2$ Holger Starke Stadtgefüge, Parteien und Politiker in Dresden im Kaiserreich Großstadtwachstum und soziale Veränderungen Eine Darstellung, in der das politische Leben in einer Großstadt über vier Jahrzehnte verfolgt werden soll, kann auf solch gedrängtem Raum, wie er hier zur Verfügung steht, naturgemäß nur eine sehr grobe Skizze bleiben. Die Konzentration erfordert viele Vereinfachungen und die Beschränkung auf wesentliche Grundzüge. 1 Zwischen Reichsgründung und Ausbruch des Ersten Weltkrieges war die »Haupt- und Resi denzstadt« Dresden immer eine der größten Städte im Kaiserreich und, legt man die Bevölke rungszahl zugrunde, Hauptstadt des drittgrößten deutschen Bundesstaates nach Preußen und Bayern. Naturgemäß war die Stadt damit Verwaltungsmittelpunkt des Königreiches Sachsen. In Dresden befand sich der Sitz von Partei- und Vereinszentralen, sächsischen und regionalen Insti tutionen, Vertretungskörperschaften und Behörden (Hof, Landtag, Ministerien, Konsulate, Kreis-, Amtshauptmannschaften, Evangelisch-Lutherische Landeskirche usw.). Dresden war aber auch eine bedeutsame Industrie-, Militär- und Hochschulstadt sowie ein Verkehrsknotenpunkt ersten Ranges. In wirtschaftlicher Hinsicht vollzog die Stadt im Kaiserreich eine Wandlung von einem überwiegend auf den lokalen und regionalen Markt ausgerichteten Standort mit hohem Importvolumen zu einer konkurrenzfähigen Industrie- und Dienstleistungsmetropole mit beachtlichem Exportgrad. 2 In der im Norden gelegenen Albertstadt war seit den 1870er Jahren nicht nur eine der größten Garnisonen im Reich beheimatet; dort arbeiteten auch mehrere große staatliche Rüstungsunternehmen für den Heeresbedarf. Im Dresdner Süden entwickelte sich aus bescheidenen Anfängen ein großräumiges Hochschulviertel. Und nicht zuletzt erneuerte die Stadt, Mittelpunkt einer eindrucksvollen Kulturlandschaft, ihren Ruf als Ort glanzvoller Bau werke, der Musik und der bildenden Kunst. Zwischen 1871 und 1914 wuchs die Einwohnerschaft von etwa 177 000 auf etwa 567 000 Ein wohner an; die Stadtfläche vergrößerte sich durch Eingemeindungen von 2 860 auf 6 750 Hek tar. 3 Die Sozialstruktur war - schon wegen der stürmischen Entwicklung der Industrie - erheb lichen Veränderungen unterworfen. 1907 war die Hälfte der Stadtbevölkerung beruflich mit der Industrie, die vielfältig strukturiert und von Klein- und Mittelbetrieben dominiert war, verbun den. Das Handwerk hatte einen schmerzhaften Schrumpfungsprozeß hinter sich. Bauwesen und Kleinhandel befanden sich, nach viertelhundertjährigem Boom, seit der Jahrhundertwende in einer Dauerkrise. Schlechter bezahlte Tätigkeiten, u. a. in den »Frauenindustrien«, waren seitdem