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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.10.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041026023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904102602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904102602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-26
- Monat1904-10
- Jahr1904
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Anzeigen-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (»gespalten) 75 nach den Familiennach richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsay entsprechend höher. — Gebühren lür Nachweisungen uno Lfferlenannahme 25 H. Annahme,chluf; für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. tSxtra-Bcilagrn «gefalzt), nur mit der Morgen-A.sgabe, ohne Postbeförderung 60.— m t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind sie.» an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Pol; in Leipzig «Iub. l)r. V., N. k W. Klink Hardt). Mittwoch den 26. Oktober 1904. 98. Jahrgang. Vas Mehligste vom läge. * Im preußischen Abgeordnetenhaus« steht heute die Mirbach-Interpellation zur Beratung. * Der Reichstagsabgeordnete für Thorn, Re dakteur BrefSki, wird demnächst sein Mandat nieder legen. (S. dtsch. Reich). * Nach einer Londoner Depesche hat der Zar eine Bei leidsdepesche an Eduard VII. gesandt. Ueber die Ver zögerung der amtlichen Entschuldigung Rußlands haben der Kolonialsekretär und der erste Krrv der Admiralität sich scharf ausgesprochen. Das englische Kanal- und das Mittelmeergeschwader sollen Zusammenwirken; auch das spa nische Marineministerium trifft Gegenmaßnahmen. (S. den besonderen Artikel.) * In Tanger ist ein englisches Kriegsschiff mit dem englischen Gesandten an Bord eingetrossen, das nicht eher abreist, bis die Angelegenheit des Kriegsministers Menebhi erledigt ist. (S. Ausland.) Vie knllvirlrelung Oer katholischen Visen in vavern. Aus München 25. Oktober, wird uns ge schrieben: Eine der mächtigsten Stützen des Ultramontanisnins sind die katholischen Ordensgesellschaftcn. Tas weiß die römische Kirche sehr wohl, und darum sucht sie die Aus breitung solcher Gesellschaften nach Kräften zu fördern. Mit welchem Erfolge dies geschieht, kann man reckt deut lich aus der Entwickelung des katholischen Ordenswesens in Bayern erkennen, wo es im Anfänge des vorigen Jahr hunderts fast gänzlich aufgehoben war, jetzt aber wieder in vollster Blüte steht. Dank der Begünstigungen, die ihm seit König Ludwigs I. Zeiten von höchster Stelle aus in reichem Maße stetig zuteil geworden sind. Tie Herstellung w"iger" Ordensklöstcr beiderlei Geschlechts zum Unter- richt der Jugend in Religion und Wissenschaften oder zur Krankenpflege hatte König Maximilian I. Joseph in dem 1817 mit Papst Pius VII. abgeschlossenen Konkordate zugesagt. Aus diesen „einigen" Lrdensklöstcrn lvaren am Ende der Regierung Ludwigs I. im Jahre 1848 bereits 161, beim Tode Mar II. im März 1864 nicht weniger als 441 und ein Jahrzehnt später unter König Ludwig II. 620 Ordcnsniedcrlassungen mit 6148 Mit gliedern geworden, wovon 96 Niederlassungen mit 1094 Mitgliedern auf Männerorden und 524 Niederlassungen niit 5024 Mitgliedern auf Frauenorden entfielen. Tiefes Wachstum ist seitdem stetig fortgeschritten, etwas langsamer bei den Männerorden, in einem gerade zu beängstigendem Umfange bei den Frauenorden. Nach einer auf Grund der amtlichen Schematismen der acht bischöflichen Diözesen Bayerns angefertigten Uebersicht bestehen im laufenden Jahre 1904 in Bayern 10 Männer orden mit 131 Niederlassungen und 2048 Mitgliedern, von Frauenordcn sind 19 vertreten mit 1042 Nieder lassungen und 12 974 Mitgliedern. Im Laufe von drei Jahrzehnten hat sich also die Zahl der Ordensnieder lassungen in Bayern nahezu verdoppelt, die Zahl der Ordensleute aber um mehr als das Doppelte gesteigert; denn im ganzen sind gegenwärtig 1171 Ocdensniedcr- lassungen mit 15 022 Ordensleuten vorhanden. Am be denklichsten ist hierbei die Zunahme der Franenorden, die sich ausschließlich niit Erziehung und Unterricht befassen, der Englischen Fräulein und der Armen Sckulsckwestern. In 188 Niederlassungen sind 2183 Arme Schulschwestcrn tätig. Tie Englischen Fräulein zählen in 19 Mutter häusern mit 65 Filialen 2471 Mitglieder. Kann es da Wunder nehmen, daß der Ultramontanis- mus in Bayern so gewaltige Fortschritte macht? Hülf- rciche Dienste leisten dabei von den Frauenorden auch die Barmherzigen Schwestern in Waisenhäusern, die Benediktinerinnen, die Cisterzienserinuen, die Domini kanerinnen, die Franziskanerinnen, die Missions schwestern der St. Bcnediktus-Gescllsckxlst, die Schwestern vom armen Kind Jesu, die Salesianerinnen, die Servi- tinnen und die Ursulinerinnen, zu deren Ausgaben Er ziehung und Unterricht entweder vornehmlich oder teil- weise gehören. Von diesen Frauenordcn haben die Franziskanerinnen 374 Niederlassungen mit 3432 Mit gliedern, die Barmherzigen Schwestern 122 Nieder lassungen mit 1250 Schwestern, die übrigen zusammen 46 Niederlassungen mit 2035 Mitgliedern, fürwahr eine stattliche Schar von Vorkämpferinnen des Ultramon- tanismus! Vv. L. ver russisch-englische Konflikt. -n. London, 25. Oktober. Selbst der „Standard", der in der ersten fliegenden Hitze die russische Admiralität mit den Kosenamen „clruukaräs nml humtm-i", „Trunkenbelke und Mondsüchtige", beehrt batte, ist beute ziemlich maßvoll. Er drückt seine Freude aus, daß Sr. Majestät Gouvernement keine Zeit verloren und Englands Ansehen gegenüber der bal tischen Flotte gewahrt habe. Das Blatt erkennt an, daß die Minister schleunigst nach London ge reist seien, wie das not tut, ohne auf Balfours Ankunft zu warten, haben die verantwortlichen Departements- Cbefs ihre Maßregeln getroffen. Besonders glücklich ist der „Standard" über das Telegramm des Königs, der sonst nicht die Gewohnheit habe, seine souveräne Person in internationalen oder überhaupt politischen Fragen vorzurücken; hier aber habe ein außerordent licher, sogar einziger Fall bestanden, die Haltung des Publikums ist „wohl unter Kontrolle"; die kleinen Un liebenswürdigkeiten gegen den Botschafter Benckendorff an der Victoria - Station zählen nach dem „Standard" nicht. Nichtsdestoweniger hat die Empörung über die „ stupide Brutalität" der Russen kaum nach gelassen. Man beruft sich daraus, daß die englischen Gefühle in der Vereinigten Staaten, in Deutsch land, Oesterreich Frankreich geteilt werden. Der „ Standard" fügt hinzu, das Ereignis habe nicht überrascht, denn die „Verrottung, Korruption und Demorali sation" sei bekannt gewesen, der Premier hat an den Mayor von Hüll genau die folgenden Worte telegraphiert: „Sie dürfen volles Vertrauen zu der Aktion der Regierung haben, Arthur I. Balfour." Für das Dekorum ist damit bas Un erläßliche geschehen. Es wird heute aus London gemeldet, daß der Zar an König Eduard eine Depesche gesandt hat, worin er sein tiefstes Bedauern über den Vorfall, sowie seine Teil nahme für die toten und verwundeten Fischer ausspricht. Dieses private Bedauern des Monarchen entschädigt nicht für die Verzögerung der amtlichen Entschuldigung. Nach einer VerlegenheitSnote, die von der russischen Bot schaft in London an das Bureau Reuter ge gangen ist, hatte der Botschafter Graf Benckendorff von der Angelegenheit erst gehört, als er auf der Fahrt von Dover nach London war. Und so konnten auch die wesent lichsten Mitteilungen zwischen der Botschaft und der Regie rung in Petersburg erst am Montag abend begonnen werben. Die russische Regierung konnte sie daher nicht vor Dienstag morgen in Erwägung ziehen. Der Botschafter hat es für besonders zu bedauern erklärt, daß sich der Vorfall zu einer Zeit ereignet habe, wo die Beziehungen zwischen Rußland und England herzlicher geworden seien. Sehr provokatorisch Hal gestern der Kolonialminister Lyttelton sich zu Beamington geäußert. Er sagte laut einer Londoner Depesche: Wir müssen die Tat entweder als das Resultat einer mörderischen Absicht oder einer argen Nach lässigkeit betrachten. Das Vorgehen unserer Regierung, die prompte Genugtuung verlangt, ist vollauf gerechtfertigt. Wir müssen alle dasselbe tun, was unsere Regierung in all diesen unruh vollen Zeiten zu tun sich bemüht, nämlich uns durchaus höflich gegenüber der russischen Regierung verhalten, indem wir voll vertrauen, daß sie prompt die Handlungen, über die wir klagen, verwerfe, und indem wir ohne weiteres zugebe», daß der Kaiser von Rußland keine vorherige Kenntnis von der Frevel tat hatte und in keiner Weise Sympathie für sie hat. Dadurch, daß wir so handeln, werden wir zum Frieden des Volkes bei tragen und der internationalen Höflichkeit dienen." Der Erste Lord der Admiralität Earl of Selborne, der gestern abend bei dem Festmahl des Pilgrims Elub zu Ehren des amerikanischen Admirals Iewell und der Offiziere des jetzt in den englischen Gewässern befindlichen amerikanischen Ge- schwalers präsidierte, sagte dabei in einer Ansprache: „Man erwartet von mir einige Worte über das tragische Ereignis in der Nordsee. Es ist eine unentschuldbare Frevel tat begangen worden. Wenn diejenigen, die für einen so schrecklichen Mißgriff verantwortlich sind, Engländer oder Amerikaner waren, so würde England oder Amerika sofort in vollstem Maße um Entschuldigung gebeten haben, jede nur in ihrer Macht stehende Wiedergutmachung dargeboteu und die für den schrecklichen Mißgriff verant wortlichen Personen bestraft haben. Er hege keinen Zweifel, daß auch der Kaiser von Rußland und das russische Volt diesen Weg einschlagen werden." Nicht zufrieden mit dieser moralischen Lektion, hat die Admiralität gestern bekannt gemacht, daß sie nach Empfang der Nachrichten von dem Unglück in der Nordsee am 24. vorläufige Befehle zur gegenseitigen Unterstützung und zu gegen seitigem Zusammenwirken als Vorsichtsmaßregel ge geben habe an das Kanal- und Mittelmeergeschwader sowie an die Flotte in den heimischen Gewässern. Auch die spanische Regierung hat, nach einer halbamtlichen Havas- depcsche, angeorvnet, daß im Hafen von Vigo für die Zeit des Passierens des russischen Geschwaders die Bestim mungen betr. Beobachtung strenger Neutralität zur Anwendung kommen. In Vigo heißt es, eine Hälfte des Geschwaders werte nach Vigo, die andere nach Villa Garcia kommen. Daß man die Russen in Vigo sich verpro viantieren läßt, wird ebensowenig für eine Verletzung der Neutralität angesehen, als andere Staaten eine solche darin gesehen haben, daß sie zuließen, daß Dampfer ihrer Natio nalität den Russen Koblen zuführten. Ein in Vigo ein getroffener Dampfer berichtet, daß er aus der Höhe von Lagos ll englische Kriegsschiffe getroffen habe. — AnS Petersberg meldet das „Petit Journal", die Admiralität habe nunmehr den Bericht des Admirals Roshdestwenskijs erhalten. Ein Dampfer, dessen Nationalität unbekannt sei, habe einen deutschen Hafen mit dem Bestimmungsort Senegal ver lassen, an dessen Bord sich 20 japanische Marine offiziere befanden. Der Dampfer traf am Freitag in Hüll ein, wo die japanischen Offiziere an Land gingen, während das Schiff ohne sie weiterfuhr. Die Offiziere sollen den englischen Fischern Geld angeboten haben, um von ihnen einige Fischerboote zu erhalten, mit deren Hülfe sie beab sichtigten das russische Geschwader unterwegs zu beschädigen. Hiervon sei der Admiral benachrichtigt worden, und daraus lasse sich die Angelegenheit erklären. Mit noch größerer und gehässigerer Phantasie als das Soublatt sucht Herr Hirsch, der Petersburger Eorrespondent des „Eco de Paris", Deutschland in den Vorfall von Hüll hineinzuziehen. Er telegraphiert seinem Blatte, es sei unrichtig, daß die englische Regierung es gewesen sei, die Rußland informiert habe, daß ein japanischer Angriff auf das baltische Geschwader in der Nordsee möglich sei, wie er erst berichtet. Er habe nunmehr aus sicherster Quelle erfahren, daß die fragliche Großmacht Deutschland war. Die deutsche Regierung habe mit dieser Information bezwecken wollen, England und Rußland mit einander zu verfeinden. Herrn Hirschs Erfin dungen sind plaziert worden; das genügt ihm: Zu nennen ist schließlich noch eine militärische Zuschrift an die „Neue Freie Presse", die für den Vorfall folgende seltsame Version hat: „Die Tatsache, daß nur zwei Mann getötet worden sind, spricht schon allein gegen die unhaltbare Vermutung, daß die Russen auf die Fischer geschossen batten, ganz abgesehen davon, daß dies ihnen in ihrer Lage nicht nur nichts genützt, fordern das Freiwerden ihrer Schiffe nur er schwert hatte. Daß beim Sprengen der Fischnetz anlage in der Nacht, in der Eile, in der Bedrängnis nicht allzu zart und fürsorglich vorgegangen worden ist, liegt auf der Hand, und man kann es als ganz sicher annehmen, daß die gelöteten und verwundeten Fischer, sowie die gesunkenen Barken nur die Opfer der Sprengversnche waren, welche die mit Recht oder Unrecht erbitterten Ruffen vornahmen, um die Fahrt so schnell als möglich wieder fortsetzen zu können und die voran steuernde erste Division einzuholen." war Zllle» in -er russischen Marine möglich ist!! Das geradezu unerhörte Vorgehen des russischen baltischen Geschwaders gegen die Hüller Fischerboote wirft u. a. ein sehr eigenthümliches Licht auf die ganze mangelhafte Ausbildung des Stabes des Geschwaders. In diesen Tagen hat der Oberkommandeur der Schwarzmeerflotte Vizeadmiral Tschuchnin über die Ausbildung der Offiziere und Mannschaften der Marine einen Tagesbefehl erlassen. Er zeigt, welche unerhörte Zustände in der russi schen Marine herrschen. Es ist ein sehr langes Akten stück, aus dem wir folgende charakteristische Stellen mitteilen: Während des Manövers hat das aus 40 Schiffen bestehende Feuilleton. Die heilige Caecilie. los Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Oswald Mentzel, das musikalische Genie, bewohnte im Hause seiner Eltern zwei hübsche, große Zimmer. Ec tat dies auf Kosten der Behaglichkeit der ganzen Familie, die sich mit den übrigen vorhandenen Räumen sehr ein zurichten hatte. Die drei Mädckzen waren in ein einziges Zimmer gesteckt worden, was beinahe täglich ein Gegen stand des Aergers oder des Kummers für die Besitze rinnen wurde, die sich untereinander keineswegs ideal vertrugen Man speiste in einen« Raum, der entschieden zu eng war, und die Lage des elterlichen Schlafgemachs war so unbequem wie nur möglich. All dies aber mutzte sein, — es wurde Oswalds Genialität unbedenklich zum zum Opfer gebracht! Dennoch war Oswald nicht zufrieden. Nein, — ganz und gar nicht! Er hatte ein hübsches, elegantes Iunq- gcsellenqnartier haben wollen, möglichst weit von der elterlichen Behausung entfernt, — solch eine echt künst lerisch ausgestattete Gareon-Wohnung, wie sie ein paar reiche Freunde von ihm anfzuwcisen hatten. Aber natür- lich, — dazu langte wieder 'mal der Geldbeutel des „biedern Alten" nicht! Oswald bedachte nicht, datz sein Studium dem „biedern Alten" wirklich unverhältnis- mässig große Opfer bisher auferlegt hatte und immer weiter auferlegte. Der geniale Cohn hatte in Leipzig, in Wien, zuletzt in Paris studiert, er hatte ein Leben im grotzcn Stil geführt, und eS war ihm höchst gleichgültig gewesen, woher die Mittel dazu kamen. Und nun, seit einen« knappen Jahr, batte man ihn nach Berlin zurück gerufen, hatte ihn« gesagt, es sei nun nichts mehr mit dem auswärtigen Studium, — und ob er denn nicht endlich aus studiert hätte, wie sein Freund So und so, der mit ihm zu gleicher Zeit begonnen habe und jetzt wohlbestallter Kapellmeister in Mannheim sei, — oder der junge Simon, der sogar später wie er seine musika lische Carriere eingeschlagen habe und jetzt eine gute An stellung in Darmstadt bekleide! — Das Lange und das Kurze von der ganzen Geschichte war: man hatte einfach keiu Geld mehr für ihn, und seine Eltern, die ihn, nach wie vor, vergötterten, legten es ihm nahe, datz sie setzt etwas von ihin erwarteten!! — Und das kanir einen nervösen, künstlerisch beanlagten Menschen rasend machen, zur Verzweiflung bringen, — dieser Gedanke, datz man etwas von ihm erwartete! Herrgott ja doch, — ja! Er würde schon etwas leisten, würde ihnen allen schon zeigen! Aber sie sollten nicht uin ihn herumstehen, die Alten und die Schwestern, die Onkels, die Tanten, die Pettern und Basen, wie eine einzige blöde .zusammengedrängte Hammelherde und mit neugierig glotzenden Augen auf ihn starren und auf den Augenblick lauern, da er „etwas grotzes" schaffen würde! Dies Fragen und Ausforschen, dies geheimnisvolle Getue der Eltern: „Er arbeitet! Er ist am Werk! Wir werden alle nächstens eine große Ueberraschung erleben!" cs war nicht mehr zum ansehen, zum anhören! Es tat ihm natürlich selbst wohl, zuweilen mit großen Worten um sich zu werfen. Sie hatten ihm in Wien, in Paris gesagt, er miiffe wählerisch sein, er brauche nicht die erste Offerte, die sich ihm biete, anzunehmen, — so ähnlich wenigstens hatten sich die Leute dort geäußert, der Sinn war entschieden dieser gewesen! — Nach Darm stadt oder Mannheini würde er, Oswald Mentzel, doch nicht gehen, — er nicht! Tas hätte er längst haben können, aber er wollte besseres abwarten! Und nun setzte die Mutter eine Kleinigkeit zu, und der Vater eine andere, und eine Schwester die dritte, bis cs im ganzen großen Familienkreise wie ein Lauffeuer herumging: Oswald hat von allen Seiten die verlockendsten Anerbie tungen, aber sie genügen ihm alle nicht, — er darf sich aussuchen, er wartet auf ganz etwas besonderes! Das war eine Zeitlang ganz schön gegangen. Mit dem jungen Genie zugleich warteten sie alle, — man konnte solche künstlerischen Ereignisse unmöglich übers Knie brechen, .... allgemach fingen Zweifel sich zu regen an: noch immer nichts? kein Entschluß? keine feste An stellung? keine hervorragende Komposition? — Die kleinen Cousinen glaubten noch, .... die Onkels und Tanten wareg skeptisch geworden! — Die Eltern drängten ibn mit keinem Wort mehr, seitdem er einmal bei solcher Gelegenheit in einen bedenklichen Nerven anfall geraten war, die Schwestern durften ihn weder necken noch fragen, — aber — schließlich — warten taten sie alle! Was blinde Elternzärtlichkeit für einen einzigen ge liebten Sobn an Komfort, an künstlerischer Ausstattung nur ersinnen konnte, das fand sich in diesen beiden Zim mern Oswald Mentzels angehänft. „Er muß gern darin sein, sie müssen sein Tnsknlum werden, — sie müssen ihn vor allen Tingen stimmen!" hatte die Mutter erklärt,. .. und nun standen ffe da und blickten aus geschmackvoll drapierte«« Stofffalten auf ihn herab, die Büsten unserer großen Tonietzer, — — der charakteristische Johann Sebastian Vach, der düstere Beethoven, der freudige Mozart, der spöttisch-kluge Richard Wagner. Und Bilder an den Wänden: Brahms und Joachim, Rubinstein und Tausig, Bülow und Liszt. Sie alle schienen ihm zuzu- rufen: hier sind wir und hoffen bestimmt, daß dn dich unseren« Reigen anschlietzest! In guter Gesellschaft be findest du dich! Zeige dich dessen würdig! — Wahrhaftig, wenn er sich so umsah in seinen vier Wänden und die ernsten Gesichter auf sich gerichtet sah, dann hatte cs den Anschein, als warteten auch diese alle! Auf was denn in aller Welt? Er hatte es ja versucht, zu komponieren, — ein Quartett sollte es werden, und zwei Nummern davon waren allgemach fertig geworden, — ein Allegro vivace und ein Larghetto allein, weiß Gott! wenn er sich das Ting einstweilen auf seiner Geige vorspielte, . . . es wollte ihm nicht recht gefallen! Es kam ihm so er- findungsarm vor, — so trivial, — so dagewesen! Das durfte natürlich keine Menschenseele ahnen, .... viel- leicht wares auch hübsch, und er stellte nur zu hohe An sprüche an sich selbst! Wenn er es jemanden, der ein maßgebendes musikalisches Urteil hatte, Vorspielen möchte? Aber das wagte er wieder nicht! Eine ab- fällige Kritik hätte seine Eigenliebe nicht vertragen! — Diese Stille um ihn her! Förmlich herzbeklemmend! Gar nicht, als ob inan in Berlin wäre, — in dein großen, geräuschvollen Berlin! Oswalds zwei Zimmer lagen nach der Hinterseite — natürlich! — und gingen nickt etwa in einen Hof. sondern in einen stillen, grünen Garten, der einem alten, kinderlosen, kränklichen Ehepaar gehörte, das fast täglich lantlos unter den Kastanien und Escken, die dort ninlierstanden, lustwandelte. Völlig urvorweltliche Znständeü — Auch i n« .Hanse alles still! Er wußte schon: wenn er um diese Vormittagsstunde nicht seinen Hut nahm und ausging, dann wurde in seiner Familie die Parole anS- gegeben: „Kein Geräusch machen! Oswald arbeitet!" Und zu den Dienstboten: „Absolute Stille! Der junge Herr komponiert!" Und er konnte nicht! — Vielleicht war seine Lebensweise daran schuld. Er besuchte allabendlich ein Theater, — meistens natürlich die Oper, oder ein Konzert Daß er danach nicht wie ein artiges Baby nach Hause ging, verstand sich wohl von selbst Er kneipte nicht, — bewahre! Ec atz einfach irgendwo Abendbrot mit ein paar guten Freunden, — selten, daß sic dann noch ein Nachtlokal anfsuchten. Oder er bestickte eine Gesellschaft inan sing in diesem Herbst früb damit an und spielte den Leuten dort etwas vor; cs machte «hin nur selten Spatz, — aber jchlietzlich . . ..
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