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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.09.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040901020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904090102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904090102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-09
- Tag1904-09-01
- Monat1904-09
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSstrich (-gespalten) 75 nach den Familiennach richte» l6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren sur Nachweisungen und Ossertenannahine 25 Nnnahmkschluf; für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag- 4 Uhr. Extra-Beilagen »gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .sl 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig (Inh. Dr. «., R. L W. Klinkhardt). Nr. 446. Donnerstag den 1. September 1904. 98. Jahrgang. vaz Wchtigrte vom Lage. * Heute nachmittag findet eine Sitzung des preußische nStaatsmini st eriu ms statt, in der möglicherweise auch über die Verstaatlichung der Hibernia verhandelt wird. * InLemberg suchte gestern abend M i n i st e r - Präsident Koerber in einer langen, aber auch lahmen Tischrede die Haltung der öfter reicht- scheu Regierung in der Sprach en frage zu rechtfertigen. (S. Ausld.) * Die Glashiittenbesitzer in Charleroi schlossen heute ihre Betriebe, wodurch 12000 Ar beiter beschäftigungslos wurden. * InChicago ist ein a l l g e m c i n er Aus- st and der Fleischergesellen ausgcbrochcn. (S. Ausld.) " Tie englischeTibetexpedition wird vor aussichtlich am 15. September Lhassa verlassen. (S. Ausld.) * Die Schlacht bei Liaujang dauerte beute vormittag noch fort, ohne daß ein Ergebnis erzielt mar. (S. russ.-jap. Krieg.) vir kur-i-Ge Lenrur «Ntl arr aemch-nittirche banaelrvemag. AuS Petersburg wird uns geschrieben: Der „Tägl. Rundsch." ist die Strenge, mit der die russische Zensur di« Veröffentlichung aller Mitteilungen unv Erörte rungen über den deutsch-russischen Handelsvertrag verboten hat, nicht sonderbar erschienen und sie meint, es gehöre seit altersber zu den Gepflogenheiten der russischen Zensur, alle irgendwie ernsthaften Erörterungen über die russische Politik vou der Presse auszuschließen. Diese Anschauung der „Tägl. Runvschau" ist nicht ganz richtig. Denn es gibt in Rußland, abgesehen von der offiziellen Presse, zwei Gattungen privater Preßorgane: die unter „ Präventiv"-Zensur stehenden und vie von der vor dem Druck erfolgen den, sog. „Präventiv"-Zensur befreiten Blätter. Zu Viesen letzteren gehören fast alle in den beiden Residenzen — Petersburg und Moskau — erscheinenden Zeitungen. Und baß diese, sowie mehrere Wochen- und Monatsschriften, sehr oft in recht „ernsthafte Erörterungen" der Regierungs politik eintreten, hätte die „Tägl. Rundschau" aus den nicht gar zu selten, namentlich unter dem Minister Plehwe unnachsichtig geübten, ministeriellen Eingriffen ersehen können, den sog. „Verwarnungen", die dem ver antwortlichen Redakteur eines Nesidenzblattes erteilt werden, sei eS für einen einzelnen Artikel, sei es für die vom B^att vertretene „schädliche Richtung". Die dritte Verwarnung 'zieht Suspension auf Zeit oder für immer nach sich. Und zur Ehre eines großen Teils der nicht unter Präventiv Zensur erscheinenden russischen Blätter muß eS gesagt werben, daß sie sich nicht durch das Damoklesschwert der „Verwarnung" davon abhalten lassen, unter