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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.08.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040812015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904081201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904081201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-12
- Monat1904-08
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSstrich («gespalten) 75 nach den Familienoach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 Anuahmeschlusj für Anzeigen: Abrnd-Au-gabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-Beilagen lgefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderung 60.—, mit Postbrförderung 70.—. Anzeigen sind stet« an dieErprdition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von K. Pol« in Leipzig (Inh. vr. «., R. L W. Kltnkhardt). 98. Jahrgang. Var lMcbtigrie vom tage. * Prinz-Regent Luitpold vonBayern erhob den Minister des Innern Freiherrn v. F e i l i tz s ch anläßlich seines 70. Geburtstages in den Grafen- stand. * Zu den wiederholt verbreiteten Gerüchten über Cholerafälle in Hamburg teilt die dortige Polizeibehörde mit, daß in Hamburg kein einziger Cholerafall vorgekommen ist, und solche Gerüchte jeder Begründung entbehren. * Das ungarische Abgeordnetenhaus hat sich bis zum 10. Oktober vertagt. ülalckeckr-ssourrea« f. Der ehemalige Ministerpräsident Frankreichs, Waldeck-Rousseau, ist Mittwoch nachmittag gestorben. In letzter Zeit gingen häufig günstige Nachrichten über sein Befinden durch die Pariser Presse, jene günstigen Nachrichten, die dem erfahrenen Beobachter derartiger Vorgänge anzeigen, daß die Erlösung nahe ist. Daß Waldeck-Rousseau nicht wieder die körperlichen Kräfte finden würde, um an die Spitze der Regierung zu treten, war schon seit Monaten ein öffentliches Geheimnis. Wer es mit Frankreich gut meint — und wir glauben auch, daS deutsche Interesse nicht in der Zersetzung der politischen Verhältnisse Frankreichs suchen zu sollen —, wird diese Fügung aufrichtig bedauern; denn bei aller Anerkennung der Zähigkeit und Geschicklichkeit, die sein Nachfolger Combes an den Tag legt, kann doch niemand verkennen, daß ihn, den Renegaten des Klerus, die Leidenschaftlichkeit seines Wesens, die plumpe Offensive der Kurie und das ^Drängen der Ultraradikalen weit fort- gerissen hat, so daß es noch nicht feststeht, ob die Resultate seiner Politik dauernde bleiben können. Frankreich steht erst am Beginn eines Kampfes zwischen dem Klcrikalis- mus und einer Partei, die nach dem Worte: o'sst moi ihre Interessen mit denen der Republik identifiziert, und dieser Kampf wird noch viele Peripetien und tief greifende Erschütterungen bringen, die Waldeck-Rousseaus weise Nüchternheit vielleicht dem Lande erspart hätte. Wunderbar war es eigentlich, daß Waldeck-Rousseau in Frankreich zu den höchsten Höhen der Politik emporzu klimmen vermochte. Solche Laufbahn ist meist nur den jenigen Männern beschicken, deren Wesen eine Quintessenz des Volkscharakters bildet, jenen Männern, die mit allen ihren Fehlern und Vorzügen, in jeder Fiber und Faser national sind. Und Waldeck-Rousseau war weder seinem Aeußern nach, noch seiner Innerlichkeit nach ein typischer Franzose. Der Franzose, vor allem der politische, ist Rhetoriker, und Waldeck-Rousseau war zwar ein berühmter Redner, aber seine Beredsamkeit war keine romanische. Er loderte nicht, der Flamme gleich, empor; er deklamierte nicht — er plaidierte nur. Das beherrschende Element seines Wesend war nicht das Ge- fühl, sondern der Verstand. Er gehörte nicht zu den Politikern, deren Puls auch der Puls ihres Volkes ist, die in Schicksalsstunden das große Wort finden, das eine Nation zusammenschließt und in die Richtung reißt, in die der mächtige Wille des providenticllen Mannes deutet. Er war und blieb ein ausgezeichneter, scharfsinniger Ad vokat, der das Für und Wider sorglich abwägte, und da Begeisterung ihm fremd war, schließlich häufig zu einer Politik der mittleren Linie gelangte. Um diese Charakte- ristik Waldeck-Rousseaus geben zu können, bedürfte es keiner Kenntnis seines Lebensganges und der zeitge nössischen Geschichte. Wer diese hagere, sehnige, angel- sächsisch elegante Gestalt, dieses scharf gezeichnete, trockene, stets wohlbeherrschte Gesicht erblickte, dem war das Wesen des Mannes wie durch Intuition klar geworden, und seine Taten haben die Charakteristik, die sein Aeußeres gab, nie verleugnet. Imponierend war die unerschütter liche Ruhe, mit der er in der Kammer dem Geheul der Gegner trotzte, und wenn er dann die Tribüne betrat und ein atemloses Schweigen bewies, wie Freund und Feind seinen Worten entgegenharrte, dann genügte oft ein ein- ziger scharf pointierter Satz, um eine donnernde Beifalls- salve auszulösen und eine gefährliche Stimmung dieser unberechenbaren Versammlung zu Gunsten der Regie- rung zu wenden. Waldeck-Rousseau war in seinen politischen Mitteln ein Opportunist. Der Weg war ihm indifferent, -as Ziel alles; und in diesem Sinne war er gewissermaßen ein Gegenstück zu den sozialistischen Utopisten, denen das Ziel nichts, die Bewegung alles ist. Er wählte seine Werkzeuge ohne Rücksicht auf die ethischen Qualitäten und nur im Hinblick darauf, ob sic seinen Zwecken dienen konnten oder nicht. Der Sozialist Millcrand und der Reaktionär Gallifct saßen gleichzeitig in seinem Kabinett. Waldeck-Rousseau wußte, daß beide in ihrer Art Kapazitäten waren; er wußte, Latz beide ihm mäch- tig« Parteien und Klassen zuführten; er wußte endlich. daß Millerands Sozialismus kein unerbittlicher war und daß Gaüifet viel zu viel vom Condottiere hatte, um durch Betonung eines Prinzips unbequem zu werden. So war er Opportunist, aber doch nur im Dienste einer Idee, die sein ganzes Leben geleitet hat. Er war Re publikaner aus Familientradition und aus Tempera- ment. Sein Vater, einer der berühmtesten Advokaten der Bretagne, hatte sich stets als ein aufrichtiger Be- kenner der republikanischen Ideologie bewährt und diese Gesinnung auf Len Sohn übertragen. Waldeck- Rousseau, der vielseitig gebildet und literarisch und künstlerisch interessiert war, wie es in Frankreich so häufig, in Deutschland leider so selten ist, ist in seiner politischen Tätigkeit sicher weit mehr von dem Gefühl geleitet worden, daß er sich einer Pflicht gegen das Vaterland nicht entziehen dürfe, als von jenem vulgären Ehrgeiz, der heule bis in die kleinbürgerlichen Schichten Frank reichs herabgedrungen ist. Und in der Tat, er Hal der Republik einen großen Dienst geleistet. Es gelang ihm, nach der Affäre Dreyfus die Ruhe wieder herzustellen und auf Jahre hinaus stabile Verhältnisse zu schaffen. Eine besonders weise Regicrungshandlung war die Amnestie, die allerdings die Parteigänger des Haupt manns Dreyfus ihm nie verziehen haben. Tie Ruhe Frankreichs war dem Staatsmann eben wichtiger, als die restlose Erledigung einer juristischen Frage, die nur noch akademisches Interesse hatte, nachdem Dreyfus selbst seine Begnadigung angenommen hatte und in be haglichen Verhältnissen völlig unangefochten in Paris lebte. Waldeck-Rousseau hat dann den Kampf gegen die geistlichen Orden eröffnet und auch hier war seine Ini tiative rühmenswert, denn es kann nicht bestritten werden, daß der klerikale Einfluß Frankreich über wuchert hatte und in seiner Verquickung mit mon- archistischen Tendenzen eine Gefährdung der politischen Entwicklung darstellte. Die Ausdehnung, die Combes diesem Kampfe gegeben hat, mißbilligte er und es ist, wie gesagt, noch nicht sicher, ob die Zukunft seine Be denken nicht