Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041123020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904112302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904112302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-23
- Monat1904-11
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezxgS-PretS ft, drr Hauptrxpedtttoa oder deren Ln-gabe- s,ellen ab geholt: vierteljährlich ^l 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch« ^nd u. Oesterreich vierteljährlich ^l 4.Ü0, für die übrigen Länder laut ZritunqSvreiSliste. Tiefe Nummer kostet aus allen Bahnhöfen und III I bei den ZritungS-Berkäufrrn V I * Redaktion und Expedition: 1b3 Fernsprecher 222 JobanniSgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Marirnstratze 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDuncler, tzerzgl.Bayr.Hosbuchbandlg, Lüyowttrahe 10 (Fernsprecher Amt VI Nr. 4603». Abend-Ausgabe. UpMer T agM M Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königliche« Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem RrdaktionSslrich <4gespalten) 7b nach den Familiennach» richten '«gespalten» bi) — Tabellarischer und Zifsernsav werden entsprechend höher be rechnet. — Gebühren sür Nachweisungen und Ossertenannahme 2b -H- Annahmeschlutz für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen «nur mst der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Tte Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Hnh. Or. V., R. L W. Klinkhardt). Nr. 597. Mittwoch den 23. November 1904. 88. Jahrgang. Var Aichligrle vom läge. * In Wien ist ein großer Kohlenarbeiterstreik ausaebrocken. tS. Letzte Depesch.) * Nach einer Reutervepeiche aus dein Haag ist China offiziell der Uebereinkunft für Einrichtung des Schieds gerichts Hofes beigetreten. * Als Urheber des Bombenattentats von Barcelona sind ein Italiener und ein Argentinier verhaftet worden. (S. Ausland.) * Alice Roosevelt, die Tochter des Präsidenten der Lereinigten Staaten, wurde bei einer Spazierfahrt aus tem Automobil geschleudert. (S. A. a. W.) * Ein aus Port Arthur ausgelaufenes russisches Rettungs boot, das einen Osfnier mit Depeschen Stöffels an Land setzte, wird samt der Mannschaft in Weihaiwei festgehalten. (S. russ.-jap. Krieg.) veutrch stumänirches. Aus Bukarest, 19. November, schreibt unser 8 - Korrespondent: Zwei Wochen trennen uns von dem Wiederzusammen- lritt des Parlaments, und im Schoße der Regierung arbeitet man eifrig an den Vorlagen, welche man machen will. Das Ministerium selbst wird freilich nicht mehr in der gegenwärtigen Zusammensetzung vor die Depu tierten treten. Einige Mitglieder werden zurücktreten und aus den Reihen der schon lange ungeduldig ge wordenen Anwärter auf Ministerposten ergänzt werden. Tie am 15. November alt. St. beginnende Paria- m e n t s s e s s i o n ist die letzte der gegenwärtigen, von dem Kabinet Sturdza geleiteten vierjährigen Legis laturperiode, und im Februar werden die Neuwahlen stattzufindcn haben. Es kann dem Parlament und der Negierung das Zeugnis ausgestellt werden, daß manche Neformen zu Gunsten des Landes durchgeführt wurden. Wir erinnern hierbei nur an die Sanierung der — freilich durch früheres, eigenes Verschulden der gegen- wärtigen gouvernementalen Partei — arg zerrütteten Ltaatsfinanzen, an die Reform des Acciscgesetzes, an mehrere wohltätig wirkende Gesetze der inneren Ver waltung. Daneben sind natürlich auch Mißgriffe nicht ausgebliebcn, wie z. B. das vielgenannte Handwerker- gesetz ein solcher ist, und