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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041020025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904102002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904102002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-10
- Tag1904-10-20
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Seite 2. Nr. 537. 98. Iahrq. Leipziger Taflevlatt. DonnerStaq, 20. Oktober 1904. soll, bevor er die Revue über die Flotte für den Stillen Ozean abnahm, den Admiral Rodjeftwinsky bestellt und ibn aufgefordert baben, da« Händchen des Zarewitsch mit felner Hand zu fassen. Der Admiral er griff vorsichtig die kleine, gekrampfte Hand und fand darin ein kleine« Heiligenbild. Der Kaiser lagte: .Admiral, mein Sohn segnet Sie!" — Heute ist der NamenStaa de« Zare witsch. Die Fahne» klatschen traurig unter riesigem Regen. CS ist ein trüber, dunkler Tag, die Passanten stehen dicht an den Häuser mauern entlang; der Wind bläst sturmgleich. Im übrigen hat da- Fest keinen Glanz. In der Kathedrale von Kasan wurde ein Tedeum für den Hof gesungen. Uebcrall werden für da« Volk Andachten abgebalten. Vergeben« sucht man Rachrichten. Die Abendzeitungen sind kläglich leer. Ich komme aus dem Theater, wo ich „Das Leben für den Zaren" und einen großartigen Vortrag der Nationalhymne gehört habe. Das Publikum war wundervoll. Die Logen waren mit dekolletirten, von Schmuck funkelnden Frauen be setzt; die Herren trugen goldstrotzende Uniformen oder un tadelige Frack« zur Schau. Alle schienen vergnügt, glücklich, und beim Ausgang vertraut mir ein mir bekannter General- stabSofsizier an, daß in dem schrecklichen Kampf vom 29. Sep tember von zwei, vom Obersten Wannowsky befehligten Re- gimenrern nur 12 Manu am Leben blieben. So ist eS; hier singen sie, dort gehen sie in den Tod." Hier seien noch folgende Momentsbilder des „Graschdanin" angeführt: Kaum eine Stunde nach meiner Ankunft auf dem Bahnhof in Ltaojang begannen schon Verwundete einzutrrffen: einige wurden ans zweirädrigen karren, andere auf Tragbahren berangebracht, wühreud wieder andere sich mühsam mit eigenen Kräften heran schleppten. Allmählich wurde dar Gestöhn der Verwundeten und Sterbenden so laut, daß eS den auf der Station herrschenden Lärm übertönte. Mehr und mehr machte sich in der Luft jener spezifische Blutgernch bemerkbar, den man wohl nur im Kriege kennen lernt. Dieses traurige Bild vermochte indessen keineswegs in ihrem Treiben eine Gruppe eleganter, kürzlich erst auS Petersburg ein getroffener Kosakenoffiziere zu stören; fünf Schritte ungefähr von den Verwundeten und Sterbenden tranken sie Cham pagner und lachten dabei über alte, abgedroschene Zoten. Derartige Kontraste sind nnr im Kriege möglich, wo die wahre Physiognomie des Menschen ohne Schminke zutage tritt. Hier Verwundete, Sterbende, Leichen, die schwachen Gestalten katholischer und ortho doxer Geistlichen, Geschrei, Gewimmer, Kanonendonner, hungrige, abgemattete von den Positionen eintreffeude Offiziere, — dort das Gejohle Halbbetrunkener, Champagner, elegante, von den besten Schneidern der Residenz tadellos angefertigte Kosakenuniwrmen, gepfefferte Zoten und Prostituierte, die sogar in dieser schweren Minute einem betrunkenen Offizier die letzten Rubel aus der Tasche zu locken suchen. Dieses Bild, schließt der Korrespondent