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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040611011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904061101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904061101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-11
- Monat1904-06
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Morgen-Ausgabe Nr. 293. Sonnabend den 11. Juni 1904. U»iv«rsttS1Dftr.S . , ch«, öaHariries- Rr. 2V3K) n. KvnigS- chrr Nr. 7bOK). Haiipt-KUUrle Dre-He»: tNarienpraß« S4 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupr-Ftltale derlt«: LarlDnncke rLerzgl-BayrHofbuckbandla^ Lttzowstraß« lOiFernsprecherAmtVI Nr.4603.) Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- «n- -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates un- -es Rolizeiamtes -er Lta-1 Leipzig. BezugS-PreiS j» tz« Hanptexpeditio« oder deren Nnsgat»- stellen abgeholt: vierteljährlich S.—. zweimaliger täglicher tzustellana tu« H< ^l L7L. Durch di« Post bezogen für Denh land n. Oesterreich vierteljährlich LckXI di« übrigen Länder laut ZettougspreiSÜj UednMsnr Johaunttaatz 8. Gprechstund«: 8—6 lldr Nach». Fernsprecher: Ikä. Erpedttto«: Johanntlgasse 8. 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Dienstauf- ,icht bei größeren Amtsgerichten und Regelung der Richtergehälter in dritter Lesung ab. (S. Bericht.) *Die Wahlprüfungskommission des preußischen Abgeordnetenhauses erklärte die Wahlen der Abgeord nete» Wolff-Gorki und Peltasohn (5. Wahlkreis Brom berg) für ungültig. * Auf den russischen Gesandten in Bern wurde gestern ei» Attentat verübt, der Gesandte wurde durch einen Revolver schuß am Kopse schwer verwundet. ;T. Schweiz). Zoriale sirgenrälre in «len vereinigten 5laalen. In dem im Westen der Vereinigten Staaten gelegenen Staate Colorado geht cs heiß her zwischen organisierten und Nichtorganisierten Bergarbeitern einerseits und zwi- schen den organisierten Arbeitern und den Bergwerks- besitzern andererseits. Die organisierten Bergarbeiter werden beschuldigt, auf einer Eisenbahn ein Dynamit attentat verübt zu haben, bei dem 16 Nichtorganisierte Bergleute getötet, 9 tätlich verletzt wurden. Bei einer aus Anlaß dieser Attentats stattgehabten Versammlung kam es zu Streitigkeiten, bei denen organisierte Arbeiter auf die anrückenden Miliztruppen schossen: eine Anzahl organisierter Arbeiter wurde im Kampfe erschossen, etwa 100 nach dem Kampfe verhaftet. Die „Sachs. Arbeiter- zeitung" bemerkt dazu: „Man riecht es der Meldung an, daß sic aus einer kapitalistisch getrübten Quelle stammt. Aus ihr geht nicht hervor, welch' neuen Vergewaltigungsakt die Bergwerks- arbeiter beabsichtigten und dadurch die Erbitterung der Arbeiter bis zur Verzweiflung trieben oder ob die militä rischen Behörden in frivolster, unerhörter Weise ihre Opfer gemordet haben." „Frivolste, unerhörte Weise" ist bei amerikanischen Streiks sehr häufig nicht die Methode der militärischen Behörden, sondern diejenige der organisierten Arbeiter schaft. der Union. In feinem vortrefflichen Buche über Amerika sagt Wilhelm von Polenz: „Beim Kohlcngräverstrcik jagten zahllose, an den Telegraphen stangen aufgehängtc Puppen, denen Zettel mit den Namen der Streikbrecher aus dem Munde hingen, welches Schicksal der