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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.10.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041025022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904102502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904102502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-25
- Monat1904-10
- Jahr1904
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: 1904. IIS « s vdr in de des Bereins islisiir. Ihr findet im ag lnd ver- ^örper ;«4). «I, s. findet bei 8 4 Uhr INIIIUsk der Vereins. en dis ru unärLtmster sükicds Ine kirmen ekitdrt. ikr Igep. »Uovisr. hnke. hl. ydling. BezugS-PretS t« der tzauptexpedMon oder deren AuSgab»- stelleu abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei jweimaliger täglicher Zustellung in» HauS 3.7b. Durch die Post bezogen für Deutsch. land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitunqspreisliste. Diese Rümmer tostet UL auf allen Bahnhöfen und III I bei den ZeitungS-Bertäufern I * Redaktion und Expedition: 153 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Atltalexpedtttouen: AlfredHahu, Buchhandlg., UniverfitätSstr. 8 (Fernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen- trafie 14 (Fernsprecher Nr. 2938) u. König»- Platz 7 (Fernsprecher Nr. 7808). Haupt-Filiale Dresden. Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt I Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: CarlDunlker, Herzgl.Bayr.HofbuchbandIg., Lützowstraße lOiFernsprecherAmtVl Nr.4603), Abend-Ausgabe. lchMcr TaMak Anzeiger. Amtsblatt -es ÄSniglichen Land- und -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Rrdaktion»str1ch (»gespalten) 78 -H, nach den Familiennach richten (6 gespalten) 80 Tabellarischer und Ziffernlay entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme 25 Annahmeschlutz für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag» 4 Uhr. Extra-Beilagen lgesalzt), uur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m't Postbrförderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. V, R. L W. Klinkhardt). Nr. 546. Dienstag den 25 Oktober 1904. 88. Jahrgang. va» lvlcbligrle vom Lage. - * Da» preußische Abgeordnetenhaus hat seine Sitzungen heute mittag wieder ausgenommen. * Auf der Zeche „Vereinigte Saalzer" bei Essen ver unglückten gestern abend durch zu hartes Ausstößen des Förderkorbes 24 Bergleute. (S. A. a. W.) * Gestern Abend wurden die Wiener Straßenkund gebungen gegen Lueger und gegen den Schulgesetzentwurf wiederholt; in St. Margarethen erfolgte ein Zusammenstoß. (S. Pol. Tagesschau.) In Bialitz (Oesterr.-Schlesien) gab es zwischen Christ- lichsozialen und Sozialisten ein blutiges Renkontre, wobei Polizei einschritt. (S. Pol. Tagesschau.) * Nach einer Reuterdepesche hat das englische Auswärtige Amt an die russische Regierung dringend Vorstellungen gerichtet und bemerkt, daß die Lage nach der Auffassung der britischen Regierung keine Verzögerung erleide. In Petersburg haben die amtlichen Stellen sich nicht geäußert. (S. den besonderen Artikel.) ver „Vonvärtt" erklärt sturrlancl <len Zrieg. Also der „Vorwärts", das deutsche Zcntralorgan der .irteruationalen, völkcrbefreienden, antimilitaristischeu Sozialdemokratie, erklärt Rußland wegen der „Schlacht" Lei Hüll den Krieg. Ta er selbst aber den Boden noch nicht durch den Tritt dec Milizbataillone erdröhnen lassen kann, von wegen allzu großer Rückständigkeit der deutschen Staatseinrichtungen, so muß er vorläufig noch die Truppen anderer Großmächte reklamieren. Es muß ge- sagt werden, daß er sich dabei einer rühmenswerten Vor urteilslosigkeit befleißigt. Welcher Staat ihm seine Militärmacht zu Füßen legt zu gefälliger Benutzung, ist ihm gleich — wenn es nur geschieht. So lautet das Edikt des „Vorwärts" : „Tie Erregung über diesen ungeheuerlichen Dölkerrechtsbruch in England ist begreiflicher weise eine außerordentlich große. Einzelne Blätter ver langen, daß die englische Flotte mobil gemacht werde und die russische Flotte, die eine internationale Gefahr auf hoher See bilde, nach der Ostsee zurllckspediert würde. Andere Blätter fordern das Land zur Bewahrung der Ruhe auf, bis dec Fall vollkommen geklärt sei. Unseres Erachtens vermag keine Ent schuldigung und keine Schadenersatz leistung die skandalöse Tat des russi- sch en Geschwaders zu kompensieren. Es ist ja als selbstverständlich anzunehmen, daß die russischen Schiffe wirklich unter der Halluzi nation standen, es mit einem japanischen Anschlag zu tun zu haben. Allein diese Annahme ist derart u n - geheuerlich, daß sie in der ganzen Weltgeschichte schwerlich ihresgleichen finden dürfte. Diese russische Barbarei zeugt so sehr von der beispiellosen Skrupellosigkeit Rußlands, von seiner aberwitzigen Gewalttätigkeit, daH es endlich allerhöchste Zeit wäre, daß eine von nationalem Se lb st bewußt sein er füllte Macht diesen russischen Wahn- sinnstaten ein Ende setzt e." Ter „Vorwärts" hat vollständig recht: es ist in Wahr- heit „zum Schießen!" Wenn dies Blatt an „eine von nationalem Selbstbewußtsein erfüllteMacht" appelliert, so ist das der Gipfel der Selbstironie und der Koniik. Nur das Eine kann die reine Freude an dieser durch den traditionellen Nussenhaß hervorgerufencn Ent gleisung etwas trüben, der Gedanke daran, daß sie von den eingeschworencn Lesern des „Vorwärts" in ihrem bildschönen, heillosen Blödsinn erkannt werden wird. Tie armen Ungeschulten verwechseln natürlich Ton und In- halt, lassen sich durch die heftige Sprache betören und sehen nicht, daß mit diesem einen Satze das ganze weit- läufige Lehrgebäude der sozialistischen Heiligen in Trüm- mer geworfen wird. Uebrigens ein nicht übler Beweis dafür, wie blutleer alle die ausgeklügelten Theorien des Sozialismus sind: Sobald das Leben sein Recht, und sei es auch nur an Haß, fordert, werden die Parteifcsseln abgestreift, die Leute beten an, was sie zu steinigen verpflichtet sind, sie Hand- haben ihre Glieder wieder wie andere Menschen und ope rieren wieder mit geläufigen und praktischen Begriffen — „die Erde hat sie wieder". Für philosophisch veranlagte Politiker ein hübsches Thema: „das verborgen Mensch- liche im Sozialismus". Die übliche Nutzanwendung daraus zu ziehen, halten wir freilich die ulkig-tröstliche Kriegserklärung doch für zu episodenhaft. ' »- ver «mrisch-englizche Konflikt. Noch ist, bis beute mittag, eine materielle Genugtuung durch Rußland nicht geleistet worden, der tolle Exzeß ist un gesühnt. In London hat, wie im Depeschenteil von uns gemeldet wurde oder gleichzeitig gemeldet wird, die Menge den russischen Botschafter Grafen Benckendorff, als dieser vom Bahnhof nach dem Botschaftshotel fuhr, beschimpft; jedoch das klein laute Telegramm Eduards VII. an den Mayor von Hüll zeigt, daß ein „Ultimatum", wenn es überhaupt gestellt wird, ganz zahm ausfallen würde. Nach einer offiziösen Verlautbarung der Agentur Reuter hat das Auswärtige Amt sich mit de» Vertretern der Fischereivertriebe in Hüll und Grimsby in Verbindung gesetzt und dadurch einen genauen Bericht über den Hergang bei dem Angriff ver russischen Kriegsschiffe auf die Flscherflotille erlangt. Es sind auf diese Er kundigungen gestützte dringende Vorstellungen an die russische Regierung gerichtet worden mit dem Bemerken, daß die Lage nach der Auffassung der britischen Regierung keine Verzögerung zulasse. Dies könnte nur eine Frist von 24 Stunden bedeuten. Lord LanSdowne hat mit dem russischen Geschäftsträger und mit dem König konferiert und später ein Telegramm an die russische Negierung gesendet. Vorher hatte er eine Be sprechung mit Brodrick, wie mit dem ersten Lord der Admiralität. Balfour wird heute erwartet. Nach einem Telegramm aus Portsmouth hat die A dmirat,tat noch keine Befehle in Bezug auf den Zwischenfall erlassen, doch liegt ein starkes Kreuzergeschwader zur Ab fahrt binnen wenigen Stunden bereit. Die Londoner Blatter gratulieren Rußland cynisch zu seinem ersten ^ieg und ver langen, daß selbst wenn es volle Genugtuung gibt, die Ostseeflotte von englischen Schiffen bewacht werde. Zwei Fischereidampfer, welche mit der Flagge auf Halbmast in das St. Andreas-Dock einfuhren, brachten die Hiobs botschaft und landeten gleichfalls die Leichen mehrerer eng lischer Schisfsleute, denen die russischen Schnellseuergeschutze buchstäblich ven Kopf vom Rumpfe abgeschossen hatten. Die „Times" versichert, die grünen Lichter der Fischer hätten gebrannt, und legen dar: „Die einrige Vermutung, die wir jetzt machen können, ist, daß die Russen selbst das Opfer einer schimpflichen Panik waren. Allerlei unglaubliche Geschichten über japanische Spione, welche die baltische Flotte in die Lust sprengen wollten, sind verbreitet und an scheinend haben diese Geschichten auf die Nerven der russischen Seeoffiziere gewirkt. Die Nacht war etwas nebelig, aber der Nebel nicht dick. DieFischerboote konnten die Lichter derrussischen Kriegsschiffe sehen. Tatsächlich scheinen die Russen die Fischer boote zweimal näher angesehen zu haben. Der erste Teil des russischen Geschwaders passierte die Fischerboote ohne anzu zeigen, daß er sie für verkappte Japaner hielt, der zweite Teil des rusischen Geschwaders hielt dann seine Scheinwerfer auf die Fischerboote gerichtet. Darauf sollen auch noch Torpedoboote herangekommen sein, dieselben dampften aber wieder weg. DaS Feuern fand sodann mit großer Regelmäßigkeit auf ein Signal vom Flaggschiffe hin statt, wobei die Schiffe nach dem ersten Schuß eine Linie bildeten." Die amtlichen Stellen in St. Petersburg wollen, wie die gar nicht überraschenden Depeschen be kunden, da direkte Nachrichten von Admiral Roshdestwenskij noch fehlen, mit dem Urteil vorläufig zurückhalten. Alle auf die Sache bezüglichen Berichte wurden von der Zensur kassiert, damit sie nicht in die Dresse gelangen. Angeblich berichten die Petersburger Blätter demgemäß von einem „Unfall infolge Zusam menstoßes." Nach einer Pariser Zeitungsnachricht sollte sich ein russischer Großfürst nach London begeben. Man „glaubt", der Kommandant des russischen Geschwaders, welcher sich nächsten Montag in der Nähe von Vigo befinden wird, um dort Kohle einzunebmen, werbe dort die Aufforderung seiner Regierung vorfinden, den Oberbefehl abzugeben und zur Recht fertigung nach Petersburg zurückzukehren. Nach einer Mel dung aus Cherbourg hat die Torpedojägerflottille des baltischen Geschwaders gestern mit den Kohlen dampfern den Hasen verlassen und ist nach Westen abge dampft. Das Ostseegeschwader passierte die Höhe von Cherbourg, ohne anzuhalten. Nach einer etwas bösen Depesche aus Barry (südwestlich von Cardiff) konnte der Dampfer „Esperanza", der mit einer bedeutenden Kohlen ladung für das baltische Geschwader abgehen sollte, seine Ladung nicht vervollständigen, da festgestellt wurde, daß ein Leck gebohrt war. Die Verbreitung der Nachricht, daß der Dampfer bestimmt sei, die baltische Flotte mit Kohlen zu versehen, soll die Veranlassung zu der Tat gegeben haben, welche einem japanischen Agenten zugeschrieben wird. Dieses Telegramm arbeitet dem Admiral Roschdjestwansky in die Hände. AuS Gibraltar wird telegraphiert, daß das englische Kanalgeschwader dort eingetroffen sei. Es wird noch gemeldet: * London, 25. Oktober. Der Ton der Presse gegenüber Rußland ist heute schärfer als gestern. Die Blätter erklären, die Entschuldigungen und Erklärungen würden nicht als genügend anzusehen sein, man müsse Bestrafung der schuldigen Offiziere und Einstellung der Fahrt des baltischen Geschwader- verlangen, da sonst England genötigt wäre, den internationalen Handel gegen mörderische Launen za schützen. Mehrere Zeitungen finden es befremdend, daß Kaiser Nikolaus nicht seine Sympathie mit den Opfern des Zwischenfalls telegraphisch zum Ausdruck brachte. * London, 25. Oktober. Die „Daily News" meldet: Der russische Botschafter v. Benckendorff äußerte bald nach seiner Ankunft in London aus eine Anfrage ihres Vertreters, er ermäch tige ihn, in seinem Namen dem englischen Volke zu sagen, daß er absolut sicher sei, daß das, was vorgekommen sei, ein beklagens werter Zufall wäre, sonst nichts. Er sei davon überzeugt, daß es unnötig sein werde, von seinem und seines Landes Bedauern zu sprechen. ver Hiitttana in ZüäweztaMka. Verstärkungrtranrxorte. Morgen nachmittag geht an Bord des Dampfers „Gertrud Woermann" unter Führung des Haupt manns v. Ha hnke ein Transport von 32 Offizieren (darunter 7 Portepee-Offiziere), 375 Mann und gegen 400 Pferden von Hamburg nach Swakopmund in See. Ferner sollen auf persönliche Anordnung des Kaisers, wie der „T. R." von gut unterrichteter Seite mitgeteilt wird, des Witboi - Aufstandes wegen zugleich mit dem bereits zur Ausreise nach Deutsch-Südwestafrika bestimmten und in der Forniierung begriffenen Bataillon zwei weitere Bataillone als Nachschub der Schutztruppe in See gehen. An maßgebender militärischer Stelle ist man bemüht, eine Aenderung dieses Befehls dabin herbeizusühren, daß das zweite Bataillon erst Ende November, das dritte erst Ende Dezember verschifft werden möge. Man hält dies in Rücksicht auf die Landungs verhältnisse in Swakopmund für unbedingt geboten. Die „Nordd. Allg. Zig." hat ja, nachdem sie dem Thema lange genug aus dem Wege gegangen war, darauf hingewiesen, baß die von der Presse gerügte „paketweise" Versendung der militärischen Streitkräfte nach Deutsch-Südwestafrika durch den Zustand verursacht war, in dem die berühmte Mole sich befand. Die „T. R." sagt dann weiter: Falls der neue Gesamttransport bereits Ende dieses oder anfang nächsten Monats ausreisen sollte, der letzte Mann dieses Transports kaum Aussicht haben, vor Mitte oder Ende Januar n. I. in Swakopmund an Land gesetzt zu werden. Er würde also im ganzen fast vier Monate an Bord zubringen müssen. Auch finanziell bat die Entsendung größerer Truppenkörper, deren Ausladung Wochen in Anspruch nimmt, ihre sehr bedenkliche Seite. Neben den Kosten für die Ueberfahrt in den gecharteten Dampfern sind bereits jetzt mehr ais drei Millionen Mark an Liegegeldern für vor Swakopmund ihrer Löschung harrende Schiffe der Firma Woermann vom Reich gezahlt worden. So wünschenswert das gleichzeitige Eintreffen am Ziel der für Deutschsüdwestafrika in Aussicht genommenen Verstärkungen an sich also auch sein mag, eine andere als staffelweise Versendung läßt sich nicht Feuilleton. Die heilige Caecilie. 9f Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. Wer, dem Gott ein besonderes Talent verliehen, träumt nicht so mit achtzehn Jahren? — Und es kam, der Tag, da der Koffer gepackt dastand, da der Brief nach Berlin geschrieben, das Reisekleid an gelegt, der rote Filzhut aufgesetzt war, — der Tag der Abreise! Asta Kühne, die in zehn bis zwölf Tagen, samt ihrem Bruder, ebenfalls nach der Reichshauptstadt kommen wollte, stand der jungen Nachbarin bis zur letzten Stunde getreulich bei. Sie wollte im Hause nach dem Rechten sehen, sich der Kinder annehmen, Lina Bescheid sagen, alles, nxtS noch, trotz allen Fleißes, ungestopft und unge flickt geblieben war, fertig schaffen, — Annemarie möge nur ruhig sein, möge nur leichten Herzens scheiden! Diel verlangt von dem Mädchen, das tränenumflorten Auges am Fenster des Eisenbahn-Abteils stand und auf das Häuflein Kinder blickte, das sich unten auf dem Perron stieß und drängte, — auf den Hagern Mann, der zu lächeln, zu reden versuchte und beides nicht konnte, bis er es aufgab und sein baumwollenes buntes Taschen tuch zog und da hinein schluchzte, jetzt noch einen raschen Entschluß fassen und herausspringen und rufen: „Ich kann nicht fort von Euch allen! Ich bleibe!" Ta setzte sich mit langsamem Nollen der Zug in Be wegung, — da ging es hinaus in die unbekannte Welt, — in die dunkle Zukunft! * Annemarie hatte die Kraft nicht'mehr, zu winken, zu grüßen. Sie warf sich zurück, um nichts, nichts mehr zu sehen. Ihr zarter, kindlicher Körper zitterte, so krampfhaft mühte sie sich, die Tränen, die unauihalt- sam hervorzustürzen drohten, zurückzuhalten! Da saßen fremde Menschen um sie herum, die sie nichts angingen — vor denen durfte sie doch nicht weinen! Sie preßte sich in ihre Ecke, rückte das rote Hütchen tief ins Ge sicht, versuchte sich zu sammeln, sich die letzten Tage im Vaterhause recht ins Gedächtnis zurückzurufen. — Und dabei geschah es ihr, daß ihre wandernden Ge danken beim Nachbar Kühne haften blieben — oder eigentlich nicht bei ihm, — und bei Asta — oder eigent- lich nicht bei ihr, .... und bei Hans Kühne, — dem jungen Doktor, — ja, eigentlich bei dem! — Er hatte sich wunderlich gegen sie benommen, — schon seit etwa zwei Jahren, bei seinen gelegentlichen Besuchen im Eltecnhause! Als Junge, noch als Student, Ivar er ihr ganz vertraut gewesen, — ein gutes, geschwisterliches Verhältnis hatte sie mit ihm verbunden. Hans, Asta und Annemarie, die drei waren unzertrennlich von- einander gewesen. Hans hatte auch damals noch nicht so krampfhaft fleißig studiert, er hatte sich eine Erholung gegönnt und war immer für die Mädchen da gewesen, bereit zu Spaziergängen, zu Kahnfahrten auf dem See, zu gemeinsamer Lektüre! Wer oder was hatte ihn in letzter Zeit so vcnvandelt? War er hochmütig geworden, dünkte er sich zu hoch er- haben über die kleine Nachbarstochter? Bewabre! Dazu war Hans Kühne zu klug! Absorbierte ihn das Studium so ganz und gar, daß für die Kindheitsgcspielin nichts übrig blieb? „Hans kommt nicht mit uns!" „Hans hat keine Zeit!" „Hans arbeitet!" So hatte es wieder, immer wieder geheißen, bis Annemarie sich, unmerklich fast, darein gefunden hatte, immer nur mit Asta zu zweien zu sein, — zumal auch sie, nach dem Tode der Mutter, ihre Zeit ganz anders einzuteilen gezwungen war! Jetzt, während der acht Tage, die ihrer Uebersiede- lung nach Berlin vorausgingen, hatte sie Hans Kühne nur ein paarmal flüchtig gesehen, — gesprochen gar nicht! Aber gestern spät des Abends, da war sie noch einmal „auf einen Sprung" zu Nachbar Färbers hinüberge schlüpft, um Frau Kühne noch ein letztes Mal für alle Güte und Hülfe zu danken und ihr Vater und Geschwister ans Herz zu legen, — da hatte sie zu Asta gesagt: „Kann ich Hans Adieu sagen?" und hatte zugleich resolut an seine Tür geklopft. — Er war von seinem Sitz am Schreibtisch aufgcfahren und hatte vor ihr gestanden, hell beleuchtet vom Schein seiner klar brennenden Arbeitslampe, — ein gut geschnittenes, geistreiches Ge sicht; es war ihr noch nie so ausgefallen, wie klug der junge Doktor aussah, — beinahe bedeutend war der Kopf! — „Hans, ich komme mich verabschieden! Ich gehe nach Berlin, um Musik zu studieren, — Gesang! Ich weiß nicht, ob deine Mutter und Asta dir gesagt l)aben." — „O ja, ich weiß alles, Annemarie!" hatte er sie unter brochen. „Alles, — ganz genau! Was ich dazu habe beitragen können, damit dein Schicksal sich erfüllt, das hab' ich getan!" „Du?" „Ich!" „Aber mein Vater hat mir kein Wort davon gesagt, daß du irgendwie" „Das konnte er auch nicht! Ich habe es indirekt getan!" „So? Ich habe gar nicht gewußt, daß Lu noch irgend welchen Anteil an mir nimmst!" Dazu hatte der junge Mann geschwiegen. „Und was meinst du damit: daß mein Schicksal sich erfüllen soll?" „Genau das, was die Worte sagen, — sehr einfach!" „Du hältst es also für das richtigste." — „Richtig! Richtig ist nichts in meinen Augen! Das Wort existiert für mich nicht! Wir fassen eine Sache von einem Ende an und sehen ein bestimmtes Resultat voraus, und gerade das Gegenteil geschieht. Ich kann nur sagen: ich bin gespannt, wohin das Leben mit dir steuern wird!" Sie stand ratlos und verwundert vor ihm und schwieg eine kleine Weile. „Wir werden uns wohl in dem großen Berlin nie mals sehen!" meinte sie endlich zögernd. „Wer sagt dir das? Ich gedenke, mich um dich zu bekümmern, — das heißt, wenn du nichts dagegen hast!" „Dagegen? Ich? Wie sollte ich wohl? Ich bin allein dort und in der Fremde. Jeder Mensch, der mich an daheim erinnert, wird mir willkommen sein! Auf Wiedersehen denn, Hans!" „Auf Wiedersehen, Annemarie!" Dazu ein fester und kurzer Händedruck und ein Blick, der wie ein Blitz über sie hinging. War es nicht ein merkwürdiges Gespräch gewesen und ein merkwürdiger Abschied? Wie ein ganz anderer, Fremder war ihr Hans Kühne erschienen, — es kam ihr ganz unglaublich vor, daß sie mit dem einstmals hatte so vertraut sein können! Hatte sie sich vielleicht auch in den letzten Jahren so auffallend verändert und wußte es nur nicht? — Sie hatte Asta danach fragen wollen, aber dann hatte sie es in ihrem Abschiedskummer ver gessen, — und, schließlich, was lag auch daran? Aber jetzt war es ihr, als sei zu all den guten Vor- sätzen, die sie für ihre Zukunft gefaßt, noch ein neuer Sporn gekommen, — als müsse sie etwas ganz besonderes tun oder leisten, damit Hans Kühne mit ihr zufrieden sei! — Nein, — das war natürlich Unsinn, — und so meinte sie cs auch nicht! Was hatte Hans Kühne mit ihrer Kunst zu tun? — Aber daß er sich in Berlin uni sie bekümmern wollte, — das gefiel ihr, — ja, das gefiel ihr! Am nächsten Tage stieg sie mit ihren leichten, raschen Kinderfüßen die deckenbelegte Treppe im Hause des Direktor Mentzel empor und drückte zaghaft auf den Glockenknopf. — Und es tvar doch in demselben Augenblick dos Schick sal mit schwerem, wuchtigem Tritt neben ihr die Stufen empor gestiegen und pochte mit ehernen, dröhnenden Schlagen an die Pforte deS Hauses! — (Fortsetzung solgt.)
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