18 Charles-Leon Koehlhoeffer Französisch-sächsische Musikbeziehungen im 18. Jahrhundert Anfang des 17. Jahrhunderts erlebte Europa eine musikalische Revolution: seit dem Hohen Mittelalter herrschte der sogenannte franko-flämische Stil; Nachfolger der fran zösischen Schule von Notre-Dame und später folgten Johannes Ockeghem und Josquin des Pres in strenger Polyphonie. Am Ende des 16. Jahrhunderts reagierte Italien durch die Musiker Gabrieli; mit Caccini und Monteverdi wird ein ganz neues Musiksystem begründet, der melodisch-harmonische Stil, in dem die Melodie die Hauptrolle spielt, unterstützt von einer geeigneten Harmonie. Fast alle Länder Europas werden diesen neuen Stil nachahmen, vor allem Sachsen mit Heinrich Schütz. Auch Frankreich wird die sen Stil annehmen, sodass, bis 1660, eine musikalische Unität herrscht: nichts Grundsätz liches oder Typisches unterscheidet ein Werk des reformierten J. P. Sweelinck im Norden von einem Werk des katholischen Spaniens Antonio de Cabezön, nichts ein Werk des Franzosen Jehan Titelouze von einem Werk des Italieners Girolamo Frescobaldi oder einem Werk des deutschen Jacob Praetorius oder Franz Tunder. In Frankreich reagiert man im Jahre 1660 auf diese Herrschaft des italienischen Stils. In diesem Jahr machte Lud wig XIV. Schluss mit der Regentschaft von seiner Mutter Anne d'Autriche und dem Kar dinal Mazarin. Ab jetzt sollte alles im Königreich eine französische Connotation haben, auch die Musik. Guillaume Gabriel Nivers und Jean Baptiste Lully (ein Italiener!) gründe ten den französisch-musikalischen Stil: alles gründet sich auf dem Rhythmus, gelegent lich bezogen auf einen bestimmten Tanz (Courante, Sarabande, Gigue, Gavotte, Menuet) mit Verzierungen und Ornamenten. Und das gefällt. In Deutschland, aber auch in England, schreiben nun die Komponisten eine Musik, die ebenso den italienischen wie den französischen Stil benutzen. Er nennt sich der »gemischte Geschmack« (goüts revuis) und man findet ihn bei vielen deutschen Komponisten um 1750: Johann Joachim Quantz und Georg Philipp Telemann, Georg Friedrich Händel und natürlich Johann Sebastian Bach. Wenn man auf deutsche Kunst und Künstler im 17. Jahrhundert blickt, so sehen wir da zwar ein wackeres Ringen einzelner nach Selbständigkeit, im Ganzen aber ein baldi ges Anschmiegen an fremde Kunst. Man war von dieser so eingenommen, dass an den Höfen nichts Deutsches in Gunst kommen konnte, wenn es nicht fremden Vorbildern nachgeahmt erschien. Wer sich als Künstler einen Ruf an einem deutschen Hof machen wollte, musste in Italien oder Frankreich gewesen sein.