02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041125023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904112502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904112502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-25
- Monat1904-11
- Jahr1904
-
-
-
2
-
3
-
4
-
5
-
6
-
7
-
8
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezuflS-PretS in der Hauptexprdition oder deren Ausgabe« stellen ab geholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS HauS ./L 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch, land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZeitunqSpreiSlisle. Liese Nummer kostet 44 IN 7 aus allen Bahnhöfen und 11» bei den Zeitungs-Verkäusern * Redaktion uni» Expedition: 453 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Haupt-Filiale Dresden. Marienslraffe 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 4713). Haupt-Filiale Berlin: TarlDunckcr, Herzgl.Bayr.tzosbuchbandlg., Lüyowslraffe 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603'. Nr. E Abend-Ansgabc. KipMcr TagMatt Anzeiger. Ämtsölatt Ses Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Nates und des Nolizciamtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 25. November 1904. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RrdaktionSstrich (4 gespalten) 75 nach den Familiennach- richten <6gesvalten) 50 — Tabellarischer und Zisfernsay werden entsprechend höher b«. rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Offcrtenannahme 25 Aunahmrschlufz für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen lnur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Or. V., R. L W. Klink Hardt). 98. IahMM. Var lvichligrle vom Lage. ' Die Stadtverordneten von Limbach i. S. be- schlossen die Einführung des o b l i g a t o r i s^ch e n englischenUnterrichts siir die drei lebten Schul jahre an d e n V o l k s s ch u le n. (S. Sachsen.) * Als Gesamtkosten des Herero-Auf. stand es bis 3t. März 1905 werden im neuen Etat 130 Millionen Mark enthalten fein. (S. Anfstd. in Südwestafrika.) * Eine Zu sa m m e n kU4i f t des Kaisers mit d^cm Kronprinzen Gustav Adolf von Schweden wird am 16. Dezember gelegentlich des 200jährigen Jubiläums des Grenadier-Regiments zn Pferd „Freiherr v. Derfflinger" in Bromberg stattfinden. * Bei der Re ich st a g s e r sa tz w a h l in Schwe rin-Wismar ist nach endgültiger Feststellung Stichwahl zwischen Antrick (Soz.) und Dade (kons.) erforderlich. * Ter Streik der Wiener Kohle narbeitcr bei den Engrosfirmen ist beendet, nachdem der über wiegende Teil der Forderungen bewilligt wurde. Du Verhandlungen mit der Nordbahn beginnen heute. (S. Ausland.) * Ter rücktrittsreifc Finanzministcr Nou- vier ist, nach einer Pariser Meldung, wieder ber ge st eilt und wird morgen dem Ministcrratc bei- wohnen. (S. Ausland.) vir Dresdner AaMämple. (Don unserem Korrespondenten.) * Dresden, 25. November. Die Krise, die durch die unzeitige Ausrottung der Frage der Wahlrechtsändcrung unmittelbar vor dem Termin der Stadtverordneten - Ergänzungswahlen bcrausbeschworen worden ist, dauert an. In der gestrigen Stadtverordnetensitzung ist, wie schon gemeldet, die Ent- 'chcidung über den Streitfall Ahlhelm-Hcinze vertagt worden und auch über die Wiederwahl des national- liberalen Dr. Vogol zum unbesoldeten Stadtrat wurec die Beschlußfassung abermals hinausgcschcbcn. Man bat offenbar angesichts der für den 30. d. M. an- bcraumtcn Wahlen den offenen