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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040907020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904090702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904090702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-07
- Monat1904-09
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Rrdaktionsstrich (4 gespalten) 7S nach den Familtrauach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zissrrnsatz entsprechend höher. — Bebührrn für Nachweisungen und Osfertrnannahmr 25 «nuatzmeschluf, für Anzeige«: Abend-Ausgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Ertra-Veilagr«. lgefalzt», nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrfördrrung .« 60.—, m^t Postbrförderung ^l 70.—. Anzeigen sind steiS an die Sxpeditton zu richten. Die Erpedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von G. Pilz in Leipzig lJi.h. vr. B , R. L W. Klinkhardt). Nr. 457 Mittwoch den 7. September 1904. 88. Jahrgang. Var Wchtigrie vsm tage. * Der Kaiser hat gestern abend 11^4 Uhr an Vor ¬ der „Hohenzollern" Hamburg verlassen, um sich -um Flottenmanöver vorHelgoland -u be- geben. * Die Nachricht vom Eintritt -es Ober präsidenten l)r. Wentzel ins Ministerium wird dem „Hann. Kur." als bloße K o m b i n a t i o n be- zeichnet. * Es ist nicht nur eine Vermehrung der Zahl der Gewerbeaufsichtsbca inten vorgesehen: auch eine Erweiterung des Kreises ihrer Beschäftigung stehr m erwarten. Insbesondere sollen die Gewerbeaufsichts- beamten in Zukunft auch veranlaßt werden, ihre Auf merksamkeit dem Wohnungswesen zuzuwenden und in ihren Berichten an die vorgesetzte Behörde Mit- leilungen über das Verhältnis zwischen Miete und Lohn einkommen zu machen. * Die Reichstags st ichw ah l im Kreise Bücke- bürg ist auf den 9. September angesetzt worden. (S. Deutsch. Reich.) * Der Rückzug Kuropatkins nach Mukden ist als gesichert zu betrachten. (S. Letzte Dep.) Vie neue Wreneae. Die Rede, die der Kaiser gestern bei dem Fest- mahle im Hamburger Rathause hielt, und die wir bereits im telegraphischen Auszuge mitgetcilt haben, lautet vollständig wie folgt: In erhebenden Worten haben Ew. Magnifizenz meine ,^rau, drei BunLesfürstcn und mich willkommen geheißen im Namen der Stadt Hamburg, und es fehlen wir die Worte, um den Gefühlen Ausdruck zu geben, die mein Herz beseelen und die auch das Herz Ihrer Majestät durchziehen bei dem Anhören dieses Ausdruckes von Patriotismus, von Hingabe und von freundlicher Liebenswürdigkeit. Von ganzem Herzen vaben wir uns gefreut, daß die Manövertage die Gelegenheit gaben, Hamburg zu besuchen. Ich darf wohl sagen, es hat mir heute aus dem Verhalten der Bevölkerung so entgegen geklungen, als ob die Hamburger mich nickst mehr als fremden Souverän, sondern als alten Bekannten begrüßt haben. Sie haben der Reihe der Tage gedacht, die ich hier bei Ihnen zu gebracht habe und der Ereignisse, die sich daran geknüpft haben. Nun, der inhaltfchwerste, der 18. Oktober 18SV, hat Früchte gezeitigt, und der Appell an das deutsche Volk ist nicht ungchört geblieben. Der Erfolg desselben ist in dem Kerne der deutschen Flotte zu erblicken, die nun mehr verankert vor der Elbemündung liegt, um meine In spizierung zu erwarten. Das deutsche Volk hat die Berech tigung, die Flotte und das Heer sich zu halten, deren es be darf zur Vertretung seiner Interessen, und niemand wird cs daran hindern wollen, dieselben auszubauen nach seinem Wunsch und Willen. Ter gestrige Tag hat wohl für manche» .Hamburger Kind zum ersten Mal das Bild einer großen Parade gebracht, und ich bin fest überzeugt, daß mancher Ham burger, als er die glitzernden Reihen der herrlichen Truppen des S. Armeekorps und der forschen Landungstruppen gesehen hat, zum ersten Mal sich darüber klar geworden ist, was cS heißt: Armee und Flotte. In diesen schimmernden Reihen stehen auch die Söhne der Hansestädte, und die Regimenter, deren Fahnen dort vorbciwehtcn und deren Nummern an un» vorbeigezogcn, haben auch eine Geschichte und haben redlich sich geschlagen und Blut und Leben eingesetzt, um das deutsche Vaterland wieder zu einigen. Aber noch mehr: Wir haben un» erfreut an dem Anblick der Jugend, die dort auf den Heeres» dienst vorbereitet und gedrillr in stolzen Reihen vorüberschritt. und so manche» ältere Menschenherz hat mit Bewegung da» Spalier betrachtet, da» vom Para-ePlatz bis in die Stadt herein stand, Kriegerverein an Krivgerverein, eisgraue Leute neben Jüngeren, mit Kriegsmedaillen aus vergangenen Zeiten auf der Brust, uns den HuldigungSgruß enrgegenbringend: das sind Kriegskameraden de» Kaisers Wilhelm des Großen und des Kaisers Friedrich, da» sind diealtenHanseaten, die das Leben eingesetzt haben, um uns das Reichzugewinnen. Denn dadurch, daß das von meinem Großvater vorbereitete Heer in der Stunde der Gefahr eine scharfe Waffe war, die er schwingen konnte, dadurch kam da deutsche Voll wieder zur Einheit; und seit das deutsche Voll geeint ist und das Vaterland in vollster Rüstung dasteht, haben wir Frieden. So möchte ich am heutigen Tage den speziell militärischen Charakter de» Besuche» dadurch besonders be tonen, daß ich die Hansestädte in nähere Beziehung zu meiner Armee bringe. Wie Ihnen bekannt, hat ein jeder neue Kreuzer in meiner Marine den Namen einer Hansestadt erhalten. Ich habe befohlen, unter dem gestrigen Datum, daß die drei Infanteriersgimenter, die in Garnison in den Hansestädten stehen, von nun an die drei Städtcnamen tragen sollen: Regiment „Hamburg", Regiment „Breme n", Regiment „2 übe ck". Mögen Sic hieraus die Zuversicht schöpfen, daß meine vollste und innerlichste Dank barkeit und mein wärmstes Interesse -en Hansestädten unb vor allem Hamburg gilt, daß ich der festen Ueberzeugung bin, daß uns Gott die Kraft geben wird, mit Hülfe ihrer tapferen Regimenter dem deutschen Volke den Frieden zu erhalten. Daß da» Blühen und Gedeihen Hamburgs unter dem Schutze des Frieden» nie aufhören möge, uttd daß Ham- bürg sich entwickeln möge bi» in die fernsten Zeiten, darauf leere ich mein Glas. Die Stadt Hamburg und die Hansestädte Hurrah! Hurrah! Hurrahl Diese ganz außerordentliche herzliche Rede des Kaisers darf die Hamburger mit gerechtem Stolze erfüllen. Sie ist außerdem ein glänzendes Zeugnis dafür, wie sicher unsere Städterepubliken sich in daS Reich eingefügt haben und welches Achtungsverhältnis sie mit dem Träger der Reichsidee verbindet. DaS einzige politische Moment von aktuellem Charas- ter in der Kaiserrede ist in dem Satze enthalten, daS deutsche Volk habe die Berechtigung, d i e Flotte und da 8 Heer sich zu halten, deren es bedürfe, und niemand werde es daran hindern wollen. Der Kaiser hat sich hier mit höflicher, diplomatischer Bestimmtheit ausgedrückt. Die Höflichkeit liegt in dem Worte „wollen". Leider möchte uns der englische Vetter z. B. recht gern an dem Ausbau der Flotte hindern, wenn er nur könnte. Also an dem „W o l l e n" fehlt es nicht. Der Kaiser hat es aber für richtig befunden, den fremden Nationen die Meinung in einer deutlichen, und dennoch fast verbindlichen Form zu sagen. Es bleibt noch zu hoffen, daß den Worten deS Kaisers im In- und Aus- lande die richtige Nutzanwendung folgt. »er nttrirch-japailitche Krieg. Einzelheiten über die Belagerung von Z)ort Arthnr. In Tschifu ist die Ausgabe vom 27. August der in Port Arthur erscheinenden Zeitung „Norm Kvai" einge troffen, und der Reutersche Korrespondent gibt einen interessanten Auszug aus diesem russischen Blatte: So erfahren wir zunächst, -aß der „Retwisan" eine japanische Kavallerie- und Infanteriekolonne, die in -er Nähe des Dorfes Wudianfan auftauchte, so erfolg reich beschoß, daß diese Kolonne den Rückzug antrat. .Dies beweist, daß die russischen Kriegsschiffe keines Wegs so schwer verletzt sind, wie man auS den Er zählungen Ser Flüchtlinge annehmen zu müssen glaubte. Der „Nowi Krai" bestätigt ferner den japa- nischen Bericht über eine Beschießung zweier kleiner Forts in -er Nähe des Goldenen Hügels durch die Kreuzer „Nischin" und „Kasuga". Das russische Blatt meldet jedoch nichts darüber, daß diese Forts, wie von japanischer Seite berichtet wurde, zum Schweigen gc- bracht worden seien. Die beiden Forts liegen in der Nähe des oben erwähnten Dorfes Wudianfu. Am 25. August errichteten die Japaner in der Nähe dieses Dorfes zwei Feldbefestigungen, in denen sie acht Ge schütze in Stellung brachten. Eines dieser Geschütze wurde durch eine russische Granate zerstört. Am Abend des 25. wurde in -en japanischen Laufgräben eine Stange mit einem Stück weißen Papiers aufgerichtet. Die Russen stellten das Feuer ein und sandten einen Parlamentär, um zu erfahren, was die Japaner wollten. Dieser brachte die in mangelhaftem Russisch geschriebene japanische Bitte, daß man russischerseits das Wegschaffen der Toten unterstützen möge. Die russische Zeitung bemerkt, daß dieses Verlangen eigen tümlich berührt habe, da die Japaner selbst den Russen -as Wegschaffen ihrer Toten verweigert hätten. Am Morgen des 26. gegen 3 Uhr entdeckte man mit Hülse der Scheinwerfer lebhafte Tätigkeit bei den Japanern gegenüber Fort 1. Die russische Linie eröffnete sofort ein ununterbrochenes Geschütz- und Gewehrfeuer. Die Japaner antworteten mit einem unregelmäßigen Feuer auf Fort Nr. 3. Bei Tage machte man die über raschende Entdeckung, daß die Japaner ihre Laufgräben bis nördlich von Fort Nr. 2 vorgetrieben hatten. Diese Laufgräben waren stark besetzt, und die darin postierte Artillerie war für das russische Feuer sehr lästig. Die Japaner eröffneten ihr Feuer aus sechszölligen Ge schützen von der unter dem Namen Adlernest bekannten Höhe und fuhren dabei fort, ihre Stellungen durch An- bringung von Sandsäcken zu verstärken. Als die Russen ihr ganzes Feuer auf diese Säcke konzentrierten, antworteten die Japaner qus einer 1000 Meter nord- östlich gelegenen Stellung. Der „Nowi Krai" be- hauptct, daß die Japaner gegen 10 Uhr morgens das Feuer der Russen nicht länger auszuhalten vermochten, die Schanzen in der Nähe von Fort 2 räumten und sich in -as niedrige Terrain in -er Nähe der Eisen- bahn fliehend zurückzogen. Avrspatttn» Rü-kzvg. General Kuropatkin meldet dein Kaiser: Am 5. -. M. ging die Armee erfolgreich nach Norden und hat sich der gefahrvollen Lage entzogen, in der sie sich dadurch befand, -aß sie bei ihrer geringen Frontaus-eHnung sowohl auf der Front als auch auf dem linkem Flügel vom Feind bedroht wurde. Den ganzen Lag über fanden, besonders auf dem linken Flügel, unbedeutende Nachhutscharmützel statt. Unsere Verluste am heutigen Tage betragen 100 Mann. Demnach müßte Kuropatkins Rückzug gelungen und der Plan der Japaner, ihm den Weg auf Mukden zu verlegen, gescheitert sein. Demnach wäre die entschei dende Schlacht nicht die bei Liaujang gewesen, sondern sie würde erst im nächsten Jahre zu erwarten sein. Dem „Berl. Lok.-Anz." zufolge äußerte der Geschäftsträger der Pariser japanischen Gesandtschaft in einer Unter- redung: „Wir hatten um Liaujang nur 160 000 Mann, 40 000 weniger als Kuropatkin. Ohne Ucberhebung sei es gesagt, wir haben bessere Offiziere und eine bessere Organisation a^A die Russen. Eine, entsckzn^ dcnde Schlacht erwarten wir kaum vor dem nächsten Frühjahr und zwar vor Chardin; denn was sich in den nächsten Tagen um Mukden abspielen wird, kann für das Endresultat nicht in Betracht kommen. Wir wer den nach Möglichkeit davon profitieren, daß Mukden nicht in Verteidigungszustand gesetzt worden ist. Unsere Armee wird rechtzeitig die erforderlichen Verstärkungen erhalten. Es ist Unsinn, zu glauben, daß man in Tokio um neue Regimenter verlegen ist, oder daß der Kriegs schatz erschöpft sei. Wir können es auch drei Jahre lang aushalten. Was zunächst nottut, ist die Einnahme von Port Arthur. Erst wenn alle Forts unser sein werden, wird dec oft fälschlich angekündigtc allgemeine Sturm beginnen. Unsere Winterquartiere sind gesichert. Von Frieden als erste zu sprechen, ist nicht unsere Sache." Diese Erklärungen wurden von einem Mitarbeiter der Temps der Pariser russischen Botschaft mitgetcilt, und daselbst folgendermaßen glossiert: „Es ist gut, zu wissen, daß Japan derzeit nur über 160 000 Mann unter den Befehlen Kurokis, Noüzus und Okus disponiert; es ist möglich, daß Kuropatkin bis Chardin zurückweicht, aber sicher ist, daß er dort eine Armee kommandieren wird, die bereit ist, den ehren vollen Ruf der kriegerischen Lugenden Rußlands, zu verteidigen. Kuropatkin wird den Japanern die ihnen so ersehnt scheinende winterliche Ruhe nicht gönnen, son dern die Vorteile ausnutzcn, die der russischen Armee die strenge Jahreszeit bietet. Don Frieden kann, so weit Rußlands JniHtive in Betracht kommt, derzeit keine Rede sein. lieber diesen Punkt hat Rußland seinem Feinde nichts zu sagen und selbst von seinen besten Freunden nichts zu hören." z-srt Arthur. In Tschifu wurde am Dienstag abend Geschütz, feuer aus der Richtung von Port Arthur vernommen Zwei chinesische Dolmetscher, die zu der Umgebung des Generals Stössel gehören, wurden der eine in Schu- schiyen, der andere in Palungsckian, von den Japanern als Spione festgenommen und hingerichtct. Aus Port Arthur singetroffene Chinesen berichten, daß die Russen dort für heute einen allgemeinen Angriff von der Land- und von der Seeseite erwarteten. Die Japaner haben, wie weiter berichtet wird, am 2 und 3. d. M. die Stadt heftig be schossen; in einem Fort bei Erlungschan wurden 2 Ge schütze unbrauchbar gemacht. Der Preis des Mehls ist in Port Arthur von 10 auf 4 Rubel gefallen, da dieser Tage ein großer Dampfer mit einer Ladung Lebensmittel, hauptsächlich Mehl, dort eingetrosfen ist. Ausfisehe Hülfrkreuzer. Der englische Kreuzer „Forte" fand am Dienstag die russischen Hülfskreuzer „Petersburg" und „Smolensk" in der Nähe von Sansibar innerhalb -er Dreimeilengrenze und überbrachte ihnen die Befehle des Kaisers Nikolaus; die Schiffe dampften darauf sofort ab, indem sie mitteilten, sie wollten unverzüglich nach Europa. politische lagerrcha«. * Leipzig, 7. September. Fortsetzung der Jnterimspolitik. Die „Nationalliberale Korrespondenz" geht auch bis heute noch nicht ernsthaft auf die Schulpolitik des Leip- ziger Programms der nationalliberalen Jugendvereine ein. Nur die Tendenz tritt jetzt ein wenig klarer zutage, wie leicht aus folgendem zu merken: „Ungemein zufrieden mit den Beratungen des Leip- ziger Vertretertages zeigen sich — — unsere Gegner: das Zentrum, die Sozialdemokraten und sogar die Konservativen! Die „Kölnische Volkszeitung" meint triumphierend: „Vom Standpunkt des Zentrums kann man mit den: Verlaufe des Leipziger Delegiertentages nur zufrieden sein. Die nationallibcralc Partei wird nach diesem Tage ein ungefährlicherer Gegner für daS Zentrum sein, als sic vor demselben war"; denn, so heißt cs an anderer Stelle, „man wird das Schuluntcrhaltungsgcsctz also dock wohl mit dem Zentrum machen müssen, wenn es überhaupt gemacht werden soll." Feuilleton. „Dnrchgerungen." Roman von JosephineSiebe. Nachdruck derbsten. Plötzlich schrak sie empor, verwirrt sah sie um sich, das graue, matte Licht des anbrechenden Tages siel in ihr Zimmer und sic lag noch in ihrem weißen Festkleid auf dem Bett. Laugsam ermunterte sie sich, sie sann nach, was geschehen war, gestern abend die Gesellschaft — Wolfgang Stritt — sein berückendes Spiel — ihre Flucht — und alles andere hatte sie verschlafen. Eine große Fröhlichkeit kam über sie, ihr war es so leicht, so frei zu Mute, als sei sie einer großen Gefahr entronnen, rasch kleidete sie sich um und lauschte dann auf den Flur hinaus, noch war alles still, nur in der Küche hörte sie jemand ljanticren, und als sic dort eintrat, <ah sie, daß es Tante Selma war, die sich bemühte, die Svureu des gestrigen Festes zu tilgen. „Ach Fräulein Ekkard, wie geht es Ihnen denn nur?" rief sie erschrocken, als sie Elisabeth geivahrte, „wir waren gestern in großer Angst um sie, aber Fräulein Doktor sagte uns, Sic schliefen ganz ruhig." Elisabeth wurde ganz rot: „Ich ivar müde", stotterte sie, „und bin ganz fest eingeschlafen und eben erst aufgervacht." Das alte Fräulein lachte: „Na gut, daß Ihnen weiter nicht» f«hlt, ich denke, so sehr viel haben Li« nicht ver säumt, es ging zwar sehr lustig zu, aber", unterbrach sie sich, „Kind, Sie müssen ja hungrig sein." „Bin ich auch und tüchtig", gestand Elisabeth. Tante Selma brachte schnell allerlei Reste vom ver gangenen Abend herbei, denn sie meinte, es sei besser, gleich ein ordentliches Frühstück einzunehmen; dagegen, daß sie alles ins Speisezimmer trug, protestierte Elisabeth lebhaft, sie sand es herrlich, am Küchentische zu sitzen, sie schmauste so fröhlich, mit so gesundem Appetit, wie es nur die Jugend kann, und Tante Selma schaute ihr mit ordentlicher Rührung zu. Dann nahm Elisabeth Hut und Jacke und eilte hinaus in den frischen klaren Winter morgen, sick wie ein Kind freuend, daß über Nacht der erste Schnee gefallen war, der nun glitzernd wie funkelnde Steine und zart wie ein weißer Schleier auf den Dächern lag. Sechstes Kapitel. Der Winter schritt weiter vor, er trug allerdings in Leipzigs Mauern selten genug sein herkömmliche« weißes Kleid, sondern hüllte sich in ein recht unansehnliches graue» Gewand, aber der liebe alte Winter war eS doch, der in seinem Gefolge das Weihnachtsfest mit sich führte. Elisabeth Ekkardt hatte in diesen Tagen hart gegen das Heimweh gekämpft, das ihr die Festfreude zu stören drohte, sie batte die trübe Stimmung auch überwunden, und als am heiligen Abend in Pension Hermann der Lichterbaum strahlte, da war sie eine der Fröhlichsten. Im Speisezimmer batte man die Tanne ausgestellt, die die jungen Mädchen unter Lachen und Scherzen ge schmückt hatten, am eifrigsten war Elisabeth gewesen, sie entwickelte ein wahres Talent, den Baum so zierlich wie möglich herzurichten, Grete Schulte dagegen hatte das Mißgeschick, daß die glänzenden seinen Glassachen immer in ihren Händen zerbrachen. Mit leuchtenden Augen packte Elisabeth am Abend die heimatliche Kiste aus und die bescheidenen Gaben entlockten ihr Tränen der Freude, wenn sie daran dachte, mit welch sorgender Liebe die Kiste für sic gepackt worden war. Es war ein heiterer Abend, selbst Vera Strogonow war heute lustiger als sonst, und Miß Eveline verlor etwas von ihrer englischen Steifheit, sie ließ sich sogar herbei, mit wunderlichen Halsverdrehungen ein deutsches Weihnachtslied zu singen, und die „fruelige" Weihnachts zeit brachte Grete Schulte so zum Lachen, daß vr. Olsu- wiew leise zu Or. Wagner die Befürchtung aussprach, der jungen Dame könnte das etwas zu enge Kleid platzen. Aber dieses Unheil ging noch glücklich vorüber, ein neues jedoch drohte die Stimmung zu verderben, Miß Eveline war beleidigt, daß man ihrem Vortrag keine Aufmerk, samkeit geschenkt. Mit hochgczogenen Brauen und leid- voll blickenden Augen setzte sie sich steif in eine Ecke, und Frau Hermann mußte alle ihre liebenswürdige Beredsam keit aufwenden, um die gekränkte Miß wieder zu be- ruhigen, und als ihr dies endlich gelungen, da sah die Hausfrau die Westfälin mit einem Gesicht wie eine Ge witterwolke in einer anderen Ecke sitzen. Grete Schulte war empört, daß vr Olsuwiew, auf den sic seit dem Gcscllschaftsabcnd ein gewisses Recht zu haben vermeinte, heute nur Augen für Grace Gordon hatte und m ihrem Aerger aß sie so unglaublich viel Süßigkeiten, daß vr. Wagner ihr mit unverhohlenem Entsetzen zusah. In diese beleidigten Stimmungen herein klang Elisabeth Ekkardts Stimme, wie das Zwitschern eines Vogels, sie sang einige Weihnachtslieder mit ihrer noch ungeschulten anmutigen Stimme, und der Gesang wirkte wohltuend und besänftigte die erregten Gemüter. Als Elisabeth geendet hatte, da traf ihr Blick die Augen der Russin, und sic sah es feucht darin schimmern, in dem Gefühle, der Einsamen eine Liebe erweisen zu müssen, ging sie zu der Aerztin hin und schmiegte sich zutraulich an ste an. „Ihr deutsches Weihnachten ist ein Fest, das schlafende Herzen erweckt", sagte Vera, Elisabeths blondes Haupt streichelnd. Nach Weihnachten trat eine wahre Hochflut von Kon zerten ein, es war, als ob die alte Musikstadt nie genug hören könnte, und hätte Dante Allighieri einen voraus- schauenden Blick in das moderne Leipzig tun können, sicher hätte er einigen seiner in der Hölle büßenden Sün dern die Strafe auferlegt, alles daS anzuhören, waS in Leipzigs Mauern während eines Winters im Dienste Frau Musikas gefiedelt, gespielt und gesungen wird, viel leicht hätten diese armen Sünder mit Sehnsucht an den tiefen Schlamm und Qualm deS HöklentaleS zurück gedacht. Elisabeth Ekkardt staunte über diese dargebotene Fülle und genoß mit vollen Zügen die neuen schönen Ein drücke. ihre empfängliche Seele nahm dankbar den Zauber der Kunst in sich auf, dabei studierte sie eifrig, angeregt durch die vollendeten Leistungen, di» sie hört».
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