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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041109021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904110902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904110902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-09
- Monat1904-11
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keit, ganz Stolz auf seine „Entdeckung"! Selbst der förmliche, steife Geheimrat Wessel blickt freundlich, sagt „mein liebes Kind" und mustert das weiße Täubchen wohlwollend, — von Herrn Oberst Brückner, der ihr den Arm gibt, um sie zum Weihnachtstisch zu führen, und von dem alten Vollmar, der förmlich mit den Lippen schmatzt, als wenn er setzt schon etwas Schönes zu essen bekommt, ganz zu schweigen!! — Oswald verzehrt Annemarie beinahe mit den Blicken, — er kann gar nicht an sie heran, sie sind ja alle rund um sic her, — „diese Menschen da", wie er pietätlos seine lieben Angehörigen bei sich nennt! Er empfindet eine plötzliche Anwandlung innerer Wut. Wcgstoßen — weg drängen all' das Volk — und die weiße Blume in seine Arme pressen — fest — fest — und sie wegtragen, daß sie keiner mehr sieht, — keiner mehr berührt, als er allein! Sie soll sein Eigentum werden, — soll — muß! Ihm hat noch keine so gefallen, wie diese hier! Ach was .... gefallen! Sinnlos, kopflos verliebt ist er, so daß er sich's weiter auch nicht klar macht, daß er, ein Mensch ohne festes Einkommen, ohne Stellung, ohne eigenes Vermögen, ja gar nicht heiraten kann, .... am allerwenigsten ein ganz armes Mädchen! — Wer denkt auch jetzt an Heiraten? So philiströs wird man doch nicht sein! Nun endlich steht er vor ihr, umfängt mit einem heißen, liebkosenden Blick diese aufknospende Gestalt, dies süße Gesicht, hat das weiche Händchen in seiner Rechten und redet keine Ahnung hat er, jetzt und später, was er geredet, .... schadet auch nichts! Es kommen die Cousinen sie begrüßen, es kommen die Vettern', - Leutnant Rolf Hennig nimmt die Hacken zusammen, daß die feinen silbernen Tanzsporen klirren, — die kleinen Kadetten stehen stramm da, gedrechselt, wie die Puppen, und machen große Augen. Ja, schaut nur auf, Kinder, schaut auf! Der junge Wessel verneigt sich mit beflissener Höflichkeit, — selbst diesem korrekten Zahlenmenschen geht ein Licht auf über den Liebreiz eines solchen Men schenkindes! — Inmitten der farbigen Toiletten der Cousinen glänzt das weiße Kleidchen zu Oswald herüber, gleich Schwanen gefieder. Sie tragen alle raschelnde Seide, die iungen Damen, — das fremde Mädchen nur Wolle! Sie haben alle Schmuck an sich, zum Teil sehr wertvollen, .... das fremde Mädchen hat nur sein Maiglöckchensträußchen. Sie sind fast alle hübsch, einige sogar reizend, .... das fremde Mädchen aber hat einen Charme an sich, einen poetischen Zauber, der sie alle überstrahlt! Sic sieht aus, wie Mignon, jetzt endlich hat Oswald Mentzel seinen richtigen Vergleich gefunden, — wie Mignon! Eine Harfe ihr zur Seite und die weißleuchtenden Engels- fittige, mit denen man das rührende Kind des Harfners zuweilen abgebildet sieht, und die Illusion ist voll- kommen! — Man hat ihr auch einen Weihnachtstisch aufgebaut, der Kleinen, — natürlich! Man hat das Pathenkind des Familientages nicht vergessen, — es findet einen warmen Abendmantel und Noten, es findet Handschuhe und Nasch werk, es findet feine Taschentücher und Briefpapier auf seinem Platz, — jeder hat etwas beigesteuert, — „das ist von Frau Geheimrat Wessel" „und das von Tante Elise" — „und das von mir", — und reihum hat Annemarie sich zu bedanken! Während sie das vollführt, freundlich lächelnd, hier und da sich über eine dargereichte, gnädig hingehaltene Hand neigend, hat sie eine Vision: ein nie driges großes Zimmer, mit dürftigem Hausrat, — in- mitten ein Tisch mit einem hübschen Weihnachtsbaum, .... es gibt billige, schöne Tannen in dem westpreußischen Städtchen. Natürlich nichts von stilvollem Schmuck, — einige dünne Wachsstengelchen brennen im Grün, ein Paar bunte Papiernetze hängen herab, — und auf dem Tisch wenige, wenige Sachen nur; nichts zum Schmuck des Lebens. — nur nützliche Gegenstände, Kleidungs- stücke, Schulbücher für die Kinder. Einzig das Karle- Männchen bekommt etwas „zum Freuen", — einen billigen Hampelmann oder einen kleinen bunten Ball! Wie sie aber glücklich sind, alle zusammen, — wie sie sich lieb haben untereinander! — Ist das denn heute hier unter all' den fremden Menschen richtige Weihnacht?? — So träumt Annemarie und schilt sich undankbar und freut sich ihrer hübschen Gaben und bedankt sich immer wieder. Sie sieht auch einmal im Vorllberschreiten in den deckenhohen Spiegel, der ihr, lichtumstrahlt, ihr Bild zeigt, und sie freut sich ihres weißen neuen Kleides, ihrer Jugend und Lieblichkeit! Freut sich auch des mächtigen Busches herrlicher Maiglöckchen, von einem breiten blaß- roten Scidcnbande zusammengehaltcn. den man gestern früh für sie im Pensionat abgegeben hat, .... ohne Brief, nur von einer Karte mit ihrer vollen Adresse be gleitet, — eine ganz fremde Handschrift! Sie hat den vrachtvollen Strauß annehmen müssen, — der Bote war schon fort, als Agnes ihr verschmitzt lächelnd die duftende Spende ins Zimmer brachte, — da stand sie nun in einer hohen grünen Vase und erfüllte das nüchtern aussehende Stübchen mit Poesie und Glanz, und das kleine Bouquet an ihrer Brust erinnerte sic daran. Solch' liebe Briefe von daheim hatte sie erhalten und richtig sogar ein Weih- nachtskistchen, trotzdem sie ausdrücklich versichert hatte, nichts haben zu wollen. Gebäck von Tante Kühne, einen Uhrhalter, von Heinz mit der Laubsäge geschnitzt, eine Schürze von Trude, und von Vater ein Zehnmarkstück: „kauf' dir etwas dafür in Berlin, mein gutes Kind, ich weiß ja nicht, was du brauchst!" — Ach, dieses Goldstück! So hart erworben, so rnühsam zusammengespart! Annemarie sah in ihres Geistes Auge den Vater spät des Abends, blaß und übernächtig, an seinem trüben Lämpchen im erkalteten Zimmer sitzen und schreiben, — schreiben, um dieses Goldstück für sein fernes Lieblingskind erwerben zu können! Heiß waren l ihre Tränen darauf niedergefallen, und sie hatte das I Papier geküßt, in welchem das Geld gelegen! -- Fried. 60 Pfg ) än Do. aus dem t!r. 459!>. ! mit ver- ii in drei Linder. Kichard nevra". Mit einer lreis jeder lam jun. für 1905. (Preis Ehren. Mutter luöaegeben Bild von Serlag dec gart. Roland). >e Ver- r Bojer. thomas Rosen- geh. 2 8oesie und geben von r Bremec- L o eb e l. iassers. nem Bild- i ü ^l ) lnd. e Gewähr ragen des cndig sind. > nach der tstraße 7a. ieipzkg. csipender. t. Hofmann >. Krautze. Umdach. BeznsiS-PrtiS in der Hauptexpevition ober deren Ausgabe stellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bet zweimaliger täglicher Zustellung in-Hau» 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch ¬ land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitunqspreisliste. Diese Rümmer tostet 4 4^ sN 7 aus allen Bahnhöfen und III I bei den Zeitungs-Berkäusern Redaktion und Expedition: 153 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Filialexpeditionen: Alfred Hahn, Buchhandla., UniversitätSstr.3 (Fernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen straße 14 (Fernsprecher Nr. 2935) u. Königs platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-Filiale Dresden. Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt l Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlTuiicker, Herzgl.Bayr.Hofbuchbandlg., Lützowstraße 10(FernjprecherAmtVI Nr.4603j. Abend-Ausgabe. KipMerTagMatt Anzeiger. Amtsblatt -es königliche« Land- »nd des königliche« Amtsgerichtes Leipzig, des Rates n«d des Volizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSstrich (»gespalten) 75 /H, nach den Familiennach richten l6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zifsernsatz werden ent- sprechend höher berechnet. Gebühren für Nachweisungen und Offerten annahme 25 Annahmeschlutz für Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen («ur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen aeöfsnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E- Polz in Leipzig lJnh. Dr. «., R. L W. Klinlhardt). Sir. 572. Mittwoch den 9. November 1904. 98. Jahrgang. Var lvicdtigtte vom Lage. * Der Köniq empjinq heute im Residenzschlosse zahlreiche Abordnungen aus dem Königreich Sachsen, u. a. eine Deputation der Leipziger Universität. * Als Zeitpunkt der Hochzeit des Kron prinzen wird jetzt Ende Mai oder Anfang Juni nächsten Jahres genannt. * Der Abgeordnete Barzilai wird wegen der Krawalle in Innsbruck eine Interpellation über die österreichisch-italienischen Beziehungen einbringen. (S. den besonderen Artikel.) * Das belgische Parlament ist gestern chne königliche Botschaft, die seit 1894 fortfällt, eröffnet worden. (S. Ausland.) * In der amerikanischen Präsidcntschaftswahl hat Roosevelt mit überwältigender Mehrheit gesiegt. Er hat eine Kundgebung erlassen, worin er erklärt, eine künftige Wiederwahl trotz der Unvollständigkeit seiner ersten Periode nicht annehmen zu wollen. 14 Mil lionen Wähler haben gestimmt. (S. den Leit artikel.) * Ein heftiges Erdbeben fand am Sonntag auf Formosa statt. 78 Menschen kamen ums Leben, viele sind verwundet, 150 Häuser sind eingestürzt. (S. Aus aller Welt.) sisszevrlt; lvieSerwabl. New Dort, 9. November. Roosevelt wurde mit großer Mehrheit zum Präsidenten gewählt. Parker telegraphierte um 8V2 Uhr abends an Roosevelt: „Tas Volt billigte durch seine Abstim- mung nachdrücklich Ihre Verwaltung» ich beglück wünsche Sie." Roosevelt sandte ein Danktclcgramni. Es ist nun entschieden, daß auch in den kommenden vier Jahren Herr Theodore Roosevelt und seine Partei die Macht besitzen werden, daß in ihren Händen alle diplo- malischen Posten, die Acmter der Bundesrichter, die Kom- mandostellen in Armee und Kriegsmarine, die Aemtcr der hohen Postfunktionäre in den großen Städten nnd die der Zollbeamten verbleiben. Ein zweites Mal, das erste Mal durch unmittelbare Volksabstimmung, hat „Teddq" sein republikanisches Imperium begründet, und wenn sein Charakter bisher nach der Epoche, die er zur Betätigung für sich hatte, als noch unfertig gelten durfte, so steht er jetzt dem amerikanischen Volke als ein in sich Geschlossener gegenüber. Eine Figur mehr, eine Indi vidualität mehr trägt sich in die Annalen dieses Staats wesens ein, welches doch an Persönlichkeiten so arm ist, daß Treitschke über die Beurteilung Alexander Hamil tons, der ein bißchen größer war als Washington, sagen durfte: „Sie standen vor ihm wie der Hund vorm Glase Wein." Fast durch die Bank waren sie brave Leute, treff ¬ liche Bürger, aber keine Extranummern, die Präsidenten der Union. Selbst die Wackersten, der nüchterne, gc- diegene Befreier George, der biedere Andrew Jackson, den sie nach dem Kernholz des Walnußbaumes „Old Hickory" nannten, und Abraham Lincoln, der finstere, doch ehrliche Mann aus Ohio, sie zählten zu den Medio kritäten. Und dennoch hat das amerikanische Volk, jo oft ein Knorre, um mit Nathan zu sprechen, über die Knubben hervorragte, seine Neigung zum Personenkul- tus durchblicken lassen. Dem guten Washington rief man auf seinen Reisen zu: „Gott segne Eure Herrschaft!" Tenn die Bewohner Neu-Englands sind, so wütend nivel- listisch sie sich gebärdeten, immer recht konservativ ge wesen, beinahe so konservativ wie die schweizerischen Son derbündler, deren Staaten schon 1586 den katholischen Borromäusbund geschlossen hatten. Wiederum Treitschke hat darauf aufmerksam gemacht, wie englisch-monarchisch in der Union die Stellung der Gouverneure ist, und wie leicht das Amt der Präsidenten inhaltlich ins Monarchische übertragen werden kann, dieses Amt, das in einem Wahl kampf ergattert wird, der niehr Kosten verschlingt, als die Civillisten aller deutscher Fürsten ausmachen. Es ist bekannt, wie bittere Vorwürfe gegen den Abgott der Cowboys und gegen seine „impulsive" Ver waltung erhoben worden sind. Da war vor allem der Nestor der Deutsch-Amerikaner, Karl Schurz, der ein höchst sympathischer, alter Herr, eine moralische Autorität ist, jedoch mit seinen kontinentalen Gefährten von 1848 die Enge des Urteils gemeinsam l>at. Am 24. November 1862 hatte, wie kürzlich die „New Aork Tribüne" gegen ihn vorbrachte, Lincoln an ihn geschrieben: „Ich habe so eben Ihren Brief vom 20. erhalten und gelesen. Er be sagt, daß wir bei den letzten Wahlen unterlegen seien und das Ansehen der Regierung schwinde, weil der Krieg erfolglos sei, und daß ich mir nicht schmeicheln dürfe, mich treffe nicht die Schuld hierfür." Ter damals so aggressiv den Präsidenten abkanzelte, hat 1904 Herrn Roosevelt in seinem großen, öffentlichen Briefe etwas heilsarmeemäßig abgekanzelt. Er beschuldigte ihn gewissenhaft der „Lust am Raufen", der „Ver ehrung der Gewalt", der Exzentrizität. Aber Roosevelt hat, so sehr seine Vicrfchrötigkeit, seine Freundschaft mit Bill und Bob dem ästhetischen Zuschauer mißfallen mag, die Tatsachen für sich. Seine Regierung war nun einmal die Aera der Erfolge. Unter dem republikanischen System wurde die Goldwährung geschützt, Hawai, der Krieg mit Spanien, Porto Rico, der Clayton-Bulwcr Vertrag, der isthmische Kanal, Alasca, Venezuela sind in amerikanischen Augen löbliche Titel. Roosevelt hat manchen geschickten Zug getan. Er wies Herrn Taft an, in Panama versöhnlich zu wirken, er be gönnerte die Mönche auf den Philippinen, wofür ihm der Erzbischof von Milwaukee die katholischen Stimmen ge lobte, breitete seine Arme um die russischen Juden, ver anstaltete seine Friedenskonferenz-Reklame, er „managte" den Schiedsgerichtsvertrag mit dem Deutschen Reiche, er arbeitete mit hundert Pferdekräften. Trotzdem wäre es für eine gleich rüstige Volksbewegung nicht schwierig ge wesen, ihn zu entwurzeln; der Hebel gab es genug. Nicht allein das Interesse der Wall-Street, der Roosevelt unbe-. quem war, so wie sie vor Jahren die Kontrolle der re publikanischen Partei ihm entwinden und dem Senator Hanna überliefern wollte, nicht allein die unruhige Ge- ck)waderpolitik in Smyrna, Tanger und Beirut waren gegen „Teddy" auszuspielen. Er hat auch kolossale Dummheiten begangen. Er verscherzte sich die Hülfe des Südens, indem er die Schwarzen bevorzugte und den ge ehrten Neger Dr. Booker Washington ins Weiße Haus zu Tische lud, während drunten die kolorierten Opfer der Lynchjustiz an Pfählen brannten; dafür hat ein Kongreß mitglied, Herr Helflin von Alabama, den ordinären Fluch getan, es sei kein Schade, wenn irgend ein Czolgoß — so hieß Mac Kinleys Mörder — eine Bombe nach denen werfen wollte, die das Brot mit einem Neger brächen. In Colorado hatte der republikanische Gouverneur Pea- bcdy den Bergarbeiterstreik tyrannisch unterdrückt; ihn Hatzte die Menge. Im Staate New Bork war der republi- konische Sohn des Postmeisters Von Cott als Wahlfälscher verhaftet worden, und den republikanischen Vizegouver neur Higgins bekämpften seine eigenen Genossen, weil er dem Gouverneur Odell und dessen 101 Millionen Dollar-Projekten willfährig war. Und in diesem Staate New Bork sind Roosevelts Feinde gänzlich abgefallen. Daß der Anprall so sehr mißglückte, daß sich das Sclwuspiel der ersten Kandidatur Bryan mit ihren 6 Mil- lionen so gar nicht wiederholte, ahnte man längst. Denn die Kandidatur Parker hatte, so laut auch neulich im Madison Square Garden die 20 000 Menschen tobten, ehe, nach einer halben Stunde, der „Otnek ckimtiea ok ttw Varll Oourt ot Appeals" reden konnte, keinen Hintergrund. Sie hätte über die fabrizierte Entrüstung, ohne die in der Union nichts Durchschlagskraft hat, nich geboten, auch wenn nicht Odell bewiesen hätte, daß Herr Parker, Jnlwbcr von 20 000 Dollar Aktien des Schiffs- bautrusts, als Richter eine sehr wichtige Frage zu Gun- stcn der Aktionäre entschied. Bryan hatte man beklatscht, weil er mit der Parole vom „k'raa sUvor" ein Stimu lans für die Massen gehabt hatte, dos, wie der englische Journalist Low in der „Monthly Review" witzig bemerkt hat, als „Oraa eoppar", Freikupfer, die nämlichen Dienste geleistet haben würde. Im Jahre 1904 war Herr Bryan empört, daß der demokratische Konvent in St. Louis nicht nur die Einkommensteuer, sondern auch die Währungsfrage ableugnete, daß er nicht, wie die eng lischen Liberalen mit Home Rule, durch schlechte Ideologie entgleisen wollte. Deshalb hielt Bryan Parker-Reden, die Herrn Parker schadeten, und förderte heimlich den populistischen Kandidaten Watson, der die Demokraten Prinzipienschachcrer nannte. Auch ein früherer Gouver- neur von Texas, der Demokrat Hogg, hatte wörtlich ge- ägt: „Richter Parker und seine Bande glauben, er habe Aussichten, zu gewinnen — aber am Wahltage werden sie einen riesigen Ncinfall erleben." Außerordentlich klar ist diesmal der spöttische Spruch von Bryce bestätigt wor den, daß die amerikanischen Parteien nur sortführcn zu existieren, „dacausa tkav Kava axistack". Als Cleve land den Zolltarif herabsetzen wollte, lvaren die demo kratischen Vertreter aus den Südstaaten so schutzzöllne- risch, daß er sich weigern mußte, die Beschlüsse zu unter- zeichnen; ohne seine Zeichnung wurde sie Gesetz, und dci demokratische Präsident durfte die lehrreiche Folgerung ziehen, daß seine Parteifreunde nur so lange freihänd- irisch waren, bis auch sic, die agrarischen Staaten wie der republikanische Norden, Manufaktur trieben. Sogar mit der Lupe war eine wesentliche Differenz zwischen dem Ge schwätz der republikanischen und dein der demokratischen Plattform 1904 nicht zu entdecken. Hier wurde das schon kurz dargelegt, aber es ist amüsant, die Tertproben zu wissen, die Low zitiert. Die Republikaner wollten den Goldstandard „aufrechterhalten", und Richter Parker tele- graphierte: „I ropmrck tko galck «tuncknrck as ürmly anck irravocadlv astadlistwck". Richter Parker führte in seiner Antrittsrede aus, man solle die Filipinos „so rasch als möglich für die Selbstregierung vorbereiten und ihnen Sicherheit geben, daß sie kommen wird, sobald sie vernünftig darauf eingerichtet sind". Herr Roosevelt: „Wir haben ihnen schon einen großen Anteil an ihrer Negierung gegeben, und unser Vorsatz ist, diesen Anteil eben so rasch zu vermehren, als sie den Beweis geben, daß ihre Tüchtigkeit für die Aufgabe wächst". Der demokra tische Exscnator Hill bat geäußert: „Ich möchte nicht viel über die Tariffrage sagen, denn darin stimmen sehr wenige von uns überein". Der demokratische Senator Bailey schloß sich an: „Unsre republikanischen Freunde behaupten immer, daß die demokratische Partei für abso luten Freihandel sei. Was auch irgend ein einzelner Demokrat, oder, in der Tat, was alle Demokraten über Freihandel als Theorie denken, so weiß doch der Dümmste in der Versammlung hier, daß Freihandel in dieser Re publik durchaus unmöglich ist". Diese Demokratie hätte, wenn das gegenwärtige Regime von ihr abgelöst worden wäre, die Philippinen, den Panamakanal, die Marine, die Monroedoktrin, die Haltung gegen die Trusts ebenfalls übernommen. Wenn nun die Bürger Amerikas die Fanfare der Chamade, den halben sittlichen Redens- arten die grobe Ehrlichkeit vorgezogen haben, so ist das ihre Sackte, und wir haben kaum Grund, uns sonderlich aufzuregen. * Nachrichten von, Wahltage. Tetlresuttate. * New Bork, 8. November. In 149 der 3024 Wahlbezirke des Staates New Hort außerhalb der Stadt New Aork er rangen die Republikaner wesentlichen Gewinn; Parker erhielt in den Landbezirken dieses Staates verhältnismäßig weniger Feuilleton. Die heilige Caecilie. 211 Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Und es war doch nur ein schlichter, feiner weißer Wollstoff, der sich um die jungen Glieder schmiegte, — freilich vortrefflich sitzend, von bestem Schnitt, — Frau Babette Ninghaupt verschenkte keine salopp gearbeiteten Kleider! Und keinen Schmuck trug das Mädchen, — weder Ringe noch Kette noch Brochc, nur frische Mai blumen an der Brust, — aber wie die zu der ganzen Er scheinung stimmten! Und das Haar so graziös ausge nommen, so lockig um das offene Gesichtchen gebauscht. Wer heißt dich, so reizend sein, kleine Annemarie, — wer heißt dich, so lieblich lächeln, so strahlend blicken, süße, törichte, kleine Märchenprinzcssin, die du bist? — Es wurde förmlich ein Aufstand um das Mädchen herum, — ja, ja, ein Aufstand! Das konstatierten nicht nur die Tanten, die auf ihren Stühlen sitzen blieben und denen nichts entging, — das konstatierten auch die andern Damen, besonders die älteren, die erfahrungsmäßig scharfe Beobachter sind! Und wer veranlaßte ihn, diesen Aufstand? Natürlich wieder die Männer! Nicht etwa die iungen bloß, — das hätte hingehen mögen, — ein bißchen Flirt verzeiht man den jungen Leuten schon! Aber seht den alten, kahlen Bankier Ringhaupt, wie er wohlgefällig schmunzelnd den warmen Dank des Kindes für das weiße Kleidchen entgcgennimmt, obgleich er cs damit an seine Frau verweist, — wie er es prüfend be trachtet, ob denn auch das besagte Kleidchen gut sitzt! Seht den würdigen Direktor Mentzel, wie er das ihm harmlos hingestreckte Händchen festhält und mit der Linken klopft, .... und wieder klopft —ganz väterliche Liebenswürdig
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