5« Gerd Stecklina Otto Rühle als Wanderlehrer der SPD Der geringe Bekanntheitsgrad von Otto Rühle (1874-1943) in Deutschland, speziell in Sachsen, mag erstaunen. Denn geboren 1874 in Großvoigtsberg in Sachsen, lebte und arbeitete Rühle bis 1932 vorwiegend in Sachsen und sorgte durch seine sehr polarisierende politische Arbeit, seine umfangreiche und vielseitige Vortragstätigkeit sowie seine Auseinandersetzungen mit dem kaiser lichen Obrigkeitsstaat und der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik, mit Par teien und einzelnen Personen immer wieder für Zündstoff und öffentliche Aufmerksamkeit. 1 Rühle und seine Vortragstätigkeit Die mangelnde Kenntnis über Otto Rühle spiegelt sich auch im Wissen um Lebenslauf und Werk. 2 Bis heute weisen -150 Jahre nach seiner Geburt - sowohl Biographie als auch die Analysen zum politischen und pädagogischen Wirken Rühles eine Fülle von »blinden Flecken« auf. Dies trifft auf Rühles Funktion als Referent und Wanderlehrer für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands in den Jahren 1896 bis zu seinem Bruch mit der SPD im Jahr 1915 sowie als »freischwebender« Intellektueller (Weber) in den Jahren danach zu. Dabei zieht sich die Tätigkeit als Verbreiter von wissenschaftlichem, politischem und pädagogischem Gedankengut unter der Arbeiterschaft wie ein roter Faden durch Rühles Biographie. 3 Rühle wird auf Grund seiner Leistungen für die SPD — neben Hermann Duncker - in der Literatur als einer der Erfinder und Protagonisten des (sozial demokratischen) Wanderlehrers dargestellt, der von Stadt zu Stadt und Schulung zu Schulung zog und bemüht war, theoretische Grundkenntnisse zu vermitteln und die Arbeiter zu einer ver antwortungsbewußten Gestaltung ihres Lebensalltags und zu einem anderen erzieherischen Umgang mit ihren Kindern anzuhalten. Rühle war also nicht nur ein »radikaler Linker«, sondern auch Protagonist einer sozialen Kinderpädagogik, einer sozialen Reform von Volksschule sowie des zeitgenössischen Wanderlehrer- und Kurssystems. Bereits ab 1896 setzte Otto Rühle dabei bedeutsame Akzente für eine breite Arbeiterbildung als unverzichtbarem Teil der zeitgemäßen proletarischen Kultur, der »Zweiten Kultur« der industriekapitalistischen Moderne. 4 Rühle und sein Anspruch an die Bildung von Arbeitern Im vorliegenden Beitrag wird auf Rühles Tätigkeit als Weiterbildner und Wanderlehrer der SPD eingegangen, d. h. auf sein bildungstheoretisches und -praktisches Wirken in der Zeit zwischen 1896 und 1915. Der Beitrag bezieht sich auf Rühles Vortragstätigkeit - insbesondere in Sachsen - in den Jahren 1896-1907 sowie sein berufliches Engagement als bezahlter Wanderlehrer des Zen- tral-Bildungs-Ausschusses der SPD in den Jahren 1907-1913. Beide Zeitabschnitte zusammen zu betrachten, erscheint notwendig, weil Rühle sein Wanderlehrerprogramm, seine Methodik