NichtunionSleutc warte, sobald sie sich aus dem Militärcordon heranswagten." Zehn Jahic vorher, bei dem Honcs-tagstreik von 1892, mußte eben falls militärisch eingcgriffen werden, weil sich die Aus ständischen die schwersten Ausschreitungen zu schulden kommen ließen, lieber die Unduldsamkeit der Unions im allgemeinen sagt Polcuz in dem erwähnten Werke: „Die Trade Unions übertreffen ihre Gegner nicht selten an tyrannischen Gebarungen den eigenen Leuten und den Außenstehenden gegenüber. Bekannt ist die Un duldsamkeit solcher Organisationen, der Haß, mit dein sie alle verfolgen, die sich ihnen nicht anschlicßen wollen, die Strenge und Ausschließlichkeit ihrer Ordensregeln, die Ueberhebung, die sie zur Schau tragen, sobald sic sich im Besitz der Macht sehen." Ein Beispiel dieser Unduldsamkeit haben die Unions erst vor kurzen« auf Kosten einer deutschen Veran staltung auf der Weltausstellung von St. Louis gegeben, indem sie die Leitung dieser Veranstaltung zwangen, mehrere deutsche Bctriebsingcnicure zu entlassen, weil diese nicht der Union angehörtcn. Es soll nun keineswegs behauptet werden, daß die Arbeitgeber in Amerika die reinen Engel wären: im Gegenteil, auch sic nutzen ihren Einfluß auf das rücksichtsloseste aus. Bei ihnen ist dieser Einfluß nicht, wie bei den Unions, auf der Masse begründet, sondern auf der ungeheuren Macht, die sie durch ihre gewaltigen Geldmittel auf die Gesetzgebung und die Staatsverwaltung ausübeu. So sind die Kämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeiter»« in den Vereinigten Staaten Kämpfe bis aufs Blut, die, wie Polenz sich aus drückt, „etwas von der Erbitterung des echten Familien zerwürfnissps" ai« sich haben. Die Schroffheit, mit der Arbeitgeber und Arbeiter in den Vereinigten Staaten einander gegenü6crstchen, bildet in Verbindung mit der Rücksichtslosigkeit, mit der der Nordamerikaner unbe kümmert um Menschenopfer auf fei« Ziel losgeht, eine schwere soziale Gefahr tür die Zukunft, besonders wenn einmal eine Periode des wirtschaflichen Niedergangs ein tritt und beide Teile durch den geminderter« Geldverdienst gereizt find. Es ist ja seit einigen Jahren zur Gewöhn- heit geworden, vor den Zuständen und Leistungei« der Vereinigten Staaten in Ehrfurcht zu erstarren, da er- scheint es denn nicht unangebracht, einmal darauf hin gewiesen zu Haber«, daß in dein „Lande der unbegrenzten Möglichkeiten" nicht nur die Möglichkeit unbegrenzter Entwicklung, sondern auch diejenige unbegrenzter Ver wirrung gegeben ist. Der Humana Oer fierers. Leutlvein» Vormarsch. Nach der jüngsten Meldung des Gouverneurs Leutwein hat der Bormarsch der in Otjosasu gesammelten Haupt abteilung gegen den Waterberg endlich begonnen Das Gros befand sich zwar am letzten Mittwoch noch im alten Lager, doch ist anzunehmen, daß augenblicklich die ganze Abteilung bereits nordostwärts marschiert. Die eingeborene Wltboikavallerie ist als Kundschaftertruppe vorauSgesandt worden, um die Linie Osire — Oka- hitua zu beobachten. Osire ist bekanntlich der frühere Standort Samuel Mahareros, den dieser wegen der großen Wasserschwierigkeiten des Platzes verlassen mußte. Neuerdings befindet sich der Oberhäuptling nach überein stimmenden Aussagen von Eingeborenen in Okahitua am mittleren Omuramba. Die Witbois werden zugleich die Verbindung der Haupt- mit der Nordwestabteilung v. Estorffs Herstellen, die ruletzt zwischen Okamatangara und dem Omu- rambatal stand. Die fünfte Kompagnie der Zentralabteilung unter Hauptmann Puder war von Leutwem schon Mitte dieser Woche nach Okatumba an den oberen Swakop vor geschoben worden. Der Gesundheitszustand der Truppen ist gut. Tagsüber herrscht, wie der Berichterstatter des „Lok.