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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041121027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904112102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904112102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-21
- Monat1904-11
- Jahr1904
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vezugS-PreiS In d« Hauptexpeditton oder deren Ausgabe- stellen ab geholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Han» 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZeitungSpretSliste. Diese Nummer tostet auf allen Bahnhöfen und III Vd l bei den Zeitungs-Verkäufern I * Redaktion und Expedition: 153 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Haupt-Filiale Dresden: Marienstrahr 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: LarlDuncker, Herzal.Bayr.tzofbuchk>andlg* Lüyowstrahe 10 (Fernsprecher Amt Vl Nr. 4803). Abend-Ausgabe. MpMLr.TllgMaü Anzeiger. Amtsblatt des Äöniglichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates , und des Rokizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem RrdastionSstrich (4 gespalten) 7b nach den Familiennach- richten («gespalten) bO >4 — Tabellarischer und Ztffernsay werden entsprechend Hüber be rechnet. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsertenannahme 25 «noahmeschlutz für «n,eigen. Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Ertra-Vetlagea (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Bereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Klinkhardt). Nr. 593. Var wichtigste vsm rage. * Die Verlobung des Großherz o'gs von Kessen mit der Prinzessin Elecnorezu Solms-Hohensolms Lich ist heute amtlich bekannt gegeben worden. (S. Deutsches Reich.) * Der preußische Landtag nimmt heute seine Arbeiten wieder auf. ' * Die Meldung vom nahen Abschluß eines fran- zösilsch-öst er reichlichen Schiedsgerichts vertrages tritt in bestimmterer Form auf. (S. Ausland.) * Laut einer spanischen Nachricht ist eine der Kauptinseln der Philippinen, die Insel Samar, in Aufruhr. (S. Ausland.) * Im ägyptischenSudanhat eine britische Expedition mehrere gegen den Gouverneur von siordofan aufsässige Häuptlinge geschlagen. (S. Ausland.) * Nach Meldungen aus Shanghai sind mit dem „Rastoropny" drei andere russische Torpedo- bootszerstörer ausgebrochen, von denen einer entkam. (S. russ.-jap. Krieg.) Mine Sercbenke. . . Wir haben in Deutschland eine zufriedene Presse, so oft man auch behauptet, daß gerade die Presse von berufswegen nörgle. Es vergeht kaum eine Wcche, ohne baß die deutsche Presse ihre Genugtuung über irgend cttvas ausspricht. Diese Genugtuung wird meist dadurch kicrvorgerufen, daß irgend eine peinliche Angelegenheit in befriedigender Weise erledigt ist. Heute ist es not wendig, Genugtuung darüber zu äußern, daß die Statue des alten Fritz, den Herr Speck von Sternburg in Ver kennung dieser außerordentlich vielseitigen und wider spruchsvollen Persönlichkeit den „eisernen Hohcnzollern" nannte, endlich in Washington Aufstellung gefunden bat. Präsident Roosevelt hat bei dieser Gelegenheit eine Rede gehalten, die sich dadurch kennzeichnete, daß mit äußerster Vorsicht vermieden wurde, den Deutschen eine Vorzugsstellung anderen Nationen gegenüber anzu weisen oder irgendwie hervorzukehren, daß beide Völker in besonders engen