seine Betrach tungen, ist eine vorzügliche symbolische Darstellung jene« un geheuren Uebels und Unglücks, das wir mit dem Namen „Krieg" belegen. . . . Die Situation. Aus dem Wust von Depeschen, der sich tagtäglich noch ansammelt, seien nur wenige hervorgehoben. Nach Privat meldungen au« Chardin ist die «tation Schahe in den Händen der Russen. Es erhält sich auch hartnäckig daS Gerücht, daß die 5. Division des japanischen rechten Flügel« geschlagen sei und viele Japaner gefangen genommen wurden. Ein verwegener Korrespondent zählt sogar 12 000 Mann. Aus Tokio wird gemeldet: In den letzten 24 Stunden sanden keine größeren Gefechte statt. Die Front Kurokis ist unverändert. Die Russen griffen in der Nacht vom Montag seine Front an, wurden aber durch Artillerie zurückgeschlagen. Dienstag beschossen die Russen OkuS Stellung, um die Position seiner Batterien zu erkunden; die feindlichen Parteien kamen dabei einander bis auf 600 m nahe. Dem Reutcrschen Bureau wird aus dem Hauptquartier OkuS vom 19. Oktober telegra phiert: Die rechte und mittlere Armee hielten während der Schlacht ihre Stellungen und rückten gleichzeitig vor. DaS russische Detachement, welches die Flanke der rechten Armee an griff, wurde nach Osten zurückgetrieben. Die Linie der Japaner hat dieselbe Form, wie bei Beginn der Schlacht, ist jedoch 24 Kilometer nach Norken vorgeschoben. Die Armee hatte am 19. Oktober Ruhetag. Die Ruhe wird wahrscheinlich noch mehrere Tage dauern. — Aus Tokio meldet eine Reuter depesche: Die Regierung beschloß, durch Vermittlung der amerikanischen Botschaft in Petersburg dagegen Ein spruch zu erbeben, daß russische Truppen in chinesischer Verkleidung kämpfen. Das japanische Auswärtige Amt giebt bekannt, daß am 4. Oktober russische Eckützen in chinesischer Kleidung Japaner auf der Straße nach Mulden angriffen und sie auch an anderen Stellen zu überrumpeln versuchten. Die Anlegung von regelwidriger Bekleidung verstoße gegen das Völkerrecht und sei besonders für die Chinesen gefährlich, da man auf große Entfernungen nicht entscheiden könne, ob man Chinesen oder Russen vor sich habe. Vsr Arthur. Der „Daily Telegraph" meldet aus Tschifu vom 19. Ok tober: Ein von der Belagerungsarmee bei Port Arthur hier eingetroffener japanischer Kaufmann berichtet, daß die japa nischen Verluste vor Port Arthur mehr al« LV 000 Tote betrügen. Die Soldaten litten jetzt auch unter der Kälte. Die Hauptartilleriestellung der Japaner bestehe aus 400 Geschützen, die in einer Linie von den WolfSkergen bi- Takuschan stehen. DaS Feuer dieser Geschütze könne für die Festung erst dann verhängnisvoll werden, wenn die vorgelagerten Fort- zum Schweigen gebracht sind. Die Nach richten von der baltischenFlotte veranlaßten die Japaner dazu, ihre Anstrengungen zu erhöhen. Sie zögen Ver stärkungen zusammen, auch werde die Beschießung heftiger; beides beute auf einen neuen Angriff hin. Die schiecl?ten Aussichten der Vaikal-Aingbahn. Die „Birshrwija Wjedomosti" veröffentlicht eine Unter redung eines ihrer Mitarbeiter mit dem Verkchrsminister Fürsten Chilkow. Danach erklärte der Minister alle aus wärts verhreiteten ungünstigen Meldungen über die Baikal- Ringbahn für unrichtig. Allerdings habe der Probezug, auf welchem der Minister fuhr, vier Tage gebraucht, um 20 Werst zurückzulegen, und eS sei auch richtig, daß der Zug im Tunnel