-Anz." meldet, sonniges, warmes Herbstwetter, nachts zeigt das Thermo meter häufig bereits zwei Grad unter Null. Das Feldkabel von Okabandja nach Otjosasu, das durch Feldoberpostsekretär Thorun eingerichtet ist, funktioniert vorzüglich. Die Weiter legung des Kabels nach Okatumba ist im Gange. Große Freude erregte in« Lager die erneute telegraphische Nachfrage des Kronprinzen nach dem Befinden seines Jugendfreundes, des Leutnants v. Wurmb, der in Okahandja am Typhus erkrankt war, aber schon auf dem Wege der Besserung ist. Der ruttlrch-fapanizche Weg. Die Lage in Wladiwostok. Aus einein in Petersburg eingetroffenen Berichte des Stadtoberhauptes der „Beherrscherin des Ostens" wirb uns folgendes mitgeteilt: Durch den Krieg, den Belagerungs zustand und der« Wegzug aller Behörden, Lehranstalten und vieler Privater sank die Bevölkerung um mehr als die Hälfte. Der Wegzug dauert fort, es herrscht völlige Arbeitslosigkeit. Die «nateriellcn Lebensbedingungen sind äußerst drückend, neue Kredite sind in der« Banken nicht zu erhalten, massenhaft sind die Wechselproteste. Besonders schwierig ist die Lage der Hausbesitzer, die Agrarbanken subhastieren immer mehr Grundstücke, Käufer sehlen. Das ^Ltadthaupt bittet daher, die Agrarbanken anzuweisen, für die Kriegsdauer ein Mora torium zu gewähren und die aufgelaufenen Rückstände auf drei Jahre zu repartieren. Der Minister antwortete nach der „Frkf. Ztg.", der Kaiser habe den Hypothekenschuldnern in Wladiwostok besondere Vergünstigungen bewilligt. lieber -en Lo- -er Ariegrberichterstattero des „Daich Telegraph", des Herrn Elwie Etzel, wird der „Daily Mail" von ihren« Berichterstatter Herrn Ernest Brindle aus Tienchwangtai ein längerer Bericht gesandt. Herr Brindle war bekanntlich in Gesellschaft mit Herrn Etzel und sie verließen am Montag gemeinsam Tienchwangtai in einer Dschunte in der Absicht, an der Küste der Halbinsel Liaotong entlang nach Tschifu zu segeln. Um 6 Uhr des Abends, als sie in der Mitte zwischen Tienchwangtai und Elgiko sich befanden, wurde die Dschunke plötzlich von vier großen Segelbooten um- rinat, die mit chinesischen Soldaten bemannt waren. Diese eröffneten ohne vorherige Warnung oder Erklärung ein Ge wehrfeuer. Die Geschosse flogen über die Dschunke dahin. Die beiden Korrespondenten saßen zu der Zeit unten und waren mit Schreiben beschäftigt. Herr Etzel blickte heraus, um zu sehen, was vorging. Er erhielt einen Schuß in den Hinterkopf unb verschied nach wenigen Minuten. Die Soldaten waren in Seeräubertracht und erklärten, sie wären auf der Suche nach Seeräubern und hätten uns irrtümlicher Weise für ein Piratenboot gehalten. Darauf legten sie ihre Soldatcnuniform an. Sie hatten aufgehört zu feuern und gaben diese Erklärung ab, als sie des Herrn Brindle an sichtig wurden. Herr Brindle hütete sich wohl, ihnen mit- zuleilen, daß sie seinen Freund erschossen hätten, denn, wie er sagt, befürchtete er, und wohl mit Recht, daß nach solcher Mitteilung die Soldaten aus Furcht vor Bestrafung ihn nebst der ganzen Besatzung der Dschunke getötet hätten. Scharmützel. * Mulden, to. Juni. (Russische Telegraphen Agentur.) Die Armee des Generals Kuroki beginnt die Vorwärts bewegung. Die russischen Vorposten stießen im Gebiet Mamadzy und Tschienschan auf beträchtliche japanische Streitkräfte. Jeden Tag finden Scharmützel zwischen den beiderseitigen Vorposten statt. Die russischen Truppen gehen langsam vor den überlegenen feindlichen Streitkräften zurück. veulscbrs seiest. * Berlin, 10. Juni. * Solomalpersonatten. Die Mitteilung der „Ostpreuß. Ztg", daß der Gouverneur von Deutsch-Ostasrika Graf Götzen nicht lange auf seinem Posten bleiben werde, sondern als Nachfolger des Kolonialdirektor« Vr. Stübel in Aussicht genommen sei, entspricht einem weit verbreiteten Gerücht. Allerdings gilt nach der „Schles. Ztg." für gewiß, daß Graf Götzen in der kolonialen Laufbahn sein Ideal nicht erblickt und gern in den diplomatischen Auslandsdienst zurück treten möchte, doch dürfte er kaum ablehnen können, wenn ihm das Kolonialdirektorat angetragcn wird. Vielfach mag der Wunsch der Vater des Gedanken« sein, Graf Götzen möchte zum Nachfolger vr. Stübels ernannt werden. Unter den „Afrikanern" würden vor allein^ die Offiziere den Grafen Götzen mit Freuden an der Spitze der Kolonial abteilung sehen, in der Hoffnung, daß dann auch dieser oder jener Geheimrat sofort vom Schauplatz verschwindet. Daß der jetzige Kolonialdirektor den südwestafrikanischen Aufstand nich« überleben wird, läßt sich trotz aller gegenteiligen Ver sicherungen kaum bezweifeln. Schon im Januar war er enlschlossen, feinen Abschied zu nehmen, und er wurde damals nur «ui« Mühe bewogen, es nicht zu tun. Heute, nachdem e« feststeht, daß der Kaiser mit der ganzen Kolouialverwaltung äußerst unzufrieden ist — was sich bei der Entsendung von Trothas sehr deutlich geäußert hat — wird niemand mehr Herrn vr. Stübel halten. * Haudelsvcrtragsvcryaudlunqcn mit Oesterreich. Die Meldung eines Berliner Blattes, wonach die deutsch österreichischen Handelsvertragsverhaudlungen ins Stocken geraten sein sollen, ist unverständlich, da diese Verhandlungen bis zur srüher bereits in Aussicht genommenen Abreise der österreichische«« und ungarischen Herren aus Anlaß der Verhandlungen über den Handels vertrag mir Italien fortdauern. Daß einige österreichische und ungarische Herren, die sich mit der gleichzeitig erörterten Veterinärfrage beschäftigten, abgcreist sind, hängt nach der „Nat.-Ztg." damit zusammen, daß über die Veterinärsrage zur Zeik keine Erörterungen in Betracht kommen. * («in MitzverständniSk Wie schon kurz mitgeteilt, hatte die nationalliberale Fraktion des preußischen Abgeordneten hauses die Kühnheit, die überall hervortretende Erregung über das Schulkompromiß als die Folge einer miß verständlichen Auffassung des Anträge« zu bezeichnen. Es ist eine alte Erfahrung, daß Leute, die sich in Verlegenheit be finden, mit besonderem Aplomb aufzutreten lieben. Es ist nur merkwürdig, daß Hunderttausende den Antrag mißverstanden haben und allein die Antragsteller ihn verstanden haben. Der Vorfall erinnert ein wenig an Hegels anekdotischen Ausspruch: „Nur einer hat mich verstanden und dieser eine hat mich mißverstanden!" „Wir möchten den Herren von der nationalliberalen Fraktion empfehlen, an die Brust zu schlagen und die Schuld für das unliebsame Vorkommnis nur in sich selbst zu suchen. Das allcrmindeste, was man ihnen vorwersen muß, ist, daß sie die Stimnnmg der Wähler nicht gekannt und daß sie sie brüskiert haben, daß sie eine Priuzipienfragc nach taktischen Rücksichten be handelt haben und daß sic die Tradition der Partei hintan gesetzt haben, daß sie ein schlechtes Gesetz machen wollten, um nur überhaupt nicht beiseite geschoben zu werden, daß sie die Konservativen, die immer, wenn man ihnen den kleinen Finger bietet, die ganze Hand nehmen, falsch beurteilt haben, daß sic den Zug der Zeit, der nun einmal, soweit die Oberschicht den Zeitgeist überhaupt spiegelt, reaktionär ist, verkannt haben und allen Ernstes glauben, die heutige Re gierung Preußens werde sich aufrichtig für eine gesunde Weiterentwicklung der Simultanschule interessieren. Weiter läßt sich ihnen eigentlich nichts vorwerfen. * Im Zwielicht. Zu der gestrigen Verhandlung des Pommernbankprozesse« wird uns von unserem Berliner Ver treter noch geschrieben: Es muß hervorgehobcn werden, daß die Angeklagten, die ja nicht beeidet werden dürfen und nicht verpflichtet sind, sie selbst belastende Angaben zu machen, wohl schwerlich in demselben Maße auf Glaubwürdigkeit Anspruch machen können, wie Geheimrat Budde, dessen Er klärungen unter dem Eide abgegeben sind. Man sollte meinen, das Gericht «nüßte das Bedürfnis empfinden, diese Tatsachen aufzuhellen. Wie es scheint, beabsichtigt jedoch der Gerichtshof nicht, Herrn v. Mirbach vorzuladen. Die Gründe dafür kennen wir nickt. Vielleicht sind es formal juristische Gründe, und jedenfalls sind sie für unsere Be urteilung der Angelegenheit durchaus nicht maßgebend. Wir fordern Aufklärung darüber, was mit den enormen Summen geschehen ist, die die Herren Schultz und Romeick zu un lauteren, mit dem Mantel der Wohltätigkeit verhüllten Zwecken aus den Taschen ihrer Mandanten entwendet haben. Wir wollen wissen, auf welche Leistungen hin die Pommernbank zu den bekannten höfischen Auszeichnungen gelangte, wir wollen wissen, wer es war, der diese Auszeichnungen befürwortete und in der ganzen Angelegenheit die Kaiserin so übel beriet, wir wollen wissen, ob und warum die staatliche Aufsicht ver sagte. Uns interessiert es stark, ob Herr von Mirbach niemals das Bedürfnis empfand, für eine Rückerstattung der geschenkten Gelder in irgend einer Form Mittel zu finden; uns interessiert es, wie Herr von PodbielSki sich zu der Sache stellte und wie es möglich war, daß dem Kaiser nicht über diese Angelegenheit Vortrag gehalten wurde. Denn diese Angelegenheit ist eine hoch politische. Das wird die Agitation der Sozialdemokratie sehr bald beweisen. Ein einziger derartiger Fall wiegt die Gründung von drei antisozialdemokratischen Verbänden auf. In dieser Angelegenheit darf kein Zwielicht herrschen; hier muß volles Licht geschafft«« werden, wenn nicht die haar sträubenden Gerüchte, die im Publikum kursieren, sich fest einnisten sollen. Denn warum sollte man es leugnen: dre Worte des Angeklagten Schultz, „er genieße nach wie vor das volle Vertrauen Sr. Excellenz, habe sich dieses Ver trauens