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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040908021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904090802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904090802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-08
- Monat1904-09
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem RedaktionSslrich (4 gespalten) 75 /H, nach den Familiennach richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — lyebühren für Nachweisungen und Lssertenannahme 25 Nnnahmeschlutz für Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Extra-Beilagen lgefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbefördrrung 60.—, m' t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind siel» an die Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Potz in Leipzig (Inh. vr. B..R. L W. Klinkhardt). 98. Jahrgang. Var Mchtigrte vom Lage. * Die beunruhigenden Nachrichten über das Befinden des Königs Georg sind zumTeil stark übertrieben: zu unmittelbaren Befürch tungen liegt kein Anlatz vor. (Siehe Deutsches Reich.) * Die Manöverflotte unter Befehl des Kaisers macht heute den Versuch, die Einfahrt in die Elbe zu erzwingen. (Siehe letzte Nachr.) * Die Typhu s-E pidemie inDetmold ist im Abnehmen begriffen. (Siehe letzte Nachr.) * Die Russen sollen in Nordostkorea durch in der Sossietbai gelandete Japaner ab- gcschnitten worden sein. * Die russischen Verluste in der Schlacht bei Liaufang werden jetzt in einer Petersburger Meldung auf 16 000 Mann einschließlich der Gefangenen angegeben. veraächtige Fragebogen aur 5t. Louir. Wir haben schon mehrmals auf merkwürdige ameri- kanische Gebräuche Hinweisen müssen, die auf dem Boden der Weltausstellung in St. Louis gewachsen sind. Zu letzt besprachen wir die differenzierte Behandlung derame- rikanischen und der fremden, z. B. deutschen Juroren. Heute sind wir genötigt, auf eine noch viel bedenklichere Tatsache aufmerksam zu machen. Ob die Herren von der Jury in dem Vermeiden jeglichen Entschädigungsangebots eine Hoch- oder eine Geringschätzung erblicken wollten, war schlietzlich ihre persönliche Sache. Diesmal aber gilt es das Interesse weiter Kreise, wie aus folgendem Briefe zu ersehen ist, der uns von betroffener hochgeschätzter Seite izugeht: Sehr geehrter Herri Die Ausstellung von St. Louis hat uns schon so mancherlei Ueberraschungen gebracht, datz man allem, was aus ihr entstanden ist, mit einem gewissen Miß trauen begegnet. In den letzten Tagen nun sind ohne amtliche Signatur, ohne Unterschrift, lediglich von einem hektographierten Zettel begleitet, Frage bogen an die deutschen Au sstcller ver schickt worden, die angeblich als Unterlagen für die Jury dienen sollen; sie sollen an den namen losen „Oeneral Oommissioner ok tbe Oermnn Dckneational Dxbikit, 81. I-ouis, dlo. (ZiVorlck's k^air, Dckucntiooa! Uuilckiux;)" zurückgegeben werden. Ter Inhalt dieser Fragebogen muß den Ausfüllenden aber stutzig machen; denn er verlangt nicht mehr und nicht minder als eine Pro - duktions statt st ik und Auskunft über Produktion^- oder Verkaufsvorteile, die außerordentlich geschickt durch die Fragen herausgelockt werden soll. Besonders wird sich der deutsche Industrielle, der das weite Gewissen der amerikanischen Konkurrenz kennt, bedenken, ob er die Vorzüge der ausgestellten Gegenstände, besonders den Entwickelungsgang, die Eigenart