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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041020025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904102002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904102002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-20
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Anzeigen-PretS die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktiontstrich (4 gespalten) 75 nach den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsap entsprechend höher. — Gebühren sür Nachiveisungen und Ossertenannahme 25 Annahmeschlutz sür Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Aesgabe, ohne Postbeförderung 60.—, m' t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind siel» an die Expedition zu richten. Tie Erprdition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pol- in Leipzig (Inh. vr. B , R. L W. Klinkhardt). Nr. 537. Donnerstag den 20. Oktober 1904. 98. Jahrgang. Var Mchtigrie vom Lage. * In der katholischen Hofkirche zu Dresden wurden heute die Ex eg ui en für den verstorbenen Löni.q Georg abgehalten. (S. A. Sachsen.) * Der KönigderBelgierhatin einem Briefe an Rooscvelt die Anklagen gegen den Kongoftaar zurückzuwcisen versucht. (S. Pol. Tagesschau.) * Der amerikanische Kriegsminister Taft geht nach Panama, um Differenzen zu schlichten. (S. Ausland.) * Die Nachricht des Reuter-Bureaus, daß England die Besetzung des Tschumbi-Tales in Tibet auf 75 Jahre beabsichtige, wird vom Indischen Amt weg geleugnet. (S. Letzte Nachr.) * Tie Verl u st e der javanischen Belage- rungsarmee vor Port Arthur sollen 50000 Tote betragen. (S. Russ.-jap. Krieg.) Koloniratisarkuart. Die Lage in Deutsch-Südwestafrika wird mit jedem Tage schlechter, auch an unseren amtlichen Stellen kann man sich der Auffassung nicht länger verschließen, daß der Aufstand zum Krieg im vollen Umfange der Wort- bedeutung geworden ist. Da erhebt sich naturgemäß aufs neue die Frage: wer ist schuld daran? und es werden von manchen Seiten Anklagen über Anklagen gegen „das deutsche System" erhoben. Vielfach schießen siejawcitübers Ziel hinaus, aber eine gewisse Berechtigung ist ihnen nicht abzusprcchen. Man hat von vornherein zwei Fehler ge- mackt, die sich nun schwer rächen: man hat zunächst das Element, das tatsächlich bei der Erschließung der Schutz gebiete Pionierdienste geleistet hat, das kaufmännische, an der Verwaltung der neuen dcutichcn Gebiete so gut wie gar nicht teilnehmen lassen und sich auf diese Weise der Möglichkeit beraubt, dessen Erfahrungen zu ver werten, und man hat ferner den ganzen kolonialen Ver- waltungsapparat zu sehr in Abhängigkeit von Berlin ge bracht. Schema k' regiert, und ihm zu Liebe wurde in übel angebrachter Sparsamkeit das ganze koloniale Tczernat als „Beiwagen" belxmdelt, und eine Reihe von Maßregeln wurden getroffen, die sich in der beliebten Perspektive der Berliner Wilhelmstraße sehr schön aus- nehmen, dagegen in der Praxis so verfehlt wie nur mög lich erscheinen und uns infolgedessen viel Blut und Geld kosten. Mögen diese Opfer nicht ver gebens gebracht sein, mögen sic wenigstens das eine Gute im Gefolge Haden, daß wir mehr als bisher in unserer kolonisatorischen Tätigkeit Rücksicht nehmen auf die Eigenart und Anschauungen der Bewohner der zu erschließenden Gebiete, möge vor allem die Verwaltung sich mehr und mehr befreien von den Auswüchsen eines kleinlichen und engherzigen BureaukratismuS, und möge man ferner an unfern leitenden Stellen endlich ein mal einsehen, daß im überseeischen Dienste der Kaufmann ein schätzbareres Element ist als der Landrat oder der Assessor. Ganz zu vermeiden werden Kolonialkriege und Auf stände niemals sein, denn vielfach respektiert der Ein geborene den weißen Mann erst dann, wenn er dessen überlegene Macht kennen gelernt und gefühlt hat. Auch das Volk, das unter den modernen Nationen entschieden das meiste kolonisatorische Talent besitzt, die Eng länder, hat wiederholt schwere Kolonialkämpfe an den verschiedensten Punkten der Erde zu bestehen ge habt: es hat aber diese Krisen mit Energie und Beharrlich keit stets zu überwinden gewußt und dadurch Erfolge er zielt, wie sie kein anderes Volk der Jetztzeit aufzuweisen hat. Ein sehr schätzbares Dokument dafür bildet ein kürzlich auch in deutscher Uebersetzung erschienenes Werk des englischen Feldmarschalls Lord Roberts, „Einund vierzig Jahre in Indien" *), das ebenso sehr um seines Inhalts, wie um seines Verfassers willen Interesse bean- sprucht und gerade in jetziger Zeit bei uns eingehend ge lesen zu werden verdient. Die Ausführungen des 01. Kapitels des I. Bandes z. B. über erfolgreiche Kolonialverwaltung und damit zusammenhängende Fragen möchten wir unsern Kolonialleitern nicht nur zu bloßer Lektüre, sondern auch zur praktischen Verwer tung empfehlen. Eins wird jedem an dem Werke auffallen: es ist für unsern deutschen Gesckgnack recht breit angelegt. Dies liegt aber weniger an dem Verfasser selbst, als an seiner nationalen Zugehörigkeit, wie es denn überhaupt ein eigentümlicher Widerspruch ist, daß dasselbe Volk, das seine Sprache so biegsam und präzis zu gestalten weiß, m seinen literarischen Erzeugnissen von der durch eben diese Eigenschaften ermöglichten Kürze herzlich wenig ver spüren läßt. Nichtsdestoweniger ist das Buch hochinter essant und läßt Roberts ebenso sehr als tüchtigen Sol daten, wie als fein beobachtenden Kulturschilderer er scheinen, dem kein Zug entgeht. Die Urlaubsreise nach Kaschmir, die im 4. Kapitel des I. Bandes erzählt wird, zeichnet sich überdies noch durch prächtige Naturschilde, rungen aus. Lord Roberts hat allerdings ein seltenes Glück ge habt: er fand in seinem Vater, der 1852 Divisions- kommandeur in Peschawar war, der Hauptstadt des Afghanistan benachbarten größten Divisionsbezirks, einen Lehrmeister für den Grenzdienst, wie er ihn sich nicht besser wünschen konnte, und als sein Adjutant hatte der junge Roberts die beste Gelegenheit, sich eine über legene Sicherheit im Verkehr mit den wilden Grenz- Völkern anzueignen, die es ihm später ermöglicht hat, glänzende Resultate zu erzielen. Wohl keinem anderen *) Einundvierzig Jahre in Indien, vom Subaltern-Offizier zum Oberbefehlshaber. Von Feldmarschall Lord Roberts of Kandahar. Autorisierte Ueber- sctzung von Dr. Ritter v. Borosini. Berlin, Karl Siegis- mund, 2 Bde., 12 wäre es gelungen, den zweiten afghanischen Krieg von 1879, der in mehreren Kapiteln eine packende Schilde- rung erfährt, mit verhältnismäßig geringen Mitteln zu einem für die Briten so günstigen Ende zu führen. Bei uns in Deutschland erfreut sich Lord Roberts keiner besonderen Sympathie. Seine Dekoration mit dem Schwarzen Adlerorden wurde seinerzeit zum Gegen stand heftiger, nicht immer schmeichelhafter Preßäuße rungen gemacht und führte schließlich auch zu einer nicht ganz von Voreingenommenheit freien Beurteilung des britischen Generals. Mit umso lebhafterem Interesse wird daher der Politiker die Schilderungen von Roberts' einundvierzigjähriger Wirksamkeit in Indien lesen, die den verdienten General in wesentlich anderem Lichte er scheinen lassen. Dl'- D. Der HuManll in Veutzch-Züavertattilra. Die Lage im Süden. Zu der von uns gestern wiedergegebenen Meldung aus Windhuk über die aufständische Bewegung im Süden unseres südwestafrikanischen Schutzgebiets wird offiziös noch mitgeteilt: Daß der Kapitän Manasse Noreseb der Roten Nation (etwa 600 Mann), den mit seinen Leuten einst die Wltbois aus seinen Sitzen in und bei Hoachanas vertrieben hatten, und der damals bei Okahandja Zu flucht fand, bis er unter deutschen Schutze im Jahre 1893 wieder in seine Heimat zurückkehren konnte, auf- ständisch ist, ist bereits bekannt. Gouverneur Leut wein hat auch schon gemeldet, daß man über die Hal tung des Kapitäns der Franzmannnama (etwa 800 Mann) Simon Copper in GochaS