Eklat vermeiden wollen. Aber es ist ein fauler Friede, der hier geschaffen worden ist. Die Situation ist die denkbar unerquicklichste, und die Konsequenzen, welche sich aus den unerquicklichen Vorgängen der letzten Zeit für die Bürgerschaft Dresdens ergeben können, sind einstweilen noch gar nicht abzu sehen. Da auf diese Vorgänge voraussichtlich in den nächsten Wochen des öfteren zurückzukommen sein wird, verlohnt cs sich, noch einmal den Gang der Ereignisse zu ver- gegenwärtigen: Die Refcrmcr sind nicht mehr sicher, ob sie auch diesmal bei den Stadtverordnctcn-Er- gänzungswahlen ihre Kandidatenliste durchbringen werden. Es ist zu erwarten, daß einige Sozialdemo- traten in das Stadthaus ihren Einzug halten, ja mög- licherweisc glückt dies einer recht stattlichen Schar. Die neue Wählerliste weist 8772 Bürger mehr auf als die vorhergehende. Davon sind weitaus die meisten Sozial- demokraten; die übrigen sind Leute, die man durch die Einführung einer hohen Einwohner-Kopfsteuer zur Er- Werbung des Bürgerrechts gepreßt hat. Auf die Mit- Wirkung dieser „Mußbürger" ist nicht sehr zu rechnen. Ergo: die Aussichten sind schlecht, und man muß sich mit den Nationallibcralcn anbiedern, damit diese nicht etwa eine eigene Kandidatenliste aufstcllen. Was ihnen aber als Aequivalent für ihre Unterstützung bieten?! Nun, das berufsständische Wahlrecht, das seit 1899 in den Akten des Stadtrats einer fröhlichen Auferstehung ent- gegcnharrt. Die „Deutsche Wacht" versucht zwar zu be- weisen, daß die „Wahlrechtsverschlechterung" von den bösen Naticnalliberalen als Forderung aufgestellt worden sei, sie widerlegt sich aber selbst, indem sie in ihrer „aktenmä igen" Darstellung der Vorgänge er- zählt, „der Vorschlag sei von national-liberaler Seite nach einigen geäußerten Bedenken acceptiert worden". Man acceptiert nicht „nach geäußerten Bedenken", was man selbst vorgeschlagen hat. Die Stellung, welche der Vorstand des national- liberalen deutschen Reichsvereins bei diesen Verhand- lungen eingenommen 'hat, ist keinesfalls zu billigen, um so weniger, als der entscheidende Beschluß durch eine Zu fallsmehrheit von sechs gegen fünf Stimmen gefaßt wurde. Es ist deny auch vom Abgeordneten Schulze in der Sitzung des Reichsvereins vom 19. d. M. mit vollster Berechtigung festgestellt worden, daß der Vorstand kein Mandat der Partei, auch kein Mandat des Reichsvereins zu seinen V.e r h a n d l u n g c n mit den Reformern hatte. Das Vorgehen ist aber auch schwer verständlich, da er wissen mußte und wußte, mit was für Gegcnkontra- hcnten er cs zu tun hatte. Der Vorstand ist anscheinend von folgenden Erwägungen ausgegangen: Ein Fortbestehen des derzeitigen erdrückenden refor merischen Gegengewichts kann der Stadt cbcnsc wenig zum Heile gereichen wie eine unter dem geltenden Wahl gesetz keineswegs ausgeschlossene sozialdemokratische Majorität. Das bernfsständische Wahlrecht bedeutet nach der reformerischen Seite hin eine kleine, nach der sozialdemokratischen eine große Verbesserung gegen den jetzigen Stand der Dinge. Man muß Realpolitik treiben nnd das Eisen schmieden, so lange cs warm ist. Nach der Wahl, mag sic zn gunstcn der Reformer oder der Sozialdemokraten aus- fallen, ist keine Aussicht mehr, die Wahlrechtsänderung durchzusctzen. Deshalb muß man einen Beschluß darüber um jeden Preis vcr den Wahlen durchsetzen. Hätte der Vorstand den die nationalliberale Partei in Dresden repräsentierenden Neichsverein rechtzeitig