entgleiste, seitdem aber sei dergleichen nicht mehr vorgekommen. Die Züge verkehren jetzt nnt einer Schnelligkeit von zwanzig Werst in der Stunde. Täglich könnten 16 Züge längs des SeeS und über denselben auf Eisbrechern befördert werden und daS komme der Leistungs fähigkeit der TranSbaikalbahn, wie auch der sibirischen Bahn gleich. Der Minister betonte sodann, daß, so lange die Truppen transporte andauern, die Beförderung der Privatfrachten über Iakutsl hinaus sehr erschwert bleibe. Abhilfe könne nur durch die Benutzung der sibirischen Wasserwege, besonder« des Ob-Ienisfei-SystemS, geschaffen werden. Ein hieraus bezüg- sicher Entwurf, dessen Durchführung etwa zwölf Millionen Rubel erfordern würde, sei bereits auögearbeitet. Sollten die Truppentransporte noch lange erforderlich sein, so werde die sibirische Bahn auch nach einem Jahre noch schwerlich für den Handel dienstbar sein können. politische Lagerrcha«. * Leipzig, 20. Oktober. Tas Schicksal der Kanalvorlage wird augenblicklich von einer Anzahl Blätter wieder leb haft erörtert. Wenn im „Hanno. Courier" bereits aus- gerechnet wird, von den 433 Mitgliedern des preußischen Abgeordnetenhauses seien 190 als kanalfemdlich, 193 als kanalfreundlich zu betrachten, während die Stellung nahme von 48 Mitgliedern ungewiß sei, so hat diese Be rechnung wenig Sinn, denn bei der geringen Differenz zwisckien der Zahl der kanalfreundlichen und der der kanalfeindlichcn Abgeordneten geben naturgemäß die 48 „Ungewissen" den Ausschlag. Mit anderen Worten: über da,s Schicksal der Vorlage ist noch nichts Bestimm tes zu sagen. Die „Dtsch. Tagesztg." warnt nochmals davor, den Entwurf mit allerhand anderen Plänen zu überlasten und dadurch zum Scheitern zu bringen. Sie schreibt: Die gefährlichsten Kanalgegner sind jetzt nicht diejenigen, welche aus sachlichen's? Red. d. „L. T."), schwerwiegenden Gründen die Nützlichkeit und Not wendigkeit des RheiwLeine-Kanals bezweifeln und bestreiten, sondern vielmehr diejenigen, welche seine Annahme von der Verquickung mit anderen weitaus schauenden Projekten abhängig machen wollen. Es liegt auf der Hand, daß die finanziellen Bedenken wesentlich verstärkt werden müssen, wenn durch Hin einziehung anderer Pläne die Kosten erheblich erhöht und die Eiscnbahncinnahmen noch mehr geschmälert werden. Mit der Schmälerung der Eisenbahneinnahmen ist es übrigens auch der „Dtsch. Tagesztg." nicht so ernst, den wahren Grund ihrer Kanalfcindschaft verrät sie viel mehr wieder in folgenden Sätzen: Unsere Bedenken sind durch den bisherigen Gang der Beratungen ebensowenig beseitigt oder ab geschwächt worden, wie durch die im übrigen dankenswerten Materialien der Regierung. Wir sind vorläufig noch der Meinung, daß der Rhein- Lcine-Kanal aus finanziellen, aus allgemein wirtschaftspolitischen und auch aus agrarischen Gründen abzu- I e h n e n s e i. Ob wir in die Lage kommen werden, unsere Bedenken zurüchzustellen, das hängt zunächst von den Erörterungen m der Kommission ab. Daß dort etwas wesentlich Neues und Ueberzeugendes bei gebracht werden könne, ist allerdings nicht recht wahrscheinlich. Tas heißt ziemlich unverblümt: „Aus Gründen krassester Jnteressenpolitik lehnen wir strammen Agra rier die Kanalvorlage ab." Ausschlaggebend wird also wieder einmal die Stellung des Zentrums sein, und in dieser Beziehung ist es von besonderer Bedeutung, daß der Referent sür die Kanalvorlage Abgeordneter Dr. am Zehnhoff seinen früheren Antrag betreffend Verstaatlichung de- Kanalbotriebes als Eventualantrag aufrecht erhalten hat. Er beantragt, jedoch, in erster Linie die Verstaatlichung de« mechanischen Betriebes auf dem Kanal rm Wasserstraßen gesetze auszusprechen und die Bewilligung der er forderlichen Geldmittel einem besonderen Gesetze vorzu behalten. Als Hauptvorzüge der beantragten Verstaatlichung des Betriebes auf dem Kanal erblickt er 1) die leidige Konkurrenz -Wischen Eisenbahn und Wasserstraße ist beseitigt; Eisenbahn und Wasserstraße werden wirk liche Bundesgenossen, die sich gegenseitig in die Hände arbeiten. 2) Der Betrieb auf der Wasserstraße wird ein eisenbahnmäßiger. Das bedeutet für den Be frachter, daß er mit fester Lieferzeit und festen Frach- ten rechnen kann. Nur ein eisenbahnmäßig ein gerichteter Betrieb auf dem Kanal kann den Eisen bahnen im Ruhrrevier, die nötige Entlastung bringen. 3) Der Staat kann seine Tarifpolitik auf den Kanal ausdehnen, er kann wirtschaftlichen Verschiebungen durch regulierende Tarifgestaltung Vorbeugen; er kann bewirken, daß di« Vorteile der Transportver billigung der Allgemeinheit zu Gute kommen. Im Interesse der mit Menschen- oder Tierkraft treideln den Kleinschiffabrt empfiehlt eS sich nach dem Referenten, mrr den mechanischen Betrieb zu ver staatlichen. In der „Köln. VolkSztg." wird dem Antrag von Partei wegen noch folgender Empfehlungsbrief mit gegeben: Dem Gedanken der Einführung eines staatlichen Betriebsmonopols auf dem westlichen Kanalsystem im Sinne der Anfrage des Abgeordneten am Zchn- hoff steht die Negierung, wie als zweifellos an genommen werden kann, sympathisch gegen über. Verlautbarungen von den verschiedensten Stel len lassen ferner erkennen, daß der am Zehnhofssche Gedanke auch in parlamentarischen Kreisen, sowie in den Kreisen der Interessenten, und zwar sowohl der industriellen, wie der landwirtschaftlichen Inter essenten, große Beachtung gefunden hat. Die Gründe für das vorgeschlagene staatliche Vetricbsmonopol hat Abgeordneter am Zehnhoff in seinem obigen Anträge selbst in aller Kürze angegeben. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß durch eine mit ausreickienden Kautelen umgebene Verwirklichung mit einem Schlage zahlreiche Bedenken gegen das Regierungsprojekt ausgeräumt wären, daß insbesondere auf dem Boden des staatlichen Betricbsmonopols ein billiger Aus gleich der sich vielfach so scharf entgeaenstebenden Interessen verhältnismäßig leicht zu finden wäre. Unter diesem allgemeinen Gesichtspunkt erscheint der am Zehnhofssche Antrag geeignet, eine Wendung in der Kanalfrgge herbeizuführen, welche für die weitere Behandlung der vielumstrittenen Frage von großer Bedeutung werden kann. Zunächst dürfte der- selbe die beute wieder aufgenommenen Beratungen der Kanalkommission beherrschen. Vielleicht ist also das Schleppmonopol der Preis, um den das Zentrum auf den Handel in der Kanalfrage eingehen will. Zu den PodbielSkischen Postreformen. Der Oberpostpraktikant Wilhelm Triest erörtert im neuesten Hefte des Sch mollers ch en „Jahrbuchs fürGesetzgebung,Verwalt un gundVolks- wirtschaft" die PodbielSkischen Post- reformen und ihre finanziellen Ergeb- nisse. Unberücksichtigt bleiben dabei die unter Pod- bielskis Amtsführung in den Postbcziehungen zum Aus lande eingetretenen Veränderungen, weil hier nicht eigentlich? Reformen vorliegen, sondern lediglich ein Ausbau des Weltpostvereins in Frage kommt. Demnach handelt es sich für Triest in der Hauptsache um die Reform des Briefportos, und zwar um die Er höhung des einfachen Briefgewichtes im Fernverkehre einerseits, um die Ermäßigung aller Portosätze im Orts und Vorortsverkchre andererseits; ferner handelt es sich um die Ermäßigung der Poftanweisungsge bühren für kleinere Beträge, um die Neuregelung des Zeitungstarifs, um die Aenderung des Fern- sprech-Gebührentarifs. Herr v. Podbielski hat, wie Triest ausführt, betreffs der angeführten Maß nahmen -en finanziellen Standpunkt keineswegs ganz aufgegeben. Aber er ging insofern taktisch richtig vor. als er mit -er Erfüllung der verschiedenen Wünsche solche Maßnahmen verknüpfte, die der Postverwaltung über die finanziellen Schwierigkeiten hinweghelfen konnten. Dahin gehört vor allem die Beseitigung des Wettbewerbes der Privatanstalten; die Verkehrssteigerung infolge ihrer Aufhebung sollte den Einnahmeausfall auS den Porto ermäßigungen decken. Bezüglich der Fernfprechgebühren- Reform machte er zur Bedingung, daß der Reichstag die Mittel zu dem plötzlich notwendigen Ausbau der Be triebsanlagen bewilligte: ferner drang er auf Sicherheit deS Rechtes der Telegraphenverwaltung zur Benutzung der öffentlichen Wege und der Privatgrundstücke. Be trachtet man nun die Einwirkung der PodbielSkischen Reformen auf das finanzielle Gesamtergeb nis der Reichspost- und Lelegraphenverivaltung, so findet man trotz der Verbilligung der Portosätze usw. eine absolute Mehreinnahmc: Tie Gesamteinnahme stieg (in runden Zahlen) von 349 Millionen Mark im Rechnungs jahre 1898 ans 373, bez. 394, bez. 413 Millionen Mark in den Rechnungsjahren 1899 bis 1901. Prozentual ist allerdings der Ueberschuß im Vergleiche mit den Ergeb nissen der vorhergehenden Jahre beträchtlich zurück gegangen. Tenn in den Etatsjahren 1895 bis 1898 be- trug der Uebersclmß (immer in runden Zahlen) 25 bez. 26 bez. 33 Millionen Mark, während er sich in den Etats jahren 1898 bis 1901 auf 37 bez. 41 bez. 11 bez. 20 Millionen Mark belief. Die Hauptsaktoren, welche die ungünstige Finanzgebahrung des Jahres 1900 gezeitigt haben, nämlich die Abfindung der Pcivatposten und die Kosten für die Ausdehnung des Fernsprechnetzes, kommen in Zukunft teils ganz, teils allmählich in Wegfall, so daß sich der Ueberschuß der Neickispostverwaltung bald wieder gehoben hat. Der Ueberschuß würde bereits 1901 voraus sichtlich größer geworden sein, wenn damals nicht die wirtschaftliche Krisis geherrscht hätte. Im Rechnungs- fahre 1902 hat der Ueberschuß bereit- die Höhe von 42,4 Millionen Mark erreicht, also den Ueberschuß des den Reformen vorangeganqenen Jahres 1899 schon über holt. Die Wirkung der Gebührenherabsetzung war also, ähnlich wie in den Jahren 1868/70. bei der Einführung des Einheitsbriefportos, nach zwei Jahren mehr als aus- geglichen. Noch günstigere Ausblicke eröffnen sich für die Zukunft. Denn in den vorsichtig ausgestellten Etats anschlägen sind die Ueberschllsse des Jahres 1904 anf nicht weniger als 52,7 Millionen Mark geschätzt. Der Krieg um den Kongostaat. Aus Brüssel wird gemeldet, daß der König Leo pold II. dem Präsidenten Roosevelt seine Photographie und einen Brief geschickt hat, worin er die Anklagen gegen den Kongostaat zurllchveist; er behauptet, derÄn- tläger, der Engländer Morel, suche unter dem Vor wande, den Eingeborenen zu helfen, durch Herbeifüh rung eines Kongresses der Mächte die Souveränetät des Kongostaates in Frage zu stellen. Hierzu schreibt unser Londoner -n-Korrcspondent: Die Anklageschrift des Mr. E. D. Morel ist bei Heinemann erschienen, und „König Leopolds Herrschaft in Afrika" betitelt. Ihr Ton wird sogar von Londoner Zeitungen gehässig, rheto risch und manchmal hysterisch bezeichnet. Morel nennt den Kongostaat einen „Näuberfeldzug", er hat für Leo pold II. die Phrase: „Das Herz erkrankt, und der Geist empört sich, wenn man daran denkt", usw. Jedoch stimmt auch die Presse, die das Geschimpfe nicht mag, dem Vorwurf, die Negierung des Kongostaates sei eine „Mißrcgierung", bei. Der britische Konsul, Mr. Case- nnnt, habe das bewiesen. Die englische Regierung hat, durch die Unterhausdebatte im Mai des letzten Jahres, eine Beschwerdenote an den Kongostaat gesandt und sie den anderen Mächten mitgetilt, sofern sie die General akte, auf Grund derer der Kongostaat geschaffen wurde, zeichneten. Der Staat hat dann eine offizielle Unter suchung der Administration vorgcnommcn, Roosevelt hat sich mit der Sache beschäftigt, und jedenfalls sind Ad- vokaten wie Mr. Morel nicht mehr erforderlich, die Instanz, an die er sich wendet, ist die populäre, die sich alles mit -er „Halsabschneiderei" und der Geldgier der Brüsseler Finanziers und ihrer Beamten erklären läßt, obne die Bestialität der Einaeborcnen und den Schau platz des Ganzen berücksichtigen zu wollen. Die Mäßigung, mit der die Londoner Zeitungen sich äußern, ist bemerkenswert. Deutsches I^eich. * Leipzig, 20. Oktober. * Ten sächsischen Kanalprojekten stellt das konser vative „Vaterland" ein recht schlechtes Prognostiken. Tie Kosten seien so enorm hoch, daß an eine Realisierung schwerlich zu denken sei. Es erforderten der Kanal Leipzig-Luppc-Halle 20,6 Millionen, der Kanal Leipzig- Riesa, der die meiste Fürsprache hat, 62 Millionen, der Kanal Riesa-Chemnitz, für den neuerdings Propaganda gemacht wird, 64—73 Millionen Mark. Zur Ver zinsung des Anlagekapitals für den Kanal Leipzig-Riesa seien jährlich 2,542 000 nötig. Auf eine solche Ein nahme sei in keiner Weise zu rechnen. Hierzu komme noch für den Staatssäckel der aus der Konkurrenz der Kanäle mit Sicherheit zu erwartende große Einnahmeausfall auf den dabei in Frage kommenden Bahnlinien. Ob ferner große Haus in der Alsenstraße, bewegte sich gern in diesen, mit künstlerischem Geschmack ausgestattcten Räumen, versorgte sich mit Vergnügen an diesem Büffet, das „ganz zwanglos", wie es der Familientag vorschrieb, die schönsten Erzeugnisse, die die betreffende Jahreszeit bot, die besten Weine und Delikatessen hergab und schon damit allein „Stimmung machte", man mochte noch so ideal über materielle Dinge urteilen! Es war überdies durchgesickert, — wo und wie, das wußte man nicht recht — daß „Onkel Alfred" heute eine besonders interessante Sache zur Sprache bringen wollte; alle Details fehlten, was die Geschichte nur um so spannender gestaltete. Namentlich die Damen hatten viel cur dem prophezeiten Ereignis herumzurätseln. Alfred, — Onkel Alfred, — mein Himmel, der war den Sommer über äußerst solide mit Frau und Töchtern in Ruhla in Thüringen gewesen, — der