noch nichts Bestimm tes wisse, es aber wahrscheinlich sei, daß er beim Feinde sei. Das Gebiet der Veldschocndrager schließt sich süd- lick an das der FranzmannnamaS an und grenzt an Britisck-Betschuanaland: dort hat im Juli und August Jakob Morenga seine Ueberfälle ausgeführt. Der Kapitän der Veldschocndrager Hans Hendrik scheint keinen festen Wohnsitz zu haben. Westlich von diesem Stamm, um Berseba Hausen die Bersebaner (Kanas- Hottentotten, etwa 900 bis 1000 Mann) unter dem Kapitän Christian Goliath, von dem es heißt, er sei ein einflußreicher Führer und hänge infolge seines besseren Verständnisses für europäische Macht und Bil dung an der Regierung: im Jahre 1896 kämpfte der Stamm mit den Damara allerdings gegen uns. Gegen den Wüstenstreifen an der Küste zu erstreckt sich das Gebiet der Betbanier (etwa 900 bis 1000 Mann), deren Kapitän Paul Frederiks geringen Einfluß haben soll. Sie stehen in engem Zusammenhang mit den Witboi und wurden 1898 wegen ihres Zusammen gehens mit den Bondezwarts bestraft. Verftärkr»ng»tran»p»rt. Ueber die neuen Truppennachschübe für Slldwest- afrika teilt der „Reichsbote" mit: In puncto Entsendung weiterer Mannschaften und Kriegsmaterials nach Slldwestafrika ist die deutsche Reicksregierung entschlossen, alle notwendigen Maßregeln zu unternehmen, die im Inter esse des Reiches, sowie des Schutzes der deutschen An- siedler in den Kolonien geboten erscheinen. Havariert dies mit den Beschlüssen des Reichstages, so sollen sie dock zur Ausführung gelangen. Tie Reichsregierung wird dann die Indemnität einholen, indes hofft man, sich an die Beschlüsse halten zu können. Nach einer aus Hamburg an mehrere Blätter gesand- ten Meldung werden außer dec „Gertrud Woer- man n", die, wie bereits gemeldet wurde, am 29. Okto ber abgeht, und dem Hamburg-Amerika-Dampfer „P a - latia", welcher Anfang November fährt, werden auch die von der Woecmann-Linie neu erworbenen Dampfer „Erich Woerman n" und „Professor Woer- m a n n" für den Transport nach Südwestafrika abgehcn. ver rurrizch-japanirrbe Krieg. Die Aesten -e» Arieger. Professor Dr. Ernst Helfferich, Wirklicher Legationsrat in Berlin, hat, als Sonderabdruck aus ter „Marine-Rundschau", eine Broschüre über „Die finanzielle Seite des russisch-japa nischen Krieges" erscheinen lassen. Während Rußland bis unmittelbar vor dem Kriegsausbrüche ungestört an der fort schreitenden Konsolidierung seiner Finanzverhältnisse arbeitete, eine Hochaktive Handelsbilanz hatte und einen großen Goldbestand ansammeln konnte, hat Japan sür die Durchführung seines Rüstungsprogrammes und für die Ausstattung seiner Industrie seine Kräfte seit Jahren bis zur Grenze der Leistungs fähigkeit angespannt, große Anleihen ausgenommen und seine Währung einer starken Belastungsprobe ausgesetzt. Auf russischer Seite lauten die Schätzungen der durck den Krieg für Rußland entstandenen Mehraufwendungen sür das Heer auf eine Million Rubel, für die Flotte auf eine halbe Million Rubel per Tag, wozu noch die Aufwendungen sür Material- und Munitionsersatz zu rechnen sind, so baß die Kriegsausgaben mit 60 Millionen Rubel per Monat niedrig veranschlagt werden. Von anderer Seite wird das monatliche Kriegsersordernis aus 80 bis 100 Millionen Rubel taxiert. Eine Petersburger offiziöse Mitteilung be rechnete die Kriegskosten bis zum 30. Juni mit 200 Millionen und eine andere Mitteilung im „Regirrungsboten" bezifferte die bis zum 16. August in allen Ressorts sür Kriegszwecke eröffneten Kredite auf 257V, Millionen Rubel. Die Re gierung von Japan hat noch vor dem Ausbruche des Krieges die nötigen Mittel durch Heranziehung verschiedener Fonds gesammelt.^ Auf diese Weise wurde durch schwebende Schulden eine Summe von 156 Millionen Je" auf gebracht. Sodann wurden Kriegssteuern eingeführt, deren Ertrag für die Deckung des Kriegsaufwandes herangezogen wird. Endlich wurde der Rest durch Anleihen gedeckt. Im ganzen sind in Japan bis Ende März 570 Mill. Ben oder etwa 58 Millionen Pfund Sterling beschafft worden. Von den Anleihen erfolgte im Mai eine Emission von lO Millionen Pfund Sterling in London und Amerika, jedoch zu außerordentlich harten Bedingungen und einer Zinsen belastung von 7l/z Pröz. Dieser hohe Zinsfuß hat vor weiteren ausländischen Anleihen abgeschreckl und es wurden die übrigen Anleihen, zusammen 280 Mill. Jen, in Japan aufgebracht. Die Mehrbela>tung der japanischen Bevölkerung durch die Kriegs steuern und die Anlehenszinsen ist im Vergleiche zu den Lasten, welche die finanzielle Kriegsvorbereitung Rußland auferlegt, eine sehr drückende. Asntrafte. Unser Pariser —s-Korrespondent übermittelt uns folgende Petersburger Depeschen des „Journal": „Man erzählt mir eine merkwürdige Anekdote über den Kaiser. Nikolaus ll. Feuilleton. Die heilige Caecilie. 5j Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten. „Du mußt es ja wissen!" kam es phlegmatisch zurück. Gleichmütig sah der junge Mann es mit an, wie seine Schwester die widerstrebende Mutter, die sofort wieder lebhaft zu debattieren begann, unter den Arm faßte und zur Tür zog. „Bitte, mir baldmöglichst die Lampe hereinzuschicken!" rief er den beiden nach. Er blieb sitzen, bis sich die Tür hinter Mutter und Schwester geschloffen hatte, bis ihre Stimmen sich im Korridor verloren, dann dehnte er sich ein wenig, sprang aus und ging zu der in der Tiefe des Zimmers stehenden beauemen Ruhebank, auf welcher er sich lang ausstreckte, beide Hände unter den Kopf gelegt. So! Das war ihm wieder einmal geglückt! Komödie spielen konnte er, — oder nein: Selbstbeherrschung üben, — und das war auch nötig! Ihm, wie er nun einmal geartet war, hatte der Gedanke, die Menschen könnten durch ihn hindurchseben, als wäre er von Glas, etwas geradezu erniedrigendes. Kleine Kinder konnten so sein, nicht aber erwachsene Menschen, — am wenigsten Männer! Tas Empfindungslcben streng in sich ver schließen, damit allein sein, — etwaige Wunden und Schmerzen so intim behandeln, daß niemand ihr Vor handensein auch nur ahnte, — dies war seit Jahren schon sein Bestreben gewesen. Das sogenannte „Sichaus- sprechen" erschien ihni als der Gipfelpunkt aller Weich- lichkeit. WaS, in aller Welt, wurde dadurch gewonnen oder gebessert? — Wunden und Schmerzen empfand er jetzt nicht, — Gottlob, nein! Aber zu seinen: eigenen innern Er staunen, hatte er, während Astas Erzählung, wahr nehmen müssen, daß er überhaupt etwas empfand. Es war dies „Etwas" zunächst ein ziemlich starkes Un- behagen, — kein Zweifel, ihm kam die ganze Sache mit der möglichen Künstlerlaufbahn des Nachbarkindes un gelegen, — sie ärgerte ihn! Aber warum ungelegen? Warum Aerger? — Sicher war er doch der Narr nicht gewesen, sich in dies kleine Mädchen, Annemarie Lombardi, zu verlieben? Unmöglich! Das hätte er doch merken müssen! Hans Kühne glaubte nicht an die „unbewußte Liebe", — wenigstens bei Leuten seines Schlages nicht! Er war ein moderner, aufgeklärter und zielbewußter Mensch, . .. als solcher hatte er sich überhaupt noch auf Jahre hinaus nicht zu verlieben, denn er war arm, er hatte keine Anstellung als Arzt, kein festes Einkommen: er wollte sich auch in keiner Weise binden, es blieb ihm einstweilen noch so enorm viel zu lernen, zu studieren! Mit sich selbst aber im klaren sein, das wollte er! Kein Versteckspiel! Ehrliches Vorgehen! Was bedeutete dies Unbehagen? — Und wie er nun so dalag in dem dämmerdunkeln Zimmer und mit seiner gewohnten Energie der Sache auf den Grund zu konimen suchte,.... da fand er, daß ihm, wenn er an seine Zukunft dachte, was recht häufig geschah, in undeutlichen, halb nebelhaften Umrissen etwas vorgeschwebt hatte, wie eine liebliche, kleine Frau mit einen« süßen Kindergesicht und schönen, ein wenig schwermütigen Augen. Also doch unbewußte Liebe? Noch nicht, — nein, — aber etwas derselben Verwandtes! Als müßte es schön sein, für ein solches Geschöpschen zu sorgen, es immer um sich zu haben, — es sich wartend an den« Ziel, das er sich gesteckt, zu denken, wie eine Belohnung für ihn, aber auch für sie, denn er wollte sie ja erlösen aus dieser Familienmisere, in der sie ihre zarten Kräfte aufricb! Und nun stand das Geschöpschen gar nicht an seinem Wege, — an seinem Ziel! Nun sollte es ganz, ganz andere Pfade wandeln, — sollte eine große Sängerin, eine Künstlerin werden! Sollte seiner nicht bedürfen, nicht im geringsten auf die Belohnung, die er ihr für ihre kümmerlichen Jugendjahre bieten wollte, angewiesen sein! Das Schick sal kam und nahm sie ihm aus der Hand, ehe diese Hand sie noch recht erfaßt hatte! Seltsam, — seltsam! Schließlich, .... er, Hans Heinrich Kühne, war nicht der Mann dazu, in fruchtloses Grübeln über solch eine Geschichte, die vor dem Anfang schon zu Ende war, zu verfallen, gar sich davon niederdrücken zu lassen! Er wußte, daß leidenschaftliche Liebe einen lebhaft empfin- denden Menschen vollständig umwandeln, ihn beglücken, ihn zerstören kann, — dies aber war nicht sein Fall! Von Liebe, gar von Leidenschaft, war keine Rede bei ihm! Weg mit allen Weiber- und Heirats- geschichten! Er war jung und wissensdurstig, — er hatte seine Arbeit! Nur daß sie ihm jetzt, eben jetzt, zufällig ein wenig grau und nüchtern erscheinen wollte, — etwas reizlos ... Das würde natürlich vorübergehen! Viertes Kapitel. Faniilientag bei Bankier Ringhaupt. — Berlin, dl. Alsen-Straße. Feudale Gegend. Feudales Haus. Vornehme Ruhe über dem Ganzen: kein gewöhnliches Zinshaus mit erborgtem Glanz. Wirkliche Gediegenheit in allem, — imposante Raumverhältnisse, wenig Stuck, noch weniger Vergoldung, dafür schöne Eichenschnitz, arbeit, halbe Spiegelwände, Samtdecken, — eine einzige Statue unten im Treppenflur: ein jugendlicher Merkur mit Stab und Flügelhut, in lichtem Marmor aus geführt, — das Werk eines modernen, seit ein paar Jabren vielgenannten Bildhauers. Alles m allem: viel Geld, — guter Geschmack. Bankier Ringhaupt war der reichste Mann in dem Verwandtenkreise, welcher den Familientag bildete. Man kam — fünf Familien — unweigerlich einmal in jedem Monat zusammen, um Fühlung miteinander zu behalten, wichtige Familienereignisse, Verlobungen, Hochzeiten, Taufen, Sterbefälle, zu beraten, — fiel dies fort, Tages neuigkeiten, Politik, wissenschaftliche Fragen auszu- tauschen, — vor allem aber über Kunst und Künstler zu debattieren: unter letzteren hatten die Jünger Euterpes weitaus den Vorzug. In diesen fünf Familien wurde eifrig, mit oft leidenschaftlicher Hingabe, musiziert, Quartett gespielt, gesungen, kleine Operetten wurden in- sceniert: man war mit allen Erscheinungen, die die Saison auf dem Gebiete der Oper, der Konzerte brachte, vollkommen vertraut. Die in diesen Familien vorhandenen erwachsenen Kinder durften an den Versammlungstagen teilnehmen, dock war dies ihnen freigestellt. Keinerlei Zwang durfte auf sic ausgeübt werden. Die Familienhäupter dagegen konnten nur durch Krankheit oder wichtige geschäftliche Neiien wegen etwaigen Fernbleibens entschuldigt werden. Jin Sommer fiel selbstverständlich der Familientag fort; es war kaum ein einziger seiner Interessenten um diese Jabreszeit in der Reichshauptstadt anwesend. Heute war man besonders zahlreich. Es war das erste Zusammentreffen nach der obligaten Sommerfrische, die bei vielen lehr ausgedehnt wurde. Was Hatto man einander alles zu erzählen! Es galt, zu konstatieren, ob man sich am Meer, im Hochgebirge, im Luftkurort ge nügend erholt hatte, ob neue interessante Beziehungen geknüpft worden waren, ob die Tarnen hübsche Moden aus den Bädern mitbrachten, ob man sich von der bevor- stehenden Saison Gutes für die Musik versprechen durfte, — und was der anziehenden Themata mehr waren! Bei Ringhaupts hatte die Sache allemal einen bc- sonders netten Anstrich. Man kam gern in das schöne.
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