Beziehungen zu einander ständen. Anderseits ist Roosevelt Diplomat genug, um nicht ohne Not in Berlin anzustoßen. Die Aeußerungen der ameri kanischen Presse liegen nur zum Teil vor, denn es ist die leidige Gewohnheit der gewerbsmäßigen deutschen Nach- uchtenübermittler, nur die schmeichelhaften Aeußerungen ;n bringen, und den Hohn und Spctt, an dem es drüben uns gegenüber niemals fehlt, zu ignorieren. So erhält das Publikum meist ein höchst einseitiges Stimmungsbild. Damit nun aber die Genugtuung nicht allzu freudig werde, und damit die Distanz von der Wirklichkeit sich nicht allzusehr erweitere, wollen wir doch heute an der unbcguemen Frage nicht vorllbergehen, welchen Zweck Montag den 21 denn die ganze Aktion gehabt habe. Ein Geschenk von einer Nation an die andere ist ja doch wohl nicht das selbe, wie wenn Hans der Grete aus reiner Herzens neigung einen Blumentopf dediziert. Ein Geschenk von einer Naticn an die andere ist eine politische Hand lung. und von politischen Handlungen nehmen wir trotz der Erfahrungen der letzten Jahre in einem vielleicht nicht mehr völlig berechtigten Optimismus an, daß sie irgend einen Zweck erreichen wollen. In diesem Falle konnte der Zweck, den wir ins Auge faßten, doch wohl nur der sein, in innigeres Verhältnis zwischen den beiden Nationen anzubahnen. Daß dieser Versuch nicht geglückt ist, beweist erstens die Rede des Präsidenten Roosevelt trotz aller ihrer Höflichkeit und, wenn man will, gerade durch ihre Höflichkeit. Außerdem aber war es für unser Selbstgefühl beschämend, daß die Ameri kaner das Geschenk mit der ganzen Ungeniertheit, die dieser manchen Leuten, zu denen zum Beispiel Herr Björnson zählt, verbildlich erscheinenden Nation eigen ist, monatelang tagtäglich glossierten. Das Banausentum und die Ungezogenheit, die nun ein mal von der republikanischen Staatsform unzer trennlich zu sein scheinen, feierten drüben wahre Orgien. Die guten Leute begriffen nicht, daß ein Genie auch auf republikanischem Boden eine Stätte finden darf. Wenn Friedrich der Große freilich nichts gewesen wäre als ein Soldatenkönig, dann gehörte er in der Tat nicht nach Amerika, oder höchstens in das Amerika, das jetzt langsam dem Militarismus entgegen wächst. Wie dem auch sei, die amerikanische Presse verspottete die Gabe des deutschen Volkes, und das deutsche Volk ärgerte sich über diesen Spott. So war die Besserung der Beziehungen in Wirklichkeit beschaffen: der Zweck, der mit dem Geschenk beabsichtigt worden war, wurde also gänzlich verfehlt. Wir glauben, daß sich dies voraus sehen ließ. Bei jeder passenden Gelegenheit erklären wir, daß wir uns nur von unseren eigenen wohlverstan denen Interessen leiten lassen, aber wir vergessen an scheinend, diesen selbstverständlichen Grundsatz bei der praktischen Beurteilung anderer Nationen anzuwenden. Es liegt doch auch ein wenig Komik darin, daß ein großes Volk sich Lurch ein Zuckerplätzck>en bestimmen lassen sollte, von der Bahn seiner Politik in diesem oder jenem Sinne abzuwcichen. Hoffentlich ziehen wir aus dem Verlauf der Angelegenheit die Lehre, daß kleine Geschenke nicht immer die Freundschaft erhalten . . . vrr Huktana in Liilüvertattsira. Verlustliste. Nach amtlicher Meldung sind an Typhus gestor- den: Sergeant Rudolf Kiesel, geb. 10. 4. 75, früher Feldartillerie'Regiment Nr. 3, am 30. Oktober in Groot- fontcin; Gefreiter Wilhelm Goller, geb. 6. 