stets würdig gezeigt und glaube auch, Anspruch auf dieses Vertrauen zu haben", werden kier in weiten Kreisen als eine Drohung aufgefaßt. Da« Vertuschungösystem be währt sich schon seil Jakren nickt mehr und man sollte doch endlich einsehen, daß es antiquiert ist. In einer der ersten Sitzungen des wiederaufgenommenen PonnncrnbankprozesseS spielte sich folgende Episode ab: Angeklagter Schultz: Unsere Bank war zur Hofbank ernannt worden. Vorsitzender: Wann war das ? Schultz: Im Oktober 1900. Vorsitzender: Können Sie uns auch die Gründe sagen? Schultz (nach einigem Besinnen): Nein. Angeklagter Romeick: Die Gründe sind uns nicht bekannt. Vorsitzender: Run, dann verlassen wir diesen Punkt. Auch damals war da« Gericht bereit, Discretion an den Tag zu legen und wir maßen un« kein Urteil darüber au, inwieweit diese Zurückhaltung berechtigt ist oder nicht. Der Oeffentlichkeit, deren Interessen ja nicht der Gerichtshof, sondern die Presse wahrzunehincn hat, ist damit nicht gedient Der Fragebogen, den «vir oben entworfen haben, wird so lange vorgclegt werden, bis er eine Antwort findet, die weder Hörner noch Zähne hat. Hoffentlich werdeu gerade die jenigen Blätter, die auf dem Boden der Monarchie stehen, energisch fordern, daß Persönlichkeiten, deren Wirksamkeit geeignet ist, den monarchischen Gedanken aufs schwerste zu compromittieren, so rasch als möglich in das verdiente otium cum (ligvitatv verwiesen werden. * * Eisenach, 9. Juni. Die evangelische Kirchen konferenz sprach Bedenken hinsichtlich des Abweicheus einzelner Gemeinden und Geistlichen von der Kirchenordnung in der Einzelkelchfrage bei derAbendmahl« feier aus. * Stuttgart, 9. Juni. Die württembergische Ab geordnetenkammer beschäftigte sich gestern und heute mit dein sozialdemokratischen Antrag über die Abschaffung bezw. Beschränkung der Akkordarbeit und die Ein führung des Neunstundentagcs in den k. Staats werkstätten. Die Kommission schwächte den sozialdemo- kratisckei« Antrag dahin ab: Die Regierung möchte auf weitere Verbesserungen bei dem System der Akkordarbeit in den staatlichen Werkstätten hinwirken und über die Berück sichtigung der älteren, iin Stücklohn beschäftigten Arbeiter feste Grundsätze im Benehmen mit den Arbeiterausschüfsen aufstellen: ferner möchte dieselbe eine wohlwollende Behandlung der Frage, ob eine weitere Ver minderung der Arbeitszeit in den k. Staatswerkstätten tunlich sei, im Auge behalten. Mit diesem Antrag erklärten sich die Vertreter der Regierung einverstanden. Er wird bei der heutigen Abstimmung voraussichtlich angenommen. Staats rat v. Balz, Präsident der Eisenbahnvcrwaltung, erklärte, die Leitung der Verkehrsanstalten lasse es an Wohlwollen gegen die Arbeiter nicht fehlen und «vcrde auch demgegenüber, was im Konimissionsaiitrag gewünscht werde, Entgegen kommen zeigen, aber die Reduzierung der Arbeitszeit aus neu«« Stunden sei mit Rücksicht auf die Privatindustrie gegenwärtig noch nicht tunlich. Die Abschaffung der Akkord arbeit werde von den Arbeitern selbst nicht gewünscht. Finanzminister v. Zeycr wies auf die schöne Harmonie hin, in der die Finanzverwaltung mit den Arbeitern der Hütten werke und Salinen lebe. Ruslana. Oesterreich Ungarn. * Der nationale Kampf um Budweis und seine deutsche Umgebung verdient die ganz besondere Aufmerk samkeit aller Deutsche««, da die Tschechen geradezu ver zweifelte Anstrengungen machen, um diese deutsche Dor- postcnstellung zu gewinnen. Jetzt berichte«« die „Mit teilungen des Allgemeinen Deutsche«« Schulvereins", daß der tschechische Böhmerwaldbund beschlossen hat, seiner Ortsgruppe in Budweis eine hohe jährliche Unterstützung zur Errichtung einer eigenen Kanzlei zu be willigen, deren einzige und besondere Aufgabe die „Für sorge für die Budweiser Sprachinsel" sein soll. Dabei habe«« die Tschechen für diese«« Zweck bereits zwei Organi sationen, die „Narodni rada" und die Budweiser Han delskammer, deren Sekretär vr. Maysel nichts weiter ist, als ein Wanderredner für die Tschechisierung von Bud weis. In der letzten Zeit «nachte er mit seinen Reden be sonders eifrig Reklame für die netteste Schöpfung der ftchcchifchcn Agitation in Budweis, ein lediglich zu natio nalen Kampfzwccken errichtetes Mädchengymnasium. * Tschechische Kinderkrcuzzsige. Wie alljährlich, so solle«« auch Heuer die von der „Närodn« jodnota posu- mavskL" veranstaltete«« Kinderkrcuzzügc aus dem „be- drohten" Sprachgebiete SUdböhmcns nach der heiligen Stadt der Tschechen, nach Prag, geleitet werden. Der Zentralausschuß dieses Tschechisierungsvereins beschloß, wie wir in den Mitteilungen des Allgemeinen Deutsche«« Schulvercins lesen, in einer seiner letzten Sitzungen, daß künftig bei der Veranstaltung dieser eigenartigen Aus flüge nur auf die Kinder aus „tatfächlich gefährdeten" Schule«« Nücksicht genommen werden solle. Wie sehr sich auch hier wieder die für uns Deutsche beschämende und erstaunliche nationale Opfer willigkert der Tschechen geltend «nacht, zeigt z. B. das Anerbieten der Ortsgruppe Wischchrad, die sich bereit erklärte, die Schul kinder voi« Sollislav ausschließlich auf ihre Kosten nach Prag reisen zu lassen und für ihren dortigen Unterhalt ailfzukommen. Schweiz. * Anschlag auf den russischen Gesandte« i« Bern. Gestern mittag 1 Uhr gab ein seit einiger Zeit sich in Bern aufhaltendcr Mann, wahrscheinlich ein Pole, auf den russischen Gesandte«, SchadowSkij einen Revolverschuß ab, der den Gesandten in den Kopf traf. Der Gesandte konnte sich noch selbst nach seinem Hotel „Berner Hof" be geben. Die Verwundung scheint schwer zu sein. Hierzu erhalten wir noch folgende Drahtnachricht: der«, 10. Juni, 9«/» Uhr nachmittags. Der Urheber des Anschlags aus den russischen Gesandten Schadowsky ist der russische Staatsangehörige Ingenieur Baron Jlnitzky, der sich seit etwa zwei Jahren in Bern aufhält. Das Attentat geschah in einer menschenleeren Straße. Jlnitzky wurde verhaftet. Er hatte vor längerer Zeit in den Zeitungen Beschwerden über die russischen Behörden wegen Vorenthal tung ihin angeblich gehörender Güter erhoben und hatte, wie es beißt, den Prozeß verloren. Man glaubt, daß er geistes krank sei. Der Gesandte wird von Professor Kocher be handelt, unmittelbare Lebensgefahr besteht nicht. Die Aerzte sind zur Zeit damit beschäftigt, die Kugel aus der Wunde zu entfernen. * Abessinische Mission. Den Hauptgrund der Au- Wesenheit der abessinischen Gesandtschaft in Konstantinopel bildet nach einer uns von dort zugeben - den Meldung die Ucbcrtragung des Klosters „Deir-Es- Türkei.
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