rechtfertigt. Es gibt ein französisches Sprichwort, das ganz auS dem Charakter und auS der Geschichte dieser Nation geboren ist: „Hui trop embr»88o, mal vtrsiut!" Es ist heutzutage unmöglich, einen Politiker zu be urteilen, ohne seiner Stellung zum Sozialismus, der be herrschenden Frage der Zeit, zu gedenken. Waldeck- Rousseau war auch hier der Mann der mittleren Linie. Er vertrat mit Energie die Anschauungen der sozialen Reform, aber er vertrat auch mit gleicher Energie die Aufrechterhaltung der heutigen Gesellschaftsordnung. ! Insofern er reformieren wollte, verletzte er die Bour- geoisie, die in Frankreich engherziger und kurzsichtiger ist als in irgend einem anderen Staate, und insofern er konservieren wollte, mißfiel er den Massen, zu denen er überhaupt niemals in ein Verhältnis zu treten ver mochte. Er, der Liebling des stürmischen, hinreißenden Süüfranzoscn Gambetta, war viel zu sehr reserviert, viel !-zu sehr Mann der Tatsachen, viel zu wenig Demagoge, als daß er je hätte populär sein können. Aber gerade daß er, um ein Wort Hohenlohes zu gebrauchen, ein „Bremser" war, machte ihn in jenem Lande, wo jeder Lokomotivführer sein möchte, so überaus wertvoll. Sein Tod ist ein schwerer Verlust für Frankreich und es wäre nur zu wünschen — und auch im Interesse Deutschlands zu wünschen —, daß seine politischen Gedanken nicht mit ihm gestorben sein möchten. O. ver wzrircb-sapanlrcde Krieg. Port Arthur. DaS plötzliche Verlassen Port Arthur- durch die russische Flotte hat doch einen andern Grund gehabt, als wir nach den vorliegenden spärlichen Meldungen vermutet hatten, e- hat sich nicht um einen Ausfall, einen Uebergang zur Offensive ge handelt, sondern um eine Defensiv-Bewegung. Da« Feuer der russischen Geschütze Kat die Flotte au« dem schützenden Hafen getrieben. Wollte sie nicht untätig dem gefährlichen Steil feuer der Japaner ausgesetzt bleiben und so zu Grunde geben, so blieb ihr nickt« übrig, al« zu versuchen, kämpfend die Aus fahrt au« dem Hafen zu gewinnen und sich dem Gegner rur Schlacht zu stellen oder ibm zu entkommen zu suchen. Vor Port Arthur ist e« denn auch zu neuen Kämpfen auf See gekommen, deren Au-gang aber noch nicht ganz klar ist. Au« Ttcutfln wird dem „B. L.-Aüber Pari« ge- meldet, daß unmittelbar nach der Besetzung de« WolsS- hügel« bei Port Arthur durch die Belagerer „Retwisan" und „Pobjeda" den Außenhafen erreichten, doch ist über deren weiter« Bestimmung und Sckickfal nickt« bekannt. Die im Innenhafen zurückgebliebenen Schiffe sind angeblich außerhalb de« Schußbereichs der japanischen Geschütze. Man erwartet für heute eine De- gegnung der au« Port Arthur entkommenen Kriegsschiff« mit den die Route nach Wladiwostock bewachenden Ge schwadern Togo« und Kamimura«. Nach einer Devesche au« Tokio vom 11. d. Mt«. wird der Ring um Port Arthur täglich enger ge schlossen. Die japanischen Belagerungsgeschütze sind so gut ausgestellt, daß alle ruissschrn Befestigungen, die Stadt und die Kriegsschiffe im Hasen durch steile« Feuer mit einem andauernden Geschoßhagel bedeckt wurden. Der fernere Aufenthalt der Kriegs schiffe im Hafen ist auf die Dauer unmöglich, daker ver suchten sie gestern früh auS dem Hafen zu entkommen, aber Togos Wachsamkeit verhinderte die Flucht. Ein heftiges Gefecht entspann sich zwischen der russischen Flotte und den Forts einerseits und Togos Flotte andererseits und dauerte den ganzen Tag. Darauf wurden nackts japanische Torpedoboote beordert, die russische Flotte anzugreisen. Bon japanischer amtlicher Seite wird gemeldet: Verschiedene Berichte von Talienwan zeigen, baß das Port Arthur-Geschwader am tO. August morgens auS rem Hafen herauskam, worauf sich eine heftige Seeschlacht bis zum Abend entwickelte. Während der Nackt schien unsere Torpedobootszerstörer - Flottille das russische Geschwader angegriffen zu haben. Bei Morgengrauen des l I. August machte es den Eindruck, als ob der „Retwisan" und ein anderes Linienschiff vom Typ „Pobjeda" nach Port Arthur flüchteten. Russische Verstärkungen. Der Kriegsberichterstatter der „Daily Mail" im Haupt quartier Kurokis meldet aus Tau an unterm 9. August, daß die Russen Verstärkungen empfangen und ihre Stellung zwischen Kurokis Armee und Mulden stark befestigen. Aus Sinminting, im neutralen chine sischen Gebiete, 40 Meilen westlich von Mukden, drahtet der Berichterstatter der „Daily Mail", Mukden habe jetzt eine riesige russische Besatzung. Die Truppen im Umkreise der Stadt seien jüngst rascker verstärkt worden, als zu Kriegsanfang. Nördlich von Mukden ständen keine Japaner; eine ziemlich japanische Streitkraft befinde sick aber 25 englische Meilen südlich und eine andere japanische Armee fünf Meilen östlich von Liaojang. Die russische Hauptarmee habe sich nach Tschintau zurückgezogen. Englischer Aonkurreuzneid. Die „Kölnische Zeitung" schreibt: Nach einer gestern wiedergegebenen Meldung der „Times" sollen der Nord- deutiche Lloyd und die Hamburg-Amerika-Linie in den letzten zehn Tagen in Antwerpen Ladungen von elek trischen Kabeln, Maschinen, Essendraht, Elfenstahlplatten, leichten Schienen unter der Bezeichnung „Grubenschienen" zum Transport nach Ostasien übernommen haben, nachdem die Lertreter der britischen SchiffahrtSgesellsckaften die Verschiffung abgelehnt haben, weil sie Anweisung erhalten haben, keine Fracht zu übernehmen, die wahrscheinlich als Kontrebande erklärt werden würde. Es ist sicher, daß durch die russsschen Absperrungsmaßregeln der Warentransport nach Ostasien eine starke Beunruhigung erlitten bat. Wenn daher die deutscken Linien im Gegensatz zu den englischen Postlinien, die den Verkehr nach Japan einstellen, diesen Verkehr fort- sstzen, versteht es sich wohl von selbst, daß sie die befrachteten Guter besonders sckarf auf Kriegskontrebande hin ansehen, und wo ein solcher Zweck wahrscheinlich oder auch nur mög lich ist, die Annahme verweigern. DaS Blatt weiß bestimmt, daß die Vertreter der großen deutschen Gesellschaften den Auf tragbaben, in diesemSinne zuverfahren. Wenn sie wirklich Güter übernommen haben sollten, die von englischen Gesellschaften zurückgewiesen sind, dürste der Grund für die Zurückweisung weniger in dem Charakter als Kriegskontrebande als viel mehr darin zu suchen sein, daß die Engländer eben ihren Verkehr eingestellt haben und somit nicht befördern können. AuS Hamburg wird übrigen« schon gemeldet, daß die An gaben der „Times" ganz unzutreffend seien und es sich nur um Gegenstände unverfänglichster Art handele, wie dünnes Eisenblech, da« zur Anfertigung von Küchengeräten und dergleichen benutzt wird. Deutsches Deich. Leipzig, 11. August. * tiZeucral v. Liebert über unsere Kolonien. Der in dem Leipziger Verlage von Wilhelm Weicher erschienene und schon kurz erwähnte Vortrag, den der ehemalige Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, v. Liebert, im Juni diese» Jahres in Breslau gehalten hat, verdient gerade jetzt eine eingehendere Besprechung. Herr v. Liebert knüpft an die Tatsache an, daß jetzt zwanzig Jahre verflossen sind, seitdem das deutsche Reich Kolonien erworben hat. Er unterzieht die Ent wickelung in sämtlichen Kolonien Deutschlands einer kurzen, aber militärisch präzisen Kritik und gelangt, obwohl er keineswegs einen übertriebenen Optimismus zur Schau trägt, zu dem Schluffe, daß es nicht allein ein Gebot der nationalen Würde sei, die Kolonien zu behalten und auszubauen, sondern daß man sick von ihnen auch eine gesunde und lohnende wirtschaftliche Entfaltung versprechen dürfe. Für Südwestafrika hebt er hervor, daß es von der Natur nicht für den Ackerbau, sondern für die Viehzucht be stimmt sei. Deutschland hat jährlich einen Bedarf von Wolle für fünfhundert Millionen Mark und erzeugt selbst nur un gefähr zweihundert Millionen. Wenn die zweikundertsicbenund- achtzig Millionen Mark, die jährlich an das Ausland für Wolle gezahlt werden, von den deutschen Ansiedlern in Sükwcst- Asrika verdient werden könnten, so wäre da« für die Kolonien und für das Mutterland gleich wichtig. Zu dem Feldzug, der jetzt die öffentliche Aufmerksamkeit beschäftigt, bemerk! v. Liebert, daß ein zweiter Feldzug und zwar gegen die OvamboS eröffnet werden müsse, sobald die Herero nieder geworfen seien und er äußert an dieser Stelle: „Hoffentlich gelingt es, den entscheidenden Schlag noch in der küblen Jahreszeit, d. h. hi« zum September auszufübren". Mau sicht au« dieser Bemerkung, daß selbst die besten Kenner der afrikanischen Verhältnisse die Schwierigkeiten de« Herero- aufstande« noch bi- vor kurzem nicht unerheblich unterschätzten, denn daß bi- zum September ein Entscheivungs'chlag ge führt werden wird, der dem Aufstande ein Ende macht, glaubt beute Wohl in Deutschland Niemand mehr. Außer ordentlich knapp und klar sind die Ausführungen, in denen sich v. Liebert gegen den unglückseligen Almosenbeschluß de« Reichstag« wendet. Endlich weist er auch darauf hm, wie nack Beendigung de« Feldzüge« ric großen Landesgesellschaften zur Begleichung der KritgSkosteu heranzuzieben seien und wie da« Reich jenes der toten Hand überantwortete Gebiet wieder der Allgemeinheit nutzbar machen könnte. E« entstehen an läßlich dieser Aufgabe Rechtsprobleme, deren Lösung gewiß nicht leicht ist, umsoweniger, al« die Landgesellschaften naturgemäß über einen erheblichen Einfluß aus die maß gebenden Stellen verfügen und ihren einmal er worbenen Besitz nach Gutdünken auSnutzen wollen. Wenn sich auch naturgemäß das Hauptinteresse auf die Aus führungen über Deutsck-Südwest-Afrika konzentriert, so ist koch auch das, was v. Liebert über die Tropenkolonien und Kiautschou zu sagen weiß, für alle Leser interessant. Wir haben nicht soviel Männer der Praxis und Kenner des Landes, daß man ihre Aeußerungen achtlos übergehen dürfte und daß hier in einem so engen Rahmen eine vollständige Ucbersicht über die Hauptzüge der Entwickelung und die nächsten Notwendigkeiten geboten wird, macht das Büchlein um so wertvoller,'denn eS gibt unzählige Deutsche, die gern ihren Horizont erweitern, aber nicht in der Lage sind, dickleibige Folianten durchzustudieren, weil ihr Beruf alle ihre Kräfte erfordert und nur dann und wann ein Abendstündchen frei läßt. Diesen sei die Broschüre des Herrn v. Liebert, die die Vorzüge der Prägnanz und Objektivität in hohem Grade aufweist, aufs wärmste empfohlen. * Chemnitz, 11. August. * LchippelS Schlußwort und Rückzug. In seinem — schließlichen — Schlußartikel verwahrt sich Schippel noch mals auf daS Allerentschiedenste gegen die Bezeichnung Agrar-Schutzzöllner. Es sei ihm niemals auch nur im Traume eingefallen, ein solcher zu sein oder etwa gar die Partei für Agrarschutzzölle zu gewinnen. Er mache nur die Einschränkung, daß, wer Handelsverträge wolle, unter allen Umständen auch Zölle wolle, unter besonderen Umständen (nämlich im Verhältnis zu Agrarstaaten) auch Agrarrölle haben müsse — Agrarzölle, zwar nicht als eigentliche Schutzzölle, sondern als Unterhandlungs- und Kompensationszölle. Uebngens möchte er über diese ver wickelte Frage noch nicht das letzte Wort ge sprochen haben. ES habe ihm fern gelegen, der Partei durch rücksichtsloses Geltendmachen seiner besonderen Meinung Verlegenheiten zu bereiten. Er habe sie vor sechs Jahren als offizieller Partei- tagsrcfcrent in Stuttgart vertreten, und niemand habe sich darüber entrüstet, er habe drei Jahre später sein Buch „Handelspolitik" ver öffentlicht, und es sei wieder nichts Außerordentliches passiert. Seitdem habe er geschwiegen, bis zum jetzigen, von ihm wahrlich nicht provozierten Streit. Es sei sein gutes Recht, jederzeit im engeren Parteikreise, oder bei passender Gelegenheit öffentlich seinen Sonderstandpunkt darzulegen, andererseits aber habe natürlich die Minderheit die Pflicht, Aktionsbeschlüsse der Mehrheit anzuerkennen und der noch unbeendeten Partei aktion nicht absichtlich Knüppel zwischen die Beine zu werfen — das heiße unter Umstünden: sie habe mit überflüssigem Bedenken und Einsprüchen zu warten und zurückzuhalten, bis eine geeignete Zeit da sein werde. Wer wolle ihm vorwerfen, daß er diese Zurückhaltung nicht bewahrt habe? Im Gegen teil, einzelne Vertreter der Parteitüchtigkeit würfen ihm vor, er Hütte bet seinen abweichenden Einzrlauf- fassungen krakeelen müssen, koste es, was es wolle. In der Reichstagsfraklion unterzeichneten auch die Unterlegenen die Beschlüsse der„Siege" und verträten sie nach außen. Es lägen keine zwingenden Gründe vor, weshalb er gegenüber der notorischen, vorläufig unabänderlichen Mehrheitsströmung in der Partei den Querulanten und Krakeeler herau-kehren solle! Er sei also ruhig in Reih und Glied geblieben und man könne mit ihm doch immer noch leidlich zufrieden sein. Aber schließlich komme doch so einer daher und ver lange, daß er hinausfliege, weil er seine handels politischen Ansichten nickt plötzlich, mitten im Zollkampfe, gegen die Partei ausspiele, weil er akkurat im für die Partei unpassendsten »nd unschädlichsten Augenblick nicht krakeele, son dern weil er den Mehrheitsstandpunkt auch für sich als verbindlich hingenommen habe, weil ibm die „Disziplin" höher alS die individuelle Meinung gestanden hätte. Dafür einen Parteigenossen hinauszuschmeißen — in der Tat, daS wäre nicht mehr blos Dresden. Das wäre — der Sonnen stein (sächsische Irrenanstalt', noch ein gut Stück über Dresden hinaus! Doch die ganze Aktion KantskuS sei jetzt schon al- »er- pufft anzuschen: es gelängt diesem Genossen nichts mehr. Schippel hat damit einen offenbaren Rückzug anaetreten, und sein stolzes Wort von der event. freiwilligen Mandats niederlegung schon wieder zurückgenommen: I-auckkdilitsr se sndjecit! Berlin, 11. August. * Die Farmcröcpntation beim Kaiser. Die Abordnung der südwestafrikanischen Farmer wurde, wie ange- kündigt, beute mittag I2'/z Uhr vom Kaiser empfangen. Sie besteht ^inS fünf Herren: dem Führer der Abordnung, Farmer F. Erdmann, der fast neun Jahre in der Kap- kolonic als Farmer tätig war und drei Monate vor Aus druck des Ausstande- nach unserem Schutzgebiet übersiedelte, dem Farmer Albert Voigts aus dem Braunschweigischen, der feit vierzehn Jahren in Okabandja anaesiedelt ist, dem Farmer Karl Schlettwein, der sechs Jahre im Dienste der deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika stand und sich vor drei Jahren in Südwestafrika selbständig machte, dem Farmer M. Kürst en, der bereit« elf Jahre in unserem Schutzgebiet weilt, und dem Ansiedler Otto Erhard, der neu» Jahre lang al« Kaufmann dort gelebt bat. Man darf e« der Abordnung mit Anerkennung nachsagen, daß sie gc^ duldig mehr al« zwei Monate in'Berlin ausgebarrt bat, einzig und allein damit beschäftigt, im Sinne ihrer Auftrag geber zu wirken, aber ohne jeden Uedereifer und obne danach zu streben, geflissentlich die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit zu erregen. Urber den Empfang selbst meldet der „L.-A.": „Der Monarch reichte allen die Hand und nahm aus dem Munde Erdmanns, des Sprechers der Abordnung, die Dünsche der Farmer entgegen. Der Kaiser ging die Darlegungen des Sprecher« Punkt für Punkt durch. Au« der Entgegnung de« Kaiser« glaubten di« Herren die bestimmte Hoffnunq schöpfen
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