befragt — was trotz einiger Schwierigkeiten immerhin möglich gewesen wäre —, so hätte der Verein, der das Kompromiß in seiner großen Majorität durchaus miß billigt hat, ihn sicher vor Schritten genxrrnt, die ihn und die ganze Partei nach Lage der Dinge nur schweren Miß helligkeiten aussetzen mußte. Er hat Realpolitik auf Kosten des Prestige getrieben, er 'hat sich dem ausgesetzt, daß man seine Intentionen teils aus mangelhafter Kenntnis der Verhältnisse, teils aus Böswilligkeit aufs ärgste mißdeutete, und er hat den Reformern Gelegen heit gegeben, jetzt, wo das Kompromiß gescheitert ist, von einem unbilligen Druck zu sprechen, den die National liberalen ausgellbt hätten, um eine überhastete, „des Kollegiums unwürdige" Beschlußfassung über die Wahl rechtsreform herbeizuführen. Das Ziel, welches erstrebt wurde, lohnte einen so gefährlichen Einsatz wahr lich nicht. Die Reformer hätten bald genug ein dringendes Bedürfnis nach einer Aenderung des Wahl- rechts empfunden, sobald sie eingesehen hätten, daß selbst das famose Listenwahlrecht sie nicht mehr vor dem Ein- bruch der Sozialdemokratie schützt, und dann hätte man immer noch mit ihnen verhandeln können, und zwar unter weitaus günstigeren Verhältnissen. Nun, das Kompromiß ist gefallen, und es ist ein Segen, daß die Nationalliberalen von der erwarteten „Kompromiß gebürt" verschont geblieben sind. Es ist anzunehmen, daß auch die nationalliberalen Wähler des Kompromißgedankens sich längst dieser Einsicht nicht mehr verschließen. Jeder, der ehrlich prüfend den Vor- gängen nachgcht, wird ihnen zugestehen müssen, daß sie das Beste gewollt haben. Den Nationalliberalen sollten die jüngsten Erfahrungen ein Ansporn sein zu energischer Betätigung des Parteigcdankens. Denn nicht mit Kem- Promissen kann eine gesunde liberale Politik im Stadt- Hause gemacht werden, sondern nur durch eine Stärkung des nationalliberalen Einflusses. ver RiiMana in Ziicttvertattika. war ist erreicht? Daö Drama in der Omabeke scheint sich in der Tat keinem Ende zu näbern. Die zal,Weichen Scharmützel, Uebersälle und Geleckte, die sich im Oktober und November im Sandfelde abgespielt baben, und die letzten vom Ober kommando übermittelten Nachrichten beweisen nach Ansicht der „D. Kol.-Ztg." dreierlei: Erstens, daff die Zersprengung und Verjagung der Herero aus dem Waterberg-Distrikt in Wahrheit ein großer Erfolg war, zweitens, daß die Omaheke in der Tat — abgesehen von wenigen die dünn gesäeten Wasserstellen verbindenden Straßen — eine für größere Menschenmassen ungangbare, wasserarme Wüsten steppe ist, unter deren Schrecken die scharf verfolgten Hereromassen derart zusammenbrachen, daß sie heute — aller Widerstandskraft bar und nach Westen zurückfliehcnd — nur noch regellose Haufen von Strauchdieben und Räubern sind, und drittens, daß die Maßregeln des Generals von Trotha nach dem Schlage am Waterberg — Sperrung und Besetzung aller bekannten Wasserstellen am westlichen und südlichen Rande der Omaheke unter gleichzeitigen Vorstößen starker Verfolgungs- abteilungen — durchaus zweckmäßige waren. Zwar fehlen uns noch immer die Häuptlinge, die wir unter allen Umständen in unsere Hände bekommen müssen — auch wird es vielleicht noch einige Zeit dauern, bis man von einer vollständigen Niederwerfung des Herero-Aufstandes sprechen kann — aber dies Ende ist doch heute mit aller Bestimmtheit vorauszusehen, und einige Wochen oder Monate ruheloken Umhcrstrcifens seitens unserer wackeren Truppen werden cs herbeiführen und besiegeln. Auf dem südlichen Kriegsschauplatz herrscht noch große Unklarheit über dieStellungnabme der meisten Hottentotten stämme. Wir wissen heute noch nicht, ob die Veldtchoendragcr, die Tscibschen, die Bersebaer und BondelstvartS sich den Anj- ständiichen angeschlossen haben oder nicht. Es ist daS ein Beweis siir die Schwierigkeit der Verbindung nnd der Ueber- mittelnng sicherer Nachrichten in dem dünn bevölkerten Groß- Namalaude, dessen weite Grassteppen, Einöden und wilde Gebirge von jeher ein Dorado für Buichklepper und allerlei lichtscheues Gesindel waren. Wenn nun einzelne Landstriche des Groß-NamalanveS schon in friedlichen Zeilen dauernd als „unsicher" bekannt und verrufen waren — jo z. B. die von den Khauas, den GochaS-Leuten und Beldschoendragern bewohnten, oder besser gesagt: „durchstreiften" Gebiete — so wird jetzt, in Kriegsbeilen, gerade die Verbindung der Truppen unter einander und die Sicherung der Verkehrslinien, der Wagen- trancporte, Viehherden u. a. m. sich zu einer äußerst schweren Ausgabe gestalten. Es wird „höllisch" aufgepaßt werden müssen, um große Verluste zu vermeiden, denn der Hotlentott liebt derartige Unternehmungen hinter der gegnerischen Front über alles und scheut keine Anstrengung, keine Entfernung, wenn er von einem günstigen Coup Wind bekommen hat. Deshalb wird vor allem die Sicherung der wichtigsten Etappenstraße des Südens, der Linie Liikeritzbucht—Kubub— KcetmanShoop, viel Arbeit und viel Kräfte beanspruchen. Offen gehalten werden muß sie unter allen Umständen und mit allen Mitteln. v. Lin-eq«rst» Amtsantritt. Wie der „BreSl. Ztg." mitgeteilt wird, hat der in Aus- sicht genommene neue Gouverneur für das südwestafrikanische Schutzgebiet, Generalkonsul v. Linrequist, in der Tal be stimmt? Wünsche geäußert, welche sich auf seine Stellung in der Kolonie beziehen. Diese betreffen aber keines wegs eine Neuregelung seiner Befugnisse als Gouverneur, sondern geben dahin, daß ihm seine Stellung als solcher gemäß der Schutztruppenordnung voll gewahrt wird. Nach Z 2 derselben hat er als Gouverneur die oberste militärische Gewalt auszuüben. Es ist also ein ähnliches Verhältnis, wie cS zwischen dem Reichskanzler und der Armee besteht, doch hat ersterer nur die Disziplinär- strafgewalt über die Schutztruppen (nicht über die übrigen Teile unserer Armee), während der Gouverneur von Deulsch- Südwestafritä über die ihm unterstellte Schuytruppe die DiS- ziplinarstrasgewalt eines Divisionskommandeurs auSübt (tz 14). Von verschiedenen Seiten war nun angeregt worden, daß die Sckeidung zwischen Zivil- und Militärverwaltung in Deutsch- Süvwestafrika vollzogen werden sollte, so daß v. Li.idequist dann auf seinem Posten die beregten Funktionen nicht über nehmen würde, vielmehr nur über den Zivilapparat der Kolonie verfügen könnte. Dies würde aber nicht seinen Wünschen entsprechen, die darin gipfeln, daß er als Gouverneur voll und ganz die bisher üblichen, festgesetzten Pflichten nnd Befugnisse übernimmt. Ans diesen Gründen erscheint eS auch wahrscheinlich, daß er erst dann seine Stellung antritt, wenn Generalleutnant v. Trotha nach Deutschland zurückgekehrt ist und die Kämpfe Feuilleton. Die heilige Caecilie. 34 Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Wie er sie anlachtc, strahlend nnd selig, da war er so schön in seinem Glück, daß eS wie eine warme Welle hin- qing über Annemaries aufgeregte Seele, die bisher gleich einem verstörten Vögelchen in ihr gezittert hatte. Solch' großes Glück mußte ansteckend wirken auf ein junges, impulsives Wesen, das dieses Glück verursacht hatte. „Oswald!" Sie hatte es geflüstert, gehaucht nur, aber gehört hatte er es doch, und er dankte ihr mit zahllosen Schmeichelworten, mit feurigen Küssen. Arm in Arm, dicht aneinander geschmiegt, kamen sie endlich aus der Allee heraus und schritten der Stadt zu. Tie Purpurrötc ani westlichen Himmel war zu einem Hellen Goldschlcier geworden, die Dämmerung kam und breitete ein fahles Zwitterlicht zwischen den Buchen und Ulmen aus. Müde sank manch' welkes Blatt von den Zweigen, cs schwebte ein Weilchen in der weichen, stillen Lust und legte sich dann nieder zuni Sterben. — Man merkte es jetzt doch: der Herbst war gekommen! — Drittes Kapitel. Draußen immer noch goldiger Sonnenschein, milde Wprme, liebliches Himmelsblau, — in den uns bekannten Familien Stürme und schweres Unwetter. — — — Einem zerstörenden Sprenggeschoß gleich war Oswald Mentzels Verlobung mit Annemarie Lom bard, in die zu Hochzeit und Lustbarkeiten rüstenden ver schiedenen Häuslichkeiten cingeschlagcu. Tie meisten Familienmitglieder waren außer sich, rebellierten, pro testierten, freilich mit dem stillen Hintergedanken, daß sie damit nichts ausrichten würden. Lswald war längst mündig, er hatte seine selbständige Stellung, er konnte tun, was er wollte, — was er übrigens ohne Mündig- keit und Stellung auch jederzeit getan hatte! Die Mutter des glücklichen Bräutigams aber war nicht gewillt, sich zu fügen. Unter Tränen, Zuckungen und Krämpfen bat und beschwor sie den Sohn, von diesem „undenkbaren Vorhaben" Abstand zu nehmen, rechnete sie ihm die Summen vor, die sie für ihn hingegebcn, die Opfer, die sie ihm gebracht, versuchte sie cs mit Zärtlich keit, Schmeichelei, Ueberredung, und erklärte endlich, als all' dies nichts half: „Mit meinen! Willen nun und nimmermehr! Dies» Mädchen soll mir nicht über die Schwelle meines Hauses, so lange ich lebe!" — Oswald bewahrte, man mußte es ihm nachsagen, an gesichts einer so bösen Situation, merkwürdig viel kaltes Blut und eine große Geduld. „Wie ausgetauscht ist mir der Junge!' dachte Direktor Mentzel kopfschüttelnd. Der junge Mann ließ die Mutter flehen, jammern und weinen, und wenn sie glaubte, ihn nach stundenlangen Szenen mürbe gemacht und überwunden zu haben, dann sagte er nur im weichsten Ton seiner angenehmen Stimme: „Arme Mama! Wie du mir leid tutst, daß du dich so vergeblich quälst! Mach' es dir nur, bitte, recht klar: Du verlierst deinen Sohn, wenn du seine Braut nicht als Tochter aufnimmst!" Dann hob das Jammern und Weinen von neuem an, — der Vater bedrohte den Sohn: „Oswald, willst du denn an deiner arnien Mutter zum Mörder werden?" Die Schwestern hingen sich mit Bitten und Vorstellungen an den Bruder, — er hatte zu allen nnd auf alles immer die gleiche Antwort: „Ich lasse nicht von Annemarie, — niemals!" Der erste Tag ging hin, — der zweite, — am dritten herrschte Grabesruhe im Meutzelfchen Hause: Oswald hatte gesiegt. Ihren Sohn, ihren einzigen, ihren Abgott aufgcben, - das konnte Frau Mathilde nicht: sie fühlte, das würde sie nicht überleben! Eher noch Annemarie Lombardi als Schwiegertochter willkommen heißen, — schrecklich, wie es war! — Ihr Gatte hatte sich neben daS Schmerzenslager der Dulderin postiert und hatte mit begütigender Stimme gesagt: „Nun beichte mir 'mal ehrlich und unter vier