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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19041017024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904101702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904101702
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
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und zwar nicht nur aus gewichtigen politischen Gründen, son- I dern auch aus materiellen Gründen." In einer Auseinandersetzung mit dem Adg. Tr. Georgi hielt der Minister seine Auffassung durchaus auf. recht, ohne noch von einer anderen Seite Widerspruch a-er Bedenken zu begegnen. Und die sächsische Presse? Sic ist an dem Thema ziemlich obenhin vorübergcgangen, § 19 des Ergänz, ungssteuergesetzes und das daraus sich ergebende Verdikt gegen die Erste Kammer batte dermaßen hypnotisierend eingewirkt, daß alle anderen Fragen gegen diese wich, tigste Frage zurücktraten. So ist die offizielle und geschichtliche Sachlage, und ihr gegenüber muß man also die Frage beantworten: Konnte oder mußte die preußische Staatsregierung die sächsische Negierung zu der Heidelberger Konferenz ein- laden? In der erwähnten sächsischen Gegenschrift hatte sich der Verfasser als Grund für seinen Standpunkt auch „auf die vielfachen Aeußerungen der maßgebenden Persön lichkeiten in Preußen" bezogen, nach denen die preu ßische Regierung nicht daran denke, ihre Machtsphärr auf die Eisenbahnen der andern deutschen Staaten gegen deren Willen auszudebnen, und es wurde deshalb der preußischen Verwaltung ausdrücklich bezeugt, daß sie „in vornehmer Weise gern der Anstandspflichten des Stärkeren eingedenk sei". Soll es nunmehr als eine Anstandspflicht dcS Stärkeren aufgefaßt werden, die sächsische Regierung zu der Konferenz einzuladen, obwohl darin eine Ausdehnung der Machtspltäre der preußischen Eisenbahnen auf die sächsischen Eisenbahnen gegen den von Regierung und Kammern ausdrücklich erklärten Willen, die Ablehnung einer Eisenbakmgcmein- schafr in irgend einer Form, erblickt werden könnte? Man wird dieFrage kaum bejahen können, zumal da die Heidelberger Konferenz doch nicht so über Nacht gekommen ist. Bereits im Frühjahr bat zu Frankfurt a. M. eine vertrauliche Besprechung zwischen süddeutschen Ministern und dem Minister Budde stattgefunden; am 23. Juli erklärte der Verkehrsminister v. Frauen- - orffer in der bayerischen Abgeordnetenkammer, daß eine deutsche Eisenbahnbetriebsmittelgemeinschaft er strebenswert sei. Der württembergische Minister hatte bereits früher entgegenkommende Erklärungen abge geben. Der sächsische Finanzminister konnte und mußte also wissen, was im Werke war, und wenn er den Wunsch also nicht geäußert hat, an den Verhandlungen teilzu nehmen, so ergab sich mit Notwendigkeit, daß die preu. tzische Regierung Bedenken trug, ihn durch eine Ein- ladung in eine Lage zu versetzen, die doch als eine Be einflussung seines wiederholt ausgesprochenen Willens hätte gedeutet werden können. Wie man aber auch dar über Lenken möge, liegt es wirklich im sächsischen Landes- interesse, wenn nun in der sächsischen Presse über Ver- gewaltizung seitens Preußens geklagt wird, weil die Konferenzen ohne Sachsen stattgefunden haben? Wenn Preußen durch den Vertrag andere bindet, so bindet es auch sich, und es ist deshalb von vielen Seiten die Be fürchtung ausgesprochen worden, daß Preußen überhaupt nicht geneigt sein werde, in eine Gemeinschaft einzu treten, die sein Selbstbestimmungsrecht schmälert. Bietet es fetzt die Hand dazu, so soll man sich Lessen freuen, und erklärt Sachsen, daß es dem Gedanken, der in Heidel berg zur Beratung gestanden hat, nicht ablehnend gegcn- überstebe, so soll man sich dessen uin so mehr freuen, und man soll nicht die Verhandlungen durch Vorwürfe gegen Preußen erschweren. Der letzte Sommer bat doch auch dem Kurzsichtigsten gezeigt, in welcher wirtschaftlichen Abhängigkeit Sachsen von der preußischen Eisenbahn- Politik steht, und man sollte sich deshalb über jeden Schritt freuen, der zu einer Verständigung führt, und zu- gleich im Sinne der Reichsverfassung ist. Noch kann man ja nickt darüber urteilen, welche rechtlichen For men die geplante Gemeinschaft annehmen wird und ob die sächsische Regierung bei einem Eintritte in sie etwas von ihrem bisher io kategorisch betonten Standpunkte würde abgehen müssen. Indessen lassen der Ausdruck »SS—SW— Gemeinschaft, wie das dabei verfolgte Ziel wohl ver- muten, daß man dabei etwas über den bisher festgehal- tenen Rahmen bloßer Betriebskonferenzen wird hinaus- gehen müssen, und daß man dazu geneigt scheint, das ist hockerfreulich l" Um von vornherein jegliches Mißverständnis aus- zuschließen, betonen wir ausdrücklich, daß wir die Ten- deuz dieses Artikels des hochverehrten Autor- in jedem Punkte billigen. Auch wir erblicken in der Bereit- Willigkeit der sächsischen Regierung, unter möglichster Wahrung ihrer Selbständsgkeat sich an der Durchführung der BetriebSmittelgcmeipschaft zu beteiligen, eine hocher- freuliche Tatsache. Bezüglich der gegenüber dieser Hauptsache wirklich unbedeutenden Einzelheiten möchten wir aber doch an unserer Auffassung festhalten. Zu- nächst sei hier bemerkt- daß der in der Einleitung ange- zogene Artikel sich keineswegs gegen den auch von uns geschätzten „Schwäb. Merkur" richtete, der ja, ohne sich dasGeringste zu vergeben, soschrciben oder sich soschreiben lassen konnte, wie geschehen. Was des Ferneren die Frage angeht, ob man nicht schicklicherweise Sachsen zu der Heidelberger Konferenz hätte einladen sollen, so miissen wir doch die total veränderte Sachlage gegen über früher hervorbeben, wo immer die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft die Grundlage aller Erörterungen bildete, mährend das jetzige Fundament, die E i s e n b a h n b e t r i e b s m i t t e l - Gemein schaft, gar nicht in Erwägung gezogen werden könnte. Daß die heutige Sachlage ganz anders ist als die frühere, sieht man ja schon an der sofort erfolgten Schwenkung der sächsischen Regierung, die zu dem neuen Vorschläge auch eine neue Stellung einnehmen mußte. Und zu- guterletzt muß doch auch noch gesagt werden, daß es etwas anderes ist, ob Preußen mit einem Bundesstaat über eine Vereinheitlichung des Eisenbahnbetriebes unterhandelt, oder ob diese Verhandlungen mit allen Eisenbahnbundeisstaaten unter alleiniger Ausnahme Sachsens geführt werden. Daß einer solchen Koalition gegenüber Sachsen sich überhaupt nicht isolieren kann, haben wir bereits auseinandergesetzt und ist auch in Dresden sicher keinen Augenblick verkannt worden. Aber auf alles das kommt es heute nicht mehr in erster Reihe an. Und wenn wir gegen die „Berl. Pol. Nachr." polemi sierten, so sollte gewiß keine Erschwerung des nachträg- lichen Anschlusses Sachsens erzielt, sondern nur u. E. nicht gerade wohlwollende Auslegungen zurückgewiesen werden. ver liittkch-iapanirche Weg. Die Lraiier in jsseterrbarg. Aus Paris schreibt unser -»-Korrespondent folgendes, vom „Journal" veröffentlichte Stimmungs bild, das Petersburg, 15. Oktober, 10 Uhr abends, da tiert ist: „Ter Abend schleicht dahin, ohne für , die allge- meine Angst eine Lösung zu bringen. Um 9 Uhr abends hörten wir Militärmusik, und vom Balkon konnten wir, im Halbdunkel, eine Masse Soldaten unterscheiden, die. von einer ungeheuren Menge gefolgt, daherzogen. Es sind 300 junge Freiwillige, die man nach dem Nikolaus- bahnhof führt; die Mantschurei ist ihr Ziel. Auf den Trottoirs, an den Fenstern verneigen sich alle und grüßen diejenigen tief, die mit Rußlands Fahne in den Krieg marschieren. Etwas später ging ich zum Generalstab; angeblich ist kein Telegramm eingetroffen, „verbirgt man die Wahrheit, weil sie schrecklich ist, oder ist Kuropatkin außer Stande sie zu telegraphieren? Dann wäre die Situation noch schrecklicher?" Dieses Dilemma legt sich ein Beamter des roten Kreuzes vor, der mir bestürzende Einzelheiten erzählt. Nach seinen Worten sind die russi schen Verluste mehr als 25 000 Mann. Das Rote Kreuz ist unfähig, den Verwundeten zu Hülfe zu kommen. Nach einer Privatdepcsche schleppen sich die Unglücklichen über die Felder und stützen sich gegenseitig. Das Schauspiel soll furchtbar und düster sein. Die gleichen Eindrücke finden sich in folgendem Berichte, der uns direkt aus Petersburg zugeht: Wenn auch die offiziösen Nach- richten versichern, noch sei die Schlacht nicht zu Ende und noch könne alles gut werden, für die große Volksmenge ist die Schlacht bereits beendet, und weitere schlimme Zeiten werden bevorstehen. Es ist ganz eigentümlich, wie immer wieder sich gerade in diesen Zeiten der russi sche Volkscharakter in fast allen Geiells^akisklassen offenbart. Keine laute Aeußerung der Wut findet man. aber ein träges Vorsichhinbrllten, dessen Ausbruch furcht- bar sein muß. Ueberall in den Restaurants, an den Straßenecken, in den Vorräumen der Theater, die natür lich fast leer stehen, bilden sich Gruppen, die die Vorgänge auf dem Kriegsschauplätze besprechen, und dem aufmerk sam zuhörendcn Beobachter kann nicht entgehen, welch große Hoffnungslosigkeit aus all diesen Worten erklingt. Und diese Hoffnungslosigkeit findet sich nicht nur im Volke, das kein Verständnis für die Wirkungen und Folgen derartiger schwerer Ereignisse hat und nur die Schreckensseiten, die Menschenopfer, sieht, sondern auch in jenen Kreisen, von denen das Wohl und Wehe Ruß lands in erster Linie abhängt. Begegnet man heute irgend einem Generalstabsoffizier, den inan kennt — und man kennt: sie fast alle durch die langen Ktiegsmonate hindurch— und grüßt ihm zu, so ist ein melancholisches Lächeln die Antwort und wohl auch einige Worte, die erkennen lassen,daß man nachgerade auch hier anfängt, an der Zukunft zu verzweifeln. — Wir fügen als drittes Stimmungsbild einen Leitartikel des Herrn Cornsly im Pariser „Sidcle" an, den u n s e r - K o r r e s p o n - dent uns übermittelt: „Der arme General Kuropatkin hat, vor der Schlacht, die die Russen jetzt verloren haben, eine Depesche geschrieben, die. ach! an die berühmte Proklamation Ducrots, während der Belagerung von Paris erinnert: „Ich werde nur tot oder siegreich zurückkehren!" In Paris fühlte die provisorische Regie rung. daß sie irgend etwas-tun müsse, um die Pariser zu befriedigen, und dieses Etwas bestand darin, daß man die Pariser in ein Gemetzel führte, nachdem man sie mit einer tönende Phrase versehen hatte. Ebenso empfand man in Rußland das Bedürfnis, die Geister zu über raschen. in Moskau und in Petersburg, oder vielleicht auch Europa staunen zu machen, das heißt die Gaffer von Paris und die Spießer von London. Und um dieses moralische Resultat zu erhalten, bat man 30 000 Russen morden lassen, arme Reservisten, die vor ihrer Abfahrt Kinder, die ihre Frauen ihnen durch die Wagentllr reich- ten, mit Küssen bedeckten und in Tränen badeten. "Das „Petit Journal" meldet noch, vom 14. Oktober, als der Kampf in voller Heftigkeit wütete, habe sich Kuropatkin vor die Front seiner Truppen begeben und im heftigsten Kugelregen die Reihen der Soldaten durchschritten; er sagte zu ihnen: „Kameraden! Ich tveiß, daß ihr hungrig und überanstrengt seid, aber tut eure Pflicht für das Wohl des Vaterlandes!" Tie Soldaten hätten mit be geisterten Hochrufen geantwortet. Skobelerv über ArrropaUlir. General Kuropatkin war im russisch-türkischen Kriege Generalstabschef beim General Skobelew. Wie damals der General über den jetzigen Oberbefehlshaber in der Mantschurei dachte, zeigt ein mehr als zwanzig Jahre alter Brief Skobelews. der soeben ver öffentlicht wird. Darin heißt es: „A. N. Kuropatkin ist, obgleich er noch jung ist, ein voll kommen gereifter Führer. Er ist im höchsten Grabe ein durchgebildeter, kalrblütiger und sorgsam überlegen der Offizier. Er verwendet die seiner Führung anvertrautcn Truppen mit dem erfahrenen Takt und der festen Geduld einer geschickten und meisterlichen Schachspielers. Trotz, seiner Wunden ist er dank seiner kräftigen Konstitution so unermüdlich und ausdauernd, daß er im Notfälle nächtelang ohne Schlaf auskommen kann. Ob es vor, während oder nach der Schlacht ist, immer ist er gleich unerschütterlich. Er kann zu einer ernsten und sorgfältig erwogenen Entscheidung kom men, ohne die geringste Bewegung zu zeigen. Wie heiß seine Pulse auch klopfen, wie ihm das Herz brennen mag. er zeigt äußerlich nichts davon, bis der Augenblick kommt, die Ehre seiner Abteilung zu verteidigen und dem Feinde den Sieg zu entreißen. Dann erst ist er ganz Feuer und Flamme. Diese Eigenschaften versprechen dem Soldaten eine ruhmreiche Zukunft. Aus ihnen wird der wahre Führer ge macht."' . ' ' Letzte Rapporte. Der Generalleutnant Kuropatkin bat an den Zaren seinen Bericht gesandt, der die Operationen rekapituliert: In der Nacht auf den 14. Oktober machten die Japaner mit großen Streitkräften einen Ucberfall auf das Korps, welches sich beim Schahe auf der großen Mandarinen straße befand. Mehrere Angriffe wurden zuruckge- schlagen, der lebte Angriff der Japaner war aber von Erfolg gekrönt, und das Zentrum dieses Korps wurde durchbrochen. Gleichzeitig entbrannte der Kamps auf dem rechten Flügel der benachbarten Abtei lung. Ter wahrscheinliche Durchbruch des Zentrums unserer ganzen Stellung brachte die benachbarten Trup- penteile in Gefahr und konnte sie zum Rückzüge nö- tigen. Um die Abteilungen auf der großen Mandarinen- straße zu unterstützen, wurden rasch einige Bataillone dorthin gesandt. Von diesen unterstützt, gingen die Truppen zum Angriff vor, und es gelang ihnen, das Dorf Schahepu zurückzuerobern und ihre früheren Stcl- lungen wieder einzunehmen. Die Japaner, durch Reser» ven verstärkt, verdrängten uns wiederum aus dem Dorf Sck-abcvu. Ta sandte ich meine Reserve dorthin. Die Truppen gingen wiederum zum Angrlff über, und nach einem hartnäckigen Kampfe gelang es uns, Scklahepu wieder zu besetzen und die Japaner bis auf zwei Werst von diesem Torf zurückzudrängen. Auf unse rem rechten Flügel war die Lage eine zeitlang äußerst aufregend. Die Truppen wurden in der Front ange griffen unter gleichzeitiger Umgehung des rechten Flügels. Ter Abteilungschef schob Truppenteile vor, die stafsclförmig hinter der Front aufgestellt waren und nun ihrerseits die Japaner vom Flügel aus angriffen. Mehrere Dörfer wurden von uns genommen, und der rechte Flügel behauptete seine Stellungen beim Schahe. Die Stellungen der Truppen unseres Zentrums waren im Vergleich mit denen der anderen Truppen der Ge samtstellung bedeutend vorgeschoben. Deshalb waren schon vorher Stellungen in gleicher Linie mit dem rechten Flügel ausgewählt und zum teil befestigt worden. Nach einem erbitterten Kampf gingen die Truppen auf diese Stellungen zurück. Tie Truppen kämpfen seit drei Tagen. Viele Regimenter haben drei Nächte nicht geschlafen. Trotzdem hoffe ich zu versichtlich, daß sie fähig sein werden, weiter zu kämpfen. Die Verluste der Japaner müssen sehr bedeutend sein. Tie Nacht auf den 15. Oktober verlief ruhig. Bis 9 Uhr morgens wurde bemerkt, daß fcindlicheKolonnen ziemlich offen in der Richtung auf unsere Stel lungen auf der großen Mandarinenstraße vorrückten. Unsere Batterien eröffneten das Feuer auf diese Kolon nen. Ter Befehlshaber des linken Flügels hat gemeldet, daß der Feind dort bedeutende Verstärkungen erhält. Wie dies auch bei Lianjang der Fall war, brach gestern infolge der vielen Schüsse ein starkes Ge - witter aus, und ein heftiger Regen ging hernieder. Die Straßen sind schlecht geworden, die Flüsse sind ge stiegen. Tic Generalordre für alle Truppen bleibt die selbe: den hartnäckigsten Widerstand zu leisten. Soeben wird gemeldet, daß bedeutende Streitkräfte der Japaner die Eisenbahn von Westen nach Osten überschreiten. — Nach Tokio hat der Marschall Oyama berichtet: Die Zahl der russischen Leichname, welche von uns bis zum 13. d. M. beerdigt wurden, und die, wie gemeldet, sich auf 2000 belief, bezieht sich allein auf den betreffenden Teil unserer linken Armee. Man schätzt die Zahl der toten Russen, welche vor der Front unserer mittleren Armee auf dem Schlachtfelde gefunden wurden, auf 2500. Nach den bisherigen Feststellungen überschreitet die Ge samtzahl der toten Russen 8550 Mann. Die obigen An gaben enthalten nicht die Verluste in den heftigen Kämpfen mit der linken Armee am 14. und 15., und viele weitere Leichname dürften noch unaufge funden auf allen Teilen des Schlachtfeldes liegen. Der Stand der Dinge. Die „Russische Telegraphen-Agentur" meldet aus Charbin das Faktum, daß Alexejew dorthin zurück gekehrt ist. Gestern fand, wie aus Petersburg gemeldet wird, zwischen dem Zaren, dem Kriegsminister und General Gripenberg eine Konferenz statt. Es soll beschlossen worden sein, sämtliche Schützenbrigaden zu mobilisieren. Telegramme, die in London ein getroffen sind, bestätigen,' daß beide Gegner über anstrengt sind und daß vorläufig schon auS diesem Grunde alle Operationen bald zum Stillstand kommen werden. Nach einem Telegramm aus Mukden wäre seit gestern früh 7 Uhr eine allgemeine Schlacht zwischen dem gesamten Heere Kurovatkins und den Ja panern 20 Kilometer südlich von Mulden bei Schahepu im Gange. Seit 2 Uhr wurde starkes Geschützfeuer auf den Bergen im Osten vcrno-mmen. Scheinbar handelt es sich um ein Eingreifen der Abteilung Stackelbergs gegen die japanische Flanke. Um 3^ Uhr nachmittags wurde das Geschützfeuer auf der japanischen Seite schwächer, dafür entwickelte sich ein heftiges Infanteriegefecht. Da« Ostseegeschwaöer. Aus Takkebjerg (Insel Langeland) meldet ein Telegramm: Das russische Baltische Geschwader ist heute früh Uhr in Sicht gekommen und hat um 6^4 Uhr die Südivitze von Langeland passiert. Gezählt wur den 24 Schiffe. Der dänische Kreuzer „Geimdal" tauschte Salut mit dem russischen Admiralsschiff und ging darauf mit den russischen Schiffen nordwärts. wieder ein Sendschreiben. Die Regierungskreise in Rußland stehen, wie die „N. Fr. Pr." meldet, gegenwärtig unter dem Eindrücke eines Sendschreibens, welches der im fernen Osten lebende russische Erzbischof Jnnocenz in Len Publi kationen der „Brüderschaft der orthodoxen Kirche in Feuilleton. Die heilige Caecttie. rs Roman von Marie Bernhard. Nachdruck verboten./ Er selbst, Alfred Mentzel, würde in der Sache nichts tun können, — oder doch so gut, wie nichts. Drei unverheiratete Töchter und ein Sohn, der ein Genie war, — eine anspruchsvolle Gemahlin, die einen „Jour" und einen „five o'clock tea" hatte, eine angesehene Stellung, der man nach außen hin Rechnung tragen mußte, — eigenes Vermögen gleich Null — o je, — das gab gerade Sorgen genug! Sich auf den Mocen, auf den Dolksbeglücker binauszuspielen, dazu langte es wirklich nicht! Wenn er am Ende doch lieber die ganze Geschichte . . . Nein — und nein! Kein Gedanke! Er hatte diese, diese einzig schöne Stimme entdeckt, war in einen Taumel des Entzückens geraten, und sollte hingehen und tun, als ob nichts geschehen wäre, nach Berlin zurückfahren, — nicht einmal versuchen, zu erforschen, wie die Verhält nisse lagen? Er lief bei diesem Gedankeugang so rasch, daß ihm der Schweiß in kleinen Tropfen an den Schläfen zu perlen begann. Es war ihm, als könnte er nicht schnell genug an das kleine HauS gelangen, als könne cs ihm icmand fortnehmen, das kleine Haus, und darin seine Sängerin! Schließlich — mein Himmel! Da war die ganze Familie seiner Frau, weitverzweigt, angesehen, zum Teil sehr wohlhabend und musikalisch, unbedingt — hoch musikalisch, — die Leute konnten — würden — müßten etwas tun, wenn er — er, Alfred Mentzel, Autorität auf musikalischem Gebiet, Vater eines jungen Genies, für diese Stimme, dies Talent in die Bresche trat und sich verbürgte, daß Daß was? Für einen nie gesehenen, uubetanuten jungen Menschen, den du ein einziges Mal singen gehört hast, willst du dich verbürgen, Alfred Mentzel? Wirklich? Bist du sicher, ganz sicher, dich für dich selbst verbürgen zu können? Und willst nun hier Bürgschaft übernehmen, so und so vielen untereinander gänzlich verschiedenen Leuten gegenüber? „Unsinn!" Ihn ärgerte es, wie ihm der Gedanke kam! Ter hatte ihm jetzt nicht zu kommen! Erst einmal die Sängerin finden, — sie sehen, — nochmals hören, — Stellung nehmen zu der ganzen Sache — und das übrige kam eben von selbst. Er stand an dem kleinen Hause, das mitten in einem seltsam buntscheckigen Gärtchen lag. Hier ein Fleckchen Gemüseland, da ein kleines Gartenbeet, — der Ansatz zu einem Spalier, — eine primitive Laube, — wie lauter Versuche, von ungeübter Hand. „G. Lombardi, Kopist", war auf dem weißen Por- zellanklingelgrifl zu lesen. Guter Gott, — Kopist — hier in F.! Wenn das der Vater der jungen Sängerin war! Hinter den kleinen Scheiben der niedrigen Fenster, zwischen den dünnen Gardinen, erschienen zwei Kinder köpfe, einander ähnlich, wie ein Ei dem andern, Zwillinge augenscheinlich, — kleine Mädchen von sieben oder acht Jahren, . . . hübsche Kinder! Ucber ihnen reckte sich ein kurzgeschorener Knabenkopf empor, — unten am Fensterbrett tauchte ein flachsblonder Scheitel auf, hob sich mühsam ein winziges Näschen. — Vier Kinder! Ob das alles die Geschwister von — Tie Hand am Glockengriff zögerte, — es war nur ein Augenblick, — gleich darauf zeterte, lärmte, bellte die Klingel, so allarmierend, anhaltend und schrill, daß dem Besucher die Ohren gellten. Nun war's geschehen! Schicksal, nimm deinen Lauf! Zweites Kapitel. Der Junge mit dem kurzgeschorenen Haar erschien im Rahmen der offenen Tür. Zwölfjährig ungefähr, — lange, magere Hände, die aus viel zu kurzen Jacken- ärmeln heraussteckten, — abgetragene, gleichfalls zu kurze Hosen, — plumpes Schuhwerk, aber ein hübsches und aufgewecktes Gesicht. „Deine Eltern zuhause, mein Sohn?" „Eltern? Vater, — ja, Vater ist da! Soll ich ihn rufen? Wollen Sie etwas abgeschrieben haben?" Der Junge machte eine Bewegung, ins Haus zurück- zugehcn. „Nein, — bleib hier! Warte noch! Ich möchte dich etwas fragen! Tu — du hast eine Schwester, — nicht wahr?" „Eine?" betonte der Bube halb verächtlich. „Vier!" „Vier? So so! Hm! Aber eine erwachsene Schwester ist dabei, — wie?" — „Ja!" „Die singen kann, — nicht so? Die sehr schön singen kann?" ^Singen? Ach ja, — sie kann! Wir können alle!" „Sehr gut! Siehst du, das wollte ich gern wissen! Wenn du mir nun deinen Vater rufen möchtest, — viel leicht auch deine große Schwester." /.Vater, — ja, dann müssen wir in die gute Stube. S i e ist weggcgangen, in die Färberei." „Aber sie ist vor kurzem erst heimgekommen, nicht wahr?" „Ja, sic ist beim Sce gewesen. Vater, — Vater! Ein fremder Herr ist da. Va — a — ter!" „Din schon da, mein Sohn, bin schon dal Sie wünsckien, mein Herr?" Eine lange, hagere, schlotternde Männergestalt, sich fort und fort verbeugend; scharfe Züge, tiefliegende Augen, sehr brünetter Typus. Die Kleidung nicht gerade schadhaft, aber schäbig, — kein Wunder! Kopist in F! Vier Töchter! „Womit darf ich Ihnen dienen, mein Herr, wenn ich fragen darf? Kopie zu liefern? Noten abzuschreiben? Bei mir werden nämlich auch Noten abgeschrieben, sehr sauber und gut. Wenn ich das auch nicht selber besorge, — ich kann dafür einstehen, daß es tadellos ausgeführt wird. Meine Tochter —" „Wegen dieser Tochter eben bin ich zu Ihnen ge- kommen, Herr Lombardi, wenn es sich auch nicht um ab- zuschrsibendc Noten oder Kopien anderer Art handelt." Ucber das hagere Gesicht des Kopisten glitt ein Aus druck der Enttäuschung. Der Fremde sah so wohlhabend, so gut gekleidet aus, recht, wie jemand, der einem armen Teufel einen hübschen Verdienst zuwenden konnte .... „Bitte, bitte, setzen Sie sich, mein Herr! Woher kennen Sie meine Tochter?" „Ich kenne sie, — und ich kenne sienicht! Ich habe sie nicht gesehen, ich habe kein Wort mit ihr gewechselt, aber ich hörte sie singen, — da drüben beim See, vor — vor ungefähr einer guten halben Stunde, ... ich nehme wenigstens bestimmt an, daß es Ihre Tochter war, die dort gesungen hat, — Ihr Sohn, der mir die Tür öffnete, meinte—" Herr Lombardi machte eine großartige, weit aus holende Geste mit der Rechten. „Meine Kinder sind samt und sonders hervorragend musikalisch begabt. Samt und sonders! Meine Frau war ein musikalisches Genie!" „Ihre Gemahlin ist —" „Tot,— ja, — sie wurde uns entrissen, — es —- war — ein großer Verlust für uns!" Es arbeitete und zuckte im Gesicht des Mannes, mühsam kämpfte er seine Rührung nieder. „Aber sic war ein musikalisches Geniel" setzte er, nach einer Pause, stolz hinzu. Direktor Mentzel neigte sein Haupt, in Anerkennung dieser Tatsache.
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