7. 70, früher 7. bayerisches Infanterie-Regiment, am 16. No vember in Windhuk: Gefreiter Wilhelm Bruns, geb. 16. 1. 82. früher Füsilier-Regiment Nr. 37, am 24. Ok tober in Epukiro: Reiter Georg Vogt, geb. 22. 1. 84, . November 1904. früher Feldartillerie-Regiment Nr. 42, am 16. Novem ber in Otjimbinde. „, , An Herzschwäche gestorben: Reiter Wilhelm E h m k e, geb. 13. 8. 82, früher Kürassier-Regiment Nr. 5, am 4. November in Otjinamangombe infolge Hitzschlages. An Darmblutung gestorben: Reiter August Woithe, geb. 17. 6. 82, früher Jnfanterie-Regiment Nr. 15, am 4. November bei Otjinamangombe. Gefallen: Gefreiter August Steiner, geb. 5. 1. 80, früher im 5. bayerischen Jnfanterie-Regiment, am 15. November bei Okatambaka. Vermißt: Reiter Bruno Bruck mann, geb. 2. 6. 81, früher Train-Bataillon Nr. 3, am 22. Oktober bei Owikokorero beim Einziehen der Viehwache. ver rursirch-iapauirche Krieg. Ariegführssng im Winter. Der äußerst strenge Winter, der in der Mandschurei zu herrschen pflegt, rückt die Frage in den Vordergrund, welche der kriegführenden Parteien am besten den Strapazen eines Winterseldzuges gewachsen ist. Für russische Truppen bilden, wie der „Voss. Ztg." geschrieben wird, strenge klimatische Verhältnisse eine gewohnte Erscheinung, aber eS wäre verfehlt, anzunehmen, daß ihnen die Japaner in dieser Beziehung unterlegen seien. Schon im Kriege gegen China legten sie Proben großer Ausdauer an den Tag, in dem die Besatzung von Torpedobooten in grimmiger Kälte auf Deck aushielten, obgleich sie förmlich erstarrten. Zudem besitzt Japan in den nördlichen und westlichen Teilen der InselHondo sowie inIesso Gebiete, in denen der Winter fast ebenso streng wie in der Mandschurei ist. Dorthin werden auch seit etlichen Jahren regelmäßig Truppen aus den südlichen Gegenden Japans gesandt, um sie an strenge Witterung zu gewöhnen. Die Märsche, die von ihnen in Schnee und Kälte ausgeführt werden, dürsten kaum in Rußland Nachahmung finden. In Erinnerung ist wohl noch, wie bei einem dieser Märsche aus Hondo bei dem Ort Aomiri im Januar 1902 während eines Sckneesturmes 200 Mann umkamen. Die Truppe unterließ dabei nicht, ihren Anführer, der bewußtlos wurde, mit sich zu tragen, obgleich die Leute kaum selbst imstande waren, sich weiter zu schleppen. DaS Unglück hat keineswegs abschreckend gewirkt. Die Militär verwaltung schickte vielmehr unaufhörlich eine Abteilung nach der andern durch Schnee und schwierige Gebirgsgegenden, und das Regiment, das von dem Unglück betroffen, beging den nächsten Jahrestag dadurch, daß es eine Expedition den selben Weg machen ließ, den die 200 Umgekommenen ein Jahr zuvor zurückgelegt hatten. Dieser Marsch verlief glück licher, weil man besonderes Gewicht auf Ausrüstung legte. ES liegt daher kein Anlaß zu der Annahme vor, daß es den Japanern in der Mandschurei ähnlich wie vor hundert Jahren den Franzosen in Rußland ergeht. Wirkungen de» Ariege». Je näher die Zeit heranrückt, in der die Regierung der Volksvertretung im Parlamente Uber die allgemein« Lage Rechenschaft geben soll, desto mehr füllen sich, nach einer Tokioer Korrespondenz der „Franks. Zig-" die Zeitungen mit Betrachtungen über finanzielle Fragen. DaS Volk beginnt die Teuerung im Lande sehr zu fühlen. Fast alle«, mit Ausnahme deS Reis ist im Preise gestiegen. Die vom DurchschnittS-Iapaner gerauchten Zigaretten, die vor dem Kriege 4,5 Sen kosteten, müssen jetzt mit 8 Sen bezahlt werden; Petroleum früher 1,45 Den, kostet jetzt 1,85 Den; Fleisch, Salz, Zucker, Tuch, Getreide usw. sind alle um ca. 30 Proz. in die Höhe gegangen. Die ver minderte Einfuhr von Mehl von Amerika macht 98. Jahrgang. sich besonders unangenehm geltend. Dazu kommt, daß die Fabrikation vieler LuxuSwaren eingestellt, öffentliche Bauten nicht mehr weitergeführt und dadurch die Arbeits- und Er werbslosigkeit großer Volksschichteu vermehrt werden. Die wirtschaftliche Kurzsichtigkeit des Japaners zeigt sich bei diesen trüben Zeiten manchmal in sonderbarem Lichte. Statt mit den Mietspreisen herunterzugehen und wenigstens eine Einnahme zu haben, werden abnorme Preise ge- sordert. Das billigste europäische Wohnhaus, das augen blicklich in Tokio zu haben ist, kostet monatlich 75 Den. Häuser für 100 bis 120 Den, das sind 200 bis 250 monatlich, sind zu haben, stehen aber natürlich leer, da die Zahl der europäischen Mieter von Monat zu Monat durch Fortzug geringer wird. Vie Schiffe de» russischen Geschwader», die von der Sundabai kommen, werden nach einem Telegramm aus Port Said für Mittwoch erwartet. DaS Wetter ist günstig. Die durchbrochene Vlokade. Nach einem Telegramm deS „Standard" aus Schanghai berichtet ein aus Tschifu eingetroffener Dampfer, daß mit dem russischen Torpedobootszerstörer „Rastoropny" zusammen drei andere Zerstörer aus Port Arthur au-gebrochen seien. Zwei von ihnen feien von den Japanern angehalten worden, während der dritte entkommen sei. von jport Arthur. Gleichfalls über London wird berichtet, daß die Japaner am 17. dS. MtS. Minen gesprengt hätten, durch die die Flankendeckung von Erlungschan und Sungsu- schan zerstört worden sei. Viele russische Maschinen geschütze auf den Brüstungen seien außer Gefecht gesetzt, worden. Nach Meldungen von Chinesen aus Dalny er wartet man einen großen Angriff auf Itzan für den 24. d. M. Verstärkungen treffen daselbst täglich ein. Am 14. November kamen daselbst 15 Geschütze an, die angeblich den Russen abgenommen waren. Ebenso trafen 150 russische Gefangene ein. Fünf schwere Belagerungsgeschütze, aus Japan kommend, wurden gelandet. Neber die Bewegungen der japanischen Armeen wird dem „L.-A." aus Paris telegraphiert, die vom General Ssacharow gemeldete Vertreibung einer Ssotnie Kosaken aus dem Dorfe Dapinduschan habe eine gewisse Wichtigkeit, weil dieser Posten mit dazu bestimmt war, den äußersten linken Flügel der russischen Aufstellung zu decken und den Japanern den bequemsten Weg nach Tintsintin zu verlegen. Sofort nach Er langung dieses für den japanischen Gesamtplan wich tigen Vorteils verständigte Marschall Oyama das Zentrum und die linke Armee und ordnete, wie man meint, ein allgeineS Vorrücken in dem Sinne an, daß das Zentrum und die linke Armee ihre Bewegungen nach Möglichkeit den Fortschritten der Armee Kurokis anzupassen hätten. politische Tagesschau. * Leipzig, 21. November. Realp-lttisches. Da« Verhältnis Deutschland« zu Japan und China wurde am Sonnabend in der Deutschen Kolonialgesellschaft Ab teilung Berlin eingehend erörtert. Der Redner, Herr Re gierungsbaumeister WoaS, ein intimer Kenner deS asiatischen OstenS, war der Meinung, daß ein endgültiger Sieg der Japaner für Deutschland« Interessen gefährlich werden