Augen, meine gute Mathilde: was hast du eigentlich gegen das Mädchen? Du kannst doch bloß die Tatsache ins Feld führen, daß die Kleine arm ist, wie 'ne Kirchenmaus, und daß sie dir persönlich nicht gefällt! Welches Mäd- chen aber wäre dir für deinen Oswald gut genug ge wesen? Hättest du nicht an jeder hundert Dinge zu tadelu gehabt? Ich bekenne offen, na, ich will meine Meinung lieber für mich behalten! Die Geschichte mit der Kirchenmaus ist mir viel bedenklicher, — Oswald braucht für sich sehr viel, und w: . mit seinem an und für sich ja ganz stattlichen Kapellmeistcrgehalt einen Hausstand und eine Familie unterhalten will, wenn er all' seine kostspieligen Neigungen und Gewohnheiten bei- behält, das ist mir schleierhaft. Er sagt, er wird noch Privatstunden geben, wird fleißig komponieren, 'ne Oper schreiben, .... na, warten wir's ab! Das ist schließlich alles, was wir tun können! Aber um auf die Kleine zurllckzukommen: hat sie nicht am Ende ein Kapital in ihrer Kehle? Kann sie dem Jungen nicht verdienen helfen?" „DaS muß sie sogar!" sagte eine heisere, matte Frauenstimme mit großer Energie aus den Kissen und Decken heraus. „Gewiß, — das muß sie sogar!" wiederholte der Direktor, innerlich hoch erfreut über die unfreiwillige Konzession, die in diesen Worten lag: Frau Mathilde rechnete doch nun schon mit der Tatsache dieser Verbin dung. „Obschon im Leben einer jung verheirateten Frau Komplikationen cintreten können, die das Geldverdienen, wenigstens auf öffentlichem Wege, einigermaßen in Frage stellen dürften, — schon gut, meine liebe Mathilde, du winkst mit der Hand,.... ich sage nichts weiter! Wenn ich nur noch die Bemerkung hinzufügen darf, daß Oswald jederzeit einen sehr guten Geschmack entwickelt hat, auch ans dem Gebiet der — der — Fraucnfrage, wenn du mir erlaubst, mich so auszudrücken." — „Du schämst dich gar nicht, Alfred, derartig frivol zu sein?" kam wieder die heisere Stimme auS den Kissen. „Aber was wundere ich mich weiter? Tu bist selbst in das Mädchen verliebt." — „Wer? Ich? In nieine kleine zukünftige Schwieger- tochter? Ja, wenn du mir solche Dinge insinuierst —" „Dir und manchen andern! Was Ihr an dem Mädchen findet —" „Nun, meine gute Mathilde, — lassen wir dies doch! Es ist eine alte Erfahrung, daß in der Geschmacksrichtung der Damen und in der unsrigen eine ganz erhebliche Differenz von jeher bestanden hat, — noch besteht, — und, wie ich sicher glvube, jederzeit bestehen wird! Wenn man den Ursprung dieser Differenzen unter suchen möchte, so würde daS Resultat in den meisten Fällen daS nämliche sein, — aber lassen wir auch dieS! Jedenfalls bist du viel zu klug und eine viel zu liebevolle Mutter, um dir nicht sagen zu müssen, daß cs hier heißt, von zwei Uebeln das kleinere zu wählen, — und dies kleinere heißt hier Annemarie Lombardi!" Der diplomatische Herr nahm den Namen seiner „zukünftigen Schwiegertochter" auf die Zunge, wie der Feinschmecker eine Delikatesse. „Kein Zweifel," sagte er zu sich selbst, als er die Leidcnsstätre seiner Gemahlin verließ, „wennOswald hier gesiegt hat. dann siegt er auch auf der ganzen Linie!" , Und so war cs! — Was sonnten die lieben Anverwandten schließlich anders tun, als tlein bcigcben, wenn die eigene Mutter des Bräutigams, die anfangs gleich einer Verzweifelten getobt hatte, ihnen allen dies gute Beispiel gab? Es war ja schrecklich: der schöne, geniale Oswald — und dies
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht