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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040811021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904081102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904081102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-11
- Monat1904-08
- Jahr1904
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Anzeigen-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 7b nach den Familiennach richten (6gespalten) 50 Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfrrtenannahme 25 Annahmrschlutz für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. V.,R. L W. Klinkhardt). Nr. M. Donnerstag den 11. August 1904. 98. Jahrgang. Var Wichtigste vom Lage. * Der Kaiser hatte heute Vormittag eine B e - sprechung mit dem Reichskanzler und wollte mittags die südwestafrikanischen Farmer in Anwesenheit des Reichskanzlers empfangen. (Siehe Deutsches Reich.) * Die Gerüchte von einer Konfrenz der Parteien wegen einer Aenderung des Reichstags wähl- rechts erklärt die „Preuß. Corresp." für unzu treffend. Wohl aber liege, so hundstagsmäitzg die Kunde auch klingen möge, ein neues Sozialisten gesetz in der Luft. „Konferenzen" würden indessen im Zusammenhang hiermit nicht veranstaltet. * Die Oberbürgermeister und Bürgermeister der großen Städte Preußens haben eine Eingabe an das Staabsministerium gerichtet, in der sie ersuchen, dem Entwuvf zur Abänderung des Gesetzes über die Ausführung der Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom 28. Juni 1902 die Zu- stimmung zu versagen. * Die Flucht des Dalai-Lama aus Lhassa bestätigt sich. (S. Ausld.) * Das Prisengericht von Wladiwostok hat den. Kieler Dampfer „Dh e a" als gesetz mäßige Prise erklärt, da er an eine japanische Ge sellschaft verchartert war. (S. russ.-jap. Krieg.) * Die russische Flotte ist aus dem Hafen von Port Arthur ausgebrochen. Es verlautet von einem schweren Nachtgefechte. (S. russ.-jap. Krieg.) Vie „Lbea" unci Oie üeutrcbe slstle. Wir haben uns zu der Angelegenheit der „Thea" bis- her zurückhaltend geäußert, weil wir ausnahmsweise ein mal den offiziösen Blättern recht geben mußten, die darauf hinwiesen, daß der Fall verwickelt liege und daß man die Klärung durch nähere Nachrichten abwarten müsse. Jetzt sind in Kiel Drahtberichte aus Tokio und Wladiwostok eingelaufen, die ein klares Bild gewähren. Danach steht aktenmäßig und amtlich fest, daß die Ladung der „Thea" ausschließlich aus Dünger und Oel bestand, von Kontrebande also keine Rede war. Die „Thea" war, obwohl sic nach England hin verchartert war, ein deut sches Schiff und die deutsche Flagge deckte die Ladung. Formell und materiell sind wir also berechtigt und ver pflichtet, von der russischen Regierung für diese Ver letzung unserer Interessen und für die Mißachtung un serer Flagge Genugtuung zu fordern. Tie Reichsrcgie- rung wird gut tun, die russische Regierung nicht darüber im Zweifel zu lassen, daß ein derartiger Vorgang sich unter keinen Umständen wiederholen darf. Gegen den Weg des Prisengerichtes haben wir natürlich nichts ein zuwenden, daß aber die deutschen Schiffe auf einen un begründeten Verdacht hin ohne weiteres in Grund ge bohrt werden, das müssen wir uns doch ganz energisch verbitten. Nicht allein unsere Interessen, auch die natio nale Würde steht hier auf dem Spiel, und wir freuen