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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040909026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904090902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904090902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-09
- Monat1904-09
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BezugS-PreiS tu der Hauptrxpeditton od«r deren Au-gabe- hellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in-Hau- 3.7b. Durch die Post bezogen Nir Deutsch, land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, sür die übrigen Länder laut Zeitunq-preisliste. Diese Rümmer kostet auf allen Bahnhöfen und III I bei den Zeitungs-Verkäufern I* Redaktion «n» Expedition: 153 Fernsprecher 222 Johannisgasse 8. Ktlialexpeditionen: Alfredtzahn.Buchhandlg., UntversitätSstr. 3 (Fernspr. Nr. 4046), L. Lösche, Katharinen» straße 14 (Fernsprecher Str. 2935) u. Königs- platz 7 (Fernsprecher Nr. 7505). Haupt-Filiale Dresden. Marienstraße 34 (Fernsprecher Amt 1 Nr. 1713). Haupt-Filiale Berlin: § arIDunck e r, Herzgl.Bayr.tzosbuchbandlg., Lützowstrahe lOlFernjprecherAmtVI Nr.4603>. Abend-Ausgabe. NIMM CMblait Anzeiger. Ämtsvtatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Aales und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaklionsslrtch (-gespalten) 75 nach den Familieunach- richten (6gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernlatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 Auuahmefchlust sür An,er,en: Abend-Ausgab«: vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-V. tla,en (gefalzt), nur mit der Morgen-A.-gabe, ohne Postbeförderung 60.—, m' t Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pslz in Leipzig (Jnb. l)r. V, R. L W. Klinkhardt). Nr. ^l. Freitag den 9. September 1904. 98. Jahrgang. Vas Äicdligtte vom Lage. * Bon der Leitung der nationalliberalen Partei ist die Stellungnahme zu den Beschlüssen des L e i p z i g e r V e r b a n d s t a g e s der na» tionalliberalen Jugendvereine bis nach Wiederzusammentritt der Fraktion und zur ersten Sitzung des Zentralvorstandes verschoben worden. (S. Leitartikel.) * Aus einer Wohnung in der Rosenthalstraße zu Leipzig-Gohlis wurden Schmuckgegen- stände im Werte von 3600 gestohle n. (S. Leipz. Angeleg.) * Tic Ernennung des Generalgouverneurs von Wilna, Fürsten Swiatopolk Mirski, zum russischen M i n i st e r des Innern ist nunmehr amtlich bekannt gegeben worden. (S. Ausld.) * Bei Port Arthur sollen in den letzten Tagen wiederholt japanische Abteilungen durch Flatterminen vernichtet worden sein. (S. russisch-jap. Krieg.) .. fspfge-chsben. In einer kurzen Notiz der „Nationalliberalcn Korre spondenz" zur Leipziger Tagung der jung-nationallibc- rale Vereine finden sich heute recht interessante Erklä rungen. Die offenbar sorgfältig abgefaßte und als parteioffiziös anzusehende Erklärung lautet: „Von einem Teilnehmer an der Leipziger Tagung hören wir. daß der Ausfall deszweiten Verbandsvorsitzenden des jungnationallibe ralen Reichsverbandcs in Leipzig gegen dieFrak- tion des Abgeordnetenhauses auch von dem Vorsitzenden sofort die richtige Zurückwei sung erfahren bat. Tie Wißbegier der Presse nach der.Haltung der nationalliberalcn Par- tei gegenüber dem Beschluß von Leipzig in Betreff der Simultanschule wird erst nach dem Zusammen tritt der Fraktionen nnd bei der näch sten Sitzung des Zentralvocstandcs befriedigt werden können. Mit dein Be schluß des Z e n t r a l v o r st a n d e s vom 12 Juli stimmt der Beschluß von LciPzig, soweit er nicht bloß ein Ziel für die Zukunft stecken will, durch aus nicht überein." Auf den ersten Satz werden wir absichtlich nicht näher cingchen. Uns steht die Sache höher als die Emballage, und da möchten wir doch daran erinnern, daß man sich einen schärferen, sachlichen „Ausfall gegen die Fraktion des Abgeordnetenhauses", als er in den Richt linien des Schulprogramms enthalten ist, nur schwer denken kann, und dieser Ausfall erfolgte fast einstimmig und auch unter Zustimmung des Vorsitzenden. Was die „Wißbegier der Presse" anbctrisft, so ist die Vertröstung auf die Zukunft und der damit verbundene Hinweis auf die zuständigen Stellen immer noch besser als der Versuch, um den Kern der Sache herumzugehcn. Wir verstehen es sogar ganz gut, wenn das Partei- organ, als das man die „Nationallib. Korresp." doch an sprechen kann, nicht von sich aus Stellung nehmen will. Ter letzte Satz klingt in seiner unvermittelten Form ein wenig merkwürdig und ist wie dazu geschaffen, um Mißverständnisse zu erzeugen. Er hat dies auch bereits getan, denn im „Berl. Tagebl." z. B. wird er alsoffi - ziöse Absage an die Jungnationallibe ralen gedeutet. Das ist aber nach unserer Auffassung ein Irrtum; denn diese Interpretation würde der vor- her deutlich ausgesprochenen Hinausschiebung der Ent scheidung widersprechen. Dagegen findet man des Rätsels Lösung vielleicht, wenn man an die Vorsätze der letzten Tage denkt, durch eine verwässernde Auslegung der Leipziger Thesen es so hinzustellen, als bestehe eine absolut ungetrübte Harmonie zwischen der Partei und den Jungnationallibcralen auch in der S chu l f ra g e. Diese pro ckomo unternommene Uebertünchung kann aber den tatsächlich klaffenden Spalt nicht verdecken. Auch ist die Materie viel zu ernst, als daß inan mit solchen Künsten sich zu helfen versuchen sollte. Es bietet sich jedenfalls eher Aussicht auf Verständigung, wenn man dieTatsachen berücksichtigt und anerkennt, daß erst noch eine Brücke ge schlagen werden muß. Wir hoffen, daß diese Brücke aus dem Lager der Partei in das der Jungnationalliberalen führen und dann abgebrochen wird. ver ruz-izch-Iapani-ede Krieg. Ain wslfrberg bei ^srt Arthur. Im „Daily Graphic" erscheint wieder einer jener inter essanten und anschaulichen Schlachtbeschreibungen, welche die Mitarbeiter dieses Blattes aus dem Munde von Soldaten haben, die mit in den Reihen kämpften. Diesmal handelt die Beschreibung von dem Kampf am Wolfsberg, dieses so beiß umstrittenen Festungswerkes bei Port Arthur. Der Gewährsmann gehörte zu den 5000 Mann, die den ersten Ansturm machten, und beschreibt zunächst, wie die Leute in der Nacht vor dem verhängnisvollen Tage seelenruhig in einer Entfernung von kaum 1200 Metern von dem Wolfs berg schliefen, wie sie guten Mutes frühstückten, lustig mit einander schwatzten, während der Eine oder der Andere sein Bajonett probierte. „Plötzlich ging rin Brbcn durch unsere Reiben: dir Offiziere waren auf ihren Plätzen, mit gezogenen Degen, und der Fahnen träger hatte Japans Banner der „Anfgebenden Sonne" ent- faltet . . . Gerade als das erste Tageslicht den Boden unter uns sichtbar machte, begann der Vormarsch, während über unsere Köpfe hinweg die Granaten flogen. Wir waren kaum 200 m weit marschiert, als eine Mine mit furchtbarer Gewalt, die Dutzende von uns zu Boden riß, in nicht allzu großer Entfernung explodierte. Es war ein grausig schöner Anblick — eine riesige Flamme brach durch die schwarzen, dichten Rauchwolken, eine wirre Masse von Erde, Steinen, kleinen Felsblöcken, untermengt mit Teilen zer rissener Menscheuleiber, flog durch die Luft. Einen Augenblick stockt der Vormarsch, dann erschallt ein lautes „Banzai" und weiter geht eS immer schneller und schneller. Um uns her pfeifen die Kugeln. Hier und da platzt eine Granate, gewaltige Lücken in die Reihen der Unseren reißend, die im nächsten Augenblick schon wieder aus gefüllt sind. Eine wahre Kampfeswnt erfaßt die Mannschaften, einige scheinen geradezu wahnsinnig zu sein — hier hält ein Mann die Hand vor das Gesicht und rennt vor wärts, dort stiert ein anderer geradeaus in die Flamme des feindlichen Scheinwerfers und geht kerzengerade, wie aus dem Paradeplatze, aber fast ohne zu wissen, was er eigentlich tut, ein Dritter schreit fortwährend, während ein Vierter mit lautem Lachen vorwärts stürzt. Und dann kam das tödliche Gewirr des Stachel» drahts. Die Pioniere gingen voran, mitten durch den Kugelregen, mit Beil und Faschinenmessern, die Offiziere hackten mit ihren Degen hinein, aber Dutzende blieben Hülflo-Z hängen. Aber während die Angreifer reihenweise hingemacht wurden, blieben auch die Feinde nicht verschont, denn der Sturm ging unter einem verheerenden Artilleriefeuer vor sich, das erst einhielt, als die ersten Japaner aus den Felsen er schienen und mit dem Feinde ins Handgemenge gerieten. Als die Russen endlich immer heftig feuernd schrittweise zurückzuweichen begannen, wurde die Flagge aufgepflanzt, die je- doch nach einem nur zwei schreckliche Minuten währenden, wilden Bajonettkampf wieder niedersank, unter dem Leichnam des von zehn, ja zwanzig Stichen durchbohrten Trägers. Nun entspann sich ein erbitterter Kampf um die Fahne und um die Position. In der einen Minute wurden die Japaner heruntergedrängt, und die Russen schleuderten ihnen Aelsblöcke nach, in der nächsten waren sie schon wieder oben, mit dem Bajonett oder Säbel wüthcnd um sich schlagend und stechend. Schließlich aber blieben sie als Sieger im Besitze des Berges, der einem riesigen Leichenhausen glich." Wie dem „L.-A." gemeldet wird, übersteigen nach nicht amtlichen Nachrichten die bisherigen russischen Verluste in Port Arthur die Zahl von 10 000 Manm Sämtliche Gebäude im nordöstlichen Teil der Stadt und in Taijangkou werden als Hospitäler verwendet. Ein Teil der Werst ist durch die japanischen Granaten zer stört. Es sind noch viele Frauen dort, die sich in den Kellern verborgen halten. Aus Tschifu wird depeschiert: Chinesen, die am 5. Sep tember Port Arthur verließen, berichten, daß am 3. September heftige Kämpfe stattfanden. Die Japaner zogen sich nach dreistündigem Kampfe zurück. Am 29. August machte ein russisches Regiment einen plötzlichen Angriff auf die japani schen Laufgräben an der Ostseite und trieb die Japaner durch einen Bajonettangriff auf ihre zweite Schanzenlinie zurück. Die Russen konnten dann wegen des heftigen Feuers von diesen Schanzen nicht weiter vordringen.' „Noris Krai" berichtet vom 3 September: 700 Japaner sind auf dem Marsche in einem Tale bei Port Arthur von einer elektrischen Landmine in die Luft gesprengt worden; nur wenige sind entkommen. — Chinesische Flüchtlinge erklären, am 26. und 27. August seien den Japanern ähnliche Unglücks fälle in der Nähe der Feldschanze 2 zugestoßen. Einzel heiten fehlen. Lin H)-lafter an- die wnnde. Der Kieler Schiffsreeder Diedrichsen, dessen Dampfer „Thea" die Russen in Ostasien versenkten, wurde zum russischen Konsul ernannt. politische lagerrcha«. * Leipzig, 9. September. Die Flotte und die Sozialdemokratie. Je handgreiflicher der o st a s ia t i s ch e K r i e g die Notwendigkeit einer sta rk e n Flotten rüstung dar tut, um so toller sind die Argumente, mit denen, der „Vorwärts" die Ueberflüssigkeit des Ausbaues unse rer Marine beweisen will. „So lange Deutschland", meint der „Vorwärts"; „nicht abenteuerlichen, übersee ischen Erorberungsplänen nachhängt, bedarf es keiner starken Flotte; in den slldwestafrikanischen Sandwüsten lassen sich Linienschiffe und Auslandskreuzer sa wohl schwerlich verwenden!" — Wie geistreich! Nur schade, daß „abenteuerliche Eroberungspläne" sowohl in Europa, wie in Bezug auf überseeische Gebiete von andern Mächten als Deutschland gehegt werden können, und daß deshalb das Deutsche Reich zur Verteidigung seiner Interessen einer starken Flotte auch dann bedarf, wenn es selbst keinerlei abenteuerlichen Eroberungsplänen nach hängt. Freilich, wenn Deutschland seine Interessen ver teidigt, erblickt der „Vorw." darin stets „Eroberungs- Pläne". Von diesem Standpunkte aus, gelangt das sozial demokratische Zentralorgan auf dem bequemsten Wege zu der Folgerung, daß schon die jetzige Flotte viel zu groß sei, weil sic Deutschland zu „überflüssigen, kostspieligen Exkursionen", wie die gegen China und Venezuela, „ver- leitet" habe. Den „Vorwärts" auswärtige Politik trei ben zu sehen, wäre ein ungetrübtes Vergnügen, wenn man dabei die Unaufrichtigkeit vergessen könnte, die dem Blatte die Worte diktiert. Die Zukunft des Reiches ist den Leuten ja ganz egal; ihnen kommt es nur auf die Schwächung seiner Machtmittel an. Das auszusprechen, wagen aber höchstens die „Akademiker" in ihren Broschü ren und „wissenschaftlichen" Organen. Die sozialdemo kratische Tagespresse hat dazu keine Courage. Arbeitskammern. Die Erklärung des Staatssekretärs Grasen Posa- dowsky im Reichstag zu Beginn dieses Jahres, daß die verbündeten Regierungen mit dem Ausbau der Arbeiter vertretungen fortfahren wollten, und seine Ankündigung der Errichtung eines Reichsarbeitsamtes hat die An regung zu zwei wissenschaftlichen Publikationen gegeben. Die eine „Abhandlung über Arbeitskammern" von Franz Dochow finden wir in „Schmollers Jahrbuch", die andere „Deutsche Arbeitskammern" von tlr. Bern hard Harms ist im Verlag der Lauppschen Buchhand lung in Tübingen erschienen. Die „N. A. Z." gibt einen kurzen Ueberblick über beide Schriften, die einen teilweise verwandten Standpunkt einnehmen. Während aber Dochow für Arbeitervertretungen in den Arbeitskammern eintritt, also für A r b e i t e r k a m m e r n plaidiert, hält l>r. Harms die A r b e i t s k a m m e r n für das Beste. Diese beiden Institutionen unterscheiden sich näm- lich insofern, als die A r b e i t s k a m m e r sich aus Mit gliedern der Unternehmer- und Arbeiterkreise zusammen- setzt, die A r b e i t e r k a m m e r dagegen sich nur aus Arbeitern rekrutiert, die wiederum nur von Arbeit nehmern gewählt werden. Die Arbeitskammern des vr. Harms sollen sich an keine bereits bestehende Orga nisation anschließen; in ihnen würden am besten die reinen Ärbeiterinteressen und die, die Unternehmern und Arbeitern gemeinsam sind, gewahrt; den Arbeitern müsse Einblick in Produktions- und Absatzverhältnisse ge währt werden, in Konkurrenz, Konjunktur, kurz in den gesamten Geschäftsbetrieb Am Schlüsse meint der Ver fasser sehr richtig, daß nur unter der Bedingung des beiderseitigen Entgegenkommens ein Er folg erzielt werden könne; jedenfalls gilt es bei Regelung der Arboitskammerfrage, noch manche Schwierigkeit zu überwinden. , Die Los von Rom-Bewegung als Ursache der großen Dürre. Man schreibt uns: Während Meteorologen und Na turgelehrte über die Ursachen der diesjährigen großen Dürre noch recht verschiedener Meinung sind, bat der Herausgeber eines durch seine fortgesetzten Luther schmähungen „bekannt" gewordenen klerikalen Winkel blattes, der tschechische Pfarrer U. Zuklin in dem deutsch-böhmischen Gcbirgsdorfe B o ie s l a u, diese nun ergründet: es ist die Los von Rom-Bewegung! Der fromme Gelehrte gibt diese Entdeckung der Mitwelt in seinem „Hausfreund" kund und fügt daran folgende Be schwörung: „Wird man die strafende .Hand Gottes jetzt erkennen? Wird man von dem verkehrten Wege, von der Luther- und der Abfall-Moral zu Gott und seinem heiligen katho lischen Glauben zurückkehren? Oder will man, wie einst, die strafende Hand Gottes noch, weiter herausfordern, bis Be wohner, Land und Reich zu Grunde gegangen sind? Jerusalem, Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott!" Fast mutet es an, wie ein Stück Mittelalter, wie ein Herübcrklingen aus deu Tagen jesuitischen Geistes, da Andersgläubige von römischen Finsterlingen als die Ur- Heber von Pestilenz und Hungersnöten hingestellt, unter den Flüchen einer fanatisierten, abergläubischen Menge der Folter und dem Kerker überantwortet wurden. Der Bischof von Laval. Man schreibt unS: Die „Renaissance", das Organ der Reformkatholiken, veröffentlicht in ihrem neuesten Hefte über das Vorgehen der Kurie gegen den Bischof von Laval einen Artikel, der in vielfacher Hinsicht auf da» Wesen der römischen Hierarchie so grelle Streiflichter wirft, daß sein wesentlichster Inhalt weiteren Kreisen bekannt gegeben werden muß. Die „Renaissance" schreibt nämlich u. a. wörtlich das Nachstehende: „Bischof Geay von Laval ist bisher ziemlich im Verborgenen Feuilleton. 8i „Durchgcrungen." Roman von Josephine Siebe. Nachdruck verboten. „Nie verschmähe ich diesen göttlichen Labetrank, den mir anmutig die Hände meiner freundlichen Wirtin kre denzen", rief der Gast hinter Frau Rickchcn über die Schwelle tretend. „Nu höre nur, Sebastian, wie der Herr Doktor heute wieder reden tut!" „Ich werde noch eifersüchtig, .Herr Doktor, wenn Sic meinen! Rickchcn gar zu sehr den Hof machen", rief der alte Müller, mit behaglichem Lachen den Gast begrüßend. Es sollte heute anscheinend keine ruhige Kaffeestundc werden, denn kaum hatten sich die drei niedergelassen, als draußen wieder die Klingel ertönte nnd Frau Riekcheu eiligst ihrem aufspringenden Gatten vorauseilte und bald darauf au der Seite einer kleinen, älteren Dame über die Schwelle trat. „Na nu ist's recht, nu ist's recht", rief Herr Sebastian Müller; Fräulein Molchen Schönfeld hat nur noch ge fehlt, aber wie sagt der Dichter, „der Zug -es Herzens ist des Schicksals Stimme", wo unser Doktor ist, da ge hört auch Fräulein Molchen hin". „Aber Alter!" mahnend stieß Fran Riekcheu ihren Mann, der Doktor stimmte in dessen Lachen ein. das alte Fräulein wurde sichtlich verlegen, und als ihr alter Ver ehrer ihr die Hand schüttelte, da glitt es wie ein schwacher Rosenschimmer über ihr verblühtes Gesicht. Sie machte eine Verbeugung, deren altmodische Grazie einer längst vergangenen Zeit angehörtc. — Frau Riekcheu zündete die Lampe an, ließ die Vor- hänge herab, denn draußen begann die Tageshelle zu verblassen, und dann saßen die vier Alten um den runden Lisch, das warme Lampenlicht bestrahlte ihre Gesichter, der übrige Teil des Zimmers versank in Dämmerung, cS sah aus wie ein altes holländisches Bild so sauber und behaglich. Hätte jeder von den vier Menschen die Enttäuschung seines Lebens, all die cingcsargtcn Hoffnungen, die heißen Schmerzcnstränen auf junge kräftige Schultern geladen, vielleicht wären diese unter der Last zusammengebrochen. Da saß der alte Doktor Herzog, der eigentlich gar keinen Toktortitel besaß, seine Freunde gaben ihn ihm nur und seinem Wissen nach hätte er ihn verdient. Vor langen Jahren war er als hoffnungsvoller Student in Leipzigs Mauern eingczogen, nnd dann war er immer ein Student geblieben, er hatte sich in seine Bücher vergraben, eine kleine Rente ermöglichte ihm ein ganz bescheidenes Leben, er saß Tag aus, Tag ein, studierte und schrieb ein ge lehrtes Werk nach den! andern. Nie erschien es ihm gut genug, immer verbesserte er daraus, schrieb c? um, und wenn er eS eines Tages zu einem Verleger brachte, dann zuckte dieser die Achseln und bewies ihm, daß ein anderer, einer, der einen berühmten Namen besaß, just über den selben Gegenstand geschrieben oder daß dieser Gegen stand überhaupt kein großes Interesse erwecke, und Willi bald Herzog zog heimwärts, er war wieder einmal zu spät gekommen in seinein Leben. Und wenn er es sich recht überdachte, war er immer zu spät gekommen, zu spät zum Examen, zu spät als Freier und gerade recht, um seiner Erwählten zur Verlobung mit einem anderen zu gratulieren, zu spät sogar auf die Welt, denn sein Vater war schon tot und seine Mutter starb bei seiner Geburt. Dennoch beseelte den alten Studenten eine bei nahe kindliche Hoffnungsfrcudigkeit, jedes neue Buch be gann er mit der neuen Hoffnung auf Erfolg und legte jedesmal nach Jahren das verschmähte Geisteskind still zu den anderen in den großen Koffer, in dem schon eins Lebensarbeit an Wissen eingesargt war. Ta saß neben dem ewigen Studenten am runden Tisch Fräulein Malchen Schönfeld, die eigentlich Malwine hieß, sie stammte aus einem einstmals reichen und angesehenen Leipziger .Handelshaus und hatte in ihrer Jugend den Glanz des Lebens kennen gelernt, hatte in dem Hause der Eltern mit beinahe allen Künstlern und Gelehrten des damaligen Leipzigs verkehrt. .Heute erinnert sich wohl keiner von denen mehr, die mit ihr jung waren, daß da in einem Gartenhaus in Gohlis eine alte Näherin lebte, die man in ihrer Jugend als eine der lieblichsten Töchter der alten Lindenstadt pries. Die Freundschaft mit den alten Müllers, mit Willibald Herzog war das Helle, das Freundliche ihres Lebens, sie wurde von den Dreien immer noch etwas als Kind angesehen und der alte Student verkehrte noch mit ihr, wie er es in seiner Jugend mit den hübschen Leipzigerinnen aus den Stu- dcntenbällen getan. Malwine Schönfeld hatte graues Haar bekommen, und dennoch schlummerte auch in ihrem Herzen noch eine liebe stille Hoffnung, daß eines Tages Willibald Herzog ihre Hand in die seine nehmen würde und sie ihm daun seinen Lebensabend mit ihrer sorgenden Liebe verschönen dürfte. — Vielleicht würde dem alten Studenten eines Tages dieser Gedanke kommen und viel- leicht würde er wieder zu spät kommen, wie immer in seinem Leben. Und wie viele begrabene Hoffnungen hatten die alten Müllers zu verzeichnen. Da waren die Küustlcrträume. die beide gehegt und die still ins Grab sanken. Da war eine tiefe dunkle Stunde in dem Leben der alten Frau, eine Stunde, in der eine kleine entlassene Choristin mit ihrem Kindchen im Arm am Flußrcmd stand und ver zweifelt in das fließende Wasser starrte, eine Stunde, in der sie allem Leid ein Ende gemacht hätte, wenn nicht Sebastian Müllers starke -Hand ste znrückgchalten hätte. Diese Hand, die sie ins Leben zurückgeführt, hielt sie fest, ihr kleines Mädchen wurde sein Kind und als der Tod dieses zum jungen Weib herangereifte Kind, nach kurzem leidenschaftlichen Eheglück hinwegrlß und nach wenigen Jahren auch der Gatte folgte, da blieb der "in- zige Sohn des Paares den alten Müllers. Und der Mann liatte vergessen, daß dieser Knabe gar nicht sein richtiger Enkelsohn war, mit so vergötternder Liebe hing er an ihm, un>d dieser Enkel würde ein Künstler werden, ein echter Meister, das war die Hoffnung und das Glück des alten Paares. „War Ihr Wolfgang heute schon da, meine verehrte Freundin?" fragte der alte Student.
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