würde. Feuilleton. Me heilige Caeeilie. A)j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. „Man sollte eigentlich noch nicht darüber sprechen, — cs sind noch nicht alle Bedingungen, die Oswald gestellt, perfekt geworden, — aber eigentlich — nicht wahr, Alfred, die Angelegenheit ist so gut wie entschieden?" „Allerdings!" bestätigte der Gefragte und setzte in der Stille hinzu: und Mühe genug hat es gekostet, das Kon sortium d'ranzukriegen und gewisse unvorteilhafte Ge rüchte und Eindrücke zu beseitigen! „Oswald kommt hierher?" „Oswald wird Dirigent der Scherwitz-Oper?" „Aber, das ist ja wundervoll!" Wir gratulieren von Herzen, liebe Mathilde, — lieber Alfred!" „Ja, Oswald mit seiner Begabung, — das ist am Ende kein Wunder!" „Was sollte ein Genie wie c r auch länger in R., in diesem Nest, anfangen?" Aufgeregtes Stimmengewirr, — erhobene Wein gläser — ausgestrccktc Hände — freudig verklärte Mie nen. Wer hatte noch Zeit, an Annemarie Lombardi zu denken, wenn „das Genie der Familie" das Gesprächs- tbcma bildete? — Niemand nahm sich die Zeit, Tante Ida aufzuklären, deren Hörrohr seine äußerste Länge er reicht hatte und im Zickzack hin und herfuhr. Die arme Dame war sehr gekränkt, als sie endlich erfuhr, um waS eS sich handelte! Mein Gott, Oswald war doch ihr rechter Neffe, der Sohn ihrer Schwester, sie hatte sogar, mit Elise zusammen, einmal fünfhundert Mark Schulden für ihn bezahlt, — wenn sie da nicht daS Recht haben sollte, über seine Aussichten n» kni) zu sein!! — „Auf ein Wort, Fräulein Lombardi!" Man war ausgestanden, hatte einander die Hände ge schüttelt, zwanglose Gruppen bildeten sich. Frau Direktor Mentzel sab, daß dieser Graf Härter im Begriff stand, mit Annemarie eine dieser zwanglosen Gruppen zu bil den, .... nun, das durfte natürlich nicht sein! Was fiel denn den Männern ein, daß sie alle diesem Lärvchen nachliefen? „Treten Sie auf einen Augenblick mit mir in diese Fensternische," — es war dieselbe, in welcher vor einer Stunde das schmollende Brautpaar gestanden, das jetzt Arm in Arm im Nebenzimmer promenierte und flüsternd kleine zärtliche Neckereien austauschte — „ich möchte Ihnen ein Mort sagen!" Annemarie blickte ihrer „Gönnerin" in die unheil verkündenden Augen. Diese gingen zunächst messend an ihr auf und nieder. „Stammt diese blaue Seidenbluse auch von Brückners?" „Nein, gnädige Frau; ich habe sie mir von meinem selbsterworbenen Gelde angcschafft und, mit Hülfe meiner Freundin Asta Kühne, eigenhändig angefertigtI" „Selbstcrworbenes Geld? Wie kommen Sie denn daz u?" „Man hat mir in meiner Musikklasse zwei kleine Klavierschülcrinnen zugewiesen, ich unterrichte die Kin- der seit ein paar Monaten." „So? Wäre es nicht Ihre Pflicht gewesen, uns dies mitzuteilen?" „Warum wohl, gnädigste Frau? Ich pflege unge fragt nie über meine persönlichen Angelegenheiten zu sprechen" — „Auch nicht über die Herrenbesuche, die Sic auf Ihren: Zimmer empfangen!" Annemarie schwieg eine kleine Weile, ehe sie ant- wartete. Sic wußte es: wenn sie jetzt gleich sprach, — daS aussprach, waS ihr auf den Lippen schwebte, dann war das Tischtuch entzwei zwischen ihr und diesen Leuten. Und daS — o, bitterer Fluch der Armut! — da« durfte doch nicht sein! „Ich glaube, soeben deutlich genug erklärt zu haben, wie eS mit diesem Besuch zusammenhing" — begann sie endlich, hochaufatmend, aber Frau Direktor Mentzel schnitt ihr mit einer energischen Handbcwegung den Satz entzwei. „Gewiß, das taten Sie, — eS hat aber wohl jeder- mann daS Recht, sich über diese Erklärung seine persön liche Auffassung zu wahren. Das beiseite! Ich möchte Sie nur ersuchen, Fräulein Lombardi, dringend er suchen, Dinge, wie diese, in Zukunft sorgsam zu ver- meiden, wenn wir Ihnen unsere Fürsorge noch ferner angedeihcn lassen sollen. Es kann unS Müttern nicht gleichgültig sein, wenn unsere Töchter Kenntnisnahme von Begebenheiten haben, die ihnen besser verborgen bleiben. Ich muß Ihnen im Verkehr mit jungen Herren — mit Herren überhaupt! — die äußerste Vorsicht em pfehlen, Sie hätten es lediglich sich selbst zuzuschreiben, wenn selbst Männer aus den besten Kreisen Ihnen gegen- über die Grenze zu ziehen vergessen, welche die gute Sitte gebietet!" „Es hat diese Grenze bisher in meiner Gegenwart noch kein einziger überschritten, gnädige Frau," — Anne maries Augen flammten auf, stolz schürzten sich die weichen, schwellenden Lippen — „noch niemand hat es ge wagt, Mißbrauch mit meiner unbeschühten Stellung, meiner Jugend und Armut zu treiben und — und wenn es einer gewagt hat" sie stockte auffällig und schluckte, mühsam genug, die Worte nieder: „so ist cs Ihr eigener Sohn gewesen!" „Nun? Warum sprechen Sie nicht zu Ende? Er klingt verdächtig nach Schuldbewußtsein, dieser un vollendete Satz!" Annemarie sah der Frau ins Gesicht, sah den kalten, hochfahrenden Ausdruck, den erhabenen Tugendstolz darin, und es kam wie Scham über sie, eine so kleinliche Rache ausüben zu sollen. „Möge er Ihnen so klingen!" sagte sie langsam. „Ich habe nichts mehr hinzuzufügen!" Sie verneigte sich leicht und trat auS der Fensternische zurück ins Zimmer. II. Teil. Erstes Kapitel. Soeben habe ich wieder einen Brief an mein Väter chen abgeschickt, — an das gute, ahnungslose! Habe ihm ' von meinen Studien und meinen beiden Schülerinnen und von meinen Ausflügen nach Wannsee und Potsdam erzählt, habe ihm meine kleinen Freuden berichtet und meine großen Kümmernisse verschwiegen! Natürlich! Ihm das Herz schwer machen, — ihm, der mir nicht helfen kann, — hätte das einen Sinn? Aber er wäre ja außer sich, wenn er wüßte, — alles wüßte! Arm, wie er ist, und in untergeordneter Stellung, — er hat eine un- abhängige Denkungsart — und gar für m ich, die er als eine Art höhern Wesens ansieht in seiner väterlichen Liebe und Zärtlichkeit, da ist er stolz, wie ein König! Ach Gott, und ich möchte auch stolz sein können! Meinetwegen Schwarzbrot essen und im billigsten Kattun- kleid gehen, — aber frei sein — auf mich selbst gestellt, — nichts mehr nehmen dürfen, — nie mehr danken müssen, .... ach, arme Annemarie! Du hast zwei Klavierkinder, die dir jede Woche fünf Mark cinbringen! Steck' deinen Stolz gefälligst in die Tasche, und würge deine Empörung herunter! Von Luft und Liebe kannst du nicht leben, und jetzt auf halbem Wege stehen bleiben, — jetzt, da man dir immer wieder aufmunternd sagt: „nur kurze Zeit noch, und dein Ziel ist erreicht!" — willst du da»? Kannst du dir und den Deinigen das antun? Die sehen schon eine große Künstlerin in mir, die schwelgen jetzt schon in meinen zukiinftigen Triumphen. Väterchen borgt sich hier und da Berliner Zeitungen aus und hat jetzt die Namen der berühmtesten Sängerinnen
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