uns, in der „Vossischen Zeitung" die Bemerkung zu fin- den, „daß die nationale Würde höher stehe als das Interesse". Mehr und mehr macht sich eben in allen Parteien, die Sozialdemokratie ausgenommen, das Ge fühl geltend, -aß wir dem Ausland gegenüber geschlossen zusammenstehen müssen. Uebrigens fällt der deutschen Regierung gerade keine sehr schwierige Aufgabe zu, wenn wir fordern, daß sie den Tatendrang der russischen Kapitäne auf diplomatischem Wege ein wenig cindämmen möge. Die Lage der russischen Regierung ^vird es dieser schwerlich angezeigt erscheinen lassen, den guten und getreuen Nachbar, der aus seinen offiziellen Sympathien so wenig Hehl macht, unnötig zu verstimmen. Anderseits weist uns dieses Ereignis frei lich wieder darauf hin, Deutschland eine Seemacht zu schaffen, die seiner Weltmacht entspricht. Es läßt sich leider nicht leugnen, daß dieses Ziel durch das Flotten- gesetz von 1900 nicht erreicht worden ist, und wir stimmen dem Generalmajor Keim rückhaltlos bei, wenn er im „Tag" ausführt, daß eine baldige Revision des Flotten gesetzes von 1900 durchaus erforderlich sei. Im Jahre 1908 wird Deutschland, das die zweitgrößte Handels flotte der Welt besitzt und jetzt noch den vierten Platz unter den Seemächten behauptet, auf den fünften Platz herabgesuuken sein. Diese Tatsache wirkt derartig drastisch, sie beweist so überzeugend, daß etwas geschehen muß, daß eine Regierung, die sich ihrer nationalen Pflichten bewußt ist, sie nicht länger ignorieren kann. Der Flottenverein sollte diesen Satz in allen Städten und Dörfern Deutschlands mit Ricsenlettern plakatieren lassen, um in der Nation die Erkenntnis der Sachlage zu wecken und zu verbreiten. Aber sonderbar, es scheint uns, als ob die Agitation für denAusbau derFlotte augenblicklich „oben" nicht mehr recht beliebt wäre. Die maßgebenden Instanzen hüllen sich in tiefstes Schweigen, und das ist ungefähr das Un klügste, was sie tun können. Und aus einer doch sicher sonst gut nationalen Korrespondenz hätten wir jüngst mit ehrlichem Erstaunen feststellen müssen, daß sie in Bezug auf Flottenforderungen „flau" macht. Wir nehmen immer noch an, daß die Regie rung in der nächsten Session ein Flottengesetz vor legen wird; sollte es aber nicht geschehen, so würden wir in dieser passiven Haltung die allerschwerste Unter lassungssünde erblicken, und das gute Wort des Grafen Bülow: „In nationalen Dingen verstehe ich keinen Spaß!" würde uns dann nur noch als eine Redewendung erscheinen, mit der man den Applaus des Parlaments auslöst. Ein solches Flottengesetz aber einbringen, ohne es publizistisch vorzubereitcn, das wäre ein unbegreiflicher taktischer Fehler. Unbegreiflich besonders deshalb, weil doch Graf Bülow durch seine Erfahrungen bei Aufhebung des 8 2 des Jesuitengesetzes gewiß dahin belehrt worden ist, daß man die öffentliche Meinung nicht vor Plötzlich keiten, vor vollendete Tatsachen stellen darf. Es wäre höchst bedauerlich, wenn auch auf diesem Gebiete der Vorwurf des Zickzackkurses durch die Tatsachen Be rechtigung erhielte. Wenn selbst der Kaiser, der ja auf diesem Gebiete so verdienstlich gewirkt hat und nicht immer volles Ver ständnis bei der Nation und ihrer Vertretung fand, in seinem Interesse ermattet sein sollte, so wäre es eben die Pflicht des Reichskanzlers, in diesem Falle nicht als Bremser, wie Fürst Hohenlohe es bezeichnete, sondern als Anreger zu wirken. Für die Regierung liegt die Situation entschieden günstig; denn die Erkenntnis, daß wir einer starken Flotte bedürfen und daß wir sie noch nicht haben, ist selbst in den Reihen des nach links ge wandten Liberalismus erwacht, der beginnt, sich auf die alten Traditionen zu besinnen, die er lange in klein bürgerlicher Philistrosität verleugnet hat. Die Regierung braucht nur dem Impulse zu folgen, der diesmal ganz augenscheinlich von der Nation selbst ausgeht, und es wäre bedauerlich, wenn jetzt das Blatt sich gewendet hätte und wenn wieder einmal zwischen den maßgebenden Männern und der öffentlichen Meinung eine jener Un stimmigkeiten eintreten sollte, an denen die letzten Jahre leider so überreich waren. »er sali Mirbach. (Fortsetzung und kein Ende.) Zum Mirbach-Fall ist ein Schriftwechsel interessant, den die gestern erschienene Nummer des „Roland von Berlin" veröffentlicht. Es handelt sich um einen Schriftwechsel zwilchen vr. Leipziger, dem früheren Herausgeber des „Kl. Journ.", und den Rechtsbeiständen des OberhosmeisterS Freiherrn v. Mirbach. Verschiedene Blätter hatten während des Pommernbankprozesses behauptet, eS habe sich aus den Zeugenaussagen ergeben, daß Freiherr v. Mirbach die Direktoren Schultz und Nomeick bestimmt habe, 50 000 in den Defizitabgrund des „Kl. Journ." zu werfen, und daß die Direktoren diese 50 000 auf das Mirbachsche „Konto K" gebucht hätten. Tatsächlich sind Zeugenaussagen dieses In halts nicht abgegeben worden. Freiherr v. Mirbach selbst sagte nur vor Gericht: Es sollen im Oktober 1900 noch weitere 50 000 — von Schultz und Romeick — gestiftet worden sein. Von dieser Summe ist weder mir, noch einem meiner Vereine etwas zugegangen. vr. Leipziger wandte sich deshalb an den Oberhofmeister mit dem schriftlichen Ersuchen, ihm zu bescheinigen, daß er, vr. Leipziger, niemals über die Hergabe von 50 000 durch Schultz und Romeick mit dem Freiherrn verhandelt habe. Darauf erhielt vr. Leipziger von dem Rechtsanwalt Rassow einen Brief folgenden Inhalts: Seine Excellenz der königliche Oberhofmeister, Herr Freiherr v. Mirbach läßt Ihnen auf Ihren Brief vom 30. Juli Mitteilen, daß er sich grundsätzlich von jeder Veröffentlichung in der Presse fernhält. Ihrem Wunsche gemäß teile ich Ihnen indessen im Auftrage Seiner Excellenz mit, daß die Angabe, welche einige Zeitungen ge macht haben sollen, wonach Sie durch Vermittelung Seiner Excellenz 50 Anteilscheine des Kleinen Journal- G. m. b. H. an die Pommersche Hypothekenbank verkauft hätten, vollständig aus der Luft gegriffen ist. Frhr. v. Mirbach scheint einigen Wert auf die Kon statierung der Tatsache zu legen, daß er sich um die Presse nicht kümmert. Ein Privatmann kann sich dies wohl leisten; von einem Sachwalter königl. Angelegenheiten ist dies aber immerhin recht seltsam. Zu der vom „Reichsboten" uns gegenüber angewandten Taktik schreibt die „Köln. Ztg." sehr richtig: Schon in Nr. 803 unserer Zeitung hatten wir Gelegenheit, uns gegen die Art und Weise zu wenden, in welcher der „Reichsbote" in dem vom „Leipziger Tageblatt" veröffentlichten Falle den Ober hofmeister v. Mirbach verteidigt. In derselben Sache leistet sich nun der „Reichsbote" folgende weitere Verdrehung des bisher nach den Prozeßakten veröffentlichten Tatbestandes. Er schreibt: „dem Prinzen wurde vom Oberlandesgericht in Hamm folgender Eid vorge- schlagen"; folgt der Eid, der die bekannte Behauptung mit der von Mirbach zugesagten Standeserhöhung enthält. Dann fährt das Blatt fort: „Der Prinz weigerte sich aber, diesen Eid zu schwören, sondern legte Revision beim Reichsgericht ein." Seine Darstellung schließt der Retchsbote mit den Worten: „So der In halt des Berichtes des Leipziger Tageblatts." Dieser Satz enthält einfach die Unwahrheit. In dem Prozeß bericht des Leipziger Tageblattes ist gar keine Rede davon, daß sich der Prinz Sayn-Wittgenstein geweigert habe, den Eid zu leisten, sondern es wird lediglich mitge teilt, daß er gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm, in dem dieser Eid normiert wurde, das Rechtsmittel der Revision ein gelegt hat. Der Grund hierfür geht aus den veröffentlichten Akten nicht hervor. Ein Jurist wird ihn jedenfalls nur darin suchen, daß das Urteil des Landgerichts Dortmund für den Prinzen prozessualisch so günstig wie nur möglich war, und daß jeder geschickte Rechts anwalt deshalb den Versuch machen mußte, im Wege der Revision die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Dortmund zu erreichen. Wenn der „Reichsbote" in der von ihm eingeschlagenen Weise fort fährt, Mirbach zu verteidigen, so wird dieser jedenfalls bald Grund haben zu rufen: „Gott schütze mich vor meinen Freunden." Wie nunmehr der für solche Sachen offiziöse Berliner „L.-A." mitteilt, dürfte die von ihm schon „angekündigte Darlegung der wirklichen Sachlage" in der Angelegenheit des Prinzen Fritz Sayn-Wittgenstein nun sehr bald erfolgen. Staatsminister Heutig, der neben Herrn von Mirbach und dem General von Hüne, wie bekannt, zu den Pflegern des Prinzen gehörte, ist mit Unterbrechung seines Urlaubs in Gotka eingetroffen. Es ist anzunehmen, daß die beschleunigte Rückkehr des Ministers in engem Zusammenhang mit der viel diskutierten Affäre Wittgenstein steht und daß durch den Minister Aufklärung gegeben werden wird. Inzwischen gehen dem „L.-A." zu den neuerdings von der „Tremonia" gebrach ten Enthüllungen von besonderer Seite folgende Informa tionen zu: „Es ist durchaus falsch dargestellt, daß die Pflegschaft des Prinzen sich jemals geweigert hätte, ihm, als er majorenn geworden war, Rechnung zu legen. Es ist schon unwahr, daß die Pflegschaft über haupt zum Zwecke der Vermögensverwaltung bestellt worden war. Sie hat niemals auch nur einen Pfennig des^ Vermögens zu verwalten gehabt. Dieses wurde, lange Jahre vor Einsetzung der Pflegschaft, von dem angesehenen Pariser Bankhause Baillach verwaltet, dessen Inhaber zugleich einer der ersten Notare in Paris ist. Sache der Pflegschaft war nur, zu verhüten, daß Teile des Vermögens der minorennen Kinder durch ihren Feuilleton. Der Fall Sclotti. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. „Was wollte Herr Lejeune?" „LH, es ist furchtbar. Hören Sie, Herr Vicomte. Das erste Mal war er wenigstens noch nicht so bedrohlich und aggressiv wie vorgestern, obgleich ich auch damals schon zum Tode erschrocken war. Ec erzählte mir nämlich, daß sich in Marseille hartnäckig das Gerücht erhalte, daß mein Mann nicht tot sei, es ihm vielmehr gelungen, mit großen Summen das Weite zu gewinnen, und fragte, was ich da zu sage und davon wisse." Herr Lejeune hat doch Ihren Herrn Gemahl selbst als tot rekognoziert und ihn selbst auf dem Kai Voltaire liegen sehen! Wie kommt's, daß er sich mit solchem Alt weibergeschwätz abgibt?" „Hören Sie nur, Herr Vicomte. Aber ums Himmels Willen, versprechen Sie mir mit Ihrem Ehrenwort, daß nichts von dem, was ich Ihnen sage, wieder erzählt wird, zu wem es auch immer sei." „Selbstverständlich verspreche ich Ihnen das." „Es klingt wie Aberwitz, wie Wahnsinn und doch ist alles Wort für Wort wahr. Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß Herr Lejeune, ehe er kam, mir einen Brief schrieb, worin er mich um Auskunft über meinen Schwager, Herrn Antoine Belotti ersuchte. Sie können sich wohl noch auf den verschollenen Bruder meines Mannes be sinnen?" „Nur sehr dunkel. Ich besinne mich, vor langen Jah ren von ihn, gehört zu haben, weiß aber beim besten Dillen nicht mehr was!" „Nun sehen Sie, Herr Vicomte. Genau so ging cs mir. Ich wußte nichts davon. Und wenn niir auch mein Mann einmal flüchtig von ihm erzählt haben sollte, so ist es doch wohl hinlänglich erklärlich, daß ich das in mitten der Aufregungen und Katastrophen, die mich und meine Kinder inzwischen betroffen, wieder vergessen habe. Ich antwortete also Herrn Lejeune auf seinen Brief nicht, weil ich nichts zu antworten wußte. Das hat er übel aufgefaßt und kam selbst wenige Tage später. Er erzählte nun, was ich Ihnen schon mitteilte und wollte wissen, wo Antoine sei. Ich konnte es ihm nicht sagen, denn ich wußte es nicht. Daraufhin meinte er, es sei doch ganz unerklärlich, daß mein Mann in so langen Jahren nicht einmal Gelegenheit genommen habe, mit mir von seinem Bruder zu sprechen, worauf ich entgegnete, daß das nur zu sehr erklärlich sei, weil mein Schwager Antoine ein rnanvais sujet, ein Landstreicher geworden war, mit dem mein Mann uns zu beunruhigen nicht für nötig gefunden hat. Ist es in der Tat nicht sehr erklär lich, wenn man in der Familie von solchen dunkeln und traurigen Punkten so wenig wie möglich spricht, Herr Vicomte?" „Natürlich ganz begreiflich. Und Herr Lejeune wollte sich damit nicht zufrieden geben?" „Oh Gott, nein. Zunächst reiste er ja wieder ab, aber wie ich Ihnen schon sagte — vorgestern war ec »nieder da! Himmlischer Vater da droben, Sie wissen nicht, was das für ein Mann ist. Und ich unglückliche Frau stehe mit meinen Kindern diesem Schrecken, diesem Ungeheuer gegenüber schütz- und hülflos da. Allmäch tiger, was soll das werden!" Dabei schluchzte Frau de Blois unglücklich auf und warf sich weinend in einen Stuhl. Vicomte Andrö selbst wurde sowohl über die Mit teilungen wie über den Zustand der Frau de Blois auf geregt. Er begriff ja sehr wohl, daß die Dame von all diesen Details ihrem Vater keine Mitteilung machen mochte, dem« der Senator war ein alter Herr, der, ohne irgend etwas helfen zu können, wohl nur große Worte und Geschrei über diesen neuen Unfall, der seine Tochter betraf, gemacht hätte. Somit stand Frau de Blois aller dings allein, und merkwürdiger Weise machte es auf Andr6 einen erhebenden Eindruck, daß sie ihn mit ihrem Vertrauen beehrte. Er war gutmütig und hülfsbereit und wäre es wohl auch gewesen, wenn Florence nicht vor handen oder nicht beteiligt gewesen wäre und deshalb fühlte er sich angenehm berührt, daß Frau de Blois in ihrer Not zunächst an ihn gedacht, obwohl er noch nicht wußte, ob oder was er in der Sache tun konnte. „Fassen Sie sich, Madame, und fahren Sie zunächst fort, damit ich genau erfahre, um was es sich handelt", sagte er schonend. „Nun, die Sache ist kurz die, daß mich Herr Lejeune beschuldigt, in strafbarem Einverständnis mit meinem ver storbenen Mann große Vermögensteile beiseite geschafft zu haben. Er behauptet, auf diese Idee gekommen zu sein dadurch, daß ich ihm über Sachen, die ich wissen müsse, die Auskunft verweigert habe. Er behauptet ferner, es sei jetzt sicher, daß Antoine Belotti kurze Zeit vor dem Zusammenbruch von Belotti L Co. in Monaco anwesend gewesen und von dort jedenfalls auch nach Marseille, wenn auch unter fremdem Namen, gekommen sei. Ich weiß nicht mehr, ob er mir den fremden Namen gesagt hat oder nicht. Jedenfalls weiß ich ihn nicht mehr, aber cs sei nicht ausgeschlossen, behauptet Herr Lejeune ferner, daß mein Schwager Antoine in Marseille verunglückt, aus dem Wasser gezogen, verkannt und an Stelle meines Mannes begraben worden wäre, wobei ich ebenfalls im Einverständnis gewesen sein müsse." „Und lvas hat er für all' diese tollen Behauptungen für Beweise?" „Keinen Schatten von Beweis. Es sind eben seine Ideen, seine Behauptungen." „Nun, so lassen Sie ihm doch seine Ideen und Be- bauptnugen. Weshalb sich beunruhigen wegen solcher Abenteuerlichkeiten?" „Tas würde ich ja gern tun, wenn mir Herr Lejeune nicht damit gedroht hätte, alles der Staatsanwaltschaft zu unterbreiten, wenn ich ihm nicht binnen drei Tagen Aufklärungen geben würde über alle Punkte, die nach seiner Meinung einer Aufklärung bedürfen." „Der Staatsanwaltschaft! Aber was will er denn nun zuletzt von Ihnen, ins Teufels Namen, dieser Herr Lejeune?" „Geld. Er rechnet mir vor, daß ich viel Geld mit nach Paris gebracht haben müsse und hier viel Geld aus- gegeben habe. Er vergißt nur dabei, daß ich hier fast ausschließlich auf Kosten meines Vaters lebe und mein ganzes Vermögen zur Zeit in einem Anspruch von zwei hunderttausend Francs an die Konkursmasse meines Mannes besteht. Meine Wohnung bezahlt Papa, die Haushaltung bezahlt Papa, den Wagen ebenfalls. Es ist sein Wagen. Er vergißt die Schulden, die ich habe machen müssen, er vergißt ach, mein Gott, er ver- gißt eben vollständig, daß ich eine arme beklagenswerte Frau bin, die sich nicht zu helfen weiß." Vicomte Andr6 machte einige hastige Schritte im Zim wer auf und ab und versuchte zu überlegen, aber sein vielleicht allzu gefühlvolles Herz spiegelte ihm nur die Sorge, die Angst und die Gefahren vor, in welche Madame de Blois und — Florence durch die gewissen hafte Verfolgung der Gläubiger-Interessen seitens des Herrn Lejeune gebracht worden waren. Welcher Skandal wenn der Mann wirklich seine Drohung ausführte und die Familie der Staatsanwaltschaft denunzierte; der Gc danke, Florence mit ihren zarten, vornehmen Gesichts zügen, mit der unschuldigen Grazie ihrer Erscheinung vor dem Staatsanwalt zu sehen, lvar ihm unerträglich „Er ist verrückt", stieß er endlich unwillig hervor „Ich werde mit ihm reden." „Oh, ich wußte, Herr Vicomte", warf Frau de BloiS lebhaft ein, „daß Ihr edles reines Herz unS zu Hülfe kommen würde. Wie danke ich Ihnen und wie möchte ich Ihnen danken, wenn . Sie sind auch der einzige Mann, der uns wirksam schützen kam, »ud daS ist ja auch der Grund, aus dem ich mich entschlossen habe, mit Ihnen zu reden. Cie sind der Hauptgläubiger meines
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