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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.06.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-06-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040614023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904061402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904061402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-06
- Tag1904-06-14
- Monat1904-06
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalt«) 75 -H, nach den Familiennach. richten (6gespalten) KO Tabellarischer und Utsserusatz entsprechend höher. — Gebühr« für Nachweisungen und Ostert«annahme Lk Extra-Beilage« (gesalzt), nur mit der Mora« .Ausgabe, ohu« Postbefvrderung ^ll 60.—, mit Postbesörderung ^>l 70.—. «nnahmeschlvtz mr Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgeu-Ausgabe: aachmittags 4 Uhr. Ao zeig« find stet» au dte Expedtttoa zu richt«. Die Expedition ist Wochentag» uuunterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Sltukhardt). 98. Jahrgang. Var Aichtigrtr vom Lage. * Die Besserung im Befinden des Königs HM an. S. Sachsen.) * Der König von England tritt am 23. d. M. mn Mitternacht auf der Jacht „Victoria and Albert" die Reise nach Kiel an. * Die kanadische Pacificbahn eröffnete gestern einen täglich zweimaligen Zugverkehr von Montreal nach der Küste des Stillen Ozeans. * In der argentinischen Provinz San Luis brach einAufstand aus. Der Gouverneur wurde gefangen genommen. Mulev HbmeO rl stairull. Der Roman des marokkanischen Räuberhäuptlings behauptet nun schon seit Wochen eine ansehnliche Stelle unter den Tagesereignissen. Ein Bandit, der es fertig bringt, eine mächtige Kriegsflotte in Bewegung zu setze«, der Regierungen seine Bedingungen stellt, mit ihnen ver handelt wie ein gleichberechtigter, ist in seiner Art ein ganzer Kerl, der sich nicht mit Kleinigkeiten abgibt. Den Sultan von Marokko hat er gezwungen, den Gouverneur von Tanger abzusetzen, weil er bei seiner Räubermajestät in Ungnade gefallen war. Für sich selbst und seine Ge- treuen hat er zwar „Indemnität" zugesichert erhalten, jedenfalls wird er aber dem Landfrieden nicht allzusehr trauen und in seiner erprobten Weise sich weitere „Garan tien" zu verschaffen wissen, wenn in den nächsten Tagen die Freigabe der beiden gepfändeten Amerikaner gegen Erstattung der nicht unbedeutenden Kriegskosten erfolgen sollte. Damit soll es aber seine besonderen Schwierigkeiten haben, da die Gegend zwischen Tanger und Benares von einem Stamme bewohnt wird, der sich auf das Löscgeld mindestens ebenso sehr freut, als der brave Raisuli. Auf eine Rücksendung der beiden amerikanischen Bürger nach Tanger gegen Nachnahme aber läßt sich Raisuli gründ- iätzlich nicht ein, er besteht auf Abholung gegen Barzah lung. Es ist dies ja auch nicht der erste derartige Fall in seiner Praxis. Im vorigen Jahre verschleppte er, wie wohl noch er innerlich, Herrn Harris, den Berichterstatter der „Times". Schon bei dieser Gelegenheit setzte er seine Bedingungen bis aufs äußerste durch. Er erlangte nicht nur ein ansehnliches Lösegeld, sondern auch die Frei lassung von 21 seiner Mitarbeiter. Raisuli ist etwa vierzig Jahre alt, hat für einen Marokkaner eine gute Schulbildung genossen und gilt als ein Mann von großer Körperstärke. Er stammt nach marokkanischen Begriffen aus guter Familie. Das Grab eines seiner Vorfahren in Tetuan ist eine Wallfahrtsstätte geworden. Seine Heimat ist Tazaroo, etwa sechzehn Reitstunden von Tanger entfernt. Seine Raubritter laufbahn begann er schon in jungen Jahren. Er ver stand es, sich mit den: Bezirks-Gouverneur auf guten Fuß zu stellen und vermochte jahrelang das Räuberhand werk ungestraft anszuüben. Ta vergriff er sich, kühner geworden, auch am Eigentum von Europäern. Jetzt wurden ernste Beschwerden gegen ihn erhoben. Der da malige Gouverneur von Tanger, Abdurrahman ben Nbdessadok lockte ihn unter dem Vorgeben, es handle sich unc seine Ernennung zum Sheriff, nach Tanger. Mit gastlichen Ehren wurde er ausgenommen, aber beim Nachtmahl von den Schergen des Paschas überfallen und überwältigt. In der Sträflingskolonie Mogador fand er Zeit seine Vertrauensseligkeit zu bereuen. Erst nach sechs Jahren gelang es seinen Freunden und Verwandten durch reichlichen Bakschisch die Freilassung des geschätzten Freundes und Familicngliedes zu bewerkstelligen. Nun trieb es Raisuli, durch Rachsucht angespornt, ärger als zuvor. Er schwur, nicht eher zu rasten und zu ruhen, als bis er an jedem, dem er bei seiner sechsjährigen Ein sperrung Schuld beimaß, Vergeltung geübt. Mord, Brandstiftung, Viehdiebstahl und Raub machten ihn be rüchtigt und gefürchtet. Sein Hauptstück aber war die Entführung des Amerikaners Perdicaris. Es ist nun auch der Verdacht aufgetaucht, die ganze Entfühnings- geschickte sei bestellte Arbeit, Komödie, um gewissen Leuten, einen Grund zur Einmischung in Marokko zu geben. So ohne weiteres ist dieser Verdacht nicht von der Hand zu weisen. Auffällig ist das zärtliche Interesse, mit dem man aus einer einfachen Erpresfungsgeschichte eine Haupt- und Staatsaktion gemacht hat. Wir Deutsche sind ja, was die Ansprüche auf Schutz unserer Landsleute im Auslande anlaugt, nicht gerade verwöhnt und wun- dern uns deshalb leicht, wenn wir jetzt sehen, wie nach drücklich eine Republik die Rechte ihrer Bürger wahrt. Es ist noch nicht lange her, daß ein Deutscher, vr. Genthcs, vor den Toren Marokkos ermordet wurde. WaS haben wir getan, um nicht die Meinung aufkommcn zu lassen, daß man einen Deutschen ungestraft totschlagen darf, der sich erdreistet ins Ausland zu gehen? v. Der rittrkcb-iapanircde Krieg. Im Siegestanniel. MV. Köln, 14. Juni. (Eigene Meldung.) Die „Kölnische Zeitung" meldet aus Tokio: Die japanischen Siege werden durch glanzvolle Umzüge unter ungemein starker Beteiligung der Bevölkerung gefeiert. Während eines solchen Festzuges, an dem sich Engländer und Amerikaner beteiligten, entstand auf einer Brücke ein derartiges Gedränge, daß 19 Personen getötet und eine große Anzahl verwundet wurde. Tie Polizei war machtlos. Die Begeisterung kennt keine Grenzen. Lin neuer Mobilmachungs-Ukas. * Petersburg, 14. Juni. Ein kaiserlicher Ukas vom 9. d. M. ordnet die Einberufung von Offizieren und Untermilitärs der Reserve zum aktiven Dienst an aus 10 Kreisen des Gouvernements Pensa, ie einem der Gouvernements Perm und Simbirsk, aus 5 Kreisen des Gouvernements Samara, 3 des Gouvernements Sara tow, 2 aus Orenburg, je 4 aus Ufa und Moskau, 6 aus Tambow, 2 aus Wladimir, je 4 aus Woronesh und Drei. 3 aus Rjasan, 4 aus Tula, 3 aus Charkow und 4 Kreise aus dem Gouvernement Kursk. In einigen Kreisen fanden anch Pferdemu st er ungen statt. Gefecht bei Siuirglai. * London, 14. Juni. Der Korrespondent der »Daily Mail" in Niutschwang berichtet, daß das am 12. d. M. gemeldete Gcfecht, in dem die Russen 800 Mann ver loren haben sollen, bei Siunglai stattgefunden habe, wohin die Japaner von Pulantian aus marschiert seien, um die Gegend zu säubern, ehe sie auf Niutschwang vorrückten. Lin Unterseeboot für Japan unterwegs. „Daily Telegraph" meldet aus New V°rk: Hier geht das Gerücht, daß eine amerikanische Gesellschaft das Unterseeboot „Protektor" für 50000 Pfund Sterling an Japan verkauft habe. Der Kauf sei vor 2 Monaten abgeschlossen worden: das Boot sei letzt nach Japan an Bord eines norwegischen Schiffes unter wegs, auf welchem sich zwei amerikanische Sachverständige befinden, die die japanischen Seeleute im Gebrauche des Unterseebootes unterrichten sollen. Tulieurvau. * Tokio, 13. Juni. Admiral Togo berichtet: Am 10. d. M. bemerkte die japanische Flotte in der Bai von Talienwan in der Nähe Shaopingtaus vier russische Torpedobootszerstörer und vertrieb diese nach Port Arthur hin. Bei Talienwan sind mehr als 70 Minen zerstört worden, sowie 30 schwimmende Minen, die sich zum Teil im Golf von Petschili befanden. Nichts Neues zu melden * London, 14. Juni. Dem Renterschen Bureau ist von seinem im Hauptguartier des Generals Kuroki befindlichen Korrespondenten über Fusan folgende Nachricht zugcgangen: Vom Kriegsschauplätze ist n i ch t s Neues zu melden. Die Vorposten treffen täglich zusammen, die Verluste dabei sind gering. Bei diesen Gefechten scheinen die Japaner die Oberhand zu behalten. Nachts durchschneiden die Chinesen die Telegraphen drähte. . politische Lagerscha«. * Leipzig, 14. Inui. Zukünftige Aufgaben des Reichstags. Wenn in den nächsten Tagen — voraussichtlich zum Donnerstag — der Lebensfaden dec laufenden Session üeü Reichstags unterbunden oder durchschnitten wird, so liegt ohne weiteres auf der Hand, daß sich die nächste Ar beitsperiode der gewählten Vertretung der Nation zu einer der arbeitsreichsten und wichtigsten gestalten muß, die seit einer Reibe von Jahren erlebt worden. In erster Linie wird es sich in ihr darum handeln, das Quin- guennat in Bezug auf die Fried enspräsenz- stärke neu zu beschließen. Es wird der alte streit an: die jährliche Bewilligung der Friedenspräsenzstärke auf wachen. Der verstorbene Abg. Rickert ist es gewesen, der eines Tages sagte: wenn mein Liberalismus davon abhängig sein soll, ob ich die Verlängerung der Friedens präsenz auf drei, fünf oder sieben Jahre beschließe, so danke ich für einen solchen Liberalismus. Dieser Aus spruch war eine ebenso liberale wie nationale Ergänzung zu der von den verbündeten Regierungen erhobenen For derung, das deutsche Heer dürfe in Be^ug auf die Präsenz stärke nicht von den wechselnden Majoritäten des Reichs tags abhängig sein. Die Frage der Stärke der Friedens präsenz jedes Jahr von neuem aufMwerfen, würde bei den gegenwärtigen Parteivcrbältniffen ein neues Moment der Beunruhigung in unser politffcheS^beuwerfenheißen. Sollte sich mit den Jabren auch bei uns eine viel werter- greifende Uebereiustimmung der Parteien über üaS herausgebildet haben, worüber es einen Streit nicht geben darf, so steht vielleickst weniger als jetzt im Wege, die Friedenspräsenz auch jährlich festzusetzen. Einst weilen bedeutet es auch für die Heeresverwaltung eine Erleichterung ihrer Aufgabe, wenn sie ans eine Reihe von Jahren weiß, wie sie sich ungefähr einzurichten hat. Daß ebenso wie mit Fragen der Ausgestaltung unserer nationalen Wehr zu Lande auch mit solchen deS AuSvauS unserer Flotte der Reichstag im nächsten ArbeitSab- schnitt sich zu beschäftigen haben wird, darf als sicher gelten. Deshalb braucht zur Zeit irgendwelche end gültige Feststellung des Umfangs der nächstliegenden Aufgaben noch keineswegs erreicht zu sein. Bedauer licherweise schiebt sich die Ausführung der Reform der Militärpcnsionsgesetzgebung, obwoU die Ausarbeitung der sachverständigen Vorschläge eine voll endete Tatsache, aber vom Bundesrat in dem jetzt seinem Ende entgegengehenden Arbeitsabschnitt nicht mehr be raten ist, noch weiter hinaus. Dies erklärt sich aus der Abneigung des einen Faktors der Gesetzgebung, finan zielle Verpflichtungen der Reichsverwaltung einzngeben, bevor nicht klar und ersichtlich ist, wie die Deckung für die übernommenen Ausgaben geleistet werden soll. Hoffentlich ist es kein „leerer Wahn", sondern eine ziem lich sichere Tatsache, daß dem Reichstage in seinem näch sten Arbeitsabschnitt die neuen Handelsverträge, wenigstens zu ihrem größten Teile, zugehen können. Trifft dies zu, so liegt darin nicht nur eine weitere Stütze für unsere Ansicht, daß der nächstfolgende Tagnngsab- schnitt des Reichstags ungemein arbeitsreich sein wird, sondern auch für die Annahme: die bevorstehende Tagung wird eine der wichtigsten Perioden in der Entwicklung der gewählten Vertretung der Nation sein. Militärpensionsreform. Der General-Oberarzt a. D. der Marine Or. Paul Koch bespricht in einer demnächst erscheinenden Broschüre die Neuregelung der Pensionsverhältnissc im Heer und in der Flotte, für die die Vertreter aller Fraktionen des Reichstages in der Sitzung vom 20. April d. I. einmütig eingetreten sind. Daß Koch in seiner Broschüre von wahrem sozialen Empfinden beseelt ist, gebt aus der kurzen Vorrede hervor, in der er sagt: „Es ist in den letzten Jahren schon viel über dieses Thema geredet und geschrieben worden: doch wurden bisher wesentlich die Interessen des Offizierftandcs — von diesem selbst, von seinen Freunden und Gönnern in der Oefsentlichteit und im Parlament verfochren. Da scheint es Zett, daß auch einmal die Pensionsverhältnisse der Unteroffiziere und Mannschaften eine intimere Erörterung erfahren." Von besonderem Interesse sind Kochs Ausführungen über die Dienstbeschädigung, einmal, weil der Verfasser hier aus reichster persönlicher.Kenntnis spricht, und zweitens, weil gerade auf diesem Gebiete die größ ten Mißstände herrschen. Unter Dienstbeschädiguug ver- Feuilleton. ii Mein Manne. Eine Novelle von Eduard Engel (Berlin). Nachdruck verboten. Ter letzte Tag im März war angebrochen, Gott sei Tank! Der letzte Tag, an dem die greuliche Person ihren Dienst als Wirtschafterin bei mir versah. Lene Weilen hieß sie. Ein linder, weicher Name, gleitet wie Oel über die Zunge, ganz und gar aus flüssigen Lippen- und Zungenlauten zusammengesetzt. „Liquidä" nennen wir dergleichen in der Philologie, und diese unglückseligen Liquidä waren es vornehmlich gewesen, die mich vor einem halben Jähr dazu bestimmt hatten, die Person zu mieten, als meine jüngste Schioester ihrem Pastor-liebsten nach Thüringen an den eigenen Herd folgte. Ich hätte mich sollen warnen lassen! Sie hatte bis dahin nur als „Stütze der Hausfrau" gedient, rind wollte cs nun, da sie, Berlinisch gesprochen, „hoch in den Neun unddreißig" stand, als Wirtschafterin bei einem älteren Herrn versuchen. Ich hätte mich nicht zum Versuch hin- geben sollen. Sie war grundhäßlich, und wahrscheinlich batte die ein Stockwerk unter mir wohnende Frau Kon- sistorialrätin mir deshalb zugeredet. Eine langweilige, ganz ordinäre Häßlichkeit, von der man kaum zu sagen wüßte, worin sie eigentlich besteht, über die man sich nicht einmal rechtschaffen ärgern kann. Sah ich sie zufällig beim Essen an, was ich aber nach Möglichkeit vermied, so schmeckte mir alles flan. Also Lene Weilen hieß sie und war dennoch so nnver- schämt und kratzbürstig, als sei ihr Name ans lauter Zisch- und Kehllauten zusammengesetzt. Ich war machtlos gegen sie, und ich litt unsäglich, als Mensch wie als Philo loge. Als Philologe vielleicht am meisten. An demselben zweiten Oktober, an dem sie in meine Küche eingezogen war, hatte ich an der Preisschrift der Akademie zu arbeiten begonnen. Eine wundervolle Aufgabe, als hätte ich sie mir selber nach meines wissenschaftlichen Herzens ge heimsten Gelüsten gestellt: „lieber den Zusammen hang zwischen Denken und Sprechen." Seit einem Menschenalter, jedenfalls seit meiner Profcssorschaft an der Berliner Universität, hatte ich neben allen: Sanskrit, Prakrit und anderen orientalischen Studien immer auf dieses eine Ziel losgearbeitet. Welch einen Schatz von Lesefrüchten aus allen Literaturen hatte ich in den Schub fächern meines Schreibtisches aufgcspcichert! Welche Be- obachtungen an mir und meinen Kollegen, Freunden, Be kannten! Selbst die Frau Konsistorialrätin im dritten Stock hatte herhalten müssen. Es konnte mir gar nicht fehlen: in wenigen Monaten mußte das Preiswerk vollendet sein. Auf die paar Tausend Mark des Preises kam es mir ja nicht an, dafür war gesorgt: aber im Wett- kampf mit den Gleichstrebenden die erschöpfendste Ant wort zu finden auf die so wichtige Frage: ob ohne Sprache ein Denken möglich sei? — eine natürlich mit „unmög- lich!" zu beantwortende Frage — das sollte mich nicht reizen? Es konnte mir, wie gesagt, nicht fehlen. Aber es fehlte nur, und sehr. Die Lene war daran schuld; nach wenigen Tagen war mir das klar geworden. Ihre Häß- lichkeit hätte ich ihr verziehen, die mutzte sie mit sich ab machen. Auch ihrer spitzigen Unverschämtheit konnte ich durch Schweigen die ärgsten Spitzen abstumpfen. Aber nun ihre unmenschliche Dummheit! Mit der ging es merkwürdig ähnlich, wie mit ihrer Häßlichkeit: man wußte nicht recht, worin sie eigentlich bestand, oder vielmehr worin sie nicht bestand. Mir kam es vor, als gäbe es zwi- schen Denken und Sprechen dieses Geschöpfes keinerlei Zusammenhang, und da sie doch nicht gerade idiotisch zu nennen war, so geriet ich in die peinlichsten Zweifel an meiner wissenschaftlichen Uebcrzengung. Wie sollte ich da mit Eifer an meiner Preisarbeit schaffen? Das Erstaunlichste aber an ihr war ihre Phantasie. Sie konnte mir keinen Brief bringen, ohne mir unver- ichämterweise ihre Verwaltungen über die Absender mit- zuteilen. Vermutungen oft so ungeheuerlicher Art, daß mir schwindelte. Dazu kam, daß sie in meinen Papieren auf dem Schreibtisch kramte und nach Belieben über meins Bibliothek verfügte, so oft ich den Rücken kehrte. Ich hatte ihr das aufs strengste einmal, zweimal, zehnmal verboten. Beim elftenmale sagte ich ihr, sie solle am 31. März sich packen. Sie nahm die Kündigung ruhig hin, besserte sich aber nicht. Ich setzte dann mehrere Male eine Anzeige in die „Vossische Zeitung": es kamen auch täglich mehr Bewerberinnen um die Stelle, als mir lieb und meiner Preisarbeit förderlich war; aber aus über- triebener Vorsicht wartete ich, und wartete so lange, bis das Ende des März dicht vor der Türe stand, und die Be werberinnen spärlicher wurden und schließlich ausblieben. So war denn der 31. März da, und noch hatte Lene Weilen keine Nachfolgerin. Sie triumphierte. Wahr scheinlich dachte sie, ich würde sie nun im letzten Augenblick zum Bleiben auffordern, denn an diesem ihrem letzten Morgen in meinen: Hanse war sic von einer unheimlichen Freundlichkeit und schwatzte auch merklich weniger dum- mes Zeug, als seit Monaten. Sie wußte nicht, daß ich fest entschlossen war, sie keinen Tag länger zu behalten. In: schlimmsten Fall ging ich für ein paar Wochen ins Pastor haus nach Thüringen: Osterferien hatte die Universität schon seit einer Woche, und die Bibliothek konnte ich ent behren: mein Material zu der Preisarbeit war vollständig beisammen. Erst nur die cntietzlickx' Person mir aus den Augen! Ein bitterkalter Tag, jener 3l. Mürz. Ein trockener, eisiger Ostwind, Berlins grausamste Wiuterplage, peitschte die Potsdamerstraßc entlang, an deren südwestlichem Ende, gegenüber den: Botanischen Garten, ich wohnte. Außer den zur Schule trippelnden Kindern mit blauroten Nasen und Ohren kaum ein Mensch unten zu sehen um diese achte Stunde. Selbst die Pferdebahnwagen von und nach Schöneberg fast leer, ihre Verdecke ausgestorben. Beinahe jammerte mich sogar die Lene, wenn ich dachte, heute müsse sie in diesen grimmigen Frostwind hinaus. Sie hatte mein Arbeitszimmer so ganz besonders in- brünstig heute geheizt, so rücksichtsvoll verständig wie nie zuvor in diesem langen Winter, in dem ich sie nie dazu hatte bringen können, sich nach dem Thermometer draußen am Fenster zu richten. Irgend ein System befolgte sie bei ihrer Heizung, aber welches? — das hatte ich in den sechs Monaten nicht herausbekommen. Am Morgen des 31. März hatte die achte Beilage der Sonntagsnummer der „Vossischen Zeitung" noch einmal meine Anzeige gebracht. Bis zum Spätnachmittag wollte ich mich gedulden; sobald dann Lene das Haus verlassen hätte, wollte ich zum Anhalter Bahnhof fahren und ab reisen. Gegen neun Nhr morgens meldete sich ein Mäd chen — sehr jung und sehr hübsch. Nahm ich dergleichen in «nein Haus, so war es mit meinem Verkehr in wohl- anständigen Familien zu Ende; dafür hätte die Konsi storialrätin schon gesorgt. Ich sagte dem Mädchen also, sie sei mir zu jung und zu hübsch, worauf sic rot vor Vergnügen sich empfahl. Ich war ungefähr bis zur sechsten Beilage der Tante Voß gediehen, als es wieder an der Korridortür klingelte, ganz leise und schüchtern, und Lene erschien: „Eine Wirt- schafterin!" Sie sagte das in einem Ton, der verraten sollte, wie wenig sie sich vor dieser neuen Bewerberin fürchtete, lind sie batte recht: Nxis da auf ber Schwelle zwischen Borsimmer und Arbeitszimmer erschien, war ein richtiger Koboldstreich der Natur. Ein Mädchen oder eine Fran von ganz unverkennbaren: Alter. Sie konnte ebensogut zwanzig wie vierzig Jahre alt sein. Sie war so lächerlich häßlich, daß man durch die .Häßlickckeit kaum bis auf den eigentlichen Menschen hindurchsah. Klein, schief in den Schultern, und so mager! Man sah gar nicht, w i e mager, denn ihre dünnen Fähnchen hurgen ikr
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