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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040921022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904092102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904092102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-21
- Monat1904-09
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Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSstrich (4 gespalten) 7Ü -4, «ach den Familieanach- richten vgespalten) 50 Tabellarischer niU> Ztssrrnsoy entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertenunnahme 25 «nnahlnrschtntz iitr «>r,et,rn. Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabr: nachmittag« 4 Uhr. Ertra-Beilagen lgrfalzt), nur mit der Morgen-Abgabe, ohne Postbeförderung X 60.—, m't Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind fiel« an Vtr Expedition za richten. Tie Erpeditlon ist wochentags anuntrrbroche, grössuet von srüh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von 8. Pol» in Leipzig (Jr.b. !)r. V., R. «r W. Klinkhardt). Nr. i83. Mittwoch den 21. September 1904. 98. Jahrgang. Var Mchtigrte vom Lage. * Das sächsische Finanzmini st er iumhat die von derHandelskammerzuChemnitzbe- antragte Ausarbeitung eines speziellen Entwurfes für einen Kanal von Chemnitz nach der Elbe abgelehnt. (S. Sachsen.) * Der Kaiserist heute früh inRominten ein- getroffen. * Großfürst Sergius Michajlowitsch ist zum I n sp e k t e u r d e r gesamten rufsischenAr- tillerie ernannt worden. * Die erwartete großeSchlacht beiMulden steht unmittelbar bevor. (S. Russ.-jap. Krieg.) Zapanr aurlvärligr Politik. Schon lange, bevor der jetzt tobende russisch-japanische Krieg die Aufmerksamkeit der gesamten politischen Welt auf den fernen Osten gelenkt hat, stand Japan zu Europa, speziell zu Deutschland, in engen Beziehungen. Die Er- öffnung der Rcichspostdampferlinien 1885 ließ den leb- haften Warenaustausch zwischen dem Lande der auf- gehenden Sonne und Europa noch weiter aufblühen, und mit Eifer studierten die Japaircr deutsche Kultur, Wissen- schäft und Technik. Ebenso ivandte sich die deutsche For schung deni Jnselreiche zu, und die Literatur iiber Japan schwoll in den am Handelsverkehr mit ihm beteiligten Ländern gar bald stark an. Alle diese Werke zeigten Japan aber nur in ausländischer Beleuchtung, es mangelte dagegen an einem. Buche, das den Europäern Aufschluß gibt, in welchem Lichte die Japaner selbst ihr Land, ihre Geschichte und ihre Kultur sehen. In diese Lücke ist nun ein Werk einzutreten berufen, das unter den? Titel „Unser Vaterland Japan" soeben bei E. A. Seemann hier Erschienen ist und deshalb besondere Beachtung verdient, weil an ihm lediglich Japaner, und zwar eine ganze Reihe der hervorragendsten Persönlich, kciten, mitgcarbeitet haben. Durch das Entgegenkommen der Verlagshandlung sind wir in der Lage, heute einen im Augenblick besonders interessierenden Abschnitt dar- aus mitzuteilen, ein Erposck über die auswär- tigePolitik.dasGrafOkuma.das Haupt der japanischen Fortschrittspartei und 1897 Minister des Auswärtigen, im Abgeordnetenhause gegeben hat. Der hervorragende Staatsmann, der zu den be> deutendsten Diplomaten des neueren Japan zählt, legt in dieser Rede knapp und Präzise die Motivs und Ziele der auswärtigen Politik Japans dar. Als Motiv bezeichnet er den Wunsch, das Land zu erschließen, seine Kräfte zu entfalten, als Ziel das, mit anderen Mächten auf gleichem Fuße zu stehen. Unter diesen, Gesichtspunkte seien zu- nächst die nationalen Institute, der Lehrplan und die Er ziehung umgestaltet worden, dann sei man daran ge gangen, die veraltete Einteilung des Landes nach Stäm men durch eine solche in Statthalterschaften zu ersetzen, das Münzwesen umzugestalten, die allgemeine Wehr- pflicht einzuführen und die lokale Selbstvernxütung eiu- zurichten, um schließlich das Ganze durch die Verkündi gung einer Verfassung nach europäischem Muster zu krönen. Den früheren Darlegungen über diese „Natio Feuilleton. i8i „Durchgerunyen." Roman von JosephineSiebe. Nawdruck verbot«. Und Dera ließ nicht nach, ihr Wille war stärker als der der Kranken, es kam ein Tag, an dem Elisabeth neben der Aerztin in der verborgensten Ecke -er Thomaskirche saß. Es war ein Freitag Abend und die Probe zur sonnabend- lichen Motette sollte stattfinden: nur wenige Zuhörer waren da, daS unwirtliche Herbstwetter hatte sie fern- gehalten, draußen raste der Sturm, und wenn die schweren Kirchentüren sich öffneten, dann flackerten die Flammen auf den Bronzeleuchtern immer unruhig hin und her. Wie gern war sonst Elisabeth herbeigeeilt und Hatto dem Gesang ded Thomanerchors gelauscht, wie manchmal hatte Wolfgang an ihrer Seite gesessen und hatte ihr von der Zeit erzählt, da er auch dort oben gestanden und als kleiner Thomaner stolz im Schmuck seiner grünen Mühe im Chor mitgesungen. heute preßte sie angstvoll die Hände an die Obren, o, nur keine Musik hören, die alle ihre Schmerzen und verlorenen Freuden in ihr lebendig machte, nur Deras fester Wille vermochte sie auf ihrem Platze sestzuhalten. Leise hob der Gesang an, wie Euaelsstimmen den Raum -urchschwebend, dann stärker anschwellend, macht nalpolitik" fügt der Minister folgendes Exposö über die Art und den Umfang des „auswärtigen Verkehrs" hinzu: Der auswärtige Verkehr früherer Jahre war, wie Ihnen bekannt, wirklich eng begrenzt, da er sich auf dis Beziehungen zwisckzcn einem Land und einem oder eini gen anderen beschränkte. Aber heute sind durch die enorme Entwickelung der Transport- und Derkehrsmög- lichkeiten und die engen wechselseitigen Beziehungen der Interessen der Welt, die auswärtigen Beziehungen bc- deutend umgestaltet worden. In der Angelegenheit zwischen England und Venezuela wissen Sie, daß es sich um einen schmalen sumpfigen Streifen unbewohnten Grenzgebietes handelte, und daß die streitenden Par- teien, einerseits England, die größte Macht der Erde, mit Kolonien von mehr als 10 Millionen Quadratmcilen, und anderseits die kleine amerikanische Republik Vene zuela waren. Aber es war keineswegs eine so einfache Sache, da sich die Vereinigten Staaten von Amerika so fort einmischten. Die Angelegenheit spielte nun nicht mehr zwischen England und Venezuela, sondern zwischen England und Nord- und Südamerika. Die Ursache dieser Einmischung Ivar die Monroedoktrin, die, wie Sie wissen, vor langer Zeit zur Verhütung der Verbreitung europäischer Einflüsse in Nord- und Südamerika ver kündet wurde. Nun betraf die Angelegenheit nicht nur die beiden Länder Amerika und England, sondern wurde eine internationale Frage, denn das Ausschlicßen euro- päischen Einflusses in Amerika war natürlch für Europa von großer Wichtigkeit, da es viele Kolonien in der neuen Welt hat. Auf diese Weise nahm eine Frage, die eigent lich ein kleines Gebiet betraf, einen internationalen Charakter an. Der Minister geht dann dazu über, den ersten Kon flikt Englands mit den Burenrepubliken, den Einfall vr. Jamesons, als Beispiel für den Satz der kleinen Ur sachen und großen Wirkungen heranzuziehen, und erem- plifiziert weiterhin auf den japanisch-chinesischen Krieg von 1895/96. Dieser habe anfangs lediglich die beiden genannten Reiche betroffen, aber dock) im letzten Jahre zu einer Einmischung von drei der einflußreichsten euro päischen Mächte geführt und sei so eine „internationale Frage" geworden. Die Bedeutung derselben charakteri siert Graf Okuma sehr treffend und prägnant in folgen den Ausführungen: Der japanisch-chinesische Krieg hatte auch zur Folge, daß, während die Bezeichnung „Frage des Ostens" sich nur auf das weltberühmte Problem im Osten Europas bezog, es nun die zweifache Bedeutung der Frage des nahen Ostens und des fernen Ostens erlangt hatte. Mst einem Wort, der internationale Verkehr hat eine solche Ausdehnung erfahren, daß der kleinste Vorfall die Interessen der gesamten Welt in Bewegung setzen kann. Zum Schluß stellt der Minister folgende „Richt linien" für die japanische Politik auf: Ta äußere oder vielmehr nationale Politik ge festigt, ohne Wechsel und ununterbrochen sein muß, so ist die beste Methode der Diplomatie die, welche sich streng an die Prinzipien, der internationalen Gesetze hält. Um aber an den Prinzipien der internationalen Gesetze festhalten zu können, muß alle Diplomatie auf Gerechtigkeit begründet sein. Die Macht der Gerechtig keit ist groß und wird unfehlbar die Sympathie der ge samten Welt auf ihrer Seite haben. Da sich nun Japan seit Jahren mit Eifer und Fleiß seinem nationalen Fortschritt gewidmet und die Freundschaft der euro- päischen Mächte und Amerikas erworben hat, so ist das Land, nachdem es 40 Jahre an nachteilige Verträge ge fesselt gewesen, zu einer Stellung gelangt, die ihm ge mäß der Prinzipien der internationalen Gesetze die An erkennung als wirklich unabhängige Macht verschafft und nach internationalem Brauch auch seine Gleich berechtigung herbeigeführt hat. Diesen Erfolg ver ¬ danken wir zunächst unserem eigenen Streben, und dann der Zustimmung Englands, das die ganze übrige Welt zu einer Revision der bestehenden Verträge veranlaßte, und diese Zustimmung ließ die europäischen Mächte und Amerika die ausgiebigsten Wünsche ihres Wohlwollens für uns zum Ausdrua bringen. Endlich also hat diese Vertragsrevision, die jahrzehntelang ein ersehntes Ob jekt gebildet, ihre Erfüllung gefunden, denn mit der einzigen Macht, Oesterreich-Ungarn, die die Revision noch nicht vollzogen hat, dürften unsere Verhandlungen in Kürze zum erwünschten Abschluß führen. Japan wird dann seine gleichberechtigte Stellung unter den Weltmächten erreicht haben Die Ereignisse haben gezeigt, daß Graf Okuma sich in seinen Voraussetzungen und Berechnungen nicht ge täuscht hat. Japan ist nicht mehr, was es in den Tagen seiner Abgeschlossenheit war, aber sein Trieb zur Aus dehnung hat es notwendigerweise auch in Konflikt ge bracht mit der niederen Macht, die nicht weniger als Japan selbst die von diesem befolgte Expansionspolitik in Ostasien treibt. Den Ausgang dieses Konflikts, der in unseren Tagen mit den Waffen in der Hand aus gefochten wird, vermag man jetzt ebenso wenig vorbcr- zusagen, wie den des anderen Kampfes, der sich mit gleicher Notwendigkeit einmal im Herzen Asiens ab spielen wird: des Zusammenstoßes zwischen Rußland und England. ver sur§i5Ä-iapsni5chr -lieg. Die Schlacht bei Mukben. Die große Schlacht bei Mukoen, die schon seit einigen Tagen erwartet wurde, stebt nunmehr bevor, die Japaner rücken in einer Stärke von acht bis neun Divisionen vor. Das Hobe Getreide ist überall gemäht, es bietet sich daher ein weites Schußfeld über Vic flache Ebene. Direkt vor der Front der russischen Stellungen befindet sich der Hun-Fluß. Die Ordnung ver japanischen Truppen dürste dieselbe sein wie bisher, nämlich auf der linken Flanke die Armee Oku, stu Znttrnm Nodzu und ans der rechten Flanke die Armee Kuroki. Nicht zur Stelle sind nur die erste, neunte und elfte Division, die sich im Berbande der Port Arthur belagernden Armee befinden. Es muß nach dem „L.-A." angenommen werden, daß alle anderen japanischen mobilen Divisionen schon bei der Hauptarmee sind. Dazu treten die Rcserve- formationeu und eine aus den Truppen von Formosa ge bildete Felddivision. „Wollen wir annekmen", sagt General Geißmann, „daß die japanische Regierung ihre Reserve brigaden auf die Stärke von Divisionen brachte und jede Division an der Nordfrout 20 000 Mann zählt, so erhält man die Gesamtzifser von 400 000 bis 120 000 Mann, die zur Verfügung stehen. Die wirkliche Streitmacht dieser drei Armeen übersteigt aber nickt 300 000 bis 315 000 Mann; zieht man hiervon ferner den Teil ab, der sich auf den Etappenstraßen befindet, sowie die Verluste auf den Märscken und in den Kämpfen, besonders den Verlust bei Lianjang, der angeblich nabe an 40 000 Mann betragen bat, so verfügen die Japaner augenblicklick über nicht mehr als 210 000 Mann. Freilich spricht man von einer Verstärkung von 100 000 bis 120 000 Mann, welcke die Japaner erhallen sollen, und welche bei ihren vorzüglichen Transport-Einricktungen sicher noch vor vier Wochen an Ort und Stelle sein werden; doch geht ein Teil davon sicher zu der Belagerungsarmee von Port Arthur ab." Arthur. Die Japaner haben während der letzten 19 Tage Vor bereitungen für den gegenwärtigen Angriff auf Port Arthur getroffen, der fick gegen die Nordostfront richtet. Den Japanern kommt eö darauf an, das Rikwanschan- und daS Erlunschan-Fort und die ZwischenfortS zu nehmen. Der Angriff gegen Ende August dauerte in Wirklichkeit 10 Tage. Obgleich die Japaner auf der ganzen Linie zurückgctriebcn wurden, be hielten sie doch vier kleine Befestigungen im Nordosten; zwei davon liegen nur 50 Meter von dem Erlunschan-Fort ent fernt. Die Ruffen verschießen täglich 1000 Granaten, haupt sächlich gegen vie vier erwähnten Schanzen. Wie „Nowi Krcn" berichtet, sinven nacktS Ausfälle gegen diese Schanzen stall. Alle aus Dalny in Tschifu eintresfenden Japaner legen eine große Achtung vor der Wiverstanvskraft der Russen in Port Arthur an ven Tag. Der Ende August gemachte Versuch, das Rikwanschen-Fvrl zu stürmen, kostete den Japanern ein ganzes Regiment. Nack einem der Pariser ruffisckcn Botschaft zugeganaenen Privalbries eines russischen Offiziers aus Liaujang vom 17. August scheint sich ver französische Marineattachs bei der russischen Flotte in Port Arthur, de Cuverville, noch einige Tage vorher in Port Arthur ausgebalten zu haben. Da es ursprünglich hieß, de Cuverville habe bereits am 26. Juli mit dem rcnrjcken MarineattachS die Festung verlassen, neigt man jctzl zu der Vermutung, daß de Cuverville noch am Leben fick befindet. politische lagerrchau. * Leipzig, 21. September. Vismarckhaft über Vas (Krab hinaus. Während der „Reichsanzeiger" die diplomatische Wirksamkeit des Fürsten Herbert Bismarck sehr warm gewürdigt hat, während auch das leitende deutsche Zentrums organ dem eben Verstorbenen die Befähigung für den diplomatischen Dienst ausdrücklich zuerkennt, kann sick die sozialdemokratische Presse, voran der „Vorwärts", zu einer auch nur im Ton anständigen Würdigung nickt aus schwingen. So schreibt die „Sacks. Arbeiterztg." n. a.: „Er war VerSohn seines Vaters, und der ziemlich mißratene Sohn eines bedeuienbrn Mannes. . . Seine Unfähigkeit ist selbst vom alten Bismarck öfter schmerzlich empfunden worden . . . Seine amlliche Wirksamkeit war eine «eite von Mißerfolgen und Deweifcn von Unfähigkeit. Er machte die dentfckc Diplomatie auf der Samoa-Konferenz zum europäischen Ges Pötte, mußte sich moralische Lhrseigen von dem englischen Diplomaten Morier gefallen lasten, den er als Zeugen für klar Lüge seine« Vater« hatte mißbrauchen wollen " Zur Kennzeichnung dieser Tonart genügt der Hinweis, daß sie offenbar von dem Ehrgeiz, auch an der Babre eines politischen Gegners diejenige Freundlichkeit der Sitten zu bekunden, die die sozialdemokratische Presse nun einmal charakterisiert, eingcgebcn ist. Zur Kennzeichnung der An gabe, daß Herbert Bismarck von vem englischen Diplomaten Morier „moralische Ohrfeigen" erhalten habe, ist jedoch ein Wort der Kritik umsomehr am Platze, als auch der erste Reichskanzler der Lüge geziehen wird. Englischer Botschafter in Petersburg, war Morier Mitte Dezember 1888 in der „Kölnischen Zeitung" an die Dienste ennnert worden, dir er im Jahre 1870 als englischer Gesandter in Darmstadt dem Marschall Bazainc geleistet batte. Damals hatte Morier auf Grund ver vertrauten Verhältnisse, in vem er zum deutschen Kronprinzcnpaar stand, über London an Bazaine Nach richten über die Bewegungen der deutschen Heere gelangen lassen. Am 19. Dezember 1888 schrieb Morier dem Staats- sctrclär ves Äeußcren, Grasen Herbert Bismarck: er würde vie Angaben der „Kölnischen Zeitung" mit Verachtung bekandclt haben, wenn er nicht im Jul, in England gekört hätte, daß Grat Bismarck mehreren Personen von den Be richten erzählt Kälte, die ein deutscher Militärattache in Madrid über entsprechende Enthüllungen BazaineS er stattet habe. Unter Berufung auf einen Bries BazaineS, der jene Unterhaltung in Abrede stellte, forderte Morier den Grafen BiSinarck auf, in der „Nordd. Allgem. Zig." die Angabe der „Köln. Htg." zu widerrufen, Herbert Bismarck bedauerte in einem Schreiben vom 25. Dezember 1888, daß Inhalt und Ton von MorierS Brief keinen Anlaß zur Er füllung seiner überraschenden Forderung gäben. Als darauf Morier am 31. Dezember feinen Briefwechsel mit Herbert Bismarck veröffentlicht hatte, wurde deutscherseits der Be- voller brausend, und dazwischen jauchzend hell, alles übertönend, eine klare, wundervoll reine Stimme. Bei den ersten Tönen war es Elisabeth, als müsse sie aufspringen und hinauseilen, nur diesen Klängen ent rinnen, sie zitterte vor Aufregung, aber allmählich wurde sie ruhiger: cs war ihr, als griffe eine milde Hand nach ihrem Herzen, sackst streichelnd und die Schmerzen lindernd, als hebe sie eine schwere Last, die cnrf ihr geruht, und ein sic umhüllender dichter Nebel beginne langsam zu weichen, und sie sah fern, fern ein Licht schimmern. Da öffnete sich der versiegte Born ihrer Tränen. Sic glitt von ihrem Sitz herab und, den Kopf in DcraS Schoß bergend, weinte sie erlösende Tränen, und über ihc schwebten die jugendlichen Stimmen in vollendeter Schönheit. Der letzte Ton verhallte. Die Zuhörer verließen die Kirche und der eine oder der andere warf einen flüchtigen Blick auf die beiden Mädchen. Ter Küster kam und löschte die Flammen, allmählich sank die Kirche in Dunkel- heit und schwarze Schatten durchschwebten den Raum, nur noch zwei Flammen brannten und oben an der Orgel schimmerte ein matter Lichtschein, und auf einmal be gann dort jemand zu spielen, ein Künstler war es, der da8 Instrument meisterte, der in dieser verschwiegenen Dämmerstunde, sich allein glaubend, seine Seele spreche,', ließ. Lange, lange saß Dera Strogonow regungslos. Elisabeth hatte noch den Kopf in ihrem Schoß geborgen, aber das Schluchzen war versiegt, der Körper zuckte nicht mehr in wildem Schmerz, sie imirde immer ruhiger. End sich hob sie den Kopf empor und strich sich das verwirrte Blondhaar aus der Stirn. „Ich will arbeiten, Vera", sagte sie mit rührend geduldigem Ton, „ich will versuchen, ganz still zu werden, aber ich werde nie eine große Künst- lerin werden, ich weiß es." „Wir brauchen nicht alle Künstler zu sein; aber ein guter, tüchtiger Mensch können Sie werden, nickst klein und egoistisch im eigenen Leid sich vergrabend, groß sein und stark werden, und wenn cs auch schwer erscheint, immer sein Herz der Welt mit ihrem Leid und ihrer Freude offen kalten. Weil ein Mensch uns täuschte, nicht an der Menschheit verzagen, das tun nur kleine, schwache Seelen, die nicht den Mut und den Stolz haben, sich über sich selbst zu erheben!" „Ich will", sagte Elisabeth leise, und es klang wie ein Gelöbnis. Vierzehntes Kapitel. „Madame ist bei der Toilette." — Die Zofe Minette, die eigentlich Wilhelmine hieß, in Wien geboren sein wollte und au? Eberswalde in der Mark stammte, hatte es selbst dem Türhüter gesagt. Madame ist bei der Toilette! Die ganze Umgebung empfand voll Wichtig keit den feierlichen Moment. Madame Irene Dtrrtt-Amende stand inmitten ihres sogenannten Ankleidezimmers, verblaßte Rokokomöbel, ein großer Spiegel, ein Ruhebett mit einer Unmasse groß blumiger, grellfarbiger Seidenkissen darauf, eine Anzahl geöffneter Kokser, Hutschachteln, auf dem Tische ein ge brauchte? Frühstücksservice und eine halbgeleerte Konfekt schachtel, verwelkende Bkumen. verstreute Toiletten gegenstände vereinigten sich zu einer mehr wie male rischen Unordnung, und ein schwerer süßlicher Duft von Puder, Blumen und kölnischem Wasser erfüllten die Luft. Inmitten des Raume? starr- Madame im seidenen Unter rock, einer Matinck, die einer Spitzenwolke glich, die zier lichen Füßchen in niedergetrctenen weißen Scidenschuhen die die handgroßen Löcher in den seidenen Strümpfen sehen ließen. Sehr angelegentlich blickte die schöne Frau in einen silbernen Handspiegel und prüfte, ob Wimvcr und Brauen die genügende Sckssvärze besäßen, sie nibr ffck mit der Vuderguastr leicht über die Stirn und sah dann lange in das Glas, sich an der eigenen Schönheit ent zückend. Während dieser Tätigkeit trällerte sie einen Pers eines mehr wie anzüglichen französischen Liede? und naschte bin und wieder ein Stück Konfekt Madame Irene Stritt Amende war eine Berühmtheit geworden. Nicht ganz in der Art wie sie sich eine solche einst gedacht und wie sie sich in ihrem Stübchen in der Nürnberger Srraße in Leipzig vor ihrem Altar erfleht, aber diese Träume batte Frau Irene längst vergessen; nachdem ibre Stimme iw Konzertsaal sich nicht als be sonders wirkungsvoll erwiesen, war sie kurz entschlossen zum Brettel übergegangen und dort bald zu einem Star geworden, dank ihrer Schönheit, die eine nicht geringe Anziehungskraft besaß Seit Anfang des Winters war man in Petersburg, wo Irene allabendlich die goldene Jugend und da? lebenslustige Alter Petersburgs im Olymv'atheater entzückte. „Man" waren Midanie selbst, Jockn, der Hund, Minette, die Zofe. Lorn, der Papagei, «ehr viele KoKer irnd Parcisal, da" Baby. Letzteres
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