oder die Ver besserung die er bei der Gestaltung und der Qualität des Materials eingeführt hat, die Nutzbarmachung der Abfallprodukte und die besondere Tätigkeit gelernter Arbeiter bei der .Herstellung, beim Fertigwaren und der „Aufmachung" einer genaueren Beschreibung unterziehen will. Er wird sich ferner fragen, ob es seinem Export nützlich sein kann, daß die amerika nische Konkurrenz erfährt, ob er mit Rücksicht auf die überlegene Güte oder die besonders billige Preisstcl- lung von Waren allgemeinen Verbrauches produziert und verkauft. Für die Entwickelung der amerikani- scheu Industrie ist es natürlich auch interessant zu wissen, welche hygienischen Einrichtungen der deutschen Industrie gemeinsam sind, und in welcher Weise für die Weiterbildung der Arbeiterklasse in moralischer und erzieherischer Hinsicht gesorgt wird. Auch darüber wird man eine ziemlich eingehende Auskunft erhalten, wenn jede Firma einzeln darum befragt wird. Es erscheint nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß diese Fragebogen von einer Stelle auszugehen scheinen, die nicht derKontrolle desReichs- kommissars oder einer anderen verantwortlichen Persönlichkeit unterliegt, denn es wäre sonst die amt liche Bedeutung durch einen entsprechenden Aufdruck auf dem Briefumschlag kenntlich gemacht und das Be gleitschreiben nicht durch einen vierzeiligcn hektogra- phierten Zettel ersetzt. Es scheint, als läge entweder eine Harmlosigkeit der offiziellen Vertretung vor, oder es versuche eine findige Zwischen» ste^ l e in der amerikanischen Leitung des Unterneh mens, die Nerven der deutschen Industrie durch eine geschickte Operation bloß zu legen. Wir haben uns durch das Lesen der Fragebogen über zeugt, daß allerdings die deutsche Industrie den Ameri kanern gar keinen größeren Gefallen tun kann, als durch recht sorgfältiges Ausfüllen der Formulare. Tie Nutz' anwendung daraus zu ziehen, wird unfern Ausstellern nicht schwer fallen. Der r«55i;ch-japani5Äe Krieg. Zur Lage in der Mantschurei. Unser militärischer Mitarbeiter schreibt uns unter dem 7. d. M.: Ueber den zur Flucht ausgcartetcn Rückzug Kuro- patkins und des russischen Hauptheeres nach der Schlacht von Liaujang werden fast stündlich so viele falsche Nach richten verbreitet, daß es wirklich nicht leicht ist, daraus ein klares Bild zu gewinnen. Stur das eine kann man mit positiver Sicherheit feststellen, daß der größte Teil dieser Nachrichten übertrieben sein dürfte. Man darf doch immerhin nicht unberücksichtigt lassen, daß die ja panischen Truppen tagelang erbittert und fast unauf hörlich mit ihrem zähen russischen Gegner gekämpft haben. Man kann getrost annehmen, daß das Ruhe bedürfnis der japanischen Truppen so groß ist, datz die Verfolgung des russischen Rückzuges im Augenblicke nicht mehr mit der notwendigen Energie durchgeführt werden kann, um die Niederlage des Russcnheeres in einen vollständigen Zusammenbruch zu verwandeln. Die ganze Lage stellt sich im Moment wie ein Wett lauf zwischen den durch das tagelange Ringen erschöpf ten Truppen dar. Wer wird zuerst Mulden erreichen? Die noch immer zähe ihre Umgehungsbcwcgung durch führenden Japaner oder Kuropatkin? Das ist die ein zige Frage, die sich die russische Heeresleitung in diesem Augenblicke der Krisis vorzulegen hat. Unserem Empfinden nach und auch den Kuropa^ kinschen Meldungen zufolge können wir vorläufig noch damit rechnen, daff die japanische Umgehungsbewegung doch nicht völlig geglückt ist, was bei der im Verhältnis zu einem derartigen Unterfangen zu geringen japa nischen Truppenzahl nicht weiter zu verwundern ist und den tüchtigen japanischen Führern auch keinesfalls zum Vorwurf angerechnet werden kann. Es ist bis zum Augenblick noch Kuropatkin gelungen, sich der ihm drohenden eisernen Umklammerung rechtzeitig durch die einzige noch offene Hintertüre, an der Eisenbahnlinie, entlang, nordwärts zu konzentrieren. Wemz auch bei der Nachhut noch immer ständig mit den nachdrängen den Japanern gekämpft wird, so erscheint es doch wohl nur in sehr geringem Maße möglich, daß diese Kämpfe sich noch einmal zu einer wirklichen Schlacht ausgestal ten werden. Der Augenblick der Entscheidungsschlacht ist jetzt verloren, wir werden nur noch Nachhutsgefechten beizuwohnen haben, die von russischer Seite bezwecken, den Feind möglichst lange in seinem Vormarsch aufzu halten, von japanischer Seite aber dazu dienen sollen, den Gegner gegen seinen Willen festzuhalten, in einen großen Kampf zu verwickeln und ihm bei dieser Ge legenheit den Rückzug abzuschneiden. Man hat im ja panischem Lager ja anscheinend noch nicht alle Hoffnung verloren, daß diese letztere Absicht schließlich doch noch in diesen Tagen gelingen werde. Der unparteiische Beobachter muß aber zu dem Schlüsse kommen, daß der Augenblick für die Japaner nunmehr verpaßt ist. Die einzige letzte Möglichkeit hätte solange noch bestanden, als es den Japanern gelungen war, das russische Gros um ?)entai festzuhalten. Es stehen zwar dort noch rus- fische Truppenteile, aber die Hauptmacht ist zweifel los auf dem Wege nach dem Norden begriffen und zwar 'in einem derart beschleunigten Tempo, daß man doch nicht mehr ohne Einschränkungen von „einem geord- neten Rückzug" sprechen kann, wie Kuropatkin dies noch immer in seinen Berichten tut. Ueber die Ereignisse der nächsten Tage und Wochen kann man natürlich nur Vermutungen äußern. Jeden- falls aber wird es mit einem Rückzüge der Russen auf Mukden nicht getan sein; denn die nur etwa 50 Kilo- meter betragende Entfernung von Liaujang nach Mukden ist zu gering, als daß eine so desorganisierte' Truppenmasse, wie die russische es in diesem Moment ist, sich sammeln und zu erneutem Widerstande festsetzen kann. Mukden wird also voraussichtlich ohne allzu große Kämpfe ebenfalls in die Hände der Japaner fallen, was vielleicht nicht ohne Einfluß auf die Haltung der ChinesAr bleiben wird, denn dort befinden sich bekanntlich die Grabstätten der Mantschudynastie. Mukden bedeutet für die Japaner den Abschluß des ersten Teiles des Krieges, für die Russen hat vielleicht der Ort Tienling, etwa 75 Kilometer'nörd- lich von Mukden, auf der Strecke nach Charbin gelegen, die gleiche Bedeutung; denn die ausgezeichneten natür lichen Befestigungen dieser Gegend würden den Russen ein ruhiges Aufatmen gestatten. Wie verlautet, gedenkt Kuropatkin noch einmal eine Schlacht zu liefern, und ztvar entweder bei Mukden, oder bei Tienling. Da es an Am bulanzen fehlt, müssen die Russen auf dem Rückzüge ihre Verwundeten preisgeben. Viele sterben vor^Hunger und Turst. Es wird der Ausbruch von Seuchen befürchtet. Ter Berichterstatter des „Standard" im Lager Kuro- patkins meldet, daß bei den Kämpfen um Anping die japanische Zentrumsarmee sehr schwere Dcrlustc erlitt. Der rechte Flügel sei erfolgreich ge wesen, da er keinen einzigen russischen Gegenangriff aus zuhalten hatte. Die Japaner hätten hier acht Geschütze erbeutet, die von den Russen verzweifelt, sogar durch Hcruuterrollcn von Felsblöcken verteidigt worden seien. Aus Shanghai wird dem „Standard" gemeldet, nach Aussagen von Chinesen zögen die Russen tausende von Chinesen zum Bau von Verteidigungswerken in Tienling heran. „Daily Mail" meldet aus Kupantse: Kuropatkin erreichte gestern Mukden, das von der Civil- bevölkerung verlassen wird. Nördlich von Liau jang wird noch gekämpft. Täglich kommen 80 Eisenbahnwagen mit Verwundeten durch. Daselbst cingetroffenc englische und amerikanische Berichterstatter beschweren sich über die Behandlung durch die Japaner, die alle Nichtjapaner als Spione betrachten. stslltircde lagerrcha«. * Leipzig, 8. September. Die Ministerkrifis in Preußen. Aus Berlin wird uns von unserem b-Korrespon- dcn berichtet: Nachdem die Nachriclft aufgetaucht ist, daß der preußische Minister des Innern Freiherr v. Ham mer stein durch den Oberpräsidenten von Hannover Or. Wentzel ersetzt werden solle, ist es natürlich, wenn man sich an zuständiger Stelle erkundigt, ob jene Nachricht zutreffend sei oder nicht. Datz auf solche An fragen mit Vorliebe ausweichende Antworten gegeben werden, gehört zu den gewohnten Erscheinun geil, obwohl die Nützlichkeit eines derartigen Verfah rens nicht über jeden Zweifel erhaben ist. So hört man denn auch jetzt: Es sei nicht ausgeschlossen, daß Oberpräsident 1>r. Wentzel dereinst in das Ministerium eintrete, aber die Voraussetzung dafür sei eine M i - n i st e r kr is i s, und eS liege zur Zeit kein Grund vor, der den Frhrn. v. Hammerstein zur Einreichung seines Entlassungsgesuches bestimmen müßte. Aus solchen und ähnlichen Wendungen läßt sich etwas Authentisches nicht folgern. Doch legen aus- weichende Erklärungen wie die gedachten die Annahme nahe, daß auch an „unterrichteter" Stelle die Position des Freiherrn v. Hammerstein als erschüttert gelte. Begreiflich genug! Ein hervorragendes Mitglied des Ministeriums Bülow ist Freiherr v. Ham- merstcin niemals gewesen. Der Fall Mirbach vollends und alles, was damit zusammenhängt, machten immer- mehr offenbar, daß Frhr. v. Hammerstein für das Schiff des Ministeriums Bülow Ballast bedeutet. Hochkonser vativen Kreisen, die Frhrn. v. Mirbach halten wollten, würde das Ausscheiden des Frhrn. v. Hammerstein aus dem Ministerium des Innern gerade im Zusammen- hange mit dem Falle Mirbach allerdings verdrießlich sein. Aber auch jene Kreise dürften hierüber in kurzer Zeit deshalb Hinwegkommen, weil dem Frhrn. v. Hammer stein die ihnen erwünschte o st elbische Färbung fehlt. Etlvas anderes ist es mit der etwaigen Nachfolge des jetzigen Oberpräsidenten von Hannover, der zwar als hervorragend tüchtiger Verwaltungsbeamter auch von der „Kreuzztg." anerkannt worden ist, indessen schwerlich der ostelbischen Rechten willkommen wäre. Diese Mitteilungen erfahren eine interessante Er- gänzung durch folgende Ausführungen einer preußischen Korrespondenz: „Die Deutsche Tageszeitung" glaubt nicht an die bevorstehende Ablösung des Mi- nisters des Innern, Freiherrn von Hammerstein, durch den hannoverischen Oberpräsidenten Wentzel und erklärt, Minister des Innern werde ein anderer bürger licher Oberpräsident. Da das Blatt der Landbündler hierbei kaum an die schon recht betagte Excellenz des rheinischen Oberpräswenten denken dürfte, kann nur das Danziger Sonntagskind, Herr Clemens Del brück, gemeint sein. Während Herr Wentzel hier in Berlin schon seit geraumer Zeit als einer der möglichen Remplacenten nicht des Ministers des Innern, sondern des Kultusministers für dessen Scheidestunde gilt, können wir die Andeutung der „Dtsch. Tagesztg.", was die Aussichten des westpreußischen Oberpräsidenten auf den Platz des Herrn v. Hammerstein anlangt, durch aus bestätigen. In der Tat soll er seit geraumer Zeit zum künftigen Minister des Innern ausersehen sein, eine Wahl, die wahrscheinlich als sehr glücklich zu be zeichnen wäre. Herr Delbrück ist einer unserer hervor ragendsten Vertvaltungsbeamten, der sowohl als Land rat, wie als Oberbürgermeister von Danzig, und end- lich als Oberpräsident von Westpreußen auf allen Ge- Feuilleton. 71 „Durchgerungen." Roman von Josephine Siebe. Nachdruck verboten. Tas fahle, blasse Gesicht eines hinsterbenden Winter tages erhellte noch matt das kleine Zimmer in einem der höchsten und düstersten Häuser der Nürnberger Straße zu Leipzig, in dem Irene Amcndc ihr Heim aufgeschlagen hatte. Dicht am Fenster stand die junge Sängerin, die kärgliche Helle benutzend, und las, man konnte sich kaum einen größeren Gegensatz denken, als den das auffallend hübsche, in ein lang schleppendes, weißes Gewand ge hüllte .Mädchen zu seiner Umgebung, bildete. Das niedrige Zimmer enthielt nur wenige, ganz einfache Möbel, ein verschossenes rotes Ripssofa und ein grell buntes Bild des Königs Albert darüber repräsentierten anscheinend die Eleganz, und das dunkle Klavier schien zu sagen: wie Pasien meine Herrin und ich in diese Um gebung?" — Denselben Gedanken hegte auch Elisabeth Ekkardt. als sie, von der Wirtin geleitet, das Zimmer betrat, und erstaunt ruhten ihre Augen auf Irenes Gestalt in dem phantastischen weißen Kleid. „Sie sehen aus, als wollten Sie sagen: wie kommt eine Prinzessin in diese Hütte, ist es nicht so?" — Irene streckte lachend ihrer Besucherin die Hand hin, „kommen Sie zu sich, legen Sie ab und setzen Sie sich, wohin Sie wollen, meinetwegen auch auf das Bett, Umstände werden nicht gemacht." — Ehe Elisabeth noch eine Antwort gefunden, öffnete sich die Tür und zwei junge Mädchen traten herein, die eine mit einem riesigen Federhut, die andere mit einem koketten Jungenmühchen aus dem Haupt, gefolgt von einem hochaufgeschossenen, rotblonden jungen Mann, mit einem unglaublich hohen Stehkragen. Es erfolgte eine sehr lebhafte und lärmende Begrüßung. Elisabeth kannte die Ankömmlinge vom Konservatorium aus, der rot haarige Jüngling, ein Mr. Brown, war ein besonderer Schützling von Miß Evclinc Board, er nannte sich Ameri kaner, obgleich er erst mit fünfzehn Jahren nach Amerika gekommen war. „So", sagte Irene befriedigt, als ihre Gäste ohne viel Umstände Platz genommen hatten, „nun fehlt nur noch unser Ludwig, dann ist unsere Tafelrunde vollzäh. lig, ah, da ist er ja schon", rief sic einem untersetzten jungen Mann entgegen, der eben zur Tür hereintrat und der die junge reizende Wirtin mit leuchtenden Augen begrüßte. Der kleine Ludwig hatte ein offenes, angenehmes Ge sicht, kluge ernste Augen, sein ganzes Wesen atmete wohl tuende Einfachheit, die besonders angenehm gegen Mr. Browns gespreizte Ziererei abstach. Cora Lauge, die Dame mit dem Federhut, flüsterte Elisabeth Ekkardt so laut zu, daß es alle Anwesenden hören könnten, „Ludwig Weinspcrger, genannt „der kleine Ludwig", damit ihn niemand mit seinem großen Namensvetter verwechseln sollte, sei ein sehr tüchtiger Klavierspieler und Dirigent und werde gewiß einmal eine gute Karriere machen, er sei schrecklich verliebt in Irene Amende und — „Jesus, Maria, mein Wasser kocht über", schrie Irene, eilte nach dem kleinen rotglühenden Ofen und nahm einen Topf mit kochendem Wasser fort, dann holte sic aus einem Schrank einen Teller voll Kuchen, eine Schale mit Zucker, vier Gläser, zwei Tassenköpfe, einen Teelöffel und stellte alles auf den Tisch, goß aus einer Flasche Tee» extrakt in die Gläser und Tassen, heißes Wasser darüber und der kivo n'cloell tcm bei der Sängerin Irene A.uendc konnte beginnen. „Ja Umstände werden nicht gemacht", sagte die Wir- tin zu Elisabeth, die schüchtern und etwas unbehaglich aus dem harten Sofa saß, „es lebe das freie Künstlerlcben eS lebe die Musik!" Sie erhob ihre Tasse, und lachend stießen die sechs jungen Menschen miteinander an, und bald herrschte eine ungezwungene Fröhlichkeit, in die auch Elisabeth mit einstimmte. Man sprach von Musik, nur von Musik, als gäbe es nichts ivciter auf der Welt als Musik, über bekannte Größen wurde gesprochen, und Elisabeth staunte über die Sicherheit, mit der diese jungen Leute Urteile fällten. Da lmttc ihrer Meinung nach ein berühmter Klavierspieler fürchterlich gepatzt, eine aus der Neichshauptstadt gekommene Sängerin hatte ge sungen wie ein hohler Topf. „Ja", schrie Cora Lauge, die selbst Sängerin werden wollte, aber leider keine Stimme besaß, „manchmal klang cs wie das Krähen eines altersschwachen Hahns." — Alles lachte, „mach' es nit gar zu arg", rief Irene, „ganz so schlimm ist es nit, über haupt Kinder, sein wir nit lächerlich, wie die Füchse über die Trauben; die, von. denen wir reden, sind oben, und wir müssen erst klettern, schaut nur zu, daß keiner falle!" „Ach was", brummte Mr. Brown, gepatzt wird doch oft, daß cs gerade eine Schande ist, aber der Name, der Name ist es, wer den hat, der kann Schund für Musik ausgcben, das liebe Publikum rennt doch hin, klatscht sich die Handschuhe kaput und merkt gar nichts, wenn man nachher auch die heruntergefallenen Noten scheffelweise auskebren lassen kann". „S'ist eine alte Tatsache", brummte der kleine Lud- wig halblaut, „daß allemal die, die am wenigsten können, am meisten schimpfen." — Cora Lange fühlte die ihrem Freunde Brown ange tane Kränkung und sagte spitz: „Die kleinsten Leute bilden sich immer am meisten ein, wenn einer Ludwig heißt, ist er dann noch kein Beethoven!" „Stimmt", erwiderte der kleine Musiker gelassen. „Ach Kinder, streitet Euch doch nicht", rief Irene, „seht lieber zu, was ich mir da zufammengebaut habe", sie deutete auf einen kleinen Tisch, auf dem mehrere Bilder standen und eine Vase, gefüllt mit blühenden Zweigen. Ta sah man Wagner neben Liszt stehen, Beet hovens düsteres Gesicht neben Mozarts heiteren Zügen, da stand auch Meister Brahms Charakterkopf und Adelina Pattis aus vergangenen Tagen neben anderen Größen in Frau Mnsikas Dienst. „Seht, das ist mein Altar, meine Mutter daheim zu Trier kniet jeden Abend im Dom und betet, daß ich gut und sromm bleibe, und ich knie jeden. Abend und jeden Morgen hier und bete: „Lieber Gott, laß mich so groß werden wie diese!" — Ich stelle nur
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