Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040611029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904061102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-11
- Monat1904-06
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BrzugS-PreiS Kl der tzlmptexpedittou oder deren Ausgabe stellen aogeholt: virrteljührUch 3.—, bet zwetmaltger täglicher Anstellung in« HauS 3.75. Durch Li« Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder lant AettvngSpreislisr«. Uevakttnn: Johauni»gasse tt. Sprechstunde: 5—S Uhr Nachm. Fernsprecher: 153 Erpedttion: JohanatSgasse 8. Fernsprecher: 222. Filinlexpetttinveu: Alfredtzahn, Buchhandlg., UniverfitätSstr. 3 Fernspr. Nr. 4046), L. Ldsche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Nr. 2935- «. Känig4- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7608). Haupt-KMale Dresden. Marienstraße 34(F«rnsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncker, Herzgl-BayrHofduchbaodlg^ Lützowstraße 1O(FerusprecherAmtVINr.46O3.) Abend-Ausgabe. WpMcr. TaMatt Anzeiger. Ämtsökatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Notizeiamtes der ötadt Leipzig. Auzeigen-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 2S Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 nach den Familieunach- richteu (6 gespalten) 50 /H. Tabellarischer und Ziffernjatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 -H. Sxtra-Betlageu gesalzt,, nur mit der Morgen-Ausaabe, ohne Postbeförderung 60.—, mtt Poftbesörderung 70.—. «nnahmeschlud für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: aachmsttags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. V., R. L W. Kltakhardt). 98. Jahrgang. Nr. 294 Sonnabend den II. Juni 1904. Var Wichtigste vom läge. * Das Befinden König Georgs ist am Tage verhältnismäßig befriedigend. In der Nacht treten aber Hustenanfälle von übermäßiger stärke ein. (S. Sachsen.) ' Ter zur Submission ausgeschriebene Teilbetrag von 4V2 Millionen Mark der neuen 3*/2proz. Leipziger Stadtanleihe ist der Dresdner Bank zuge - schlagen worden. (S. Volksw. Teil.) * Prinz Heinrich von Preußen ist gestern nachmittag mit seinem Automobil in Schloß Wolfs- garten eingetroffen. * Das englische Unterhaus nahm einen An trag an, wonach die Eigcntümcrausländi scher Kompositionen diese innerhalb zwölf Mo naten nach Erscheinen registrieren lassen müssen, wenn sie gegen VerletzungdesAutorcn- rechts geschützt sein wollen. Zuverlässige biedrer. In den letzten Tagen wurde im Hinblick auf die fetzt veröffentlichten Denkwürdigkeiten des verstorbenen Ministers Bosse in der Presse vielfach die Frage erörtert, wie sich der Staat seinen Richtern gegenüber zu stellen habe. Die Auffassung des Fürsten Bismarck, der ganz einfach „zuverlässige" Richter forderte, wurde mit Recht scharf zurückgewiesen; am schärfsten natürlich von der demokratischen Presse. Wie eine Ironie des Schicksals muß es nun berühren, daß gerade jetzt die demokratisch sozialistische Regierung der Republik Frankreich sich an- tchickt, skrupellos die Unabsetzbarkeit der Richter aufzu- heben, um sich ein zuverlässiges Richtermatcrial zu vcr- 'chaffen. Die Regierung hat soeben eine Vorlage über die Reform der Gerichtsorganisation cingcbracht, welche eine Verminderung der Richterstcllen zum Zwecke hat. Um diese Reform durchführen zu können, verlangt die Regie rung von der Kammer die „zeitweilige" Suspension der Unabsetzbarkcit der Richter. Man behauptet nämlich, daß eine große Zahl der Richter im Dienst der reaktionären Presse stehe und ihre Unabhängigkeit benutze, um gegen die Republik zu demonstrieren. Dies trat angeblich ins besondere bei den Prozessen gegen die geistlichen Kongre gationen hervor. Die Regierung erklärt also ganz ein fach: die ganze Richtung paßt uns nicht! Die Herren, die unentwegt für allerhand Freiheiten cintraten, scheuen sich nicht, das letzte Palladium der Freiheit — denn daS ist die Unabhängigkeit des Richtcrstandes — niederzu- reißen. Natürlich verbrämen sie ihr Vorgehen mit aller hand Phrasen, die den eigentlichen Zweck der Maßregel weder zu verhüllen, noch zu beschönigen vermögen. In dem Motivenbericht heißt es: „Die Unabsetzbarkcit der Richter ist keine geheiligte Jnsti- lurion. Fast alle Regierungen haben sic angegriffen, um einen feindlichen Richterstand zu entfernen. Die Monarchie hat das Beispiel dazu gegeben, indem sie die Unabhängigkeit der Richter konfisziert hat, woran wir nicht denken, da es sich nur um eine zeitweilige Suspension von etwa drei Monaten handelt. Tie Unabsetzbarkcit der Richter ist eine an sich nützliche Einrichtung, eine kostbare Garantie, welche nicht den Richtern gegeben wird, sondern den Rechtsuchenden, die gegen die Willkür der exekutiven Gewalt geschützt werden sollen. Wenn eine solche Garantie auch für die rcchtsuchcnden Kreise aufrecht erhalten werden muh, so darf sic dennoch kein Hindernis bilden für jedwede notwendige Reform, denn sie ist kein Kontrakt, auch kein Dogma, das unverletzlich wäre. Die Unabsetzbarkeit der Richter kann verfügt werden, wenn das allgemeine Interesse sie erfordert. Dieses aber darf nicht geschädigt werden durch einen übertrie benen Respekt vor einer allerdings guten, aber keineswegs für alle Zeilen und unter allen Umständen unangreifbaren Ein richtung." Mit diesen Darlegungen kann natürlich die Regie rung jede, auch die schamloseste Willkür rechtfertigen. Daß die Republik sich auf das Beispiel der Monarchie beruft, beweist gar nichts, denn für jedes schädliche Be ginnen läßt sich in der Geschichte ein Beispiel finden, und außerdem glaubt ja die Republik auf einem höheren sitt lichen Niveau zu stehen als die Monarchie, die sie als eine überwundene Entwickelungsstufe betrachtet. Mit dem Augenblick, wo die Unabsetzbarkeit der Richter einmal auf- gehoben ist, ist sie natürlich für immer aufgehoben, wenn auch die Suspensionszeit nur drei Monate beträgt. Diese drei Monate werden eben vollauf genügen, um unbe queme, widerspenstige Elemente zu entfernen. Sind dann die Böcklein ausgeschieden, so werden die braven Schäf- lein wieder für unabsetzbar erklärt werden, bis sich anfs neue bei der Regierung das Bedürfnis nach einer Säube rung, einer Razzia hecausstcllt. Und das wird gewiß gar nicht so lange dauern. Tenn mit der steigenden Macht wächst bekanntlich auch die Empfindlichkeit der Macht haber, und ein nur einigermaßen unliebsames Urteil wird wohl bald wieder den Wunsch nahclegen, den Richter, der wider den Stachel locken will, möglichst rasch zu ent- fernen. Allerdings kann sich die Negierung, die alle Stützen des Staates niederreißt, auch nicht wundern, wenn man die Anschauungen, die sie jetzt propagiert, eines schönen Tages gegen sie selbst richtet und ihr den „übertriebenen Respekt" versagt. Für die Entwickelung Frankreichs ist es sehr bedauerlich, daß Waldeck-Rousseau, durch ein schleichendes Leiden erschüttert, nicht mehr an der Spitze der Geschäfte zu verbleiben vermochte. Unter ihm wäre ein ruhiger, gleichmäßiger Fortschritt möglich gewesen, während die Politik des Herrn Combcs, dessen Geschick und Energie wir übrigens nicht verkennen, doch nur geeignet ist, das Land neuen Erschütterungen entgegen zuführen. ver Nuklanö Orr Herero. Zur Ernennung der Herrn v. Trotha. Kurz nach Ernennung des Generalleutnants v. Trotha zum Oberkommandierenden in Südweslafrika (am 10. Mai) brachte der „L.-A." die Meldung, Gouverneur Leut wein habe erklärt, daß er sein Amt niederlegen werde, wenn Trotha anrücke, und daß man dann einen Ausstand aller Schwarzen fürchte. Darauf trat der „Reichsbote mit der Behauptung auf den Plan, diese Meldung fei im Ein verständnis mit dem Reichskanzler veröffentlicht worden und bewirkte dadurch folgendes Dementi in der „Nordd. Ullg. Zlg. vom 12. Mai: Ter „Reichsbote" bat sich eine grobe Unwahrheit ausbinden lassen. Jene Zeitungsdepesche ist dein Reichskanzler, Ivie überhaupt an amtlicher Stelle, erst durch die Veröffentlichung am Montag abend bekannt geworden. Ebenso erklärte der „L.-A.", das Telegramm sei un mittelbar von der Redaktion in kie Setzerei gesandt worden, sodaß niemand außerhalb des Blattes von ter Depesche vor der Veröffentlichung Kenntnis gehabt habe, llm so auf fallender muß es daher wirken, wenn jetzt die „Zukunft" behauptet, daö jenes „Dementi" der „Nordd. Allg. Ztg." „mindestens objektiv unwahr" gewesen sei. „Tenn der Bericht war vorher in der Wilhelmstraßc gelesen worden; Herr Dannhauer hat in Windhuk sogar gesagt, er habe dafür gesorgt, daß seine Depesche zuerst „im Amt" gelesen werde. Und sie wurde nicht etwa von einem Geheimrat gelesen, sondern vom Kanzler selb st, bevor sie gedruckt wurde. Von dem Kanzler, der 24 Stunden vorher im Reichstag Trothas Ernennung für nötig erklärt hatte und nun die Veröffentlichung eines Berichtes erlaubte, dessen Zweck nur sein konnte, Trothas Entsendung zu hindern; eines Berichtes, der die Ausführung des vom Kaiser geiahten Entschlußes „eine eminente Gefahr für ganz Teutsch-Südwestafrika" nannte. Taß offiziöse Angaben manchmal falsch sind, falsch sein müßen, ist nur den Naivsten neu; kluge Leute sorgen aber daiür, daß die Unwahrheit ihrer Angaben nicht öffentlich festgestellt werden kann. Und auf die politischen Zustande, in denen wir leben, füllt ein unfreundlich grelles Licht, wenn wir, nach der schroffen Ableugnung, erfahren, daß der Reichskanzler sich einer Zeitung — der einzigen, die, wie uns erzählt ward, der Kaiser täglich, nicht nur in zugcrichteter Form, sondern in ihrer urwüchsigen Schönheit sieht — bedient, um einen kaiserlichen Ent schluß, den er im Kronrat nicht zu hindern vermochte, durch das Telegramm eines Berichterstatters zu bekämpfen, den er öffentlich noch am selben Tage barsch für falsch unterrichtet erklären läßt." Wenn man in so bestimmter Form etwas behauptet, so ist uian entweder in der Lage, seine Behauptung einwandfrei beweisen zu können, oder aber — im entgegengesetzten Falle — ein geradezu gemeingefährlicher Mensch, und deshalb wird die „Zukunft" nicht umhin können, ihre aufsehenerregende Meldung als richtig zu beweisen oder zu erklären, daß sie ihrerseits mystifiziert worden ist. Klarheit muß hier sein! Leutweins Vormarsch. lieber "den Beginn von Leutwcins Vormarsch wird dem „L.-A." unterm !). d. M. aus Otjosasu gemeldet: Wir sind in Otjosasu eingetroffen. Nun ist die letzte Staffel der Hauptabteilung zur Stelle. Sämtliche Truppen teile hatten in Okahandja und auf dem Marsch hierher infolge des ungeübten Treiberpersonals enorme Schwierigkeiten zu überwinden, da die Pferde sich noch immer nicht an den Weide gang gewöhnt haben, zahlreich entlaufen, sehr schwer und nur mit großem Zeitverlust wieder einzufangen sind- Anscheinend ist ein ganz langsames Vorgehen beabfichtigt, was der Eingewöhnung der Tiere wie der Treiber zugute kommt. Sämtliche Truppen üben hier eifrig im Gelände. Gestern fand bereits ein Scharfschießen der Artillerie statt. Ter Gesundheits zustand der Truppen ist gut. Tagsüber herrscht sonniges, warmes Herbstweiter, nachts haben wir bereits zwei Grad unter Null. Tas Feldkabel von Okahandja hierher, das gleich der hiesigen Feld- postexpedition durch Feldoberpostsekrelär Thorun eingerichtet ist, funktioniert vorzüglich. Die Weiterlegung des Kabels nach Okatnmba ist im Gange, wohin die Kompagnie Puder gestern vorgeschoben wurde. Große Freude erregte gestern die erneute tele graphische Nachfrage des Kronprinzen nach dem Befinden seines Jugendfreundes Leutnant von Wurmb, der in Okahandja am Typhus erkrankt war, aber schon auf dem Wege der Besserung ist. Eine Verbindung mit Major von Estorfs ist vor handen. Die Witboi-Abteilung unter Leutnant Berneck wurde gestern von hier zur Aufklärung gegen den Omurambafluß vorgeschoben. Heute ritt Gouverneur Leutweiu mit dem Stab und einer Anzahl Artillerieoffiziere nach dem nahen Gefechtsfeld von Onganjiri. Der Oberst erklärte dort den Gang des Gefechts, Hauptmann Heydebreck die Stel lungen der Artillerie, deren erfolgreichem Eingreifen es speziell zu danken war, daß am 9. April die Herero aus sehr verstärkter Stellung mit verhältnismäßig geringen Verlusten unsererseits ge worfen wurden. Die vorgeschobene Witboi-Abteilung soll die Linie Ofrre— Okahitua auskläreu, d. i. diejenige Gegend südöstlich des Waterbergs, in der jetzt die Hauptmacht des Feindes ver mutet wird. Leutwein meldete erst vor wenigen Tagen, daß der Häuptling Samuel Mahorero Ostre wegen Wassermangels verlassen habe und jetzt bei Okahmra am Oinuramba - ua - Matako mit gesammelter Macht sitzen soll. Dort wäre er nur noch wenige Meilen von der Abteilung des Majors v. Estorfs entfernt, der schon am 1. Juni 25 km nordwestlich von Okamatanaara aogelLNHt war. Es wird nun zunächst wohl darauf ankommen, ob die Gegend nördlich von Otjosasu bis zu jener Linie vom Feinde frei ist, so daß unsere Truppen ungehindert vordringen und mit unverbrauchten Kräften an die Hauptmacht der Herero herankominen können. Von der voraufgeschickten Witboi- Abteilung darf eine zuverlässige Aufklärung .des Zwischen geländes erwartet werden. Die Hauptabteilung durfte in dessen auch start genug sein, um, wenn nötig, einzelne Kolonnen zur Sicherung der Etappcnstraße zurücklassen und doch mit dem Gros unverweill nach Norden vorrücken zu können. Sie bestehl, außer den in ver beute früh wievergegebenenMeldung des Obersten Leutwein genannten vier Kompagnien und drei Batterien, noch aus der neunten Kompagnie (Oberleutnant Steinhaufen), über deren augenblickliche Verwendung Leutwein nichts be richtet. Die Abteilung des Majors v. Estorfs besteht aus der I., 2., t. und 6. Kompagnie, der 2. und 3. Batterie, vier Maschinengewehren und einer Bastardkolonne. Hoffen wir, daß diesem nach sorgfältiger Vorbereitung jetzt zur Aus führung gelangenden Unternehmen ein voller Erfolg beschiedeu sein möge. ver russisch-japanische Krieg. Port Arthur? Die Frage nach dem Schicksale von Port Arthur läßt sich auch heute noch nicht bestimmt beantworten. Auf fällig ist es, daß den gerllchtartigen Meldungen von großen Kämpfen zu Wasser und zu Lande nicht ausführ liche Nachrichten folgen, weder von russischer noch von japanischer Seite. Wenn cs sich nur um Gerüchte ge handelt hat, so fragt man doch, wie sie entstehen konnten. Tas Anfflammen eines mächtigen Feuerscheines, das von verschiedenen Seiten beobachtet und gemeldet wurde. Feuilleton. Tamms Garten. 23s Roman von Wilhelm Jensen. Nachdruck verboten. Bet den letzten Worten setzte sie sich, wie sie's an dem Ntittag in der einsamen Schcnkstube der „Fortuna" getan, auf seine Knie und glitt leise über seine Tbirnnarbc mit der Hand. Die empfand er weich und warm, wie etwas ihn aus tötlicher Erstarrung der Seele zum Leben Zurück bringendes, und ihn überkam's, die Besitzerin dieser Hand sei das einzige Menschengeschüpf auf Erden, das Mitgefühl mit ihm habe, weil sie schon in seiner Knabenzeit freund liche Gesinnung für ihn gehabt. Daneben aber gährte wildester Aufruhr in seiner Brust fort, lodernd, in Haß verwandelte Liebe, nach einer rächenden Vergeltung schreiend. Ein sinnnmnachtcnder, alles Blut in ihm zu Wellen aufpeitschcnder Stnrm war's, der ihn wieder in Bewußtlosigkeit zurückschleudcrte und seinen Kopf haltlos betäubt gegen die vom lvSgcgangencn schwarzen Haar überslosscnc Schulter Paulas niedcrgleiten ließ. * * * Schon an diesem Tage hatte der Himmel einen Ein druck erregt, als sei ihm die Erkenntnis ausgcgangcn, daß er sich mit seinen winterlichen Vorkehrungen etwas über eilt und der Erde noch ein wenig zu früh den weiß slockigen Mantel angelegt habe. So war er tätig gewesen, diesen da und dort von linderer Lust und ab und zu rmrch- brechenden Sonnenstrahlen wieder austrennen zn lassen, freilich, ohne dadurch dem dicht gefallenen Schnee noch er heblich Eintrag zu tnn. Doch bci'm anbrcchcnden neuen Morgen zeigte sich's jetzt, daß er cs ernsthaft mit seiner WegräumilngSarbeit meine; er kleidete sich vollständig in ein sanftblaues tzkwand, derief einen weichen Südwind zur Beihülfe, und schon bald, nachdem die Sonne über den Horizont heransgestiegen, hob überall ein Rieseln und Fallen von blitzenden Tropfen an. Ein Spätherbsttag war's, aber wie men» er niclrt den Winter einlciten, sondern diesen mit lächelnder Miene beiseite schieben und schon in den Frühling hinübcrsühren wolle. In den Stadtstraßen zwar entstand dadurch zunächst ein graubäß- liches Schmutzgcmcngc, das Leute, denen keine Nötigung oblag, vom Hinaustrctcn und Umherwandern abhiclt, doch draußen über die Felder ging ein Leuchten und Rück spiegeln von Strahlen; wo ein Quellwasscr am Auslösen der weißen Decke unthalf, konnte der Blick von Täuschung überkommen werden, märzgrüne Halmspitzen aus den Lücken hervortauchen zu sehen. Und ebenso das Ohr, als ob hochher aus der warmen Luft ein fröhlicher Klang von Lerchenstimmcn hcrabtöne. Der Vormittag näherte sich bereits seiner Mitte, wie Dieter Lindenholz durch eine der fast menschenleeren Straßen hinging. Sein Schritt schwankte unsicher, be drohte ihn bei jedem Vorsehen des Fußes mit einem AuS- gleiten auf dem schlüpferigcn Boden; die völlig blutlose Farbe seines Gesichtes glich den hier und da noch am Hänserrand verbliebenen Schneeflcckcn, trüb ins Leere blickende, wie halberblindete Äugen standen d'rin. In seinem Ausdruck und Bchabcn lag etwas von dem eines Nachtwandlers, der ohne Bewußtsein einem Ziel zu trachtete und es ausfand; so trat er zweimal in GeschäftS- lädcn hinein, kaufte in ihnen einige Dinge, zu deren Be zahlung der kleine Rcstinhalt seiner Börse noch grade ausrcichtc, und schlug danach einen vor die Stadt hinaus- sührendcn Weg ein. Nicht dem Dorf und seiner Woh nung zu; er war nicht von ihr hcrgekommcn, seit dem gestrigen Nachmittag nicht mehr dort gewesen und hatte dort nichts mehr zn tun. Entgegengesetzte Richtung nehmend, hielt er am Rand des erreichten offenen Feldes an nnd sah eine Zeitlang mit reglosen Äugen nach dem städtischen Kirchturm zurück. Dann bog er über die Schnccflächc rechtshin ab, von dieser Seite der ivallarlig langgestreckten Einfriedigung um Tamms Garten ent gegen. Ter bildete sein nachtwandlerisches Ziel. Vor seiner Erkenntnis stand's, von keinem Schleier mehr umwoben, grell wie die weiße, bestrahlte Boden decke: Tas Leben war Lüge und Trug, Blindheit und eigene Schuld. In unglaublicher, knabenhafter Torheit war er betrogen worden, von dem, was er für Liebe und Freundschaft gehalten; er besaß nichts mehr an äußeren Hülfsmitteln, an Stelle seiner zerstörten theologischen Laufbahn eine ncne einzuschlagcn; wenn er sie besäße, mirrdc cö ihm an Kraft und Mut dazu fehlen und, über beide hinaus, an einem Zweck, sich eine Lcbensznlunst zu erringen. Aber schlimmer, als die Anderen, hatte er selbst sich betrogen, war zum Dieb geworden, der seinen Vor mund bestohlen, und hatte eine schwerste, letzte Schuld auf sich geladen, die das Maß vollgcmacht. Ob nicht auS eig'nem Wollen, ob von einem Irrsinnszustand dahin ge bracht, von namenloser Qual, dem Wahn, er übe eine rächende Vergeltung, eine Schuld war's, die ihm nicht vergeben werden, von der er in sich selbst kerne Entsüh nung finden konnte. So todesmüdc, an Leib und Seele gebrochen fühlte er sich, daß er nicht mehr bis zu der Buchenhecke hingclangen zu können glaubte. Doch ein Gedanke, eine Vorstellung ließ ihn weiter schwanken, erhielt seinen Gliedern noch so viel Kraft. Wie er vor -der Lücke zwischen den alters morschen Stämmen eintraf, bemächtigte sich seiner Augen eine GcsichtSerschcinung. Deutlich vor dein Blick sah er sich selbst hier an dem Tage, als er sein Abgangszeugnis unter den Beglcitwortcn des Direktors erhalten, die Schule müsse ihn jetzt der Führung durch seine eigene Moralität überlassen, allerdings mit der sorgenvollen Be kümmernis einer Mutter, deren Auge nicht mehr die Wege eines zur Verirrung geneigten Sohnes zu überwachen vermöge. Als etwas unbegreiflich Sinnloses war's ihm damals an s Ohr geklungen, doch heut' verstand er's voll. Ob es ans Unkundigkeit und törichter Auffassung des Sprechers entsprungen sein mochte, hatte doch eine Vor deutung darin gelegen, die in Erfüllung gegangen. Nicht als ein Verirrter, als ein Verlorener, selbst dies Urteil über sich fällend, kam er heute hierher Zu der Stätte, die ein Jahrzehnt lang ihm eine Heimat, ein Antänsboden für jede Bekümmernis, Kraft- und Mut losigkeit gewesen. Vor dem Blick gewahrte er sich hier stehen nnd ahnungsvoll in das „unbekannte Land" voraus schauen, das in verschleierter Ferne ein großes, glückver heißendes Geheimnis barg, von dem er nicht