52 Jürgen Paul Noble Villen, monumentale Fassaden Städtebau und Architektur der Gründerzeit in Dresden Lange wurden in den Bildbänden, die an das unzerstörte Dresden erinnern, nur seine barocken Bauten und Gottfried Sempers Schöpfungen abgebildet. Was viele Bücher verschweigen: das Stadtbild Dresdens vor 1945 war nur zum wenigsten barock, sondern das einer Großstadt des 19. Jahrhunderts, entstanden seit den 1860er Jahren und in seiner architektonischen Erscheinung geprägt von den Bauten des Historismus. Noble Villen schlossen sich unmittelbar an das Stadtzentrum an, Miets- und Geschäftshäuser des 19. Jahrhunderts bildeten geschlossene Fronten, deren patinierte Sandsteinfassaden eine dunkle Pracht entfalteten. Eine Fülle von monumentalen öffentlichen Bauten erhob sich entlang der Elbe und an den vielen gärtnerisch gestalteten Plätzen mit Brunnen und Denkmälern. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hat dem nur weniges hinzugefügt. Wäre Dresden 1945 nicht zerstört worden, würde man es heute als eine der schönsten Großstädte des 19. Jahrhunderts feiern. Außerhalb der Innenstadt ist manches davon geblieben, doch die alte Geschlossenheit des Stadtbildes ist heute nicht mehr nachzu vollziehen. In den Jahrzehnten um 1870 war die Stadt auf ein Vielfaches gewachsen. Um die Jahrhundertmitte hatte das Stadtgebiet noch wenig über die historische Altstadt und die alten Vorstädte auf der linkselbischen Seite - die Wilsdruffer Vorstadt und die seit 1852 durch die Eisenbahn abgeschnittene Friedrichstadt im Westen, die Pirnaische Vorstadt im Osten - sowie die barocke Neustadt auf der rechtselbischen Seite hinaus gereicht. Im Süden hatte sich neben der alten Seevorstadt ein neues Viertel um die 1851 als Verbindung zum Böhmischen Bahnhof angelegte Prager Straße gebildet. An dessen vornehme Etagenhäuser im Umkreis des Ferdinandplatzes schlossen sich bald seitlich der Bürgerwiese palaisartige Villen, das später sogenannte »Englische Viertel«, an. Seit 1855 begann sich jenseits der Bahnlinie die Südvorstadt zu entwickeln. Auf der Neu städter Seite lag auf dem Gebiet der heutigen Albertstraße noch bis in die 1890er Jahre ein entwicklungshemmendes, großes Kasernengelände. Im Norden aber hatte sich jenseits des Bautzner Platzes, des späteren Albertplatzes, zu beiden Seiten der Alaun straße die sogenannte Antonstadt gebildet. Die zuerst bescheidenen, zweigeschossigen Häuser wichen später der relativ dicht bebauten, heutigen »Äußeren Neustadt«. So hatte sich die Stadt also zunächst nordsüdlich, das heißt im rechten Winkel zur Elbe, ausgedehnt. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sie sich parallel zum Fluss,