Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040910029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904091002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904091002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-10
- Monat1904-09
- Jahr1904
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
folgte kurz darauf. Erst nach dieser und nach seiner vrovi- sorijchen Stellungnahme im Hause der Abgeordneten Kat Herr von Hammcrslrin durch da« Studium der weiteren Berichte Kenntnis von der eigentlichen Sachlage erhalte». Nach dieser Klarstellung de« Ministers must man sagen, liegt di» Angelegenheit für Herrn von Hammerslein so einsach und so ganz und gar nicht belastend, dah von einer Verquickung der Person des Herrn von Hammerstetn mit der Angelegenheit Mirbach ab gesehen werden innst. Die ganz« Angelegenheit hat eln« große Aehnlichkeit mit der Affäre Pvhning, wo Minister von Rhein baben auch lange schwieg, dann aber, al« er vom Leder zog, einen großen Ersolg erzielt«. Dast da« Verhalten des Ministers von tzammerstein ih der Mirbach-Angelegenheit ganz einwands frei war, erhellt auch aus dem Umstande, dast der Kaiser vor Mir bachs Rücktritt über alles ganz genau informiert war und keinerlei Anlaß zu einem Tadel hotte. Linen großen Eindruck machten aus mich die Abschiedswort« des Minister«. „Ich sehe mit größter Ruhe der Interpellation tut Abgeordnetenbauje entgegen. Ich kleb« nicht an meine« Amte. Mein kleine« Landhaus nimmt mich jederzeit auf, aber jetzt zu gehen, liegt gar kein Grund vor. Ich habe mich wahrend meines Urlaubs sehr erholt. In Is Tagen bin ich wieder tu Berlin und werde mit frischen Kräften mein Amt wetterfühve»." Wir behalte» im» vor, auf den Inhalt dieses Interviews »och »8her emplgehe» und besonder« dem Versuch eutgegen- zutretr», de» eiaentlicheu Streitpunkt bei Seite zu schieben »ad cm seine Stelle etwas verhältnismäßig Harmloses zu praktiziere». Für heute möge es genügen, darauf hinzu weise», daß di« eatscheidendea Punkte unserer Dar- stelluag durch di« Aussage des Ministers ausdrücklich be stätigt werden. Also Frhr. v. Hammerstein gibt zu, die Mirbachsche Sammeltätigkeit durch ein Schreiben an die Oberprafidenten unterstützt zu haben. Vielleicht erinnert sich Frhr. v. Hammerstein bei Gelegenheit auch noch de« Wort lauts dieses Schreibens an die Oberpräsidenten. Ganz nebenbei möge noch bemerkt sein, daß eS wohl als kein glück licher Schachzug aufgefaßt werden kann, wenn auf die Affäre Löhning zurückgegriffen wird, welche die preußische Bureau- kratie doch wirklich nicht im Lichte eines Brillantseuerwerks erscheinen ließ. ver Hukrtans aer Herero. Tratha» Expedit!»« gefcheitert. Wie es scheint, ist die Expedition des Gene rals von Trotha völlig gescheitert. Der „L.-A." meldet: Es ist nunmehr leider kein Zweifel, daß der große Aufwand von Zeit, Kosten und Mühe, mit dem unsere Truppen am Waterbcrg zusammengezogen worden sind, zu dem erhofften Erfolge nicht geführt hat. Ter größte Teil der Herero ist, trotz aller Vorkehrungen nach Südostcn, entkommen und schweift, in kleine Trupps geteilt, im Lande umher. Hierdurch lvar auch General v. Trotha gezwungen, seine Truppen in einzelne Detachements aufzulösen, denen wohl so viel Selbständigkeit gewährt werden muß, daß für den General v. Trotha und seinen Stab nur noch wenig Funktionen übriggeblieben jein dürften. Zum Glück kann man nach Ansicht