Abkommen, die Diplomatie beider Staaten habe vielmehr daS große Ziel ins Auge gefaßt, eine dauernde Entente vorzu bereiten. Das klingt zunächst wie eine Fabelmär. Die Frage drängt sich auf, wie denn Japan sich zu diesem Verhalten seines Bundesgenossen stellen werde, und überdies scheint der alte Interessengegensatz zwischen beiden Staaten so eingewurzelt zu sein, die Zahl der Reibungsflächen so stattlich, daß man kaum glauben kann, es werde gelingen, ein friedliches und vertrauensvolles Verhältnis auf die Dauer aufrecht zu erhalten. Das Eine indessen ist klar, daß der Gedanke einer Verständigung zwischen England und Rußland, der ja übrigens in der Presse beider Länder seit Jahren propagiert wird, schon in dem Bereich der Praktischen Politik ausgenommen war, als das englisch, französische Abkommen geschlossen wurde. Dieses Ab- kommen erhält in der Tat erst hierdurch seine volle Er gänzung und Bedeutung. Welche Kombinationen sich in diesen Lagen ungebahnt haben, welche Folgen aus ihnen entstehen werden, da» vermag kein Sterblicher zu sagen. Die neue Gruppierung wird in den nächsten Wochen aus der öffentlichen Diskussion nicht mehr verschwinden und so lange das Abkommen nicht in seinem Wortlaut ver öffentlicht ist, wird natürlich jedes Urteil, sei es auch noch so sorgfältig erwogen, etwas Hypothetisches behalten. Auf den ersten Blick scheint die Lage Deutschlands so ungünstig, wie sie eS seit Jahrzehnten nicht mehr war. Tic Machtverstärkung unseres handelspolitischen Rivalen ist ungeheuer, und seine diplomatischen Erfolge kommen selbstverständlich auch dem Handel und der In dustrie zugute. Dieses Ergebnis bleibt auch dann be- stehen, wenn wir an der Friedensliebe Englands nicht im mindesten zweifeln. Schlimmer noch liegt eS, wenn wir uns daniit begnügen, die wohlwollenden Versicherungen unserer angelsächsischen Vettern als bare Münze zu nehmen, wenn wir versuchen, den Schleier zu lüften, der über Englands Plänen ruht. Daß der Kieler Besuch König Eduards uns beruhigen soll, das werden auch die Beamten, deren Lebensaufgabe die Beschwichtigung der öffentlichen Meinung ist, uns nicht zumuten. Wie gesagt, unter dem Druck der Nachricht, die noch keinen offiziösen Kommentar gefunden hat, fürchten wir, unsere Diplo- matie sei auch hier wieder einmal genasführt worden, fürchten wir, daß ein eiserner Ring feindseliger Mächte sich um unser junges aufstrebendes Vaterland legt, um uns zu erdrücken und zu ersticken. In so ernster Zeit findet das Wort des Grafen von der Schulenburg, wenn auch in anderem Sinne, als er es meinte, seine Berech tigung: Ruhe ist wirklich des Bürgers erste Pflicht! Ein abschließendes Urteil ist zur Zeit unmöglich. Jetzt hat der Leiter unserer auswärtigen Politik daS Wort. Der nittisch-iapamrcbr Krieg. Noch immer fehlt es an bestimmten und zuverlässigen Nachrichten über die Ereignisse der letzten Tage. Die süolichste Stelle, von der aus Drahtnachrichten nach Petersburg gelangen, ist zur Zeit Liaujang, dessen Entfernung von Port Arthur reichlich 300 Kilometer be trägt. Es ist also begreiflich, wenn selbst in Peters- bürg genaue Nachrichten erst mehrere Tage nach den Er eignissen eintreffen. Die Meldungen über Tokio ver mögen den Ereignissen auch nur in etwa demselben Ab stande zu folgen. Die Drahtungen aus dem Port Arthur in einer Entfernung von 100 Kilometer gegenüberlicgen- den Tschifu ließen schon seit einigen Tagen vermuten, daß gewaltige Kämpfe zu Wasser und zu Lande im Gange seien. Inzwischen ist auch in Petersburg die Mel dung von gewaltigen Kämpfen eingetroffen. Die Russen wollten das ganze dritte Armeekorps der Japaner ver nichtet haben, gaben dann aber zu, daß wahrscheinlich ein Mißverständnis vorliege und begnügten sich mit der Vermutung, daß wahrscheinlich ein Drittel der Japaner umgekommen sei. Nach Berichten aus Tokio fand sine vierte Absuchung des Hafens von Port Arthur Dienstag nacht statt. Acht japanische Torpedoboote blockierten den Hafcneingang unter dem Feuer der russischen Batterien und gingen Mittwoch früh zurück. Admiral Kataoka be richtet, das Absuchen der Talienbai nach Minen schreite befriedigend fort. Bisher wurden gefunden und zerstört 62 Minen. Während des Absuchens zwischen einigen der Slldküste der Kwantungbalbinsel vorgelager ten Inseln wurden zwei Wracks entdeckt und in dem einen der russisck-e Kreuzer „Bojari n" erkannt. Beim Absuchen von Minen scheint es nun nicht sein Bewenden gehabt zu haben. Es war vermutlich nur die notwendige Vorbereitung für einen Angriff zu Wasser und zu Lande. Neuliche Meldungen chinesischen Ur- sPrungS behaupteten, die russischen Schiffe hätten den inneren Hafen von Port Arthur verlassen. Nur unter dieser Voraussetzung würde das nachfolgende Tele gramm verständlich werden, welches lautet: Petersburg, 9. Juni. AuS Liaujang wird be- richtet, es sei dort ein Gerücht verbreitet, daß gestern eine Seeschlacht in der Bucht von Petschili stattgefunden habe, wobei ein japanisches Branderschiff untergegangen sei. Geheimnisvoll und beunruhigend klingt die folgende Meldung: Pari«, 9. Juni. Aus Petersburg meldet das „Echo de Paris": In höheren Militärkreisen herrscht große Bestürzung über eine gestern beim Zaren einge- troffene Meldung des Kontreadmirals Witthöfft auS Port Arthur. Zur Abwechselung eine kleine englische Bosheit: London, 9. Juni. Eine Tokioer Drahtung des „Daily Cbronicle" behauptet, daß die Deutschen Lwutung und Port Arthur Munition auf Dschunken zuführen. Japanische Arlegigesangene. lieber die Ankunft der gefangenen Besatzung de« in den Grund gebohrten japanischen Kreuzer« „Kinschin-Maru" wird aus Wladiwostok berichtet: DaS Verkalken de« Publikums zu den Gefangenen war in jeder Beziehung korrekt; weder in Worten, noch in Blicken oder Gebärden wurden di« Gefangenen beleidigt. Als Leut nant Rein von der „Rossija* dem Rittmeister Ritterkolm die gefangenen Japaner überwies, verabschiedete er sich in höflicher Weise von dem japanischen Oberst und fragte ibn, ob er ihm beim Abschiede einen gesetzlich erlaubten Wunsch nicht noch erfüllen könne. Ein anderer russischer Offizier näherte sich den gefangenen japanischen Offizieren und bot ihnen au« der geöffneten Cigarrentasche Cigarren an. Die japanischen Untermilitärs waren militärisch in zwei Reiben aufgestellt worden. Zunächst Hel uns Russen ihr kleiner Wuchs auf; nur einig« stad größer al« der für unsere Rekruten festgesetzt« Miaimalwuch«. Der russische Matrose, der als Wächter an einer Flanke der Japaner stand, erschien neben ihnen wie ein Riese. Neben einem Japaner, der die russische Sprache beherrschte, befanden sich mehrere russische Offiziere und unterhielten sich freundlich mit ihm. „Was grämst du dich", riefen sie ihm gutmütig zu, „du bist ja bereits in Wladiwostok gewesen und kennst unsere Art und Weise." Der Japaner schwieg, aber auf seinem Gesicht war deutlich zu lesen, daß er die an ihn gerichteten Worte verstanden hatte. Als Zweifel darüber laut wurden, ob der Japaner auch wirklich russisch ver stehe, sagte ein Soldat: „Ich bitte Sie, Ew. Wohlgeboren, der Mann versteht vortrefflich russich, auch kenne ick ihn sehr gut, denn wir waren im Dezember zusammen in Prodol- naja". Der Japaner verzog bei diesen Worten seinen Mund zu einem breiten Lachen, ohne jedoch einen Laut von sich zu geben. Dieser Japaner war nicht der einzige, den man in Wladiwostok wiedererkannte. Ehe die Gefangenen vom Hafen fortgeführt wurden, bat einer der japaniichen Offiziere den Leutnant Rein, er möge den russischen Seeleuten den Dank seiner Landsleute für die humane und ritterliche Behandlung übermitteln. Als die Gefangenen aus den Bahnhof gebracht wurden, sprach einer kurz vor Abgang des Zuges nochmals feinen Dank für die gute Behandlung aus. Deutsches Keich. * Berlin, 9. Juni. * Anwesenheitsliste und AnwcfcnheitSgelder. In einer badischen Zeitung wird ein reckt beachtenswerter Vorschlag zur Steigerung der Frequenz des Reichstags ge macht. Es wird sehr zutreffend darauf hingcwicsen, daß mit der Bewilligung von Anwesenheitsgeldern allein ein aus reichender Besuch der Verhandlungen noch keineswegs ge sichert werden würde und daß deshalb gleichzeitig mit den Diäten die tägliche Herstellung und Veröffent lichung einer Anwesenheitsliste verknüpft werden soll. Dann werde eS jeder Wahlkreis in der Hand haben, nach zuprüfen , ob sein Erwählter an den Sitzungen teilnchme oder nicht. Im Prinzip können wir uns mit diesem Vorschläge einverstanden erklären, aber seine praktische Durchführung denken wir uns anders. Käme die tägliche Anwesenheitsliste nur in den amt lichen stenographischen Bericht, so würde sie damit der weiten Lesfentlichkeit nicht zugänglich gemacht werde» — was ja aber doch gerade der Zweck der Liste sein soll. Wird aber daran gedacht, sie täglich an die Spine oder an das Ende der Parlamentsberichte der Zeitungen zu bringen, so würden damit eisens die Zeitungen unangenehm belastet werden, zweitens und hauptsächlich aber würden die Leser bald müde werden, täglich die trockene Namenliste durchzustudieren. Deshalb würde cs sich empfehlen, in jeder Sitzung durch amtliche Personen die anwesenden Abgeordneten notieren zu lassen, aber nur ein Mal, nämlich am Schlüsse jeder Session eine zu sammenfassende Liste zu veröffentlichen. Nehmen wir an, in der Session hätten 100 Sitzungstage stattgesunden, so wäre diese Liste folgendermaßen anzuordncn: Zwischen 90 und 100 Sitzungen haben besucht folgende Abgeordnete (folgen die Namen der Abgeordneten), zwischen 80 und 90 Sitzungen folgende Abgeordnete usw., immer von 10 zu 10 nach unten gehend. Diese Statistik würde außerordentlich interessieren, und jeder Leser würde sich binnen wenigen Minuten orientieren können, nicht nur, wie häufig der Ab geordnete seines Wahlkreises seiner Pflicht entsprochen hat, sondern überhaupt, welche Abgeordnete pflichttreu sind, und welche nicht. In der Anlegung einer derartigen Liste würden wir die beste „Kompensation" für die Bewilligung von Diäten sehen, für die wir nach wie vor eintreten, wenn wir auch nickt glauben, daß dies in so „rauhbeiniger" Weise geschehen muß, wie dies die „Köln. Volksztg." beliebt. Der Artikel dieses Blattes ist charakteristisch durch scharfe Spitzen gegen die höchsten Personen im Reiche. Das Blatt schreibt: „Ter Reichskanzler, die Minister, die BundeSbcvollmächtigtcn, die Monarchen arbeiten doch auch nicht umsonst .... Wen» die so- genannten verantwortlichen Ratgeber der Krone sich immer als das fühlten, was sie sein sollen, so hätte der Reichstag längst Diäten ... So lange man dem Reichstage die Möglichkeit zu geordneten Arbeiten versagt, sollte man seinen billigen politischen Mut nicht lediglich ihm gegenüber zeigen, von dem man weiß, daß er keine Straf anträge wegen Beleidigung stellt." Wir glauben, daß für die gute Sache der Diäten weder durch einen derartigen scharfen Ton, noch durch derartige Uebertreibungen gewirkt wird. Denn eS ist eine Neber- treibung, wenn behauptet wird, dem Reichstage werde durch die Nichtbewilligung für Diäten „die Möglichkeit zu ge ordnetem Arbeiten" versagt." So ist eS denn doch nicht; der Reichstag hat ja auch früher ohne Diäten geordnet ar beiten können. Wir halten Diäten für zweckmäßig und ge recht» aber darum doch noch nicht sür unbedingt notwendig für die Möglichkeit regelmäßiger Arbeit. * Deutsch - russische HaudeisvcrtragSverbaudluugcu. Die Petersburger „Birshewija Wjedomosti" schreiben: Die neuesten Nachrichten bestätigen, daß die Verhandlungen über den deutsch - russischen Handelsvertrag in besckleu- nifltcm Tempo geführt werden und daß in den prin zipiellen Hauptfragen volle Einigkeit erzielt worden ist. ES heißt, Deutschland habe wesentliche Zugeständnisse gemacht, die Rußland die wirkliche, nicht nur eine angeb liche Oeffnung der Grenze für die Produkte der russischen Viehzucht verbürgen. * DaS Kaiscrpaar begab sich Donnerstag vormittag von Wildpark nach Heiliäengrabe zur Wiedereinweihung der renovierten Heiligblutkapelle, die nach dem Entwurf« de« Professor« Otzen von den Malern Ötzen und Berg au«gemalt wurde. Im Sonderzuge hörte der Kaiser die Vorträge de« Ches« de« GeneralitabeS Generalobersten Grafen v. Schliessen und de» Obersten v. Oertzen vom Militärkabinet und de« Obersten Wach« vom Kriegs ministerium. Die Majestäten fuhren vom Bahnhof Teckow zum Stift zu Wagen durch ein Spalier von Bereute« und Schulen, von diesen und von der zahlreich zusammevgeströmteu Bevölkerung herzlichst begrüßt. Zn der Feier waren u. a. erschienen: Die Minister vr. Studt und Frhr. v. Hammerstein, der Präsident des evangelischen OberkirchenratS Voigts, der Oberpräsident, der Regierungspräsident, der Landrat, der Konservator sür Kunst denkmäler, Geheimer Regierungsrat Lutsch, sowie die Künstler. Die Majestäten wurden von der Abtissin Frau v. Kohr empfangen, worauf der Gottesdienst in der Heiligblut-Kapelle begann. Nach dem Gesang hielt der Stiftöprobst General superintendent Faber die Weiherede. Nachdem die Feier beendet war, hielten die Majestäten im Kapitelsaale Cercle ab und traten kurz nach 1 Uhr die Rückreise an. * Zum Pommcrnbank - Prozetz wird un« von unserm Berliner Vertreter geschrieben: Daß Herr v. Mirbach eS bewunderungswürdig verstand, Wohltätigkeitsregungen bei seinen Mitmenschen auszulösen, ist eine alte Geschichte. Daß er damit Peck hatte und sich über die sittliche Qualifikation der Geber oft täuschte, nicht minder. Die Herren wanden und Schmidt zahlten erhebliche Summen für kirchliche Zwecke. Herr Sanden wurde Kommerzienrat, Herr Schmidt Hvsbankier der Kaiserin. Beide saßen in allerhand sträflichen Vereinen als Vertrauensmänner, und die Mittel dieser Vereine wurden bei Herrn Schmidt und in Spielhagen Pfandbriefen niedergclegt. AuS dieser bitteren Erfahrung hat aber Herr v. Mirbach nichts gelernt, er trat mit den Herren Schultz und Romeick in Verbindung und e« entstehen nun einige Fragen, die im öffentlichen Interesse Beantwortung heischen: ob nämlich Freiherr von Mirbach den Herren Schultz und Romeick die Auszeichnungen, die sie erhielten, durch Befürwortung bei der Kaiserin ver schafft bat: ferner ob Herr von Mirbach wirklich glaubte, daß die beiten Herren Hunderttauseude lediglich um der guten Sacke willen Hingaben oder ob er erkannte, daß eS ihnen nur um ein Handelsgeschäft, ein cko ut cko?c zu tun war. Drittens wird es im Interesse des Herrn von Mirbach selbst unumgänglich sein, daß Rechenschaft darüber gegeben wird, was es mit dem persönlichen Konto des Freiberrn von Mirbach auf sich hatte, von dem der Prozeßbericht der Berliner Blätter spricht. ES heißt da, „Freiherr von Mirbach hatte noch ein anderes persönliches Konto, auf dem er Gc- schäsie auch in Wvhltätigkeitssackcn, die hier gar keine Rolle spielen, abwickelte". Wie auch die ganze An gelegenheit sich aufklären möge, im Interesse des mo narchischen Gedankens wäre es, wenn Herrn von Mirbach seine gemeinnützige, aber ungemein ungeschickte Tätigkeit von allerhöchster Stelle energisch untersagt würde. Titelkauf ist bekanntlich in Preußen nicht statthaft und die Herren Schultz und Romeick haben den Vorgang ja doch nur in diesem Sinne ausgefaßt. Ihnen waren ihre Zahlungen eine Art Bakschisch, nur mit dem allerdings nicht unwichtigen Unterschiede, daß sie nicht in die Kasse deS Vermittlers stossen, sondern für fromme Zwecke verwendet wurden. Bekanntlich stehen wir aber nicht auf dem jesuitischen Standpunkt, daß der Zweck die Mittel heilige, und schließlich kam ja das Geld, für das die Herren Schultz und Romeick die Titu laturen erwarben, mit denen sie daS Publikum irreführtcn, aus den Taschen kleiner Leute, die durch sie ruiniert wurden und wahrscheinlich wieder zum Teil der Wohltätig keit anheimsielen. Es hat sich hier also ein eigenartiger Kreislauf eingestellt, den man mit besonderem Rechte als einen cirenlus viriosus bezeichnen kann: die Wohltäter erhalten die Gelder, mit denen sie wider Willen wohltätige Zwecke förderten, auf dem Wege des Almosens zurück. Frei herr von Mirbach hat vor Jahren in einer Gerichtsverhand lung Lutherworte zitiert und erklärt, daß er wider „Satans Tücke" fortkämpfen werde. Wir hoffen, daß er den Kampf nun definitiv aufgibt. Der Satan vermummt sich neuerdings gerne in die Gestalt skrupelloser kapitalistischer Streber und diesen ist Herr von Mibach augenscheinlich nicht gewachsen. * Ucber die badische WahlrechtSvarlage wird zwar anstandshalber noch immer fortdiskutiert, allein eS ist voraus zusehen, daß die erste Kammer das corpus vi!e, das jetzt unter der kritischen Sonde der Redner des Unterhauses zuckt, sehr bald einsargen wird. Die Motivierung hierfür ist nicht uninteressant. Die Kommission der ersten Kammer ist nämlich ganz empört darüber, daß ein Arbeiterver treter Sitz und Stimme im badischen Oberhause erhalten soll. Die Vertretung von Handel und Handwerk würde man schließlich dulden, so sehr sind die standesgemäßen Anschau ungen des grundherrlichen Adels bereits vom Zeitgeist zer setzt; aber man kann sich nicht entschließen, in diesen heiligen Hallen einen Mann mit schwieliger Faust Mit tagen zn lassen. DaS ist unlogisch; denn warum ein kleiner Handwerksmeister vornehmer sein soll, als ein Arbeiter, ist wirklich nicht recht abzusehen, aber wir vermessen uns nicht, die Sentiment« jener bock,geborenen Herren nachempsindcn zu wollen. DaS amtliche Organ der badischen Regierung, daS augenscheinlich nach einer einiger maßen leidlichen Erklärung sucht, schreibt darüber: „Dieser Vorschlag liegt so sehr außerhalb de« Gedankenkreises der Mitglieder der Ersten Kammer, daß der Gedankt wohl kaum in Erwägung gezogen werden kann." Da dieser Gedanken kreis bekanntlich ein nicht allzu weiter ist, so sind die AuS sichten auf eine VerfaffungSreform überaus gering. Das pro und ccmtrn wird noch ein Weilchen erörtert werden, dann aber dürfte für die Repräsentation genug geschehen sein. * * München, 9. Juni. Die „Allg. Ztg." schreibt zu dem Gerücht von einem Wechsel im preußischen Ministe rium des Innern: Die Nachricht gründet sich auf ein Gerücht, das zur Zeil der bekannten Debatte im preußischen Herrenhausc in Umlauf gesetzt wurde. Dieses Gerücht ging dakin, daß die Rede des Frbrn. v. Manteuffel eine Art von Programm sei, daS der innerpreußischeii Politik in Kürze zugrunde gelegt werde. Anhaltspunkte dafür, daß wirklich ein Wechsel im preußischen Ministerium des Innern statt finden werde, sind indes bis jetzt nach nicht vorhanden. Charak teristisch ist. daß daS bisher ziemlich im Dunkeln gebliebene Gerücht jetzt nach Wochen öffentlich als Tatsache behandelt wird. Darnach scheint trotz eine« inzwischen erfolgten Dementis etwas Wahres an der Sache zu sein.
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