Umständen recht scharfe Kritik an Regierungshandlungen und einzelnen Ministern zu üben! Dem Tschinownik auf Gnade und Ungnade wirklich aus geliefert sind dagegen die Blätter der Provinz, da sie sämtlich der dem Druck vorhergehenden Zensur unter liegen, obschon sie bei ter bekannten Höhe des Himmels und der weiten Entfernung des Zaren eine Zensur freiheit — namentlich in den geknebelten Grenzgebieten! — ani ehesten nölig hätten. Doch inbezug auf die Provinz' blätter wird der bureaukratische und der byzantinische Aber witz so weit getrieben, daß es ihnen untersagt ist, mancherlei Nachrichten zu veröffentlichen, ehe diese in irgend einem offiziellen Blatt gestanden haben. Solcherlei Nachrichten sind alle Vorgänge, die ein Glied des kaiserlichen Hauses be treffen, ferner Truppen- oder Flottenbewegungen, sowie Unruhen und Aufstände, endlich alle Anleihe-Projekte u.bgl. m. Und die Strenge, mit der die Zensur hierin vorgeht, ist ost geradezu lächerlich. Es kommt vor, daß die gesamte Presse des Auslandes und alle nicht der Präventiv-Zenfur unter worfenen Blätter irgend eine Nachricht gebracht unv viel leicht schon lang und breit besprochen haben, während der arme Redakteur in der Provinz von ihr nicht früher Notiz nehmen darf, als bis eines der vielen offiziellen Organe geruht hat, seine Darstellung von der Sache zu geben. Die Provinz muß ä taut grix dumm erhalten werden! Und die offizielle Darstellung erfolgt meist, nachdem die Angelegenheit an „Aktualität" bereits eingebüßt und im Publikum hinreichend bekannt geworden ist. Denk bei den heutigen Verkehrsmitteln kann es nicht einmal der russischen Regierung gelingen, eine Sache ganz totzuschweigen. Eine rühmliche Ausn .hme m^cht, was Kritik an seinem Ressort betrifft, der Verkebrsminister Fürst Chilkow, da er offiziell oft genug den Wunsch ausgesprochen hat, die Verwaltnngshandlnngen seines Ressorts in der Presse einer Kritik unterzogen zu sehen. Eine solche Ausnahme machte seinerzeit auch der Finanzminister Witte, da auch er eine Kritik seiner Politik gern sah! Der Präsident des Ministerkomitees Witte, der eben den deutsch-russischen Handelsvertrag abgeschlossen hat, scheint mit Niederlegung seines früheren Amtes auch seine früheren löb lichen Gepflogenheiten abgelegt zu haben, wie das neulich gemeldete unv allen, auch den von der Präventiv-Zenfur befreiten Blättern geltende Zensurverbot zum deutsch-russischen Handelsverträge beweist. Man hatte also allen Grund, im Gegensatz zur „Tägl. Rundsch." die erwähnte Zensur verfügung „sonderbar" zu finden. Und das um so mehr, als den deutschen Blättern ein solcher Maulkorb von der russischen Zeusür kaum oder doch nur in sehr ver einzelten Fällen aufgezwuugen werden kann und als die Personen, die ein näheres Interesse an dem eben abgeschlossenen Handelsverträge haben, auch Mittel und Wege finden werden, die deutschen Preßäußerungen zu erfahren, — trotz aller abgelebten, läppischen Zensurverbote der russischen Regierung! ver ru;;i;cb-japanircbe Weg. Ungenügende Vorkehrungen für die russischen Verwundeten. Einen überaus interessanten Bericht vom Kriegs- scixruplatze sendet der Korrespondent der „Rußkija Wedomosti" seinem Blatte: „Sehr schlimm steht es bei uns", schreibt er, „mit der Bekleidung der die Spitäler verlassenden Soldaten. Sie kommen gewöhnlich in Unterkleidung und ohne Stiesel. Deshalb müssen wir, um die Kranken evakuieren zu können, sie erst mit Kleidung versehen.. . . Im Sommer geht das noch, was wir aber ini Winter machen werden, wenn wärmere Kleidnng nötig sein wird, weiß ich wahrhaftig nicht. Die unzweck mäßige Ausrüstung unserer Soldaten, die in diesem Kriege so fühlbar geworden ist, hat unter anderem zur Folge, daß nach der Schlacht und nach schweren Märschen er nicht mehr das Nötigste hat. Der japanische Soldat ist sebr leicht ausgerüstet: er trägt nur sein Ge wehr, Patronen und die tägliche Ration Reis. Die Offi ziere find noch besser dran: sie baden nur einen leichten Säbel. Feldstecher, Notizbuch und eine Karte. Auf dem einen Arm hat der Offizier ein Armband mit dem Kom paß, auf dem anderen ein solches mit der Uhr. Train haben die Japaner eigentlich nicht, er wird durch Kulis ersetzt, die alles Nötige auf ihren Schultern tragen. In den Bergen sind sie unersetzlich. Unsere Soldaten aber tragen circa 20 Kilogramm auf sich selbst. Darunter Reservestiefel, Wäsche, Mantel, kleinen Kessel usw. Auf einem schweren Marsche ist er gezwungen, das meiste einfach wegzuwerfen und bleibt dann ohne die nötigsten Sachen. Die erste Partei Verwundeter wurde in einem prachtvoll eingerichteten Sanitätszuge, der den Namen der Großfürstin Marie Nikolnewna trug, geführt. Die Glücklichen, die in diesen Zug ausgenommen wurden, sind sehr gut aufgehoben und können hier nach all den Greueln des Krieges wirklich ausruhen. Sonst aber gibt es nicht genug Sanitätswagen, um alle Verwundeten aufzunehmen. Und so werden zu Sanitätszüqen eine Anzahl von gewöhnlichen Güterwaaen angehängt, Pie nicht einmal mit Betten versehen und, so daß die schwer verwundeten Soldaten einfach auf dem Fußboden liegen und zwar oft mehrere Tage lang. In diesen Wagen gibt es nicht einmal die allernotwendigsten Vorrichtungen zum Krankentransport. So wäre cs z. B. ganz leicht, kleine Leitern anzuschaffen, mit deren Hülfe diejenigen Kranken, die noch geben können, aus den Haltestellen aus den Wagen aussteigcn können: ebenso wenig schwer würde es sein, die transportablen Vorrichtungen für die Befriedigung der Notbedürfnisse anzuschassen, indessen gehören solche Vorrichtungen zu den größten Selten heiten. Wenn man bedenkt, daß die meisten an Dysenterie leiden, so kann man sich ein deutliches Bild davon machen, was diese Unglücklichen während des Transportes erleiden, und in welchen» Zustande sie aus den Güterwagen abaebolt werden . . . Die Unter bringung dcl^erwundeten in den Wagen geht in größter Unordnung vor sich. Die Kranken werden nicht nach einzelnen Kateaorien gruppiert, so daß Schwerkranke keine bessere»» Plätze bekommen. Die Verteilung der Kranke»» unter den einzelnen Wagen hängt nur vom Zufall ab. Oft liegt ein Schwerverwundeter im Güter wagen, während ein verbältnismäßia leicht Erkrankter im Luxuswagen des Sanitätszuges fährt." Die Schlacht bei tianjang. Tic Schlacht bei Liausang dauert fort. Bis jetzt ist kein Ergebnis erzielt worden. Auch die amtlichen sapa- nischen Telegramme, die gestern ii» später Stunde abge sandt wurden, melden, daß keine der beiden Parteien ein greifbares Resultat erlangt haben. Londoner Blätter veröffentlichen eine Depesche aus Liaujang, nach der die Japaner bereits im Besitz der Vorstadt von Liaujang sind. Die Schlacht dauere fort, beständig kämen frische japa nische Truppen an. Arthur. Dem „Reuterschen Bureau" wird aus Tschifu von gestern gemeldet, daß die Japaner um Port Arthur- folgende Stellungen besetzt halten: In» Osten eine Höhe in der Nähe des Forts V, im Süden Pahischeng, in» Westen Hukiaton und Rongtownag. Fort V ist. nach Berichten von Chinesen, die am 28. August die Festung verlassen haben, weder von den Russen, noch von den Japanern besetz! Von Tnngkaitaschian »vnrdci» die Japaner, die auf den benachbarten Höhen ein Geschütz auf fuhren, besckwsiei». ES bestätigt sich, daß die Russen »vieder Itschcm besetzt haben. Die L e b e n s m i t t e l i n P o r t Arthur sind knapp: ein Sack Mehl kostet elf Rubel. „Morning Post" meldet aus Tschifu vom 31. August: Nach einer Meldung deS amerikanische»» Konsuls in Tschifu sind die Anlagen für drahtlose Telegraphie auf dem russischen Konsulargebiete beseitigt worden. Man glaubt in Washington, daß Japan China dazu ge zwungen habe, bei den Russen in diesem Sinne vor stellig zu werde»» oder daß letzteres, da durch den Fall von Port Arthur die Anlagen wertlos werden würden, freiwillig die Beseitigung vornahm. Japan «nb Aorea. Die „Morning Post" meldet aus Wsahington vom 31. August: Der japanische Gesandte in Washington ist zum Ratgeber des Aus wärtigen Amtes »n Söul ernannt. Stevens ist Amerikaner und seit langem in den Diensten Japans. Die japanische Regierung weise darauf hin, daß diese Ernennung nicht gegen die Unabhängigkeit Koreas ver stoße. stolstirchr cagerrchau. * Letpziz, 1. September. Kopfarbttt und Zuknnftsftaat. Die verfängliche Frage, wie die stattlichen Gehälter sozial demokratischer Redakteure mit dem sozialdemokratischen Ideal der Lohngleichheit für alle Kopf- und Handarbeit vereinbar seien, verleitet den „Vor wärts" zu einer sehr charakteristischen Auslassung. Bestimmt, den Handarbeitern zu gefallen, beziehungsweise sie zu beruhigen, zeigt diese Auslassung, was die Kopf arbeiter im Zukunftsstaate von dem sozialdemokratischen Gleichheitsideal zu erwarten haben. Während nämlich der „Vorw." einräumt, daß eS für die Sozialdemokratie des Gegenwartsstaates ein Ideal sei, alle Kopf- und Hand arbeiter gleich zu bezahlen, sagt er über die Lohnregelung im Zukunftsstaate: „Vielleicht wird man dann, wo die anscheinende Befriedigung der vernünftigen (!) Bedürfnisse allgemein sein wird wie Licht und Luft, gerade umgekehrt die Entschädigung nm so höher bemessen je weniger geistig, je unangenehmer die Arbeit ist Haben also die Handarbeiter den sozialistischen ZukunftS- staat, dann wird das heutige sozialdemokratische Ideal der Lohngleichheit zugunsten der Handarbeiter schleunigst auf den Kehrichthaufen geworfen. DaS Arbeit dazu gehört, Kopfarbeiter zu werden, daß höhere Entschädigungen für „unange- nehme" Arbeit, d. h. im vorliegenden Falle für Handarbeit, erne Prämie für Trägheit und Denkfaulheit sind, verschlägt nichts. Feuilleton. ii „Durchgerunyeu." Roman von Josephine Siebe. Nachdruck verboten. Erstes Kapitel. „So reist denn glücklich, und Liska, mein Kind, bange dich nicht zu sehr, und du, mein Christian, ich bitte dick», sei vorsichtig unterwegs!" So sprach Frau Marie Ekkardt an einem Hellen Herbst morgen, Abschied nehmend, zu ihrem Mann und ihrer ältesten Tochter, während ihr die Tränen über das rnnde, rosige Gesicht liefen. Um sic herum standen, wie die Küchlein, ihre vier jüngeren Kinder, alle blond, rosig und frisch, wie aus dem Ei geschält, und sahen mit großen, sehnsüchtigen Augen auf die Abreiscnden. Elisabeth schluchzte so heftig, daß der Vater sie be ruhigend auf die Schulter klopfte und ihr tröstend über das heiße, erregte Gesichtchen strich. „Ich bitte dich, Christian, bringe mir das Kind gut unter, und dann, Alterchen, gib gut acht auf deine Sachen, verliere ja nichts, vergiß nicht, wenn es kälter wird, wärmeres Zeug anzuziehen. Ach du lieber Himmel!" — Hier überwältigte der Schmerz Frau Marie, und in diesen» Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung, mit einem Schrei streckte sie die Arme aus: „Mein Herzens kind, bleibe mir brav und gut!" „Lebt wohl!" schrien die Geschwister und schwenkten voller Eifer ihre Taschentücher. ,.Christin», verlaust euch uicht in der fremden Stadt!" rief Frau Marie noch schluchzend nach. Tie .'l'icijcnden winkten noch einige Angenblicke und ferne» wincr criwienen die Gestalten der Zurück bleibenden, nun riiic Bieg«,^ und bas ganze liebe heimatliche Bud, La. kleine, polnisch-deutsche Land- städtchcn, das rote Stationsgebäude, die Gruppe der harrenden Lieben, alles verschwand, und aufschluchzcnd warf sich Elisabeth in die Arme ihres Vaters. Es war ihr erster Schritt iw die weite Welt hinaus, und nun sie eine Viertelstunde von der Heimat entfernt war, erschien ihr der Abschied unerträglich, und der Vater mnßte lange liebevoll zureden, ehe der Tränen strom versiegte und Elisabeth mit klaren Augen die ruhige, ebene, herbstliche Landschaft betrachten konnte, die der Zug durchbrauste. Am Abend dieses Tages fuhren Vater und Tochter in der alten berühmten Muscnstadt Leipzig ein, die das Ziel ihrer Reise bildete, hier sollte Elisabeth Ekkardt einige Jahre bleiben, uin Musik zu studieren. — Wie ein paar hülflosc Kinder standen sie beide in dem Getümmel des Bahuhofslebens, sie wurden hierhin und dahin gestoßen, ehe es ihnen gelang, mit ihren Gepäckstücken, den» großen, altmodischen Koffer, der mit giftgrünem Laub und grell roten Rosen bestickten Reisetasche, den unzähligen Schachteln und Schirmpaketen in einer Droschke uuter- zukommen. In mäßigen» Tempo trottete das Pferd durch die Straßen, und mit staunenden Augen sahen die beiden Reisenden auf das stutendo Leber» der großen Stadt, sahen auf die hcllerleuchteten Straßen, auf denen an diesem warmen Herbstabend die Menschen sich stießen und drängten, sahen auf die hohen Häuser mit ihren Hellen Fenstcrrcihen, ihren glänzenden Läden, und Elisabeth dachte unwillkürlich an die spärlich verteilten, trübe brennenden Straßenlampen, an die beschauliche Stille des heiinifchcn Städtchens. Sinnend, die Hände »ibcr dem Schirmgriff gefaltet, faß Rektor Ekkardt im Wagen, in seinen blauen Augen, die in Farbe und Schnitt denen der Tochter glichen, lag ein ehrfürchtiges Staunen. „Leipzig", sagte er, und seine Stiinme hatte einen wehmütigen Klang, „Kind, Kind, nun bin ich »vieder in Leipzig, wer bätte das gedacht!" „Vater", fester »ckmiicgte fick Elisabetb an den alten Mann, „freust du dich darüber?" „Freuen? Ja, Kind, das ist so ein eigen Ding, ich freue mich schon darüber, alle die Städte tviederzusehen, wo ich einmal so jung, so glücklich war, aber immer ist es auch ein wehmütiges Wiedersehen, wenn man im Alter an all das große Hoffen, all die wcltstürnienden Pläne der Jugend denkt und man wiederkehrt und findet alles, was jung und frisch inan in der Erinnerung hat, alt, verschwunden, verweht, fremd, was einem einst vertraut war. Doch lassen wir die Erinnerungen für heute, mein Kind, morgen, am Tage wollen wir die Stadt ansehen, -ustd ich will dir von der Zeit erzählen, in der ich als junger Bursche Pier studierte. Sieh, da hält der Wagen, wir sind für heute am Ziel." — Als Elisabeth am anderen Morgen am Arme ihres Vaters das Hotel perlicß, da lachte die Helle Hcrbstsonne von» Himmel herab und grüßte die Wandernden, ihnen die Stadt im heitersten Schimmer zeigend. „So, mein Kind, ich denke, wir tun das Wichtigste und suchen ein Unterkommen für dich", sagte Herr Rektor Ekkardt, sorgsam einige Stäubchen von seinen» langen, schwarzen Rock entfernend, „ich bin wirklich froh, daß ich zufällig die Adresse der Frau Amtsrätin Hermann erhalten habe, in ihrem elterlichen Hause habe ich so viele frohe Stunden verlebt, daß ich in der Erinnerung daran gern meine Tochter ihren Händen anvertrauen möchte." Der alte Herr zog einen Plan aus der Tasche und studierte sehr eifrig und unermüdlich die Straßen, es dauerte eine geraume Zeit, ehe er entdeckt hatte, daß die Zeitzer Straße, die das Ziel bildete, nur wenige Minute»» entfernt »var, und er sagte, etwas verlegen lächelnd: „Ja, so ist es nun, Kind, wie ost sucht man in der weiten Ferne Las Nahe!" Glücklich langten beide an dem gesuchten Hause an und erstiegen unter etlichen Seufzern die drei ziemlich steilen Treppen. Unterwegs batte Herr Rektor Ekkardt seiner Tochter maiicsierlei von der einstigen Freundin er- zählt, er tat cs mit so vicl Wärme und etwas Schwär merei, daß eine lebcnskundigere Zuhörerin als seine Tochter leicht die Spuren einer alten Liebe in dieser Schilderung wahrgenommen hätte. TaS junge Mädchen machte fick demgemäß ein, Bild der Frau Amtsrätin, und das hatte viel von dem freundlichen, rundlichen der eige nen Mutter. Sie war daher nicht wenig erstaunt, als ihnen in dem großen behaglich eingerichteten Zimmer eine magere Dame entgegentrat, an der Nase, Kinn, Ellenbogen, alles spitz und eckig war. Noch betroffener über diese Veränderung war Herr Rektor Ekkardt selbst, und die Frage der Danie, was ihr die Ehre seines Besuches verschaffte, brachte ihn in nicht geringe Verwirrung, und die Befürchtung ergriff ihn, die vor ihm stehende wäre vielleicht gar nicht seineJugend- frcundin. Verlegen nannte er den Namen einer Ver wandten, die ihm diese Adresse verschafft hatte, und sprach von der Zeit, die er im Hause ihres Vaters, Les Pastors Stürmers, verkebrt batte. Ta glitt plötzlich ein Lächeln über das spitze Gesicht der Dame, und sie erinnerte sick» des mageren stets hungrigen Studenten, der ibr einst mit schwärmerischcrHingabe ge huldigt, sie reichte ihm herzlich die Hand und hieß ihn und Elisabeth willkommen. „Meine Tochter", begann der alte Herr, sich räu spernd, „hat viel Begahung für Musik, ja ein schönes Talent, da soll sic denn hier etliche Jahre studieren, hm, ja" — „Da »»»ollen Sie mir das liebe Kind in Pension geben", vollendete die Dame rasch den Satz. „Ja, ja, gewiß, ick» dachte so", murmelte der Rektor, und dabei suchw er vergeblich das seine, reizende Mädchen- gesicht in Leu Zügen der Frau Amtsrätin wieder, das ihn in seiner Jugendzeit zu manch feurigem Sonett veran laßt hatte, und das bisher seiner getreuen Gattin iinnier die Ouellc einer gelinde»» Eifersucht geweicn war, trotz dem ein Zwischenraum vou nahezu zwanzig Jahren zwi schen seiner Heirat und seiner ersten Lieb, gelegen. Auch die Frau vor ihm sah Wehmütig in Las freund- l»che Männcrgesicht, dessen blaue Augen noch »n derselben
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