der Sachkundigen sich der ziemlich sicheren Erwartung hingeben, daß die zerstreut im Lande umherziehenden Hcrerohaufen schließlich durch den Hunger sich zur Unterwerfung gezwungen sehen wer den. Nur ist leider die Annahme nicht von der Hand zu weisen, daß die Häuptlinge und alle diejenigen, welche die deutsche Justiz zu fürchten haben, vorher auf englisches Gebiet übergetrcten sein werden, wo sie vor Auslieferung ziemlich sicher fein dürften. Dadurch wird ein Zustand geschaffen, der keineswegs als Ruhe und Frieden für die Zukunft verbürgend angesehen werden kann. Was den Ovambo-Feldzug anlangt, welcher in kolonialen Kreisen als politische Notwendigkeit betrachtet wird, so dürfte seine Ausführung wohl auf das nächste Jahr verschoben werden. Die dann voraussichtlich fast vollendete Otavi- Bahn wird für diese Operation von allergrößtem Werte sein. Ueber den Kampf am Water berg schreibt Generalmajor v. Franyois im „Militärwochenbl.": Die Herero waren strategisch eingekesselt. Jeder deutschen Abteilung südlich vom Waterberg hatten sie starke Ban den gegenübergestellt, während sie die Abteilungen Fiedler und Dolkmann nur beobachtet zu haben scheinen. Als die deutschen Abteilungen am 11. August früh gleichzeitig vergingen, muhte es daher an vier Stellen zu Einzel kämpfen kommen. Die Karnpforte lagen so weit aus einander, daß von gegenseitiger Unterstützung oder Zu sammenschluß nicht die Rede sein konnte. Von Otjoson- gombe, Eslorff, beträgt die Entfernung nach Okambu- kondc, Hcyde, 13 Kilometer, von da nach Hamakari, Mühlenfel-, 23 Kilometer, von dort nach Omuweroumue, Deimling, 22 Kilometer, von da nach Waterberg Nord- west, Fiedler, 18 Kilometer, von dort nach Okanernbandi, Dolkmann, 30 Kilometer, und von Volkmann zu Estorfs 30 Kilometer Luftlinie. Ihrer Kampfesweise getreu, hatten die Herero überall weitauSgedehnte Stellungen be setzt. Die angegriffenen Teile leisteten zähen Widerstand, während die nicht angegriffenen vorgingen, so daß unsere an greifenden Truppenabtei- lungen taktisch auf allen Seiten vom Feinde umfaßt waren. Aber, wie in allen schwie rigen Gefechtslagen, entschied das bessere Schießen und die größere Tapferkeit unserer Infanteristen und die ge waltige Wirkung der Geschütze und Maschinengewehre, denen die Herero nichts entgegenstellen konnten. Es fragt sich, ob es nicht möglich war, die Herero auch taktisch einzukesseln. DaS ließ sich aber nur machen, wenn rund um kleine Abteilungen ein Entweichen hinderten, starke Abteilungen sie von den Schlüsselpunkten zurückdrängten und dann allmählich der .itreis verengt wurde. Solcher Einschließung stand aber die Unmöglichkeit entgegen, die vordersten Zlbteilungen für längere Zeit mit Wasser und Verpflegung zu versehen. Es scheint, als ob die Truppen für solche Zwecke nicht ausreichend mit Wasserwagen und sonstigen Beförderungsmitteln für Wasser versehen sind. Erst am 27. Juni waren in Swakopmund 60 Wasser wagen, je 300 Liter fassend, von der Art, wie sie die Eng länder im Boerenkriege benutzt haben, bereitgestellt. An sich war die Zahl der Wagen gering; ob sie aber den Truppen mn Waterberg bis Anfang August zugeschickt werden konnten, erscheint fraglich, sonst wäre es nicht bei allen Truppenabteilungen gegen Ende der .Kampfe an scheinend unumgänglich nötig gewesen, die Wasserstellen zu erkämpfen. ver rarrirrß-iapanirche striez, weitere Berichte über -ie Schlacht bei Liaajang. Der Berichterstatter des „New Aork Herald" tele graphiert seinem Blatte am 7. d. M. ab Schanhaikwan über Tientsin: Ich habe gegen 100 Kilometer zu Pferde zurllckgelegt, teilweise im Gewitterregen, und habe 16 Stunden in einem chinesischen Boot zugebracht, dann 30 Kilometer zu Fuß zurückgelegt, um Ihnen die Beschreibung der großen neuntägigen Schlacht liefern zu können, die mit der Einnahme von Liaujang geendet hat. Es war mir bis jetzt unmöglich, zu telegraphieren wegen der strengen Zensur, die die Telegramme der Kriegsberichterstatter mit Beschlag belegt hat. Nach einem langen Aufenthalt in Haitschöng wandte sich das 2. Armeekorps unter dem Befehl des Generals Oku mit der 3., 4. und 6. Division nach Norden hin, um zu den Armeen Nodzus und Kurokis zu stoßen. Nodzus Armee, die in Takuschan gelandet war, bestand aus der 5. und 10. Division, Kurokis Truppen aus der 2. und 12. Division und der kaiserlichen Garde. Alle diese Truppen standen unter dem Befehl des Marschalls Oyama. Das japanische Hauptguartier stand in be- ständiger telegraphischer Verbindung mit den verschie denen Armeen, und daher wurden die Truppenbewegun gen mit großer Genauigkeit durchgeführt. Am 26. Au gust kam die japanische Vorhut mit den Russen in Be rührung. Am 27. begann der Artilleriekampf. Die Russen waren stark verschanzt auf den felsigen Anhöhen südlich von Anschantsckian. Die Russen erwiderten kräf tig die schreckliche Kanonade der Japaner, deren In fanterie während dieses Tages sich am Fuße der Hügel verschanzte. Dort dehnt sich ein Erntefeld auf der Ebene aus. Ueberall war die telegraphische Verbindung mit dem Generalstab hergestellt. Der allgemeine Angriff war vorbereitet. Am 28. begann beim Morgengrauen das Feuer. Die russischen Batterien waren sehr gut versteckt, und ein Ballon schwebte über den Höhen und beobachtete die Stellung des Feindes. Die Bericht erstatter und Militärattaches befanden sich 10 Kilometer hinter der Front. Gegen Mittag konnte ich mit einem Feldstecher die japanische Infanterie bemerken. Wie braune Ameisen überschritten die Japaner den Höhen zug, hoben sich oben vom Horizont ab und verschwanden dann auf der anderen Seite des Hügelkammes, während das Feuer der russischen Batterien allmählich ver stummte, zum Beweis, daß die Russen sich zurückzogem Am 29. und 30. besetzten die Japaner Änschantsck-an. Von der Höhe eines Hügels beobachtete ich die russi schen Stellungen von Suchampo. Diese Stellungen be fanden sich auf einer Hügellinie, die gegen den Ansturm der Infanterie durch Stacheldraht und andere Vorrich tungen geschützt war. Die Russen hatten das Getreide (Mais) auf eine Entfernung von 400 Meter vom Fuß des Hügels abgeschnitten. Ein chinesischer Turm und ein Ballon dienten den Russen dazu, ihre Geschütze zu lenken. Die Zweite japanische Armee bildete die Linke und einen Teil des Zentrums der Angriffslinie. Diese Linie war unterbrochen durch ein Getreidefeld, worin sich Tausende von Infanteristen in einer Linie fort bewegten und die Batterien daran hinderten Stellung zu nehmen. Die Armee von Takuschan bildete einen Teil des Zentrums, während die Erste Arme nordöst lich auf der Rechten sich befand, augenscheinlich in der Absicht, eine große Flankenbewegung vorzunehmen. Die Gesamtzahl der japanischen Truppen belief sich auf 160 000 Mann, die der Russen auf 100 000 Mann (diese Zahlen stimmen mit den amtlichen nicht überein). Angesichts einer solchen Aufstellung der Streitkräfte war es offenbar, daß eine der größten Schlachten der Welt stattfinden sollte. Der Artilleriekamps dauerte bis zum Abend mit einer erschreckenden Heftig- keit. Die Japaner hatten große Mühe, die russischen Batterien zu entdecken. Da die Russen die vorteilhaf testen Stellungen hatten, konnten sie dem Feinde große Verluste bcibringen, obgleich sie schlecht zielten. DaS Gewehrfcucr dauerte bis zum Sonnenuntergang und wurde um 6 Uhr, als die Japaner ihren ersten Jnfan- terieansturm gegen den Grünen Hügel unternahmen, noch heftiger. Dieser Ansturm wurde zurückgeworfen und der Hügel wurde erst ivährend der Nacht mit Unter stützung der Zweiten Armee durch einen hartnäckigen Sturmangriff genommen. Die japanische Angriffs methode bestand darin, die Kompagnien in Gruppen von 16 bis 20 Mann einzuteilen, die einzeln au»- schwärmen und sprungweise vorgehen, und so kleine Entfernungen, ohne zu schießen, zurücklegen. Dann legen sie sich auf den Boden. Do kamen die Mann schaften allmählich an den Fuß der feindlichen Stel lung, ohne allzusehr zu ermüden, aber die Verluste waren doch groß. Die letzten Russen verließen Su champo vor Tagesanbruch am 1. September. Der Eindruck des Schlachtfeldes war unvergeßlich. Die Schützengräben waren gefüllt von russischen und japanischen Toten, auf den Wegen lagen die Leichen schichtweise aufeinander. Auf dem ganzen Schlachtfelde schwärmten Millionen von Mücken. Die Berichte des Generalsstabs, die den Berichterstattern zur Verfügung gestellt wurden, sind vielfach unrichtig. Sie sprechen von einer Panik des Feindes, während doch die Ja paner von den russischen Batterien stets im Schach ge halten wurden. Dieses schreckliche Gemetzel dauerte am 2. und 8. September bi» zum Vormittag des 4. Septem- ber fort. An diesem Tage schlugen die Flammen am Bahnhof von Liaujang auf und die Feuersbrunst dehnte sich mit großer Schnelligkeit aus. Während des Tages gab eS noch eine Reihe kleinerer Gefechte. Am Abend war Liaujang genommen, die Japaner hatten aber nur einen fruchtlosen negativen Sieg davongetragen. Der russische Rückzug muß in voller Ordnung vor sich ge gangen sein, denn in Liaujang ist nichts zurückgeblieben. Alle Vorräte und sogar das Eisenbahnmaterial wurden mitgenommen. Ein höherer britischer Offizier äußerte mir gegenüber, er glaube, daß der Krieg jetzt erst bo- gönne. Die Verluste der Japaner betrugen mindestens 20 000, die der Russen 15 000 Mann. (Diese Zahlen dürften zu niedrig geschätzt sein.) Der japanische Plan, Kuropatkin einzuschließen, war völlig gescheitert, denn die Russen sind auf dem Wege nach Charbin. Alles spricht dafür, daß Kuropatkin keineswegs die Absicht hatte, in Liaujang bis zum Aeußersten Widerstand zu leisten, er hat den Vormarsch der Japaner mit einer geringeren Truppenzahl, als jene hatten, aufgehalten, er hat dem Feind schreckliche Verluste beigebracht und die japanische Heeresleitung wird, da sie bei Liaujang nur zwei Lokomotiven, vier Geschütze erbeutet und 15 Gefangene gemacht hat, einsehen müssen, daß der Feld zug sich in der Zukunft noch sehr schwierig gestalten wird. Dem Petersburger Berichterstatter des „Matin" versicherte man im russischen Generalstabe, Kuropatkin» Absicht sei, den Javanern Mukden nicht ohne heftigen Widerstand zu überlassen und ihnen dort neue Verluste beizubringen, um den Rückzug nach Charbin ordnungS- mäßig bewerkstelligen zu können. Auch dem Mitarbeiter des „Echo de Paris" wurde aus dem Munde des Gene ralstabschefs Rolow bestätigt, daß Kuropatkin der Armee Kurokis, um sie aufzuhalten, bei Mukden von neuem entgegentreten werde. An der Schlacht bei Liaujang habe das 1. Korps, General Mevendorf, mit Ausnahme des Regiments Wyborg, dessen Chef der deutsche Kaiser ist, und die Hälfte des 5. sibirischen Korps nicht teil genommen. Diese Truvven seien vielmehr als Reserven auf der Straße von Mukden geblieben. Kuropatkin habe über die Zahl der verlorenen Geschütze keine Mit- teilung gemacht. Es sei möglich, daß er 24 Belagerungs geschütze in den Händen des Feindes gelassen habe, aber sicher sei, daß die Japaner keine Feldgeschütze erobert hätten. , stolMrche cagerrcda«. * Leipzig, 10. September. Zur Ausgestaltung der Matrikularbeiträge. Bekanntlich hat der Reichstag die zur Deckung des Fehlbetrages für unvermeidlich erklärte Zuschußanleihe von 17^ Millionen Mark gestrichen und um diesen ganzen Betrag die Matrikularbeiträge der einzelnen Bundesstaaten trotz Les lebhaften Protestes derselben be lastet. In einer Besprechung des großen Werkes von Schwarz und Strutz: „Der Staatshaushalt und die Finanzen Preußens" führt Abg. I>r. Sattler (im „Preußischen Verwaltungsblatt") mit Bezug hierauf sehr treffend aus: Die Entwicklung der Finanzbeziehun- gen zwischen dem Reich und den Einzelstaaten ist eine ganz andere gewesen, als man bei der Gründung des Reiches angenommen hatte. Damals war von der Ansicht ausgegangen worden, daß die Einnahmen aus denZöllen den gemeinsamen Verbrauchssteuern, sowie aus der Post- und Telegraphenverwaltung im wesentlichen zur Bestreitung der gemeinsamen Ausgaben ausreichen würden, infolge der Steigerung der Ausgaben des Reiches aber mußten für Militärzwecke bald wirkliche Matrikulararbeiträge an das Reich gezahlt werden. Es lag in der Natur der Dinge, wenn mehrfach Ver- suche gemacht wurden, eine Reform deS Finanzwesen» herbeizuführen, um einerseits die Einzelstaaten gegen die zu starke Heranziehung zu Reichszwecken zu schützen und anderseits dem kolossalen Ansteigen der Reichsschuld eine Grenze zu ziehen. Aber bei der Abneigung des nunmehr an die entscheidenden Stelle ge rückten Zentrum» gegen gesetzliche Festlegung von Grundsätzen ist man nicht über ziemlich unbedeu tende Maßnahmen auf diesem Gebiet« binauSgekommen und auch der an sich einen Fortschritt bedeutenden sog. l« Stengel vom laufenden Jahre kann keine allzu große Bedeutung beigemessen werden. Auf eine andere Verteilung der Steuerguellen laufen nun die Vorschläge des Privatdozenten vr. Han» Koppe zu Marburg hinau», welche er in den Conrad- scheu Jahrbüchern veröffentlicht. Die Tendenz dieser Vorschläge geht dahin, die Matrikularbeiträge nicht mehr nach derKopfzahl der Bewohner der Einzel staaten, sondern nach dem Verhältnis ihrer Ein kommen st euer ertrage zu erheben, also auch die Matrikularbeiträge auf die Schultern der wirtschaftlich Stärkeren zu übertragen. Er meint mit Recht daß durch die gerechtere Verteilung der Matrikularbeiträge eine gründliche Reichsfinanzreform nicht erschwert, sondern wesentlich gefördert wird. Wenn er aber der optimistischen Ansicht huldigt, daß die unwiderstehliche Macht der Tatsachen baldigst zu einer endgültigen Auseinandersetzung der Finanz beziehungen zwischen Reich und Einzelstaaten führen müsse, so läßt erdiebeschämendeLatsache außer acht, daß das Zentrum sich mit allen seinen Macht- Mitteln dieser baldigen Regelung wie früher so auch jetzt entgegen st ellt. Bischof Benzler au der Arbeit. Daß der Appetit beim Essen kommt, ist eine alte Ge schichte; und die Erfahrung aller Zeiten erhärtet, wie sehr gerade geistliche Herren der appetitreizenden Wir kung des Essens ausgesetzt sind. So ist es denn ganz natürlich, wenn Bischof Benzler nach seinem voll- ständigen Siege in der Famecker Kirchhofsangelegenheit einen Feldzug gegen die ihm widerwärtige Presse mit denselben Mitteln desgeistlichenZwanges unter nimmt, die ihm bei der Regelung der Famecker Fried- Hofsangelegenheit einen so schönen Erfolg eingetragen haben. Wie nämlich klerikale Blätter des Reichslandes voll Freude mitteilen, wird am kommenden Sonntag in den Kirchen des Bistums Metz eine „oberhirtliche Unterweisung" verlesen werden, in der eS wörtlich heißt: „Weil . . Tagesblätter, Romane und überhaupt alle Schriften, die mit Fleiß die Religion und die guten Sitte nan- greifen, eine große Gefahr für das Seelenheil bil den, so müssen sie, wie Papst Leo XIII. erklärt, nach dem natürlichen und dem kirchlichen Rechte, als ver boten angesehen werden. Wer, diesem göttlichen und kirchlichen Gebote zuwider, glaubens- und sitten lose Schriften lesen oder behalten, oder auf derartige Zeitungen abonnieren wollte, der würde sich schwer verfehlen; die Priester hätten die Pflicht, einem solchen die Segnungen und Gnaden der Kirche zu verweigern, und zwar so lange, als er diese gefährliche Gelegen heit, am Glauben und an den guten Sitten Schiffbruch zu leiden, nicht meiden will." Diese „oberhirtliche Unterweisung" wird künftig jedes Jahr am zweiten Sonntag im September beim Haupt gottesdienst von der Kanzel verlesen werden. Die Praxis Les Beichtstuhls hat dafür zu sorgen, daß die Metier-Diözesanen erfahren, welche Zeitungen „mit Fleiß die Religion und die guten Sitten angreifen". Selbst verständlich werden dazu Blätter gerechnet werden, welche sich unterfingen, die Verhängung des Interdikts über den Famecker Friedhof (weil ein Protestant auf ihm be- ecdigl war) als einen Akt bodenloser Intoleranz uftd als einen herausfordernden Bruch des konfessionellen Frie dens zu bezeichnen. Solche Blätter sollen künftig in der Diözese Metz jahraus, jahrein auf der Kanzel boykot tiert werden I Alle diejenigen Stellen, die — teilweise im Widerspruch mit ihrer eigenen früheren Haltung — den Bischof Benzler in der Famecker Friedhofsangelegen- hcit triumphieren ließen, trifft die Mitschuld an dem neuen Versuch des Metzer „Friedensbischofs", daS Schreck gespenst der ewigen Verdammnis als Mittel zur Er- reichung hierarchischer Ziele zu verwerten. Der Zufall fügt es, daß gleichzeitig mit dem neuen Vorstoß Bischof Benzlers zwei Tatsachen bekannt werden, die den Metzer Oberhirten in anderer Richtung charakterisieren. Die eine Tatsache wird vom „TempS" berichtet; sie bezieht sich auf die Gedenkfeier, welche die französische Be völkerung von Metz jüngst zu Ehren der 1870/71 ge fallenen sranzösischen Soldaten veranstaltete. Dabei ließ sich Bischof Benzler durch seinen General-Vikar vertreten, weil er selbst bereits nach Lourdes abgereist war! Die zweite Tatsache wird von klerikalen reichsländischen Blät tern verzeichnet; sie besteht darin, daß Bischof Benzler in Spittel für die Kroaten eine besondere Messe einge führt hat und für die dortigen Böhmen baldigst eine neue Kirche erbauen will. Wer jetzt noch bezweifelt. Laß unter dem Walten des Bischofs Benzler das Deutschtum in Lothringen mit Riesenschritten vorwärts geht, kann nur ein ganz verbohrter „Kulturkämpfer" sein. ... Zufall oder Absicht? Daß eine Tageszeitung dein Romane, den sie in ihren Spalten veröffentlicht, eine Karte „zur leichteren Verfolgung der Ereignisse" beigrbt, gehört nicht zu den alltäglichen Erscheinungen. ES kann deshalb nicht unbe merkt bleiben, wenn die „Köln. Volkszt g." die Der- schast, voll übermütigen Forderns, voll heimlich werben der Liebesglut, voll Jugend und Sehnen. Und sic tvar schön, diese Sprache, schön wie eine heiße, schwüle, rosen- durchduftete Sommernacht. Schön zum Weinen, dachte Elisabeth, und preßte di: Hände an das unruhige Herz, und um sie herum gaben die Menschen ihren Beifall kund, nur sie allein saß still, aber sie baute ihm in dieser Stunde in ihrem Herzen einen Altar auf. Heimlich scl>lich sie sich dann hinweg aus den, über füllten Saale, hinaus ins Freie. Draußen packte der Tauwind sie und nahm ihr fast den Atem, so heftig wehte er ihr entgegen. Wie wohl ihr der frische Wind tat. Sie empfand plötzlich eine große Sehnsucht nach der weiten, einförmigen Hcimatsebene, dort hätte sie jetzt laufen mögen, immer mit dem Sturm um die Wette, umbraust, umweht, allein in der großen Stille, allein mit ihrem törichten, jubelnden, schluchzenden Herzen. Sie rannte durch die abendstillen Straßen, unbe kümmert darum, daß die ihr Begegnenden sie verwundert ansahcn und hin und wieder jemand ihr nachrief, sie hörte es ja gar nicht, sie hörte nur immerfort den Klang der Geige, sie sah weder Häuser noch Menschen, noch sonst etwas, sic sah nur Wolfgang Stritt, wie er stand und spielte. Sie, die Zaghafte, deren Furcht bei abendlichen Aus gängen ihr schon manche Neckerei in der Pension einge tragen, machte heute einen großen Umweg, lies völlig ziellos durch allerhand Straßen und kam sehr spät zu Hause au. Sie stand in ihrem kleinen Zimmer, die Lampe, die man ihr auf die Treppe gestellt hatte, in der Hand, und starrte verwundert, betroffen auf ihr Bild, da» der Spiegel zurückstrahlte. War sie denn das, die da stand, sie, die alte Elisabeth, sollte das sein, das Mädchen da mit den heißen Wangen, dem zerzausten Haar und den leuchtenden Augen? Sie stand und sah unverwandt ihr eigenes, schönes, ihr so fremdes Bild an, und sie fühlte voll Erschrecken, sie war eine andere geworden, sich selber unverständlich. Was war es nur, was sie so verwandelt, was allen ihren Gleichmut, ihren heiteren Kindersinn zerstört hatte? Sie kniete vor ihrem Bett nieder und, den blonden Kopf in die Kissen gepreßt, weinte sie, wild und leiden schaftlich, sie weinte in namenlosem, unverstandenem Weh, in seliger Ahnung, es war ein Frühlingsregen, der aus ihren Augen floß, und draußen sang der Sturm brausend das vielalte Lied von der Sehnsucht. Nicht ganz so rasch, wie Elisabeth Ekkardt, verliehen vier alte Leutchen das Konzert, sie mußten schwer an kämpfen gegen den Jrllhlingssturm, und Frau Riekchen Müller mahnte immer wieder: „Sebastian, sprich nicht so viel, du bekommst sonst wieder dein Asthma." Aber der Alte war nicht zum Schweigen zu bringen, „weß daS .Herz voll ist, deß geht der Mund über, Riekchen; hat der Junge gespielt, Riekchen! Riekchen, kannst du's fassen, daß es unser Wolfgang war, der da spielte? DaS Feuer, die Leidenschaft, ja, ja, vielleicht ein bißchen zu viel, etwas weniger wild könnte er ja spielen, aber daS ist eben die Jugend, das Unreife in ihm, was gährt und ringt, wenn er erst da durch ist, dann wird er ein großer Künstler werden." „Sie haben recht, Herr Müller", rief Willibald Herzog, der. Fräulein Molchen am Arme führend, dicht hinter ihnen herkam, „selbst meinem schwachen Musik verstand will es dünken, er sei ein Genie, es ist doch etwa» Schönes um so eine herrliche Gottesgabe." Die Vier waren an der Haltestelle der Bahn an gelangt, die sie zur Heimfabr» benutzen wollten, als hinter ihnen ein rascher, junger Schritt hörbar wurde, „Großvater, Großmutter!" rief eine fröhliche Stimme. Wolfgang Stritt hinter den alten Leuten, er hatte sich dem Glückwunsch seiner Bekannten entzogen und war hinauSgeeilt, um Elisabeth Ekkardt noch zu treffen, aber so sehr er seine Augen anstrengte, er fand die Gesuchte nicht, statt ihrer sah er die Großeltern mit ihren Freunden, und in dem Jubel seines Herzens eilte er ihnen nach, denn er mußte heute jemand haben, der teil nahm an seinem Glück. Die Freude der Alten war rührend, Vater Vttiller klopfte ihm auf den Rücken und streichelte ihm die Wangen, und Frau Riekchen nahm ehrfurchtsvoll die Hand deS Enkels in die ihre, die Hände, die so schön zu spielen verstanden. „Komm mit uns, Wolfgang, wir feiern dich gleich, Herr Doktor und Fräulein Malchen find freundlichst eingeladen, komm, mein Junge, eine Flasche Wein habe ich schon für deinen Ehrentag gekauft, na, und ich wette, Großmutter hat bereit» einen Kuchen gebacken. —" „Ei, ei, welch' lukullische Aussichten", rief Willibald Herzog, „Fräulein Malchen, was sagen Sie dazu?" Wolfgang willigte ein, er hatte gar keine Lust, sich mit seinen Freunden in irgend ein rauchgeschwängertes, menschengefülltes Lokal zu setzen und dort lärmend seinen Erfolg zu feiern. Er hatte sonst in der letzten Zeit die Großeltern ziemlich vernachlässigt, mit dem Egoismus der Jugend hatte er nur sich gelebt, aber heute trieb es ihn zu den alten Leuten, heute hatte er eine wahre Sehn sucht nach Liebe und Zärtlichkeit, und die Bewunderung, die selbstlose Freude der vier Alten tot ihm unendlich wohl. — Vater Müllers Prophezeiung war richtig, Frau Riekchen hatte einen Kuchen gebacken, und eS dauerte nicht lange, so hatte sie mit Fräulein MalchenS Hülfe den Lisch zierlich gedeckt, und Wolfgang mußte den Ehren platz auf dem Sofa einnehmen, gerade unter dem ver gilbten Kranz des Großvater». ES war eine sehr fröh liche, kleine Tafelrunde, so heiter, so aufgelegt zu Scherz und Neckerei wie heute war Sebastian Müller lange nicht gewesen, Frau RiekchenS Augen leuchteten in beinahe jugendlichem Glanze und wanderten vom Gatten zum Enkelsohn, "mal drückte sie dem einen die Hand, 'mal dem anderen. Fräulein Malchen kam au» dem Kichern und Erröten gar nicht heraus, denn Willibald Herzog hatte ein Lebensalter au» seinem Gedächtnis gestrichen und war der übermütige, flotte Bruder Studio von einst, er warf so zärtliche Blicke auf die kleine Näherin, daß Wolf gang sagte, er würde sich ein Beispiel an dem Doktor nehmen, der verstünde e» bester, den Hof zu machen, wie manch' Junger", und daraufhin neckte der alte Student den jungen Künstler mit seiner blonden Liebe, und Wolf gang fing rasch von etwa» anderem zu reden an. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder