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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041105021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904110502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904110502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-11
- Tag1904-11-05
- Monat1904-11
- Jahr1904
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redattionsstrich (-gespalten) 75 nach den Familieunach» richten (6gespalten) 50 -H. Tabellarischer und Ztffernjatz werden ent sprechend höher berechnet. Bebühren für Nachweisungen und Offerten- annahme 25 Annahmeschlutz für Anreisen. Abend«Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Au-gabr: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Ertra-Vetlagea (nur mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Poft in Leipzig (Iah. Dr. B„R. L W. Kliukhardt). Nr. 565 Tonnabend den 5. November 1904. 98. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Der frühere Präsident der Dresdner Handels kammer, Geh. Kommerzienrat Hultzsch, ist heute früh plötzlich gestorben. (S. Bolksw. Teil.) * Bet dem Untersang des Dampfers „Gironde" an der Küste von Algier find, wie jetzt festgestellt ist, Ist? Personen umgekommcn. * Die Krawalle in Innsbruck sind bis zur heutigen Nacht so maßlos geworden, daß der Statthalter Schwartzenau, dessen Haus angegriffen worden ist, nach Wien abreiste. Die Gemeindeverwaltung von Innsbruck und der Grazer Landtag haben Beschlüsse gefaßt. (S. Ausland.) * Der französische Journalist und frühere Deputierte Paul Granier de Cassagnac, Sohn des Bonapartisten, ist in Paris an Blinddarmentzündung verstorben. (S. Ausland.) * In Gibraltar sind zwei englische Schlachtschiffe in See gegangen, nachdem die Mannschaften plötzlich an Bord berufen worden waren. (S. ruff.-engl. Konflikt.) Rugurt Niems«« über reine« „MItlrkieg". Herr August Niemann ersucht uns um die Aufnahme folgender Zuschrift: -Das „Leipziger Tageblatt" hat meinen Roman „Der Weltkrieg" von einem Standpunkte aus angegriffen, den jeder denkende und fühlende Mensch nur billigen kann, nämlich vcn dem Standpunkte aus, daß der Frieden besser ist als der Krieg, und daß demzufolge solche Schriften, die Feindschaft zwischen den Nationen erregen anstatt die Friedensliebe zu fördern, verwerflich sind. Warum also, wenn ich hier zustimme, habe ich einen zukünftigen Weltkrieg geschildert? Aus folgendem Grunde: Seit den Bismarckschen Kriegen drängt das größte der germanischen Völker, das deutsche Volk, zu einer Weltmachtstellung hin. Das doku mentieren schon die überseeischen Erwerbungen und der Bau einer Kriegsflotte. Einen Gegner aber finden wir bei solchen Bestrebungen in England. Die englische Politik ist sehr einfach zu kennzeichnen: England ist immer der Gegner der Mächtigen, weil es selbst der mächtigste Staat sein will. England hat die niederländische Macht gebrochen, das spanische Weltreich zerstört und ist seit zwei Jahrhunderten mit Erfolg be- müht, Frankreichs Macht zu brechen. Seitdem Rußland ihm ein Konkurrent in Asien geworden ist, bekämpft es auch Rußland. Da England keine Landmacht besitzt, die stark genug wäre, mit Militärmächten auf dem Lande zu kriegen, sc sucht es stets kontinentale Allianzen und be nutzt die eigenen Streitkräfte nur als Zünglein an der Wage, um in den Kriegen der Mächte untereinander den Ausschlag zu geben. Diese Rolle ist so dankbar, daß England seit Jahrhunderten alle Kriege der Nationen untereinander begünstigt, während es selbst fast nur gegen farbige Völker kriegt, um sie sich dienstbar zu machen. Auf diese Weise hat England seine Kolonien erworben und umspannt den Erdkreis mit seinen Flotten stationen. Kein Zweifel, daß England uns um so feindlicher ent- gegentritt, je mehr wir uns zur Weltmacht entwickeln. Sollten unsere Kolonien gewinnbringend werden und sich vergrößern, sollte unsere Flotte vcn Gewicht in der Wage der Weltgeschichte werden, so würden wir den Krieg mit England haben, den wir dann voraussichtlich nicht mit England allein zu führen hätten. Bei solcher Anschauung der Weltlage fiel mir ein eng. lischer Roman in die Hände, „Tbo lünal von Stacy. Romane geben oft ein besseres Bild der Volks- stimmung als Staatsakten. Die Engländer haben eine Art von Roman, die wir noch nicht kennen, den geo graphischen und militärisch-pclitischen Roman. Wie vor dreißig Jahren „Ide Lai-tst ok Dca-Kin«" die Landung einer deutschen Armee in England, so schilderte Stacys „rinsl -en Angriff Englands auf die drei Kon- tinentalmächte Frankreich, Deutschland und Rußland. Natürlich siegt England. Des Engländers liebster Traum ist England auf dem Throne der Welt, alle anderen Nationen als Vasallen. Die Ueberhebung des Engländers erschien mir so groß, daß ich zur Berichtigung seiner Unterschätzung der Machtmittel anderer Völker einen Roman schrieb, der weniger eine Entgegnung als ein Unterrichtsmittel sein sollte. Ich gedachte dem deutschen Volke die politische und strategische Lage der Welt klar zu machen. Die Eng- länder haben meinen Roman „Der Weltkrieg" auch ganz richtig aufgefaßt. Er ist sogleich übersetzt worden und findet eine sachgemäße Beurteilung. Von Haß oder leidenschaftlicher Erregung habe ich in den englischen Blättern nichts gefunden. Die Engländer kennen aber schon derartige Romane. Also hoffe ich und glaube ich ganz entschieden, patriotische Arbeit getan zu haben, als ich meinen im eigenen Vaterlande vielfach so hart verurteilten Roman schrieb — wenn ich auch gern zugebe, daß die Welt ein schöneres Bild gäbe, sähe man die Nationen um den höchsten Preis der Gerechtigkeit anstatt um Weltmacht- stellung ringen. Herr August Niemann hatte in liebenswürdigster Fo-rm an unseren Edelmut appelliert — wer hätte da widerstehen können? Aber unsere Tugend geht nun freilich nicht weit genug, daß wir nicht in wenigen Werten unsere eigene Meinung zu dem Thema sagen möchten. Also: Herr August Niemann hält uns für edel- und sanftmütiger, als wir sind. Wir sind gar nicht die Friedenssckwärmer mit dem Stich ins Suttnersche Himmelblau, für die uns der weltkriegerische Autor hält. Wir meinen vielmehr, daß die Kriege sich noch lange nicht aus der Welt schaffen lassen werden und daß Verweich lichung nicht am Platze ist. Nur gegen das Eine wenden wir uns, daß durch literarische Erzeugnisse, und noch dazu in Zeiten ernster Spannung, zu den schon reichlich vor- hanüenen internationalen Reibungsflächen künstlich neue geschaffen werden. Noch mehr als durch den Niemann- schen Roman selbst ist das in diesem Falle durch die Art der Reklame geschehen. So wurde z. B. verbreitet. Eng- land vermehre bereits wegen des Riemannschen Buches seine Landmacht. Und dann, Herr Niemann, noch ein Wort im Vertrauen: Es gibt gewisse Dinge rm Privat- wie im Staatsleben, über die man nicht gern und jeden falls nicht eher redet, als bis sie die Oeffentlichkeit ver tragen können. Dazu rechnen wir auch die von Ihnen prophezeite unumgängliche Notwendigkeit einer kriege rischen Auseinandersetzung mit England. Deshalb halten wir, bei allem Respekt vor der zweifellos patriotischen Tendenz des Riemannschen Romans, den „Weltkrieg" nach wie vor für ein Werk, dessen Risiko man verstän digerweise Autor und Verlag allein tragen läßt. Sinte malen auch wir der Meinung sind, daß noch heute gilt, die Nation habe die von der Presse eingeworfenen Fensterscheiben zu bezahlen. Vie Reäaktiou. ver rurrizch-««gttrcde fionMt. Vie Entschädigungssumme. Eine Londoner Depesche gibt jetzt an, die von Rußland angebotene Entschädigung von 1 Million Rubel werde dort für ungenügend befunden, da 50 Fischer boote auf ihren Zustand hin untersucht werden mußten. Der Meldung fehlt durchaus der offizielle Charakter. Englische Operationen in Gibraltar. So wie um den Termin des letzten Alarms meldet ein Reutertelegramm aus Gibraltar, vier englische Linienschiffe hätten Befehl erhalten, unverzüglich inSee zu gehen; inan glaube, daß sie nach Westen gehen würden. Nach einem zweiten, genaueren Reuter telegramm haben auch die Schlachtschiffe „Victorious" und „Magnificent" plötzlich Befehl erhalten, in der Straße von Gibraltar zu patrouillieren. Die Mannschaften beider Schiffe, die auf Urlaub au Land waren, wurden sofort an Bord gerufen. Beide Schiffe gingen abends in See. In Langer verlautete, die russische Flotte werde Tanger am Freitag abend verlassen ver Russland i« ZiidmrtaMsa. Vie militärische Lage. Man hat die telegraphische Meldung aus Kapstadt, daß 400 nach Britisch-Betschuanaland übergetretene Herero dort von den Engländern entwaffnet seien, in Verbindung gebracht mit einer kürzlichen telegraphischen Meldung des Generals v. Trotha, und hatte die in zwischen bereits von amtlicher englischer Seite demen tierte Behauptung, unter den Entwaffneten befänden sich die Hererokapitäne, hinzukombiniert. Ein Blick auf die Karte genügt, um uns zu zeigen, daß aus dem Teile von Britisch-Betschuanaland, nach dem allein die Herero ent wichen sein können, Nachrichten nach Kapstadt erst über haupt in etwa sechs Wochen gelangen können. Es kann sich daher, wie die „Köln. Ztg." hervorhebt, nur um dis früher erwähnten Herero, die schon vor Monaten die Grenze übersäpitten, handeln. Würden wirklich 400 Krieger entwaffnet, so würde eine Hereroansammlung, Frauen. Kinder, Greise mit eingerechnet, von mindestens 1500 bis 2000 Personen vorhanden gewesen sein. Die bisher vorliegenden amtlichen Nachrichten geben kaum sicheren Anhalt dafür, welche Hereromassen nach dem Ge fecht am Waterberg weiter über die Grenze abgewandert sind. Auch wird man sicher noch nichts Bestimmtes dar über wissen, ob und welche Hererokapitäne sich zur Zeit auf englischem Gebiet befinden. Die Nachricht von der Entwaffnung weist erfreulicher- weise darauf hin, daß die englische Regierung nicht ge willt ist, zu dulden, daß die rm Besitz von Waffen befind- lichen Herero in gefahrdrohender Nähe der deutschen Grenze sich aufhalten. Daß die englische Regierung sich zur Auslieferung der Rädelsführer des Aufstandes herbei« lassen wird, wagen wir kaum zu hoffen. Wohl aber wir fst durch freundnachbarliche Verhandlungen veranlaßt werden können, wie wir es seinerzeit mit Len nach Deutsch- Östafrika aus -em englischen Mombassagebiet über getretenen Leuten des aufrührerischen Scheich Mbaruk gemacht haben, sämtliche übergetretene Herero zu ent waffnen und sie in einer der Grenze ferner liegenden Gegend anzusiedeln. Wir unsererseits sollten nun so bald wie möglich die schuldigen Kapitäne und Haupt- beteiligten an Europäermorden für vogelfrei erklären und dem Ansehen der einzelnen entsprechend Prämien auf ihren Kopf setzen. Dann wird auch ein formeller Friedensschluß oder Friedensverhandlungen überflüssig, da die versprengten bedeutungslosen Hererogruppen den Gegenstand solcher Verhandlungen nicht bilden können. Das Damaraland muß noch längere Zeit im Kriegs- zustande bleiben. Räuberische Herero müssen eifrigst verfolgt und auf noch bekannt werdende besondere Uebel- täter müssen auch später Preise gesetzt werden. Zur Sicherung des Landes sind einige Zeit gut besetzte Polizei- stationen neu anzulegen. Herero, die keine Waffen führen und friedlich erscheinen, sind allmählich in Re- servate unterzubringen. Hierbei wird es sich anfangs jedenfalls nicht vermeiden lassen, daß man ihnen, natür- lich gegen Arbeit als Gegenleistung, auS Staatsmitteln Nahrung beschafft. Bei der allmählichen Pazifizierung des Landes werden die Missionare gute Dienste leisten können. Der Widerstand der Herero hat, wie das ja immer von Kennern der Verhältnisse vorausgesagt wurde, ein fach aufgehört, weil die Herero sich verschaffen und keine Gelegenheit hatten, ihren Patronenvorrat zu ergänzen. Dieselbe Beobachtung wird man auch bei den Hottentotten machen. Aber hoffentlich wird man bei ihnen wohl nicht in den Fehler verfallen, den eigentlichen Angriff zu weit hinauszuschieben. Den Farbigen imponiert eben nur der Erfolg, sonst glaubt er nicht an die Uebermacht der Europäer, und man wird wohl sicher nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß unsere langsamen und geringen Erfolge gegen die Herero die Witboi und ihnen nahe- stehende Hottentotten mit zum Aufstande verleitet haben. Noch sind anscheinend die tüchtigsten Hottentottenstämmc, die Bersaba- und Bethanierhottentotten, der deutschen Negierung treu, aber, wenn sie nicht wankend werden sollen, brauchen wir schnelle Erfolge. Man sollte von vornherein gar nicht annehmen, daß es sich um einen lang- wierigen, schwierigen Krieg im Süden handeln kann. Der eigentliche Krieg wird bald zu Ende sein. Dann Feuilleton. Die heilige Caeeilie. ir j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. „Wie ein Weihnachtsmann sehen Sie aber gar nicht aus!" Tas hatte sie noch gesagt, — aber dann schlug Frau Vollmar den schweren Gobelinvorhang, der die Fensternische vom Zimmer trennte, zurück und spähte mit gierigen Naubvogclaugen hinein, — da war das Gespräch zu Ende gewesen! Nein. — einem alten, gemütlichen Weihnachtsmann hatte er ganz und gar nicht geglichen, der schöne, elegante Oswald Mentzel! Etwas war in dieser Minute an ihm gewesen, was Annemarie gründlich mißfallen hatte, ob schon sie nicht mit Worten zu sagen gewußt hätte, was es war! Konnten es seine Augen gewesen sein, die so eigentümlich geglitzert hatten, oder die Tatsache, daß er dem Mädchen so nahe kam, oder sein Versuch, ihre Hand zu fassen, oder seine Anrede „gnädiges, kleines Fräulein", und dazu diese Unruhe, daß doch nur niemand sie beide sah! Nein, — damals, in der Sieges-Allee, als sie miteinander die Denkmäler studierten, hatte er ihr viel besser gefallen, — daran mußte sie noch zuweilen denken! Seitdem hatte sie ihn sehr oft gesehen, er war häufig in den Familien, die sie zu Tisch besuchen mußte, erschienen, aber nie hatten sie ein Gespräch miteinander führen können, das über die flüchtigsten Anfänge land- läufiger Redensarten hinauskam, — regelmäßig war irgend jemand zufällig dazwischengetreten. Von allen Seiten aber bekam Annemarie es in letzter Zeit zu hören, wie fleißig -er geniale Herr jetzt sei und wie Familie und Publikum demnächst etwas neues, nie dagewesenes zu hören bekommen solle, — und dann, ja, dann könne es Oswald Mentzel nicht mehr fehlen! — Sie würde es auch gern gehört haben, die kleine, musikalische Annemarie, dies „neue, nie dagewesene",... aber, natürlich, dazu gab es keine Aussicht! — Die Flurglocke, — schrill und laut! Wie das Mädchen zusammenfuhr! Seit wann war sie denn so schreckhaft? Ob auch Agnes zur Stelle war, die Tür zu öffnen? Sie glänzte sehr oft durch Abwesenheit, die kleine Zofe, sie hatte zu viel Pflichten hier im Pensionat, — anbefohlene und freiwillig übernommene! — Sollte sie am Ende selbst Nein! Unnötig! Es kamen Schritte den Korridor entlang, — jetzt Agnesens Stimme: „De zweite Türe links, — bitte, man dreiste zu kloppen, Fräulein Lom- bardi is schon auf 'n Posten!" „Annemi, — guten Abend! Da sind wir! Hans hat noch im letzten Augenblick zurückzupfen wollen, es sind ihm allerlei Bedenken aufgestiegen, — aber ich hab' ihm gesagt" — „Nun laß' doch, Asta! Guten Abend, Annemarie! Wie warm und hübsch es bei dir ist!" Hans Kühne hielt das niedliche Händchen seiner Jugendgespielin in seiner Rechten und nahm sich vor, den Liebreiz, der von dem holden Geschöpf ausging, recht unbefangen auf sich wirken zu lassen! Ist das aber die richtige Unbefangenheit, die man sich erst „vornehmen" muß? „Warm schon, .... dafür konnte ich sorgen, .... aber hübsch?" gab Annemarie auf des Doktors letzten Ausruf zurück. „Ich mußte eben zufrieden sein, wie ich es hier vorfand, ich konnte daran nichts ändern. Komm,' Asta, zieh' deinen Mantel ab. Was sind das denn für Bedenken gewesen, die dir gekommen sind, HanS?" „Du siehst, sie waren nicht sehr schwerwiegend, denn ich bin hier!" wich er ihr aus, — eben trat auch Agnes mit einer Kanne dampfenden Wassers ein. Sie warf einen sondierenden Blick auf den „Jugendfreund", den sie ini Flur nur flüchtig zu mustern vermocht hatte. Nicht übel! Kein Gigerl, — nichts Elegantes, — aber er machte sich! Er sah so aus, als hätte er es in sich! — Die junge, blonde Dame entsann sich, Agnes schon mehr- fach als Besuch Fräulein Lombardis gesehen zu haben, — ob sie aber die Schwester des „Jugendfreundes" war, das blieb unerwiesen. Aehnlichkeit hatten die beiden nicht miteinander! Recht in ihrem Element war Annemarie, als sie jetzt ihre Gäste bedienen durfte, — ein reizendes Haus- geistchen! Den Tee schwach oder stark, — wie viel Zucker in jede Tasse, — ob etwas Sahne hinein sollte, — wichtige Fragen, — und wie nun alles erledigt war und sie glück- lich lächelnd in einer Ecke des harten, kleinen Sofas saß, in ihrem roten Kleidchen, warm vom Lampenlicht be- schienen, nun halte dir selbst Wort, Doktor Hans Kühne, und laß' diesen Anblick recht unbefangen auf dich wirken! Bitte, — so recht unbefangen! „Hat deine Mutter wieder einmal geschrieben, Asta, und sagt sie etwas von meinen Lieben, — bitte?" „Gut, alles gut, kleine Annemi! Der Vater arbeitet fleißig und ist gesund, die Kinder gedeihen, Lina Grüne- waldt regiert mit Erfolg. Selbst das Karlemännchen hat sich gut an sie gewöhnt und betet nicht mehr jeden Abend: „Lieber Gott, — meine Annemi soll bald wieder- kommen", — hast verstanden?" Sie lachten alle drei, Annemarie etwas gezwungen. „Er wird mich vergessen!" sagte sie mit umflorter Stimme. „Ach wo! Dafür ist schon gesorgt! Dein Name geht ja den ganzen Tag von Mund zu Mund! Nein, nein, ich habe noch Tee, du darfst nicht aufstehen! Da eS aber einmal geschehen ist, — sich bloß, Hans, ist sie nicht ein ganzes Stück gewachsen, die Kleine? Und so rosig ge-1 worden, — gar nicht mehr so durchsichtig blaß!" Es war nicht schön von Asta, ihren Bruder noch I ertra auf Annemaries vorteilhafte Veränderungen auf-! merksam zu machen! Er hatte sie ohnehin bemerkt! Bleibe du nur hübsch unbefangen, Doktor Kühne! „Wollen uns gegenseitig unsere Erlebnisse erzählen, ja?" fragte Annemarie und sah mit glänzenden Augen von einem zum andern. „Wer fängt an? Du, Asta, nicht wahr? Hans, wenn du keinen Tee und keine Cakes mehr magst, darfst du dir eine Cigarette anzünden, — hier ist auch Feuerzeug!" „Danke vielmals! Wenn Ihr beide mir helfen wollt" — „Ich soll natürlich nicht, — ich singe ja! Aber heute ist eine Ausnahme — und Euch zur Gesellschaft — Hans, entsinnst du dich, wie du Asta und mich eingeraucht hast vor Jahren in Eurem Garten?" „Und ob ich mich entsinne! Oben auf dem Pflaumenbaum, nicht wahr? Der hatte so schöne, breite Gabelzweige, da saß man wundervoll bequem!" „Unsere Mutter war nachher schön böse!" lachte Asta. „Was sich für einen Studenten passe, das sei noch lange nichts für ein junges Mädchen und für einen Backfisch! Ob wir unS denn nicht schämten?" „Und da sagst ich: Kein bißchen, Tante Kühne, — und unwohl ist uns auch nicht geworden!" Damit spitzte Annemarie die Lippen und hielt ihre Cigarette gegen die des „Jugendfreundes", um Feuer von ihm zu bekommen. „Also, Asta" „Kinder, ich hab' nicht viel erlebt! Lernen, lernen, daß einem der Kopf raucht, — ein paar Probelektionen gegeben, die ganz gut aussielen, — Krach mit meiner Wirtin gehabt, mich wieder mit ihr vertragen, — eine nette Kollegin eingebüßt, — blutarm, nervös, schon jetzt in tausend Aengsten vor dem Examen, das doch noch Dreivierteljahr Zeit hat, — Masern bei uns im Hause, — ein kleines, blödsinnig dummes Kind von neun Jahren, dem ich Nachhilfestunden gebe, Honorar zwei Mark die Woche, — dafür die Arbeit von zehn Pferdekräften, . . ,
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