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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041103028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904110302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904110302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-03
- Monat1904-11
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Morgen-AuSgab«: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem RedaktionSstrich (4gespalten) 75 -H, nach den Jamiliennach- richten (L gespalten) 50 Tabellarischer und Zissernsoy entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osserteuannahme 25 »rrra-vctlaseu (gefalzt), nur mit der Morgen-An-Saab«, ohne Postbeförderuug 60.—, m^t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind stet- au die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pot; in Leipzig (Inh. vr. B, R. L W. Kliukhardt). Nr. 561. Donnerstag den 3. November 1904. 98. Jahrgang. va» AiÄligrle vom Lage. * Die Stadt Dresden kaufte das Schloß Albrechtsberg für eine halbe Million Mark an. (S. Sachsen.) * Wie verlautet, wird der zu 4 Jahren Gefängnis verurteilte Geh. Kommerzienrat Hahn gegen Stellung einer hohen Kaution aus der Haft entlassen werden. * Tie Sammlungen derDeutschenKolo- nialgesellschaft für die Hülfeleistung in Süd- westafrika haben 272 000 überstiegen. * Der österreichische Reichsrat wird zum 17. November einberufen. * Das Leichenschaugericht in Hüll hat festgestellt, daß die Mischer ohne vorhergehende Ankündigung getötet worden seien; die Jury sagte ferner aus. daß der Fall ohne Beispiel in der Weltgeschichte dastehe. ver bankrott irioäernen Straf- vollrugr unü reine ftetorm. Mit dem Wandel der Anschauungen und der Ver änderung der Verhältnisse entwickeln sich auch die Gesetze; das läßt sich nicht leugnen. Doch rückt die Rechts entwickelung nicht mit der sonstigen Entwickelung auf gleicher Linie vor. Sie folgt langsam nach. Bisweilen ist sie um Jahrzehnte, ja um Jahrhunderte rückständig. Das Recht kann sich besonders dort in seiner Rückständig, keit erhalten, wohin das Licht der Öffentlichkeit nur spärlich fällt. Ein dunkler Winkel dieser Art ist nun unser Strafvollzugsrecht. Auf dem Gebiete des Straf rechts haben sich augenfällige Wandelungen vollzogen. Unsere Anschauungen über das Verbrechen und seine Bc- kämpfung sind grundverschieden voll denen vergangener Zeiten. Die grausamen Strafen der Halsgerichts ordnung Karls V. entsprechen ebensowenig unserem Empfinden wie die des napoleonischen Strafgesetzbuches. Die letzteren müssen noch heute von deutschen Gerichten über die Bewohner des deutsch-belgischen Kondominats Moresnct verhängt werden. Da sie aber fast stets unserem Rechtsgefühl Widerstreiten, tritt fast in allen Fällen gnadenweise Strafverwandlung oder teilweiser Straferlaß ein. Das Strafvollzugsrecht gehört nun zwar zu den An gelegenheiten, die nach Art. 4 der Reichsverfassung „der Beaufsichtigung seitens des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen". Das Reichsrecht zeigt aber nur spärliche Ansätze zur Regelung des Strafvollzugs. Das führte zu unhaltbaren Zuständen. Ein Jahr Gefängnis in Baden oder Bayern war etwas ganz Anderes als ein Jahr Gefängnis in Preußen oder Sachsen. Das Be dürfnis nach einer einheitlichen Regelung wurde immer unabweisbarer. Vor einem Gesetze hatte man aber Scheu. Der Reichstag Hätte womöglich allzu Modernes gefordert. Die Reform des Strafvollzuges kostet über haupt Geld, sehr viel Geld. Das kann man nicht auf ein mal aufwenden. So hat man denn ein Kompromiß ge schlossen. Der Bundesrat hat 1897 Grundsätze ausgestellt für den Strafvollzug, die der Gesetzeskraft entbehren, die einheitliche gesetzliche Regelung aber einleiten sollen. An diesen Grundsätzen übt nun Max Treu in einem „offenen Briefe an das Rcichsjustizamt" (Stuttgart, Ver lag Rob. Lutz) scharfe Kritik. Er geißelt die bestehenden Zustände und macht Vorschläge zu ihrer Besserung. Die Schrift ist ernster, sehr ernster Beachtung wert; aus ihr spricht unverkennbar eine reiche Erfahrung und ein warmes, menschliches Fühlen. Es ist ein unstreitiges Verdienst, das sich der Verfasser dadurch erworben hat, daß er das Licht der Oeffentlichkeit an diese dunklen Stellen dringen läßt, daß er zeigt, wie die Gefängnis- disziplikl mehr schadet als nützt, wie die langen Freiheits strafen die Energie und den Willen zum Guten brechen, wie der Mangel an geistiger Nahrung den Intellekt ver kümmern läßt. Ob freilich alle Forderungen des Ver fassers erfüllbar sind, bezweifeln mir. Schon der Kosten- punkt wird dem entgegenstehen. Man darf aber hoffen, daß unsere Zentralbehörden so viel Einsicht haben, daß sie nicht am unrechten Platze sparen. Wenn man Geld aufwendet, um die Gefangenen während der Strafzeit für den Kampf ums Dasein zu stählen, so wird man am letzten Ende gewiß auch die Staatsausgaben mindern. Jeden falls sollte man die Gefangenen während der Strafzeit nicht ihrer Berufsarbeit entfremden. Man sollte sie auch nicht auf eine rückständige Stufe des Berufs versetzen, sondern sie mit allen modernen Geräten und Hülfsmitteln arbeiten lassen, sie auch mit den Neuerungen bekannt machen, die während einer längeren Internierung unter den jetzigen Verhältnissen dem Sträfling sehr zu seinem Schaden unbekannt bleiben. Interessant sind auch die Vorschläge des Verfassers über die Reparation des vom Verbrecher angerichtcten Schadens. Brauchbar und ent- wickclungsfähig sind seine Vorschläge zur Ausgestaltung der Geldstrafe. Wenn hier das kapitalistische Moment vorsichtig ausgeschaltct wird, wenn ein einfaches Los- kaufen des Besitzenden ausgeschlossen wird, dann läßt sich die Sache hören. Aber freilich, im ganzen darf man von unserer Strafrechtsreform nicht zuviel erhoffen. Der preußische Ministerialdirektor Lukas hat in seiner un längst angezeigtcn „Anleitung zur strafrechtlichen Praxis" unsere Erwartungen wesentlich herabgestimmt. Die zu ständigen Ressorts sind für die modernen Ideen nur in geringem Maße empfänglich. Die Worte des Reichs freiherrn von Stein, die der Verfasser am Schlüsse seiner Abhandlung anfiihrt, gelten heute wie damals. Wir empfehlen das Buch aufs wärmste. Trotz des sensationellen Titels und der auffälligen Aufmachung verdient es allgemeine Beachtung. vr. dl. ver kurrircd-englirche ffonMlrt. Abschluß der Unters«ch«ng in H-ll. Wie unter dem gestrigen Datum von dort gemeldet wird, ist die Untersuchung des Leichenschaugerichts abgeschlossen worden. Die Jury gab, dem Antrag deS Regierungsvertreters gemäß, ihre Entscheidung dahin ab, daß die betreffenden Leute durch Geschosse gelötet worden feien, die ohne vorhergehende Ankündigung von gewissen Kriegsschiffen abgeseuert worden seien, «sie äußerte weiter den Wunsch, ihrer Genugtuung über die Bemühungen der beiden Regierungen Ausdruck zu geben, in zufrieden stellender Weise diese Angelegenheit zu beenden, die ohne Beispiel in der Weltgeschichte dastehe, und drückte schließlich ibre Teilnahme für die Verwundeten und deren Angebörigen aus. Der Befund ist ausgefallen, wie er ausiallen mußte. Mit besonderer Absichtlichkeit ist bervorgehoben, daß eine Warnung oder irgend ein Signal dem Angriff nicht vorauging. Das überwachte rusfische Geschwader. Aus Vigo meldet eine Depesche, daß daS in der Arosabai liegende englische Geschwader gestern die Anker lichtete und seinen Kurs nach Süden nahm, indem eS dem russischen Geschwader folgt. Gestern nacht kam ein Mitglied der japanischen Botschaft in Madrid nach Vigo und ver suchte, nähere Erkundigungen über den Aufenthalt der russischen Schiffe, sowie andere daS Geschwader betreffende Angaben einzuholen. Mit besonderer Bebarrlichleit soll der Japaner gefragt baben, ob die Linienschiffe mit Schutz netzen gegen Torpedoangriffe versehen seien; eS wäre demnach, falls die Depesche nicht flunkert, eine etwas sonder bare und verräterische Neugier der Japaner festzustellen. Mehrere italienische Kriegsschiffe des Mittelmeer geschwaders sollen Befehl erhalten haben, sich für eventuelle Komplikationen bei der Durchfahrt der russischen Flotte bereit zu halten; sie werden wohl ebenso wenig wie die marokkanischen Schiffe in Tätigkeit kommen. Der russische Admiral Aaznaksw ist, wie dem „Lokanz." gemelvrt wird, nach Paris abgereist. Kapitän Clado ist der hauptsächlich von der Untersuchung betroffene Offizier; er befand sich an Bord des ersten Sch ffes, das feuerte. Früher war er Alexejews Sekretär und ist erst kürzlich über Land ans Ostasien eingetroffen. Er ist ein bekannter Schriftsteller über Marinetaktik und -theorie. Die russische Verteidigung wird einen im Flotten-Jahrbuch von 1901 angeführten Vorfall zitieren, wonach der britische Kreuzer „Minerva" in den Manövern von 1900, als er sich eines Nachts an der Westküste von Irland mitten in einer Fischer-Flotte befand, diese für Torpedoboote ansah und daS Signal hißte, daß er sich als in die Luft gesprengt betrachte. Admiral Kazna- kows Ernennung zum Kommissar wird als ein Zeichen dafür bewillkommnet, daß die Untersuchung der Tatsachen gründlich ausgesührt werden wird. Er war 1880 Rußlands Vertreter bei der in Washington abgehaltenen Konvention über die Regelung der Schiffahrt und gewann allgemeine Anerkenuung. Erzählungen. DaS „Berl. Tagebl." meldet aus London : Ein hiesiger Journalist hatte Gelegenbeit, Einsicht in einen Bries zu nebmen, den ein Unterleutnant eines Schiffes der russischen Ostseeflotte an seinen in London lebenden Vater sandte. Nachdem darin festgestellt ist, daß der größte Teil der Offi ziere und der Mannschaft betrunken war, was zur Folge hatte, daß die Flotte außer Kurs geriet, heißt e- in dem Brief weiter: „Wir wußten, daß wir außer Kurs waren, und fürchteten jeden Augenblick aufzulaufen. Plötzlich wurde Alarm gegeben, und in der darauf folgenden Verwirrung kollidirten mehrere Schiffe deS Arriere-GeschwaderS. Inmitten der Konfusion stießen wir, wie wir annahmen, auf eine Flot tille Torpedoboote, und da wir Befehl batten, auf jedes verdächtige Fahrzeug zu feuern, richteten wir unsere Geschütze darauf und versenkten mehrere. Hier in Cherbourg erzählt man uns, daß die Schiffe, auf die wir feuerten, britische Fischerboote waren. DaS kann schon sein, da die Verwirrung in unserer Flotte so groß war. Die Schüße wurden auch nicht erwidert. Spät Nachts aber fand ein Wechsel von Schüssen zwischen unserem Schiff und einem anderen statt, und erst als ein kleines Geschoß an Bord flog, daS nicht explodierte, bemerkten wir, daß die Munition russische sei, und daß ein Versehen begangen wurde, und daß wir aufeinander gefeuert batten. Wir batten mehrere Verwundete. Kannst Du Dir eine unglücklichere Geschichte denken? Aber es ist nicht über raschend. Jeder vom Admiral abwärts scheint so demo ralisiert und ohne Herz und Hoffnung." Damit wären die abenteuerlichsten Darstellungen bestätigt. Hiergegen ist die „Birschewiza Wjedomosti" ermächtigt, mitruteilen, daß daS in der ausländischen Presse verbreitete Gerückt, RoschdjestwenSky habe während des Vorfalles in der Nordsee auf eigene, russische Torpedoboote gefeuert, welche angeblich hinter dem Geschwader zurückgeblieben waren und dasselbe zu erreichen juckten, die reinste Erfindung sei. Ebenso erfunden sei, daß ein Torpedoboot in den Grund gebohrt und ein zweite» beschädigt worden sei. Ein englischer Vorschlag. Der englische Botschafter in St. Petersburg unterbreitete gestern, wie ein Telegramm behaupte!, dem Grafen Lambs dorff den englischen Vorschlag über die Zusammensetzung deS Untersuchungsausschusses. Er soll auS 1 Engländer, 1 Russen, 1 Franzosen und 1 Amerikaner bestehen, die ru- sammen das fünfte Mitglied ernennen, wozu wahrscheinlich ein Deutscher gewählt wird. Da» Aabinet in der Gesamtheit. Die „Preß Association" hört, daß der gestrige Kabinett»- rat einige Fortschritte zur Vorbereitung der Verhand lungen für das internationale Schiedsgericht gemacht habe; es sei nicht unwahrscheinlich, daß weitere Beratungen der Minister notwendig seien, da man die Empfindung daß alle wichtigen Schritte unter den augenblicklichen Um ständen vom Kabinett in der Gesamtheit verant wortet werden müßten. Auch hier kommt der Wunsch, die Situation zu beschweren, zur Geltung. Vie „Umklammerung". Die „Morningpost", die in der Affäre von vornherein am kräftigsten schrie, behauptet heute, eS seien Maßnahmen getroffen worden, die baltische Flotte während der Fahrt nach den: fernen Osten zu überwachen. Dieses Wächteramt werde nacheinander durch die Kanalflotte, durch daS Mittelmeer- und das ost in bische Geschwader ausgeübt werden. Wenn nötig, werde das indische Geschwader zu diesem Zwecke Schiffe nach den westlich von seinen Stationen gelegenen Punkten abaehen lassen, damit die Ueberwachung keine Unterbrechung erleide. Bei der Erteilung der Instruktionen an die englische Flotte sei angenommen worden, daß die russischen Schiffe ihren Weg durch den Suezkanal nehmen werden; aber selbst wenn sie um das Kap führen, würden sie umklammert werden. Durch welche Hintermänner glaubt sich die „Morning Post" zu diesem Größenwahn berechtigt? Feuilleton. Die heilige Caeeilie. ISj Roman von Marie Bernhard. Nachdruck derbsten. Oswald war innerlich wütend. Statt nun hier im schönen Sonnenschein neben Annemarie, diesem „Herz käfer", herzugchcn, während sie Johann Sebastian Bach und e r Annemi Lombardi studierte, palt es jetzt, mit der einen alten Tante zu der andern zu fahren und womöglich noch eine Krankenvisite zu machen, — für ihn der Schrecken aller Schrecken! Da half aber nichts! Onkel und Tante Ringhaupt hatten den meisten Mammon, folglich das meiste Ansehen in der Familie, — der alte Herr hatte einmal in aller Stille zweitausend Mark für den genialen Neffen beglichen, — ein etwas peinlicher Posten war es gewesen, Pariserischen An- gedenkens, von dem Papa und Mama Mentzel beileibe nichts wissen durften, .... solche Leute behandelt man mit Zartheit! — Also nahm Oswald seine Bibermütze noch einmal vor Annemarie ab, verbeugte sich und hielt ihr Händchen einen Augenblick fest, während er ihr be deutsam und tragisch ins Gesicht sah, — dann stieg er rasch und leicht in den eleganten Wagen. Frau Babette Ringhaupt war wirklich gutherzig, sie hatte auf ihre Art Annemarie Lombardi auch gern. Aber das fiel ihr nicht ein, das kleine Ding, wie es nun so verlassen am Wege stand, auch in ihren schönen Wagen hineinzunehmen und des Genusses einer Spazier fahrt teilhaftig werden zu lassen! Sie nickte dem Mädchen gönnerhaft - freundlich zu, während sie Oswald leicht mit dem Finger drohte und ihm ein paar Worte sagte, die nur er verstehen konnte und die er mit seinem hübschen, schelmischen Lächeln beantwortete. So sehr schelmisch war ihm nicht zu Mute! Armes, süßes, kleines Mädchen, — nun mutzte er es allein lassen! — „Nach der Jnvalidenstrahe, Martin! Zu Herrn Vollmar! Und rasch!" Die Apfelschimmel nickten mit den Köpfen und griffen aus. Fort ging es im schnellsten Tempo, und Annemarie Lombardi konnte sich nun die Denkmäler in der Sieges- Allee allein weiter ansehen, wenn sie dazu Lust hatte! Zehntes Kapitel. In der Leipziger Straße schoben und drängten und stauten sich die Menschen. Pulsader des Berliner Verkehrs — schönes, Helles Winterwetter, — Weihnacht in Sicht, — alle Schaufenster daraufhin frisch dekoriert mit dem Hübschesten und Verlockendsten, was man hatte. Reizend also! Die Damen steckten die Köpfe zusammen und bewunderten, die Herren seufzten ein bißchen und dachten an ihr Portemonnaie. Das Fest würde wieder 'mal 'nen schönen, runden Batzen kosten! Es sah alles so unglaublich billig aus, — gar kein Preis für diese hübschen Dinge! Aber — aber! Das kannte man schon! Entweder kaufte man die billigen Sachen in solcher Masse, daß doch ein großes Stück Geld dabei herauskam, oder die Damen liebten, diese wohlfeilen Artikel nicht! „Das ist gut für die Leute aus der Provinz! W i r können doch dergleichen nicht tragen!" — Also wurde bei Gerson oder Unter den Linden eingekauft, — nicht in Massen, sondern mit Austvahl, — aber für den Geldbeutel war dieser zweite Weg noch dornenvoller! Durch das Menschengewühl, zu dem die Provinz in der Tat ein ganz bedeutendes Kontingent stellte, schlän gelten sich zwei junge Herren, die wohl des Ansehens wert waren und tatsächlich auch des öftern ange sehen wurden. Beide schlank, gut gewachsen, — sehr elegant der eine, der diese sorglos frohe Miene zur Schau trug und ein hübsches, offenes Gesicht hatte, .... einfach gekleidet der andere, ernst und in sich gekehrt, kaum auf das hörend, was sein Begleiter sprach; aber klug sah er aus und sehr anziehend, ein Gesicht, wie es namentlich die reiferen Frauen gern sehen. Frank Holbein und HanS Kühne, — natür lich wieder im besten Einvernehmen! Streitfragen, wie die neuliche, waren ihnen nichts fremdes, sie hatten solche früher beinahe jedesmal miteinander ausgefochten und begruben immer das Kriegsbeil nur „einstweilen", — beide sicher, daß es bei nächster Gelegenheit sofort wieder zum Vorschein kommen mußte. Das hinderte nicht, daß man sich gegenseitig sehr gut leiden konnte und stets freute, wenn man einander traf, wie eben jetzt, da Frank seinen Freund mit sich schleppen wollte, um ihm endlich sein Atelier zu zeigen. „Höchste Zeit, daß du es siehst! Wird dir schon ge fallen! Ist in meinem eigensten Geschmack eingerichtet und dekoriert! Fehlt natürlich noch dies und jenes darin, aber gerade daS macht Scherz, sich gute Stücke allmählich zusammcnzuholen. Ich habe da einen guten Freund in Holland, — der soll mir von Amsterdam her ein paar Fetzen „echt bemalte Leinewand" herüberschicken, — das will ich mir leisten, das „stimmt" merkwürdig bei der Arbeit! Du kannst dir das denken, — wie?" „Ob ich kann! Solche „Stimmgabeln" möchte mancher Mann haben wollen! Unsereins könnte das auch gebrauchen!" „Na erlaube! Rembrandts „Anatomie" möchtest du dir am Ende doch nicht in dein Zimmer hängen wollen!" „Warum nicht? Ein Fest für die Augen ist's nicht gerade, — aber für den Intellekt." — „Genug Feste für die Augen hier rund um uns her!" unterbrach ihn der Amerikaner und faßte ihn fester unter den Arm. „Laß' mich nur die Führung übernehmen, — laß dich getrost von mir steuern, sonst kommst du heute doch noch unter die Räder. Du bist wieder 'mal gründlich absorbiert!" Das traf zu. Hans hatte heute früh etwas erlebt, etwas merkwürdiges, das ihm fort und fort durch die Gedanken ging. In dem Hause, in welchem er wohnte, — nüchtern, reizlos, billig! — gab es eine kranke ältere Dame; er wußte von ihr, wie ein Hausbewohner eben vom andern weiß. Sie lebte mit einer verblühten Tochter, die Kunst stickereien fertigte, hatte ein sehr schweres, mühevolles Leben hinter sich und es hieß von ihr, ihre Nerven wären nahezu aufgerieben; sie hatte lange Jahre hindurch Musikunterricht erteilt, oft bis zum späten Abend, um nur leben zu können. Da sie keine Koryphäe war, so wurde sie natürlich schlecht bezahlt. In der letzten Zeit war der Arzt sehr häufig zu ihr gekommen, .Hans Kühne hatte den älteren Kollegen fast täglich auf der Stiege getroffen und gegrüßt. Heute früh nun hatte der junge Arzt in der Etage unter seinem Zimmer ein durchdringendes, andauerndes Schreien gehört, — dann war die Tochter der alten Dame notdürftig bekleidet, zu ihm bereingcstürzt: die Mama habe einen so schrecklichen Nervenkrampf, — ihr Hausarzt sei jetzt auf Praxis, vor drei Stunden könne man seiner nicht habhaft werden ob Herr Doktor sich nicht er ¬ barmen wolle und helfen! Natürlich wollte er, er wußte nur nicht, ob er es können würde! Das'Fräulein erzählte ihm auf der Treppe in fliegender Eile, die Mutter könne absolut nicht schlafen, der Arzt habe zuerst harmlose, dann immer stärkere Mittel versucht, in jüngster Zeit auch die bekann- ten Narkotika angewandt, — alles ohne Erfolg; und eben diese anhaltende Schlaflosigkeit reibe die achtund- echzigjährige Frau vollständig auf und habe jetzt den ent- setzlichen Nervenanfall verschuldet. Hans sagte sich selbst, während er das verstörte Fräu lein mit ein paar tröstenden Worten zu beruhigen trach tete, daß hier schwerlich viel zu machen sei. Als er neben i dem Krankenbett stand, die zuckenden Hände der armen, l angstvoll schreienden Frau in die seinen nahm und sich
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