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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040810029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904081002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904081002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-10
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Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend »höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 2ü Annahmeschlntz für Anzeigen. Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^ti 60.— mit Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig (Inh. Dr. V., R. L W. Klinkhardt). Nr. 405. Mittwoch den 10. August 1904. 98. Jahrgang. vsr Mehligste vom Lage. * Der Leipziger Geograph Prof. vr. Friedr. Ratzel ist gestern in Ammerland am Starnberger See infolge eines Herzschlages gestorben. (Siehe Feuilleton.) * Um dem, durch die Einstellung der Flußschiffahrt geschaffenen Notstände zu begegnen, hat die General- öirektion der König!. Sachs. Staatseisenbahnen bei der Preußischen Staatsbahnverwaltung durchgesetzt, daß Futtermittel aller Art nach den sächsi schen Notstandsbezirken auf den preußi schen Strecken eine Frachtermäßigung von 50 Prozent erhalten. (Siehe volkw. Teil.) * In der heutigen Schlußsitzung der bayerischen Kammer der Reichsräte erklärte der Präsident Graf Lerchenfeld, eine Wiederwahl aus Ge sundheitsrücksichten nicht annehmen zu können. (Siehe Deutsches Reich.) * Der französische Konsularagent in Niutschwang ist von den Japanern frei ge lassen worden. (Siehe russ.-jap. Krieg.) * In Asunicon (Paraguay) wurde auf 14 Tage das Standrecht verkündet, da man eine R e - volution befürchtet. (Siehe Ausland.) * Es war das Gerücht aufgetaucht, von der Ein setzung einer internationalen Kommission, die neutrale Handelsschiffe von der Ber uflich tung befreien solle, sich einer Durch suchung durch russische Kreuzer zu unter werfen: außerdem solle die Kommission bestimmen, was als Kriegskontrebande zu betrachten sei. Dies Gerücht wird dem Petersburger Blatt „Nuß", „von auto ritativer Teste" als unbegründet bezeichnet. hum<mitSre Sellenlren. Vor einigen Tagen wurde ein Hauptmann und Kom paniechef wegen Mißhandlimg Untergebener vor ver sammelter Mannschaft zu siebzehn Tagen Stubenarrest verurteilt. Er hatte zwei Leute, weil sie schlecht ge schossen hatten, mehrmals geohrfeigt. Da man seit Jah ren vergebens gegen die Mißhandlungen in der Armee ankämpft, so liegt hier die Frage nahe: Wird dieser Kompagniechef, der schon einmal wegen ähnlicher Ver gehen bestraft ist, der Armee noch länger angehören oder nicht? Man bedenke, daß gerade der Kompagniechef diejenige Instanz im Heere ist, von deren Verhalten im wesentlichen abhängt, ob die Mannschaften korrekt behan delt werden. Jede Beschwerde über Mißhandlungen geht an den Kompagniechef und wie soll ein Hauptmann, der seinen Untergebenen ein solches Beispiel gibt, über eine solche Beschwerde entscheiden? Er muß ja bei jeder Ver handlung befürchten, daß der Angeklagte sich auf das Verhalten des Kompaniechefs beruft und erklärt, es könne ja doch unmöglich ein erhebliches Vergehen fein, die Leute zu „züchtigen", da der Herr Hauptmann selbst es vor ver sammelter Mannsäxift tue. Wir würden auf den bedauer- lichen Fall nicht zurückkonrmen, wenn nicht gerade in diesen Tagen eine Kabinettsordre veröffentlicht worden wäre, die, obwohl sie noch apokryph ist, doch durchaus den Stempel der Echtheit trägt. In dieser Kabinetts ordre wird für eine zahlreiche Reihe von Fällen in Mi litärprozessen empfohlen, die Oeffentlichkeit auszu- schließen. Dem gegenüber stehen wir auf dem Stand punkt, den Graf Bülow in der Sitzung vom 12. De zember 1903 dahin charakterisierte, daß die rückhaltlose Aufdeckung solcher Vorkommnisse nützlich sei, daß in der Oeffentlichkeit ein heilsames Korrektiv liege, und daß es für die Institution selbst ein gutes Zeichen sei, wenn nichts „verkleistert und vertuscht" werde. Erstens ist es in unserer Zeit eine Täuschung, wenn man glaubt, daß die Armee sich isolieren läßt und daß das Publikuni über ihr inneres Leben, über seine Vorzüge und Ge brechen nicht trotz aller Vorsichtsmaßregeln vollständig unterrichtet wäre: zweitens hat die Oeffentlichkeit sich als Wohltat erwiesen, weil die weitesten Kreise von dem Krebsschaden der Mißhandlungen Kenntnis erhalten haben und weil durch die Mißbilligung der Nation auch die Auf fassung der Armee in dieser Beziehung gewandelt worden ist, und noch mehr und mehr verschärft werden wird. Es ist gut, daß die Oeffentlichkeit cs erfährt, daß Fälle, wie der obenerwähnte, überhaupt im preußischen Heere vor- kommen und wie sie bestraft werden. Ein solcher Fall und das betreffende Urteil nötigen dazu, immer wieder für eine schärfere Bestrafung derartiger Vergehen einzu treten. Ja, die Presse hat die Pflicht, die betreffende Per sönlichkeit im Auge zu behalten: denn man kann sich nick^ wundern, wenn in der Kompagnie eines „nervösen" Hauptmanns auch noch andere Ausschreitungen Vor kommen. Humanität gegen den Einzelnen ist hier nur Schwäche, die dem Ganzen schadet ver rusZttcd-iÄpanttede Krieg. Die letzte Kreuzfahrt -er rvla-iwostsk-Gesch»va-err. Ueber die letzte Kreuzfahrt des Wladiwostok-Geschwa ders erhält die „Now. Wr." einen umfangreichen tele graphischen Bericht, dem wir nach der deutschen „Pet. Z." folgendes entnehmen: Ungefähr 100 Meilen nördlich von Aokohama wurde am 9./22. Juli der deutsche Dampfer „Arabia" aufgebracht und nach Wladiwostok dirigiert. Die Zusammenkunft mit dem englischen Dampfer „Knighr Commander" erfolgte am 11./24. Juli um 7 Uhr morgens 75 Meilen südwestlich von der Einfahrt in den Hafen von Yokohama. Der Dampfer wollte nicht stoppen und cs mußte» vier Schüsse abgegeben werden. Nach den geltenden Bestimmungen könnte schon der dritte Schuß, und der vierte unbedingt, direkt auf das Schiff ab gegeben werden. Admiral Jessen hatte jedoch mit den Men schen auf dem Schiffe Mitleid und befahl, nicht auf den Rumpf des Schiffes zu feuern, obwohl der Dampfer offen die Absicht an den Tag legte, den Kreuzern zu entfliehen, was laut Art. 3 des Prisengesetzes schon allein Grund für das Anhalten eines Schiffes abgibt. Doch wurde Nachsicht geübt und beschlossen, das Schiff nach dem gewöhnlichen Verfahren zu besichtigen. Es erwies sich, daß der Dampfer 3500 bis 4000 Tons Eifen bahnmaterialien an Bord hatte und von New Dork über Europa nach Yokohama und Kobe unterwegs war. Der Kapi tän hatte keine genauen Konossemente, die angeblich per Post nach Schanghai vorausgesandt worden waren. Somit unter lagen in zweifelloser Weise Schiff und Fracht der Konfiskation, doch konnte das Schiff wegen Kohlenmangels nicht nach Wladiwostok gebracht werden. EL lag diesmal ein außer ordentlicher Fall vor, der im Art. 21 des Prisengesetzes und Art. 353 des Seegesetzes vorgesehen ist. Der russische Admiral hatte nur die Interessen Rußlands im Auge und beschloß, auf sich die schwere Verantwortung zu übernehmen, einen Dampfer unter neutraler Flagge in den Grund zu bohren. Der Kommandeur des Schiffes stellt nicht in Abrede, daß seine Fracht Konterbande war. Nachdem die Menschen mit ihrem Eigentum und die Schiffsdokumente in Sicherheit gebracht wor den waren, wurde der Dampfer mit Sprengpatronen in 13 Minuten in den Grund gebohrt. Hierauf wurden noch zwei Segelschoner mit Salzladung vernichtet. Um diese Zeil zeigte sich dem Geschwader der Post- und Passagierdampfer „Tsinan", aus Australien über Hongkong-Schanghai nach Doko- hama gehend.' Da sich an Bord keine Kriegskontrebande be. fand, wurde der Dampfer freigegeben. In der Nacht auf den 13. Juli wurde der deutsche Dampfer „Thea" (1613 Tons), von Amerika mit voller Fischladung nach Dokohama gehend, an gehalten. Da auch in diesem Fall der Kohlenvorrat auf die Neige ging, mußte der Dampfer in den Grund gebohrt werden. Die Besatzung an Bord zu nehmen, war infolge des hohen See ganges und der Dunkelheit sehr schwierig und konnte nur mit Lebensgefahr für unsere Mannschaften bewerkstelligt werden. Doch ging alles glücklich von statten. Da der Dampfer durch die Explosion der Sprengpatronen nicht gleich sank, so mußte er durch Schüsse in den Grund gebohrt werden, die übrigens an der Küste gehört werden mußten, da sich der Vorfall nur 15 Dieilen von dem Eingang in die Bucht von Aokohama ab spielte. Die Rückkehr nach Wladiwostok hatten die Kreuzer bei dich tem Nebel und außerordentlich hohem Seegange zurückzulegen, doch haben sie Dank ihrer vorzüglichen .Konstruktion hierdurch in keiner Weise gelitten. Die Tsugaru-Straße wurde mn Tage passiert, wobei von Hakodate und dem südlichen Ufer der Süd küste drei japanische Kiistcnverteidignngsschiffe mit sieben Tor. pedojägern abgingen. Alle hielten sich in großer Entfernung außer Schußweite und verfolgten offenbar die Absicht, unsere Kreuzer auf Minen und das Feuer der Küstenbattericn zu locken. Admiral Kamimura hat sich nicht gezeigt und dadurch seine Ohnmacht bewiesen, eine Kreuzfahrt unseres Geschwaders zu verhindern. Airf den Kreuzern trafen auch die von den Prisenschiffen genommenen Personen ein: 23 Europäer, dar unter 16 mit Qffiziersrang, 32 Indier, 42 Chinesen und 63 Ja paner. Auf den Kreuzern steht alles wohl. Die Versenk»,ng -er „Thea". Der von den Russen in den Grund gebohrte Dampfer „Thea" hatte nach einer amtlichen Mitteilung in ver schiedenen Häfen von Jesso insgesanit 5600 Köln Fisch guano und 3000 Kisten Fischöl geladen. Fische befanden sich nicht an Bord, überhaupt keine Spur von Kriegs kontrebande. Das Schiff fuhr unter deutscher Flagge, als es von den Russen in den Grund gebohrt wurde. Hiernach wäre die erste aus russischer Quelle stam mende Meldung über das Versenken der „Thea" unrichtig gewesen. In jener ersten Meldung war gesagt, der Dampfer sei mit einer Ladung Fische von der amerika nischen Westküste nach Japan bestimmt gewesen. Wenn die obige Meldung richtig ist, war die Beschlagnahme und erst recht die Versenkung durchaus ungerechtfertigt. Die Stellung der Regierung zu der An gelegenheit wird gekennzeichnet durch eine Auslastung in der offiziösen „Nordd. Allg. Ztg.", welche besagt: „Die infolge der Ausübung seekriegSrechtlirber Befugnisse durch Schiffe der russischen Marine hervovgerusenen Zwischen fälle sind zum Teil bereits erledigt, zum Teil auf dem Wege, eine gütliche Beilegung zu finden. Die allgemeine Erörterung über diese Fragen war daher im Laufe der Woche weniger lebhaft, als in der vorigen gewesen. Aus einem längeren Bericht des Kommandanten des russischen Wladiwostok geschwaders, Admirals Skrhdlow, erfuhr man, daß von ihm am 24. Juli der deutsche Dampfer „Thea", nachdem besten Ladung für rechtmäßige Prise erklärt und die Mannschaft übernommen worden war, versenkt wurde. Neber die Umstände, die dieses Vorgehen veranlaßten, ist eine Untersuchung eingeleitet, von deren Ergebnis das Weitere abhängt. Das Eigentumsrecht einer deutschen Reederei an dem versenkten Fahrzeug steht fest; davon aber abgesehen, ist die rechtliche Beurteilung des Falles genötigt, auf die Folgen Rücksicht zu nehmen, die aus einer mehrfachen Verchartcrung der „Thea" an nichtdeutsche Firmen und aus den dafür maßgebend gewesenen Bedingungen hergeleitet werden könnten. Keinesfalls handelt es sich bei der Versenkung der „Thea" um einen unfreundlichen Alt der rus sische» Politik gegen die deutsche, und dem entspricht es, daß die diplomatische Behandlung dieses Vorkommnisses susviter in mocko geführt werden kann. Wir verweisen in diesem Zu« sannnenhange auf einen Satz, den der britische Kolonialminister Lpttleton vor einigen Tagen in einer öffentlichen Rede aus sprach, und der darin gipfelte, daß, obgleich eS Pflicht der englischen Minister sei, Leben, Eigentum und Freiheit der Briten zu schützen, sic doch bei Unterhandlungen mit einer fremden Macht dieser den Wunsch zuschreiben müssen, gegen England in einem friedlichen Geiste zu handeln. Das gilt auch für Deutschland, und wir haben bisher keinerlei Ursache ge habt, an dem friedlichen Entgegenkommen der russischen Re- gicrung bei den durch das Vorgehen gegen deutsche Dampfer geschaffenen Zwischenfällen zu zweifeln." Gegen das suavitcw io mocko wird man unter der Voraussetzung nichts einzuwenden haben, daß auch das kortiter iu re zu seinem Rechte kommt. 4>ort Arthur. „Daily Telegraph" meldet aus Tschifu von gestern: Bei Port Arthur fand eine neue Schlacht statt. Zwei von Port Arthur in Tschifu einghtroffene Kuriere, die die Stadt am 5. August abends verlassen haben, be richten, die Japaner hätten am 4. August abends einen Angriff auf die Hauptlinie der russischen Befestigungen, die sich über den linken Flügel der Russen erstrecken, be gonnen. Beide Flotten seien in Tätigkeit gewesen. Der Kampf dauerte bis zum frühen Morgen. Die Japaner hätten verschiedene Sturmangriffe gemacht, seien aber mehrfach mit schweren Verlusten zurückgeschlagen. Ihre Verluste sollen die bei den Kämpfen um den Wolfshügel und Grimmhügel erlittenen noch übersteigen Auf Seiten der Russen sollen über 1000 Mann im Kampfe Feuilleton. Der Fall Lelotti. Roman von Waldemar Urban. Nachdruck verbalen. „Vicomte de Saint-Bon? fragte er laut und aufgeregt, als ihm seine Tochter den Vicomte Andr6 vorstellte, den Namen kenne ich sehr gut, Herr Vicomte, wenn ich Sie auch noch nie gesehen habe. Ein Vicomte de Saint-Bon stcmd mir im Anfang der siebziger Jahre als Gegenkan didat in der Gironde gegenüber." „Das war mein Vater, Herr Senator." „Hm, ja. Das mag sein. Er war Legitimist, ich Re- vublikaner. Ah, mein Herr Vicomte, wenn alle Legi timisten Männer gewesen wären, wie Ihr Herr Vater einer war, wo wäre dann heute die Republik! Sie stam- men also aus Südfrankreich?" „Aus der Provence." „Nh. Daher kennen Sie meine Tochter wohl auch schon von Marseille her." „Sehr richtig, Herr Senator." „Und auch ihren Mann, natürlich, auch Herrn - Hin — Herrn Belotti?" „Ich kannte Herrn Belotti sehr gut." Herr de Blois ließ den Kopf etwas müde sinken, als ob er eben einen Schlag erhalten. Er nickte ein paarmal schwermütig und seufzend, wobei sein großer, nicht un schöner Kopf immer tiefer auf die Brust sank. „Nun ja, sehr gut", fuhr er dann fort, „ich kannte ihn auch sehr gut, und doch noch nicht genug. Nun gut, was man nicht ändern kann, läßt man gehen. Sie werden sich wohl gewundert haben, daß meine Tochter und ihre Kin der den Namen Belotti hier abgelegt haben, Herr Vicomte?" „Durchaus nicht. Ich hätte mich im Gegenteil ge wundert, wenn sie es nicht getan hätten." „Sehr richtig. Deshalb war auch ich damit einver standen. Wer uns kennt, der weiß ja ohnehin, daß wir Unglück gehabt haben — unschuldigerweise — und wer uns nicht kennt, dem braucht man doch die Augen mit einem ehrlosen Namen nicht mit Gewalt aufzureißen. Ich denke, die Sache wird sich soweit machen, daß auch meine Enkelinnen nie mehr mit dem Namen behaftet werden können. Aber lasten wir diese traurige Angelegenheit. Es ist nun einmal in der Welt so. Der Eine bekommt die Millionen, der Andere bekommt die Blutblasen davon. Und doch ist in allen diesenDingcn ein gewisserZusammcn- hang. Geht doch alles in dieser Welt natürlich zu. Sollte allein des Menschen Schicksal vom Zufall geregelt werden? Bei Leibe nicht. Es geht alles ganz richtig zu und es liegt eine ausgleichende Gerechtigkeit darin, daß der Eine die Millionen wieder los wird, ebenso wie der Andere die Blutblasen wieder verliert, nur ist das Eine schmerzlicher wie das Andere, und darin liegt die Re vanche." Vicomte Andrö konnte dem nicht widersprechen. Er fand sogar in den eigenen Verhältnissen eine gewisse Be stätigung. Der große Teil des von ihm verlorenen Gel des stammte — aus einen, Börsengewinn, und es war denselben Weg wieder gegangen, den es gekommen war. Bei Anderen mochte es anders sein, aber schließlich mußte eben doch alles natürlich zugehen, nur erregten und er- hitzten sich die Menschen an den Nebendingen so sehr, daß sie darüber den Zusammenhang verloren, ähnlich wie wenn die Zuschauer in, Theater den Schauspieler in den, Augenblick für einen Mörder halten, wenn er den Dolch zieht. Der Mann war aber schon den ganzen Abend ein Mörder, oder doch von dem Augenblick an, wo er die Tat bei sich beschloß. Der Dolch ist dabei ein ganz unschul diges Requisit, und wandert nach der Vorstellung wieder friedlich in den Requisitenkasten. An solchen Aeußerlichkeitcn, solchen Requisiten regen sich die Menschen auch im Leben auf und verlieren darüber den eigentlichen, wahren Zusammenhang. Hätte sich Vi comte Andr6, und alle Uebrigen, mehr um den inneren Zusammenhang ihrer Angelegenheiten gekümmert, statt sich bei den weisen Urteilen der öffentlichen Meinung zu beruhigen, so wären ihm weniger unangenehme Ueber- raschnngen bescheert worden. Herr Silvain trat mit Fräulein Florence ins Zimmer. „Ta ist er", hörte Andr6 den kleinen Silvain auf geregt sagen, „der Afrikaforscher, mein Afrikaforscher, den ich Ihnen versprochen habe, Florence —" Florence blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und wechselte die Farbe. Vicomte Andr6 erhob sich rasch, um sie zu begrüßen. Wie er auf sic zutrat, bemerkte er noch einen jähen Schreck in ihren feinen, etwas blassen Zügen, aber noch ehe er sich auf das Eigentümliche des Wiedersehens recht besann und die passenden Worte fand, faßte sie sich auch schon wieder und sagte: „Herr Vicomte de Saint-Bon, ich bin " Herr Silvain schlug in diesen, Augenblick so laut mit den Händen zusammen, daß sie erschrocken inne hielt und diesen ansah. „Tas ist bei Gott zu stark", echauffierte sich der junge Herr verzweifelt, „Sie kennen ihn auch schon, Fräulein Florence?" „Warum nicht?" erwiderte diese einfach. Herr Vicomte de Saint-Bon hat mir manches Bonbon zukonimcn lassen, als ich noch ein Kind war, wie Hcrmana jetzt eins ist." „Als Sie noch ein Kind waren!" stieß Herr Silvain tonlos hervor. Dann nickte er einige Male mit seinem Kopf so fassungslos und verstört, als ob er sich als Opfer des schwärzesten Verrats erschiene und sank wie vernichtet in einen Sessel. Als er aber sah, daß sich niemand nm seine Verziveiflung kümmerte, erholte er sich sehr rasch wieder und sah ziemlich gespannt der Wiedersehens- scene zu. „Wenn Sie sich auch nicht mehr an eine so ferne Zeit erinnern sollten, Herr Vicomte", fuhr Florence wehmütig lächelnd fort, so halte doch ich es für eine Pflicht der Dank barkeit, mich daran zu erinnern." Vicomte Andrs hätte selbst nicht geglaubt, daß er so rasch und so intim wieder im Hause der Madame de Blois verkehren könne, wie er nun sah, daß es geschah. Er fühlte sich vom ersten Augenblick an wieder wie zu Haufe, und das machte auf ihn eine um so größere Wirkung, als er iH seinem unruhigen Soldatenleben der letzten Jahre eigentlich gar kein recht „zu Hause" mehr hatte. In seinen Sinnen lag noch immer die Residenz der letzten Jahre — Haiphong, mit seiner erotischen Bretterbndenherrlichkett. seiner erdrückenden Glut derTropensonne, seinen fremden, heimtückischen Menschenrassen, die das tiefste Mißtrauen zur besten Tugend machen. Nun hörte er wieder heimat liche Laute, er war wieder in Paris, in seinem geliebten Paris, und Florence sprach ihm von seiner Jugend! Natürlich fühlte er sich wieder rn seinem Element. „Sie sind sehr liebenswürdig, Fräulein Florence", sagte er. indem er ihr die Hand reichte, und ich danke es Ihnen sehr, daß Sie Erinnerungen in mir wecken, die so lange Jahre für mich ein wahrer Schatz waren." „Waren!" wiederholte sic leise und blickte weg. „Und noch sind, selbstverständlich", fuhr er etwas ge dämpfter fort, „oder glauben Sie, ich vergäße so leicht?" Rasch hob sie das Auge wieder und sah ihn an, als ob sie an seinem Gesichtsausdruck kontrollieren wolle, wie er das meine. Einen Moment lang ruhten ibre Augen aufeinander, dann sagte sie flüchtig errötend und etwas verlegen: „Sie werden uns jetzt nicht mehr vernachlässigen, Herr Vicomte, und häufiger besuchen?" „Haben Sie mich vermisst, Fräulein Florence?" „Ich habe Sie lange Zeit nicht gesehen und fürchtete schon, ich würde Sie nie mehr sehen." „Warum nicht gar." „Sie sind schon lange in Paris!" „Allerdings. Aber iw habe erst am Sonnabend von
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