wußte, was cs sei und wie der Weg dorthin führe. Doch nur wenige Minuten später hatte der Weg ihn an die Stelle gebracht, wo er dies große, geheimnisvolle Glück gefunden zu haben glaubte, und statt dessen halte er seine Knaben heimat, seinen Antänsboden, sich selbst und sein Leben un wiederbringlich hier verloren. Ein Fluch mußte auf Tamms Garten liegen, der auch an ihm in Erfüllung ge gangen war. Vor den Augen schn»and ihm jetzt sein vorgetäuschtes Bild weg, doch ein andres trat fiatt dessen an die Stelle. Auch das sab er wie leibhaft, Ehristian Latwesen, mit dem Hobel über Bretter hingleitend Nun hob der alte Gesell den grauen Kopf, blickte vor sich hinaus und antwortete auf eine Frage, was er da mache: „Was Gittes, 'nen Sarg." Danach tat er den Mnnd noch einmal auf und sagte: „Ja, die ewige Seligkeit, das ist die ewige Rich'. Laß sein." Deutlich vernehmbar klangen Dieter die Worte im Ohr nach, und er verstand heute, was sie besagten. Wem das Geschick keine irdische Seligkeit bescherte — oder wer seinem Leben ein Anrecht darauf durch eigne Torheit und Schuld zerstört hatte — für den war die ewige Ruhe das beste, das einzige, was ihm zu hoffen und wünschen übrig blieb. Der junge Student nickte seiner Gcsichtserscheimrng des „Ohm Kristtzan", die jetzt auch zerging, zu und trat -nrch die alte Zaunlücke in den Garten hinein. Den hatte er seit Kindhcitstagen schon oft mit dem winter lichen Kleid angetan vor Augen gehabt, und doch wie an diesem Vormittag noch nicht. Weiß zngedeckt lagen die Rasenflächen, die Wege, dagegen das Baumgczweig und die Sträucher standen überall durch die Sonne und den leisen, warmen Südwind vom Sckmccnberzng befreit, oder ein letzter Rest desselben fiel gleich Tausenden von Dia manttropfen zn Boden. Und zwischen ihrem perlenden Vorhang sah ihn nicht der Tod an, sondern bei genauerem Hinblick das Leben der Zukunft. Wohl ragten die Zweige und Büsche völlig kahl entblättert, doch sie schlummerten nur, zeigten, wohin das Ange ging, schon Ansätze nicht erstorbener, nur schlafverhaltencr Kraft, die beim Auf wachen neues Werden aus den heimlichen Knospen l>er- vortre'ben sollte. Ein Spatherbsttag war's, aber wie Krnhlingsbcginn über'm Schnee. Tictcr schritt langsam durch die einsamen, alb vertranten Gange, blieb manchmal stehen und nickte stumm wieder einer Erinnerung zu. Er sah alles und eigentlich nichts, nicht die heutige Wirklichkeit, nur Bilder seines Gedächtnisses. Verwelkt und farblos lagen die Standen der Virgilsastern ,u Boden gestreckt, und ebenso wesenlos ghgesnnkeu die Gestalt und das Antlitz der jenigen, die er sich in seinem Knabenivahn nach ihnen benannt hatte. Nirgendwo erschuf die Plmntafie ihm das Bild Amelias vor den Augen: sic war sur ibn anSgclc>fcht, tot, ivie niemals gewesen. Nur vvr seinem eignen Bild schrak er einmal zurück, als er an der großen, schwarzen Glaskugel vvrnberkam, ein hohläugig - entfärbtes, ver zerrtes Gesicht schaute ihm daraus entgegen, zn dem er selbst sein früheres verwandelt hatte. Vor dein Anblick fliehend, wandte er sich, schneller schreitend, dem Rund platz mit dem kleinen Temvclbau zu; ohne Wissen mußte seine Umwgndrnng ihn schon einmal hicrl>crgebrackrt haben, denn eine Fußspur zog sich durch die Schneedecke hin. Aus den Treppe,innien, wo er im Mvndlicht gescffei» und das achtlos vergeßene Goldkettchen an die Lippen gc-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite