02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.12.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041201026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904120102
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-12
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeilc 28 Reklamen unter dem RedaktionSslrich t4 gespalten) 75 -H, nach den Familiennach- riclnen it> gespalten» 50 — Tabellarischer und Zissernsag werden entsprechend höher be-, rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenannahme 25 -H. Annahmeschlus; für Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Ertra-Veilageu «nur mü der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E- Polz in Leipzig (Inh. Ur. B., R. L W. Sliukhardt). 88. Jahrgang. Vas Wichtigste vom Lage. * Die Lotteriegemeinschaft zwischen Preußen, Lübeck und Mecklenburg ist zustande gekommen. (S. Dtsch. Reich.) * Einen Millionenbetrug verübte in New Dori eine Miß Tadwick; verschiedene reiche Leute sind ruiniert; eine BankmußteihreZahlungeneinstellen. (S. A. a. W.) * Rußland hat die Union benachrichtigt, daß eS den Vorschlag einer neuen Friedenskonferenz :m Prinzip billige, aber diese dürfe nicht vor der Beendigung des Krieges in Ostasieu erfolgen. (S. russ.-jap. Krieg.) * Nach einer Reutermeldung aus Tokio eroberten die Japaner vor Port Arthur den 203-Meter-Hügel und halten ihn besetzt. (S. rufs.-jap. Krieg.) * Die bulgarische Sobranje bewilligte in geheimer Sitzung einen Militärkredit von 42,7 Millionen Francs, wovon 25 Millionen für Schnellfeuergeschütze entfallen. (S. Ausland.) sirrchäkt ist geschält. Die Wiener Handelsvertragsverhandlungen sind resultatlos abgebrochen worden und Graf Posadowsky, der mit Pauken und Trompeten in der Kaiserstadt an der Donau empfangen wurde, ist still abgereist. Man muß baß erstaunt sein, auf wie einfache, fast kleinbürgerliche Formeln sich auch die größten internationalen Aktionen zurückführen lassen. Bis auf die kleinliche Vernachlässigung von Höflichkeilsbezeugungen ist man nun bereits gekommen, denn eS wird gemeldet, kein österreichischer Beamter habe dem Staatssekretär des ver bündeten Deutschen Reichs das Abschiedsgeleite gegeben. Diese äußeren Begleiterscheinungen des auch rein politisch unerfreu- lichen Vorganges verstärken noch den Eindruck, daß dieAuSsichten auf einen Vertrag zur Zeit sehr schlecht sein müssen, und daß auch neuen Versuchen wegen der gereizten Stimmung, die wahrscheinlich auf beiden Seiten herrscht, Schwierigkeiten entgegensteben. Zunächst sei aus der Wiener „Neuen Fr. Pr." wieder gegeben, was dies Blatt über den Abbruch der Verhand lungen sagt: Der preußische Staatsminister hat mit der Möglichkeit eines solchen Ausganges kaum ernsthaft gerechnet, und im Wesen, im logischen Zuge seiner Mission lag die Voraussetzung des Vertragsabschlusses. Was hätten sonst der Einsatz seiner starken Persönlichkeit, man könnte beinahe sagen, der Pomp dieser Reise, das Ausfällige, die von der Gewohnheit abweichende Methode bei der Verhandlung bedeuten sollen? Doch nicht, daß den Unterhändlern gleich ein Oberunterhändler mit auf den Weg gegeben werde. Zu diesem Zweck genügt ein gutes Zimmertelephon, und Graf Posadowsky steht zu hoch, um vier Wochen seines bewegten Lebens in einer solchen Neben sache zu verzetteln. Nein, die Mission hatte nur den Sinn, durch die höheren Vollmachten und den größeren Einfluß des Ministers über alle Förmlichkeiten hinweg einen raschen Erfolg durchzu- setzen. Da kamen zwei verhängnisvolle Irrtümer. Getäuscht haben sich die Regierungen unserer Monarchie, al» sie dachten, Graf Posadowsky sei der Mann der außerordentlichen Mittel gegen außer ordentliche Schwierigkeiten. Erhat jedoch um Pf ennige gefeilscht, und seine Referenten hätten den Abbruch der Verhandlungen wohl allein besorgen können, nur mit dem Unterschiede, daß die Krise weniger Aussehen gemacht hätte. Getäuscht hat sich auch Gras Posadowsky, und er wird sich in seinem innersten Herzen gestehen müssen, daß alle Voraussetzungen seiner Reise hinfällig waren. Ter erste begreifliche Fehler lag wohl darin, daß der Preußische Minister dachte, diese Monarchie mit zwei zer rütteten Parlamenten, mit zwei Regierungen des Notrrchtes, mit zwei Obstruktionen werde sicher nicht die Widerstandsfähigkeit haben, einen Vertrag abzulehnen, den das mächtige Deutiche Reich an bietet. Die Monarchie hat ihn abgelehnt, und bisher ist keine Stimme in ganz Oesterreich-Ungarn laut geworden, die daS Zurück- weiseu der deutschen Vorschläge getadelt hätte. Als SlimmungSprobe sei dann noch folgender Satz deS sonst immer recht deutschfreundlichen Blattes ab gedruckt: Oesterreich-Ungarn wird sich für die agrarischen Parteien des Reichstages nicht abschlachten lassen, und die deutsche Regierung mit ihrer Handelspolitik von Eins zu Sechs mag auch die Sorge übernehmen, wie das ehrlich geschlossene und redlich gehaltene Bündnis nicht in die Brandung leidenichastlicher Stimmungen hineingezogen werde. Oder muß es gleichfalls den deutschen Mäslern und Mälzern hingeworfen werden? Schon hieraus ist ersichtlich, daß man in Wien die Haupt schuld am Scheitern der Verhanvlungen auf die von deutscher Seite geforderten Agrarzölle schiebt, die denn wohl auch in der Tat die Klippen gewesen sein dürften. Im Einzelnen wird über diesen Punkt aus österreichischen Blättern bekannt: Ein Beweis dafür, daß beinahe aus chließlich die agrarischen Forderungen des deutschen Zolltarifs das vorläufige Scheitern herbeigekührt haben, liegt in der Tatsache, daß über die Regelung der industriellen Zölle nahezu das vollständige Ein vernehmen erzielt wurde. Oesterreich-Ungarn wollte an geblich die Opfer bringen, mit denen ein auskömm licher Vertrag bezahlt werden müßte, und verzichtete aus diesem Grunde auf die höheren Zölle für wichtige chemische Pro dukte, für einz-lne Textilwaren und für gewisse Maschinen- gattungen, wogegen allerdings von deutscher Seite Zugeständnisse für Leinengarne, Gablonzer Waren, Kurzwaren, gewisse Lederwaren und Wiener Artikel gemacht wurden. Die Schwierigkeiten liegen nur auf agrarischem Gebiete, speziell in den Gruppen Gerste und Malz, Holz, sowie in der Vieh- konvention. Einigermaßen ergötzlich anzubören ist eS demgegenüber, was in Berliner Blättern erzählt wird, die der Regierung nahe stehen: Das Hindernis der Verständigung waren Forderungen Un garns auf dem Gebiete der Biehseuchen-Kontrolle und, wie wir im Gegensatz zu verschiedenen Blättermeldungen Mitteilen können, speziell österreichischer Widerstand gegen einzelne deutsche Jndustriezo ll-Politionen. Den Ueberagrariern paßt die Situation ausgezeichnet. Schon macht die „Dtsch TgSztg." die Reichsregierung scharf und schreibt: Die deutsche Regierung muß nun endlich eingeseben haben, daß sie mit ihrer übertriebenen Konzilianz wenig, ja nichts erreicht. Sie wird sich entschließen müssen, spätestens Ende dieses Jahres die bestehenden Verträge mit Oesterreich-Ungarn zu kündigen und den neuen Zolltarif am 1. Januar 1906 in Kraft treten zu lasten. Sollte es wirklich dann zu einem Zollkriege mit Oesterreich- Ungarn kommen, so wäre das zwar bedauerlich, aber für uns weniger bedenklich als für die beiden genannten Länder. Auf diese Bahn möchte sich die Regierung anscheinend noch nicht drängen lassen, denn sie läßt in einigen Organen verkünden, Deutschland sei zur Wiederaufnahme der Verhandlungen zu jeder Stunde bereit, die Anregung dazu müßte freilich von der anderen Seite aus- geben. Und da man nachträglich auch in Wien so tut, als sei noch nicht alle Hoffnung auf eine Verständigung aufgegeben, fo ist den Propheten eine selten günstige Gelegen heit zum Benutzen ihrer wertvollen Gabe gekommen, und die Prophezeiungen werden im Preise sinken. Zum Schluß seien die rein formalen Bestimmungen ins Gedächtnis zurückgerufen, auf die man in diesen kritischen Tagen angewiesen ist. Gegenwärtig fragt es sich, wie nach Lage der Verhältnisse gegenüber Oesterreich-Ungarn seitens des Deutschen Reiches bezüglich der Handelsbeziehungen verfahren müßte, wenn im Dezember ein neues Ab kommen nicht getroffen würde. Deutschland bat mit sechs von den ackt Tarifvertragsstaaten neue Tarifverträge abge schlossen. Man nimmt allgemein an, daß als Inkraftsetzungs termin aller dieser neuen Verträge der 1. Januar 1906 gewählt ist. Würde dies zutreffen, so würde der jetzige veulsch-österreichiiche HandelStarisvertrag, der bekanntlich als der erste einer längeren Reibe anfangs der neunziger Jahre ves vorigen Jabrhunderts abgeschlossen wurde, spätestens am 3l. Dezember deS laufenden Kalenderjahres gekündigt werten müssen. Die neuen Tarifverträge sind auf der Grundlage deS neuen demschen autonomen Zolltarifs abge schlossen. Auch er würde unter der gleichen Voraussetzung am 1. Januar 1906 in Kraft gesetzt werden. Geschieht dies aber, fo müssen sämtluhe handelspolitischen Abmachungen, in venen Vereinbarungen auf Grund deS alten autonomen Zolltarifs getroffen sind, mit demselben Tage in Wegfall kommen. Der alte deutiche autonome Tarif wird in den jetzt laufenden Tarifverträgen erwähnt, während die Meist begünstigungsverträge, deren es bekanntlich eine größere Anzahl gibt, davon nicht berührt werden. Gegenüber den jenigen Staaten, mit denen die Tarifverträge bis Ende De zember 1904 nicht erneuert sind, müßte also die Kündigung ver alten Verträge zum Ende des Jahres l905 besonders ausgesprochen werden. Dazu würde nunmehr, wenn der Dezember nicht noch Aenderungen bringt, Oesterreick-Ungarn gehören. Auch gegenüber Griechenland würde dasselbe Ver fahren angewandt werven müssen. Damit ist aber, wie schon erwähnt, nicht ausgeschlossen, daß neue, seien eS nun Tarif-, seien es Me stbegünstigungsverträge, auch noch im Laufe des Jahres 1905 zwilchen diesen Staaten und dem Deutschen Reiche zustande kommen. Geschähe auch dies nicht, dann müßten' allerdings den genannten Ländern gegenüber nach Ablauf der Geltungsdauer der gegenwärtigen Verträge die Bestimmungen des neuen Zolltarifgesetzes zur Anwendung gebracht werden. ver rurrtseb-lapanlrche Wieg. Die internationale Harmonie. WaS längst bekannt war, macht eine Reuterdepeschc auS Washington nunmehr offiziell. Nach ihr teilte Ruß and ver amerikanischen Regierung mit, es teile von Herzen Roosevelts Plan der Abhaltung einer zweiten Haager Konferenz, glaube aber den augenblicklichen Zeit punkt ungeeignet und ichlage vor, bis nach Beendigung ves Krieges zu warten. Es >st dies die selbstverständlichste aller Selbstverständlichkeiten. Zu berichten ist noch, daß ver österreichische Kaiser am Dienstag bas fünfte Mitglied ves internationalen Schiedsgerichts in der Angelegenheit der Doggerbank ernannt bat, und zwar den früheren Kom- manvanten des Marinedepartements Frhrn. von Spaun. Lanodorvner SnreHtrveisrrng dop Aohlen- händler. Der „Standard" teilt mit, die englische Regierung habe auf eine Anfrage der japanischen Regierung eine genaue Untersuchung über die Verschiffung von Kohlen für die Baltoche Flotte in englischen Fahrzeugen eingeleitet. Der ganze Regierungsapparat sei in Tätigkeit gesetzt worden; außerdem seien be'ondere Maßregeln getroffen worden, daß in Bezug auf KohlenUeferungen an eine der kriegführenden Parteien alle Tatsachen geprüft werden, um eine Wieder holung dieser Handlungsweise zu verhindern, die al» Neutralitätsbruch ausgesaßt werven könnte. Das neue Edikt kommt hinter dem eriten drein, jedoch eS ist mehr eine Ab schwächung als eine Verschärfung. Da» japanische Ariegobn-get. Die Londoner Blätter berichten, daß das japanische Budget weitere Ermächtigungen verlangen werde, im Auslande Geld auszunehmen und noch eine Reihe von inneren Anleihen auszugeben. Die russisch.polnischen Flüchtlinge. AuS Wien melvet die „Frkf. Ztg.": Auf dem diesig« japanischen Konsulat melden sich täglich Gruppen russischer Deserteure mit der Bitte, in die japanische Armee ausgenommen zu werden. Daß die Desertion eine solche Ausdehnung haben würde, war allerdings noch nicht bekannt. Die Besatzung de» „Newik" ist, wie der „Köln. Zkg." aus Port AlexandrowSki geschrieben wird, am Sonntag, ven 9. Oktober, dort angekommen. Die armen, bis aus vieHaut durchnäßten und durchfrorenen Menschen wurven eiligst in die Kaserne gebracht und dort mit dem landes üblichen Wodka empfangen und dann nach bester Möglichkeit gespeist und getränkt. Am Montag ließen sich die Ansiedler von AlexandrowSki es nicht nehmen, die Matrosen zu be wirten. Diese Bewirtung ver rund 270 Mann ist um so höher anzuichlagen, da die Geber — alles Verschickte — zumeist sehr arme Menschen sind, außerdem bereits jetzt auf der Jniel eine furchtbare Teuerung herrscht. Am DienStag ver ließen die Seeleute mit dem Tungus die Insel, um nach Nilolajewsk unv von dort über Cbabarowsk nach Wladi wostok gebracht zu werden. Offiziere und Mannschaften brennen daraus, dem Japaner es heimzuzahlen, daß sie ihren geliebten „Nowil" verlassen und über 6o0 km durch «Sachalin zu Kuß laufen mußten, eine für einen See mann wahrhaftig großartige Leistung, zumal, wenn man bedenkt, baß gegen 300 km durch den Urwald aus einem sogenannten Fußpfade zurückgelegt werden und die Leute dabei acht Nächte im Urwalde kampieren mußten. Ueber den Dur chbruch-versuch am 10. August erzählen die Feuilleton. Die heilige Caeeilie. 39! Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Sie hat es nun schon wieder satt, das müßige Dasitzen und Träumen, die junge Frau! Ein Weilchen ist das ganz hübsch, aber jetzt wenn „er" nicht sehr bald kommt, dann bleibt sie nicht länger hier als Schaustück sitzen, — dann springt sie auf und geht von neuem die „Ueberraschung" anstauncn und sich fragen, was „er" doch dazu sagen wird! — Ein Schlüssel draußen in der Korridortür, —- eine Stimme, die ein paar rasche Worte spricht, — ein leichtes Rascheln, — das ist „er"! Sitzen bleiben, kleine Annemarie! Was soll das Mädchen, diese mittelalterliche, verständige Pauline, denken, wenn ihre junge Gnädige jetzt wie ein Wirbel- wind in den Korridor stürmt und dem Geliebten in die Arme fliegt? Pauline, die schon zuweilen so einen ge wissen spöttischen Blick, so. ein nachsichtiges Lächeln zeigt, wenn sie das junge Paar Arm in Arm sieht oder wenn der neue Ehemann seiner kleinen Frau zu Füßen sitzt und sie anschmachtet wie ein richtiger Minnesänger? Es dauert ihr lange, bis Oswald kommt, — sie brennt darauf, ihm die „Ueberraschung" vorzuführen, und sie malt sich seine Ungeduld aus, die hundertmal größer ist als ihre eigene! Da tritt er ein, ein Büschel rosa und weißer Nelken in der Hand, — da hat er sein „Stimmungsbild" vor sich, — inmitten des hübschen Budoirs seine tausendmal hübschere Frau! Natürlich ist das Wiedersehen, nach so langer Trennung, ein überaus zärtliches! Die Fragen: „Was hast du getan, während ich fort war?" und: „Hast du an mich gedacht?" und: „Wie hast du gedacht?" wollen kein Ende nehmen, — die Küsse noch weniger. Was sie getan hat, ist bald gesagt, — Staub wischen, — Blumen begießen, — Küchenzettel besprechen, — welterschütternde Ereignisse sind das gerade nicht! Aber von ihm will sie wissen, — alles und jedes! Wie die Probe gegangen ist, — wie diese Stelle geklungen hat und jene, — ob die Hörner das Signal in der Leonoren^Ouvertüre rein ge- blasen haben, — wie das Geigensolo sich gemacht, — jedes Detail interessiert sie! — Ein wenig ungeduldig weist er sie zurück, — zwar liebevoll, mit vielen Kosenamen und stürmischen Küssen, aber er weist sic doch zurück. Das muß er ihr allmählich ganz und gar abgewöhnen, der entzückenden kleinen Frou, dies Hineinreden und Hineinfragen in seinen Beruf, — das mag Oswald Mentzel nicht, — von niemanden mag er das, selbst nicht von ihr! Seine Musik, das ist seine Domäne! Sie behauptet, allerlei davon zu verstehen, — er hat sich bisher noch nicht die Mühe gegeben, das zu untersuchen. Möglich! Er glaubt nicht recht daran, .... aber selbst wenn es sich so ver- hielte — nun, dann erst recht nicht! Seine Augenweide sein, seine Wonne, — auch seine kleine Nachtigall, die ihm mit ihrer süßen Stimme dann und wann, sobald es ihn danach verlangt, ein Liedchen singt, — mehr will er nicht, —mehr braucht er nicht, das muß er ihr begreiflich machen I Annemarie merkt jetzt sein Ausweichen gar nicht, sie ist heute eben nicht bei der Sache, weil sie es nicht abwarten kann, ihm die „Ueberraschung" zu zeigen. „Willst du nicht noch etwas frühstücken?" fragt sie hastig und etwas obenhin. „Tanke, mein Engel! Wir haben bei Kempinski in der Eile ein Glas Wein getrunken, — ich hab' mich nicht ausschließen können" — Sie nimmt auch das nicht übel, präokkupiert, wie sie ist. — „Tann komm' gleich mit mir, bitte!" „Und deine Nelken? Nimmst du sie nicht mit?" „Ach so, die Nelken! Ja, die sollen ins Wasser, sonst welken sie, die armen Dinger! Gib mir die kleine Tiffany-Vase herüber, — so! Aber nun komm' auch!" An der Hand zieht sie ihn hinter sich her, schiebt die Salontüren auseinander, deckt ihm die Rechte über die Augen. „Still stehen! Dich nach links herüber drehen! Noch mehr. Zwei Schritte vorwärts tun! Jetzt!" Er lacht über den allerliebsten Kommandoton, blickt auf, — stutzt, — stößt einen Ruf der Ueberraschung aus. „Was — was — ist das?" Sie steht dicht neben ihm und blickt ihm mit einem triumphierenden Lachen nach den Augen. „Nicht wahr, — das hattest du nicht erwartet? Das ist die heilige Cäcilia!" Ja, — das war sie! Wie in goldenen Duft gebadet saß sie da, das holde Geschöpf, — blumenhaft lieblich, weltentrückten Blickes, die zarten Hände auf dem Spinett, das Köpfchen leicht gehoben, schlicht in der Haltung, — ganz Natur — miU hin höchste Kunst! Nichts exaltiertes an ihr selbst und um sie her, — der ganze Vorgang mit den blumen streuenden Engeln so menschlich gestaltet das Wun- der war hier in zweiter Linie erst berücksichtigt. Der Kontrast der königlichen, kostbaren Gewänder zu der feinen, schlanken Gestalt, dem weichen Kindergesicht wirkte seltsam rührend. — Durch die breiten Fenster des ziemlich großen Zim mers kam genügend Licht herein, um das Gemälde, welches vorläufig gegen eine Wand gelehnt und von Stühlen gestützt war, zn beleuchten. „Wer hat das — wer hat das gemalt, Annemarie?" „Frank Holbein, der Amerikaner, Hans Kühnes Freund, — ich erzählte dir doch von ihm! Ach, es ist schon lange her, — ich hatte es ganz vergessen, — nein, nicht ganz, — das ist nicht wahr! Ich habe wohl manch mal d'ran gedacht, aber dann fiel mir ein, er könnte es vergessen haben, d'rum mochte ich darüber nicht reden. Und Asta wußte auch nichts von Frank Holbein, . . . . aber ist es nicht fein, Ossy? Ist es nicht schön? Wenn ich es auch bin: ist's nicht doch wundervoll?" Sie klatschte in die Hände und tanzte im Zimmer herum, wie ein Kind. „Du hast noch gestern gesagt, — oder war es vorgestern? — Bilder fehlen uns noch, und solch' billiges Zeug hängen wir uns lieber gar nicht hin, .... wenn's nicht ein gutes Oelgemälde sein kann, daun warten wir noch> Und nun haben wir eins, — nun haben wir eins! Freust du dich auch, Ossy? Bist du auch gehörig stolz auf deine kleine Frau als Heilige Cäcilia? Was meinst du, .... wo hängen wir sie hin?" „Gar nicht!" erwiderte Oswald Mentzel in schroffem Ton. Sie stutzte, blieb mitten in ihrer lebhaften Geste stecken und drehte sich zu ihm herum, als könne sie nicht recht gehört haben. „Wie sagtest du?" fragte sie halblaut und unsicher. „Gar nicht!" wiederholte er noch schärfer. „TaS Bild bleibt nicht hier. Wir behalten es nicht!" „Bleibt — nicht — behalten es nicht?" wiederholte sie mechanisch: kopfschüttelnd, verständnislos sah sie ihn au. „Warum nicht?" „Weil ich nicht will! Es nicht dulde!" Er trat mit dem Fuß auf. „Aber Oswald" .... Noch immer war Annemarie zu sehr von ihren: Erstaunen benommen. „Was fällt dir" .... „Es soll fort! Hinaus! Zurück zu dem, der es ge- malt hat!" Er streckte die Hand nach dein Knopf der elektrischen Glocke aus. „Aber — aber" — halb lachend hielt sie ihm die Hand fest. „Tas geht so geschwind nicht, Freundchen! Geht
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