kostspielige geniale Sohn verbot die teuren Bäder für die Familie! — da konnte man doch nichts besonderes erleben! Jetzt eben hatte er die Hochzeit einer Nichte, da ganz hinten irgendwo in Wcstprcußen, mitgcmacht, — da konnte man erst recht nichts erleben! Aber er hatte etwas erlebt, der gute Direktor, da- war außer aller Frage! Wie er jetzt eintrat, der stattlichen, grauhaarigen Hausfrau, Cousine scinerGattin, galant die Hand küßte, dem beweglichen, kahlen Bankier die Rechte schüttelte, den Geheimen Oberbaurat Wessel, Bruder seiner Frau, besonders kordial begrüßte, und nun, inmitten eines kleinen Kreises, bedeutungsvoll schmunzelnd und mit den Augen zwinkernd, dastand, da sah er genau so aus, wie einer, der sagen will: „Wartet, Kinder, wartet! Ich hab' euch etwa- mitzuteilen! Ihr werdet Augen machen!" Seine Frau, zwei seiner erwachsenen Töchter, sowie sein Sohn, waren mit ihm gekommen, — die ältere Dame spitz und blaß im Gesicht, welk, verblüht, offenbar voller PrLtensionen, die gerade am Familientage ihre reich lichste Nahrung fanden. Tie „geborene Wessel", Schwester eines hochgestellten Bruders, Cousine eines schwer reichen Bankiers und eines stattlichen Obersten a. D., leuchtete dann in Lapidarschrift von den Zügen dieser Frau, die doch schon als Gattin eines Direktors, als Mutter eines genialen Sohnes und dreier Töchter, von denen eine hübsch, die andere begabt war, vollauf Beachtung verdiente. Aber im Schoß einer solchen Familie geboren zu sein, das war noch eine Extra-Aus- zeichnung! Tie beiden weißgekleideten Mädchen, der Mutter sehr ähnlich, umgaben sie gleich zwei Flügeladjutanten, — der Sohn, ein hübscher Mensch mit gelocktem Haar und etwas weichlichen Zügen, bändelte sofort mit seiner nied lichen Cousine, Oberst Brückners Töchterchen Melanie, an, die eben mit ihrem Bruder, einem schlanken Leut nant erschienen war. Die Familie Vollmar, bestehend auS deren Ober haupt, einem wcißbärtigcn Herrn, ehemaligen Ritter gutsbesitzer, der in Berlin seine Renten verzehrte, einer ältlichen, kleinen Frau, die so ängstlich und hungrig aus- sah, al- ob sie überhaupt nichts verzehrte, und die im Ruf großen Geizes stand, und zwei Töchtern, die, wie der witzige Leutnant Brückner bemerkte, von ihrer lieben Mutter tüchtig „auf den Mann dressiert" waren, grüßte rechts und link-; sie war den Ringhaupt- nahe verwandt und sonnte sich gern im Glanze dieses gastfreien und reichen Hauses. In ihrem eigenen sollte e-, Dank dem Geiz der Mutter, mit wahrhaft spartanischer Einfach, heit hergehen, trotzdem sie notorisch außerordentlich wohl- habende Leute waren. Sie hatten sich keine Badereise geleistet, sondern sich von ehemaligen GutSnachbarn auf Sommerfrische einladen lassen, — „gar nicht zu um gehen, — die lieben Menschen waren zu dringlich ge wesen, und man hatte es ja auch herrlich bei ihnen gehabt, — wundervoll! Diese Gegend, — diese Lust, — diese prächtigen Leute!" — Einen wichtigen Bestandteil der Versammlung bil- deten die beiden Fräulein Wessel, die Schwestern von Frau Direktor Mentzel, — zwei bejahrte, spinöse, dünne Dämchen, die älteste harthörig und nie ohne ein metallenes Hörrohr zu sehen, das sich bis zu fast meter langer Spannung dehnen ließ und in dieser Gestalt einen beinahe gefahrdrohenden Eindruck machte. Die „Tanten", wie sie schlichtweg im ganzen Familienkreise genannt wurden, erfreuten sich aber allgemein einer äußerst respektvollen Behandlung, denn sie waren Erbtanten und konnten über ihr hübsches Vermögen zu Gunsten der verschiedenen Neffen und Nichten frei verfügen. Das Kapital der einst ebenso vermögenden Frau Direktor Mentzel war im Verlauf der Jahre, namentlich der letzten, welche der Ausbildung des genialen musikalischen Sohnes gedient hatten, sehr bedenklich zusammenge schmolzen. Die Gastgeber, Bankier Ringhaupt-, besaßen nur zwei Kinder, beide auswärts verheiratet. Der Sohn lebte al- Großkaufmann in Antwerpen, hatte eine arme, dafür aber ungeheuer anspruchsvolle Französin ge heiratet, besaß drei reizende Kinder und führte einen luxuriösen Haushalt im großen Maßstabe, der wahre Unsummen verschlang. Die Tochter war die Gattin eines adligen Offiziers in den Reichslanden geworden. Der Mann war begabt, von guter Familie und machte Carriere, — dafür verlangte er, ein Leben nach seinem Sinn zu führen, und dies Leben kostete soviel Geld, daß sogar der in dieser Hinsicht äußerst liberale Schwieger papa zuweilen bedenklich fein kahlgewordenes Haupt schütteln mußte. — Jedenfalls war heute alle- äußerlich Freude und Herrlichkeit. Man war wieder einmal zusammen, man vrie- gegenseitig das gute Aussehen, die Damen küßten einander, da-: «geliebte Karoline" und „beste Martha" und „einzigste Babette" schwirrte durch die Lust, die Herren schlugen sich lachend auf die Schulter, versicherten: „Du siehst großartig aus, Anton!" oder: „Sie haben sich fabelhaft erholt, Brückner, — einfach nicht zum Wieder- erkennen!" und dann begab man sich ans Büffet, die jungen Damen und Herren bedienten, — es war ganz reizend! Onkel Alfreds Sohn, Oswald Mentzel, wurde von den jungen Mädchen stark in Anspruch genommen und „entzückend" gefunden, — mehr noch, als Rolf Hennig Brückner, so „niedlich" dieser auch war. Aber, o Gott, Oswald sollte doch ein solches Genie sein! Und er sah ja auch ganz wie ein Genie aus und hatte die Allüren eines Genies und natürlich auch dessen Arroganz! Aber was schadete denn das? Ein bescheidenes Genie, — das gab eS ja überhaupt nicht, das war doch ein lächerlicher Gedanke! „Oswald, ist eS wahr, daß du so ein wonniges Früh- lingSlied komponiert hast? Sing' eS doch leise, — summ' eS ein bißchen! Sag' wenigstens, wie eS arffängt, — drei Zeilen vom Text, — hörst du, Oswald?" „Hast du denn solch eine brillante Anstellung als Kapellmeister in Aussicht, Oswald? In Süddeutsch soll eS sein, — ist eS wirklich so? Und wollen dich hier zwei Theater festhalten als Dirigenten, und du hast ge sagt, du wirst dir die Sache noch sehr überlegen?" Oswald tat, waS ein Genie in seinem Fall zu tun ver pflichtet ist. Er saß da, recht, wie ein junger Pascha, von so und so vielen niedlichen Mädchen umgeben, und ließ sie reden und fragen, nach Herzenslust! — und sich selbst lieb er gehen, — auch nach Herzenslust! — Wozu sich anstrengen am Familientag? Diese Deinen Käferchen waren sehr nett, aber keines von ihnen war da- Genre von „Käferchen", wie er eS bevorzugte,.. . mithin .... Er ließ seine lichtblauen, ein wenig müdblickcnden Augen langsam in diesem Coufinenkreise in die Runde gehen, während er lässig erwiederte: „Tee trinken und abwarten, Kinder! Kleine Mädchen müssen nicht so neu gierig sei»!" (Fortsetzung folgt.)
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