der allzu protektionistische neue Zolltarif sein wird. Auch haben manche Handlungen der Regierung das Kabinet im Volke sehr unpopulär ge macht, wie z. B. die Entlassung zahlreicher langjähriger Beamter und die Beschneidung der vordem durch Vertrag garantiert gewesenen Beamtengehälter und der Pensionen — wodurch auch manche Fremde — Deutsche, Tcsterreicher, Franzosen usw. — benachteiligt wurden —, die Enthüllungen bei dem Rentenschwindel und mancher- lei andere Uebelstände mehr. Die Sympathie der Be völkerung hat sich deshalb auch mehr und mehr wieder der konservativen Partei zugewendet, wie es deren letzte Wahlerfolge beweisen. Er dürfte auch wohl kaum anzuzweifeln sein, daß, wenn die nächsten Neuwahlen vollständig frei von amtlicher Beeinflussung und Mache wären, die Konservativen eine imposante Ma- jorität erhalten würden. Aber wie hier die Tinge liegen, wird dasjenige Ministerium, welches während der Wahlen am Ruder sein wird, die Majorität erhalten, und sei sie auch noch so unpopulär: denn der ausgezeichnet funktionierende offiziöse Wahlapparat hat noch nie seinen Dirigenten im Stich gelassen. Es hat sich deshalb be- reits eine ziemlich lebhafte Kontroverse darüber erhoben, wer die nächsten Wahlen leiten wird. Tie Konservativen verweisen auf die Stimmung im Lande und fordern den Rücktritt der Regierung noch vor den Wahlen. Die gouvernementalen Blätter behaupten dagegen, daß kein Grund zu einem Systemwechsel vorliege und daß des halb das gegenwärtige Regime auch für die nächste Legis laturperiode beibehalten werden solle. Die Entscheidung darüber liegt bei dem Könige. Er hat sich bis jetzt zwar über die Angelegenheit nur in seiner gewohnten reservierten Weise ausgesprochen, doch scheinen die Blätter des Herrn Sturdza Grund zu haben oder geben sich wenigstens den Anschein dazu, daß der König das Kubinet Sturdza auch noch weiter im Amt belassen wolle. Es wäre fa dies nicht ohne Präjudiz, aber stets hat sich auch gezeigt, daß dann die trotz ihrer Erstarkung un- berücksichtigt gelassene Opposition einen unerwartet raschen Sturz der Regierung herbeizuführen vermochte. Ties würde auch diesmal sehr wahrscheinlich der Fall sein, um so mehr, als »die gouvernementale Partei durch aus nicht mehr einig in sich ist und dem Kabinett vielfach Schwierigkeiten an Stellen erwachsen, wo es solche nicht vermutet. Da man also deshalb sehr ernstlich mit einem baldigen Regierungswechsel rechnen muß, so verdient es auch her- vorgehoben zu werden, daß es gänzlich verkehrt wäre, an zunehmen, daß Herr Sturdza allein deutschen- freun blich sei, wie die von ihm inspirierte Presse nicht müde wird zu betonen. Man gibt nur der Wahr heit die Ehre, wenn man mitteilt, daß auch die Konser vativen in gleichem Maße wie Herr Sturdza Wert auf die Freundschaft mit Deutschland legen und deutschem Wesen und Gründlichkeit das Wort reden. Männer, wie der Chef der konservativen Partei, der ehemalige Ministerpräsident Cantacuzino, der frühere Minister präsident General Mann, der frühere Minister dos Auswärtigen Jean Lahovary, und andere Häupter der Konservativen, haben ebenso eine deutsche Erziehung genossen wie Herr Sturdza. Ter jetzige Reichskanzler Graf Bülow, sowie der österreichische Minister des Aus- wärtigen Graf Goluchowski, welche in den Jahren als Gesandte hier weilten, wo die Konservativen die Re gierung führten, werden keinen anderen Eindruck von hier mit fortgenommen haben, als den, daß die rumäni schen Konservativen die treuesten Freunde Deutschlands und Oesterreich-Ungarns sind. Eine gegenteilige Be fürchtung ist also vollkommen ausgeschlossen, und man kann deshalb einem etwaigen Systemwechsel mit aller Ruhe und mit Sympathie für die Nachfolger entgegen sehen. Letzteres um so mehr, als auch die Konservativen entschlossen sind, in der Handhabung der Staatsfinanzen sich weise Selbstbeschränkung und Sparsamkeit aufzu erlegen und auf dem Wege gesunder Reformen für das Land fortzufahren. Der llutttans in ZüamztaMlrs. Der An»bruch de» witbol-Aufftan-e». lieber die Ermordung des Bezirksamtmanns v. Burgsdorff und des Missionstecbnikers Holzapfel durck die Witbois sind bei der Rheinischen Missionsgesellschafl nähere Nachrichten eingegangen. Sie besag--«: Am Sonntag, den 2. Oktober, erhielt der Unterkapitän Samuel Isaak und Petrus Tod in Gibeon einen Brief des Hendrik Witboi aus Rietmond mit der Mitteilung, daß er, Hendrik, jetzt „aushören" wolle, der deutschen Regierung zu folgen. Die beiden Briefem pfänger gingen darauf zu dem Berirksamtmann v. Burgsdorff, um es ibm mitzuteilen. In welcher Absicht sie das getan haben, ist nicht klar, Mitiionar Svellmeyer vermutet, um ihn aus Gibeon her auszulocken, was ihnen nur allzu gut gelang. Herr v. Burgsdorff ritt mit Samuel Isaak und Petrus Tod nach Rietmond, um wo möglich den Hendrik noch von seinem tollkütmen Schritt zurück- zuhnlten. Er mußte seinen Versuch mit dem Tode büßen. Etwa 10 km von Rietmond (Rietmond liegt etwa 80 km nördlich von Gibeon), in Mariental, wo er Dienstag, den 4. Oktober, mittags ankam, wurde er von den dort versammelten Witboi-Leuten nur kurz gefragt, ob er den Brief des Kapitäns erbalten habe Zu gleicher Zeit bekam er, eben vom Pferde gestiegen, von hinten einen Schuß und war sofort tot. An demselben Tage wurde auch der Misionstechniker Holzapfel erschossen. Er hatte am Sonntag in Rieimond noch wie gewöhnlich Gottesdienst abgehalten, wobei es ihm ausgefallen war, daß von den Männern nur die Gemeindeälteslen und die Dienstjungen er schienen waren, während sonst auch die Männer ziemlich zahlreich sti die Kirche kamen. Am Montag, 3. Oktober srüh, erhielt Herr Holzapfel iolg nden Brief vom Kapitän: „Rietmond, den 3. Oktober 1904. An Ludwig Holzapfel. Ihr wißt selbst, welche Zeit es ist, die wir haben. Den Hauptpunkt, weshalb ich Ener Gewehr genommen habe, habt Ihr gesehen. Ich habe nun abgebrochen mit der deutschen Regierung; denn die Zeit ist voll, da Gott der Vater die Hottentotten erlösen soll. So gib mir nun Patronen und Pulver, alles was Ihr habt. Ich bin der Kapitän Hendrik W'lboi." Holzapfel ging sofort zum Kapitän, um ihn zu warnen und ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Hendrik aber erklärte: „Es bleibt bei dem, was ich geschrieben habe", und verlangte noch ein mal die Herausgabe seiner Patronen und des Pulvers, was Holz apfel entschieden verweigerte; er werde es niemals freiwillig tun. In sein Haus zurückgekehrt, bemerkte er, daß seine Gewehre aus seinem Studierzimmer gestohlen waren. Das Pulver ver brannte er, und die Patronen verbarg er an einem sicheren Ort. Den Tag über blieb alles ruhig aus dem Platz. Als am anderen Morgen Holzapfels beim Kaffee saßen, schickte der Kapitän einen Wagen und ließ sagen, sie möchten sofort aufsteigen; sie sollten nach Marienthal „zu der Burenfrau" gebracht werden. Sie durften nichts mitnehmen, kaum für ihr jüngstes, erst acht Wochen altes Kind etwas Milch. Als er in Marienthal ankam, wurde zu Holzapfel wörtlich gesagt: „Ludwig, komm herab." Es blieb ihm nur noch Zeit, mit seiner Frau zu beten, auch für seine Mörder; dann stieg er vom Wagen und wurde vor den Augen seiner Frau erschossen. Rücktransport Verstorbener. De vom Oberkommando der Schutztruppen eingeleitetenBer Handlungen haben bereits zu dem erfreulichen Ergebnis geiübrl, daß die Woermann-Lmie sich bereit erklärt bat, solche Leichen transporte kostenfrei von Swakopmund nach Hamburg zu befördern. Es ist anzunehmen, daß die Verhandlungen auch mit den anderen beteiligten Instanzen zu einem gleichen Ergebnis führen werden. (Während der Cbinawirren haben der Nordveuncke Lloyd und die Hamburg-Amer ka-Linie stets Kriegerleichen frachtfrei bis zum deuochen Anlaushasen befördert.) Verlustliste. Nach amtlicher Meldung sind an Typhus ge storben: Unteroffizier Adolf Krause, geboren am 26. Juli 1878, früher Feldartillerie-Regiment Nr. 57, am 11. November in Epukiro: Reiter Wilhelm Natus, geboren am 8. April 1883, früher Königlich Bayerisches 22. Infanterie-Regiment, am 19. November in Windhuk; Reiter Ludwia Lukaszewicz, geboren am 3. August 1879, früher 3. Garde-Feldartillerie-Regiment, am 11. November in Windhnk. An Blinddarment zündung gestorben: Reiter Heinrich Dra- bandt, geboren am 23. April 1881, früher Kürassier- Regiment Nr. 5, am 17. November in Outjo. — Reiter Karl Schachowski, geboren am 30. Oktober 1881, früher Füsilier-Regiment Nr. 38. am 20. November in Okamangongoa plötzlich verstorben. Der rituisch-Ispanirche Krieg. Da» Ariegsaeschäft der Rusten. Der russenfreundliche „Petit Bleu", die Brüsseler Zeitung, veröffentlicht, wie der „Rh.-W. Ztg." zu entnehmen ist, folgende Angaben über die Wirkungen des Krieges im äußersten Orient aus den belgischen Handel: „Wir hören aus durchaus sicherer Ouelle,daß die russiscl'eRegierung eine Kommission fürKriegSgut („comml88ion cko la coutreduncko") mit dem Auftrag nach Paris geschickt bat, alle für den Krieg erforderlichen An käufe zu borgen und sich mit den nötigen Mitteln zu versehen, sie dem Heere zu übermitteln. Diese Kommission, die aus den gewiegtesten MilitLrintendanten, die die Bedarfsartikel für einen ostasiatischen Krieg kennen, hat noch andere Instruk tionen erbalten: sie soll nur in Frankreich, Belgien und in der Schweiz kaufen. Unser Land hat schon mehr als eine Million Paare Schubzeug an Rußland geliefert. Aber nickt nur die nationale Lederindustrie tst durch die russischen Bestellungen ausgezeichnet worden, eine tech nische Kommiision ist beauftragt worben, in Lüttich Kanonen und Munition sür die Armee Kuropalkins zu kaufen. Die Komerveniabriken haben ganz unge wöhnlich große Bestellungen erhalten. Selbst die Destillerien haben einige hunderttausend Liter Alkohol zu liefern. „Das Unglück der einen ist das Glück des andern", ist eine Wahrheit, die durch den gegenwärtigen Krieg einmal bestätigt wird. Unsere Kaufleute und Industrielle sind mit den kontraktlichen Vereinbarungen äußerst zufrieden. Die Preise sind über Erwarten gut. Aber der Transport wird wohl auf Schwierigkeiten stoßen, da der japanische Konsul auf strikte Beachtung der Neutralität halten wird." Die Fri«den»parter »rn- die „N»«»sje wremja". Fürst MeschtscherSky veröffentlicht nach einem Peters burger Telegramm der „N. Fr. Pr." im „Graschdanin" einen Artikel zu gunsten der Friedensverhandlungen, Feuilleton. Dir heilige Caecilie. 32 j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Ach ja, — jeder in seiner Art! Aber die Wissenschaft sieht auf die Kunst herab, und das möchte ich nicht dulden i Nein, nein! Hans tut das nicht, — Hans ist zu klug dazu! Ich muß oft denken: wenn du nur jeden Monat ein einziges Mal in Hans Kühnes Gesicht, in seine Augen sehen und ein paar aufmunternde Worte von ibm hören könntest, — das würde dir viel helfen! Ich bin nicht nervenkrank, Gott Lob, auch nicht hysterisch, auch nicht ichlafbcdiirftig, — aber Einfluß hat Hans auf mich doch!! — — — Frank Holbein, den heitern, liebens- würdigen Menschen, der mir ahnungslos so viel Wider wärtigkeiten bei meinen hohen Gönnern bereitet hat, sah ich zuletzt vor etwa acht Tagen auf dem Potsdamer Platz. Er grüßte mit strahlenden Augen zu mir herüber und machte Miene, zu mir zu gelangen, um mich dann ohne Zweifel ein Stück Weges zu begleiten, wie er cs immer zu tun Pflegt. Zum Glück brandete und flutete eine solche Menschenmenge auf dem Platz, und es gab ein so lebensgefährliches Gedränge von elektrischen Wagen, Equipagen und Omnibussen, daß wir einander aus den Augen verloren. Das „zum Glück" ist natürlich nur auf meine „Wohltäter" zu beziehen. Ich persönlich habe Frank Holbein sehr gern und freue mich stets, mit ihm zu reden; meine Unbefangenheit ist mir aber arg getrübt worden. Eine harmlose Freude gönnen einem die Menschen nicht, und an ein reines Empfinden wollen sie nicht glauben, ist es, weil sie selbst es nicht baden? Warum soll Freundschaft zwischen einem jungen Mann und einem jungen Mädchen unmöglich sein und nie Bestand haben? Ich glaube, ich und dieser Frank Holbein, wir könnten das Beispiel einer solchen guten Freundschaft liefern, .... aber natürlich, das er- lauben einem die lieben Mitmenschen nicht! Werde ich jemals so frei dastehen, daß ich leben kann, wie ich will, — verkehren, mit wem ich will, — meine eigene Moral und mein eigenes Gewissen haben darf? Vorläufig, — ach, du lieber Gott! Kein Gedanke daran I Solch' ein schöner, sonniger Herbst! Gar kein Vergehen und Sterben, — nicht einmal ein Anzeichen davon! Weiche, süße Luft, alles Laub noch so grün, alle Blumen noch so farbenfroh und duftend Leben, Leben überall! Auch ich möchte leben, .... was ick- so nenne!!! Zweites Kapitel. Und Annemarie warf die Feder fort, räumte das Schreibgerät zusammen, hastig, hastig, al.s hätte sie keine Zeit zu verlieren, und setzte vor dem Spregel den großen, runden Sommerhut auf, unter dem ihr Gesichtchen wie eine junge Rose hcrvorlächelte. Nnn noch die Hand schuhe, das Schirmchen, — und klipp, klapp die drei Treppen herunter, um drunten etwas atemlos in die „Elektrische" zu steigen und bis in die Nähe des Tier- gartens zu fahren. Es war dieser plötzliche fanatische Lufthunger über sie gekommen, den sie schon als Kind gekannt, der sie ost, sie, Annemarie Lombardi, das gesetzte Haus- Mütterchen, das den kleinen Geschwistern das gute Beispiel zu geben hatte, das Nähzeug aus der Hand werfen, den großen, jederzeit bis an den Rand gefüllten Flickkorb ungestüm beiseite setzen und hinausstürmen ließ, den Kopf zurückgeworfen, Augen und Lippen geöffnet, um mit allen Sinnen die Luft, die Natur in sich cmfzunehmen. Ach, — daheim wurde es ihr leichter gemacht, als hier! Ta durfte sie keinen Hut, keinen Schirm, keine Handschuhe nehmen, nicht bis zur nächsten Haltestelle laufen! Wie sie ging und stand, in dem engen, ausgewaschenen Kleidchen, das jetzt Schwester Trude trug, war sie flüch- tigen Fußes in den Garten geeilt, und über den Garten hinaus, bis ins Wäldchen, — bis an den See — und dort sich ins weiche, langhalmige Gras geworfen, die Hände im Genick verschränkt und in den Himmel hinaufgeschaut, — träumend, — sinnend, — phantasierend! — Kein Mensch dort, der sie störte, ihr mit frecher oder cynischer Bewunderung ins Gesicht starrte, wohl gar, nachdem ec mit den Blicken ihren einfachen Anzug abtaxiert, eine dreiste Unterhaltung mit ihr anspinnen wollte! Höchstens ein Vögelchen, das unter dem dichten Blättcrdach hervor- schlüpfte und ans scheuen, schwarzen Perläuglein zu ihr hinübersah! Dennoch! Wenn sie auch keine Einsamkeit im Tier garten haben konnte, — gute, freie Luft wehte dort, und schöne Bäume gab es und hübsche, versteckte Pfade, von denen nicht alle Welt wußte. Zuerst wollte Annemarie „Seiner Ercellenz Herrn Wolfgang von Goethe" wieder einmal ihre Ehrfurcht bezeugen, — sie liebte das stimmungsvolle Schapersche Denkmal leidenschaftlich, und ihn, den es darstellte, betete sie an, ... . dann galt es, die verschiedenen Pfade aufzusuchen und darin zu wandeln, bis die Dämmerung herabsank. Und kamen auch dort Menschen, — es schadete nichts; warum sollte sie auch immer mit sich selbst allein sein? — Es war ihr allgemach etwas schwül zu Sinn ge worden, als sie da in ihrem engen, heißen Stüb chen gesessen und Tagebuch geschrieben hatte. Da war etwas in ihr gewesen, — das hatte sie beklommen atmen lassen, hatte ihr das Herz beschwert und die Feder in ihrer Hand zittern gemacht. Der Schönheits- durst, der Lebensdurst, der schon in ihrer Mutter gelegen? Vielleicht! Aber nicht er allein! Ihm hatte sich etwas Aufreizendes, Verlangendes bcigesellt, — Ehrgeiz, Sucht zu glänzen, — Hochmut, -- brennendes Begehren, auf alle die, welchen sie sich äußerlich beugen mußte, herabzu- sehen, wenigstens, ihnen gleich zu stehen, ihnen einen Streich spielen zu können zur Strafe für ihre Ueber- Hebung, ihren kleinlichen Dünkel! „Man wird nicht besser durch solche Gedanken!" Sie hatte das empfunden, und sie hatte es niedergeschrieben aus diesem Gefühl heraus. War es darum aus der Welt geschafft, — war sie damit fertig geworden? Was war es denn, was ihre kleine Hand sich heimlich zur Faust ballen, die Flügel des feinen Näschens zucken, die Augen von aufquellenden Tränen feucht werden ließ, wenn nicht dies trotzige, rebellische Blut, der heiße Wunsch in ihr, sich durchzusetzen um jeden Preis? Ja, — um jeden Preis! Das sagte sie sich recht mit Nachdruck! Sie wollte — wollte nicht mehr danken und nehmen! Da stand sic und starrte zu dem Marmordenkmal hinauf, sah in das weiße, stolze Antlitz des Dichterfürsten empor, sah den irrenden Sonnenstrahl drüber hinzittern und die prachtvoll ausgemeißelte Stirn küssen, .... und versuchte, sich die Seele still und groß zu machen an der Stille und Größe, die von dem schönen Bildwerk aus ging. Es sollten hohe und edle Gedanken auf sie nieder strömen, wie so oft, wenn sie hier gestanden, — hatte sie nicht eine junge, feurig empfindende, empfängliche Seele? War sie nicht auch ein Dichtergemüt, — hatte sie das nicht oft wie eine selige Ahnung dnrchschauert? Heute sollte keine Sammlung, kein befreiendcs Gefühl über sic kommen! Vergebens strebte sie danach, ihr eigenes kleines Ich, angesichts dieses Geistesheros, zu vergessen niederzuringen, was sie bedrängte und quälte, — es wollte nicht werden! Fremde Leute kamen und drängten sic von ihrem Platze fort, sie lachten und schwatzten laut und kritisierten abwechselnd den Dichter und sein Monument. Ta lief Annemarie beinahe davon, sie suchte eilenden Fußes ihre stillen Wege aus, aber ihre zwiespältige
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite