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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.08.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040812022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904081202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904081202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-12
- Monat1904-08
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedattionSstrich (4 gespalten) 78 /H, nach den Familiennach- richten (6 gespalten) 80 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ofsrrtenannahme 25 Annahmefchlutz für An feigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morpen-AuSgabe: nachmittags 4 Uhr. Extra-Beilagen lgesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol; in Leipzig (Inh. vr. B., R. L W. Klinkhardt). Nr. DA. Freitag dm 12. August 1904. 98. Jahrgang. Var Mcktigrtr vom lagt. * Als Gouverneur von Kamerun soll Legationsrat Gleim in Aussicht genommen sein. (S. Dtsch. Reich.) * In der Triester Bombenaffäre sind dort neue Haussuchungen und auch Ver Has- tungen vorgenommen worden. (S. Ausland.) * Die Pariser „Petite Rspublique" setzt eine Petition in Umlauf, welche in ganz Frankreich ver- breitet wird. Sie betrifft die Trennung der Kirche vom Staat. Eine klerikale Petition im gegenteiligen Sinne ist gleichfalls im Umlauf. * Die beiden russischen Kreuzer „Askold" und „Nowik" haben sich vor den Japanern aus deutsches, also neutrales, Gebiet nach Tsingtau retten müssen, wo sie jedenfalls einstweilen ent- waffnet werden. (S. russ.-jap. Krieg.) Lukunlttrorgen Oer 6eno;;en. Am Himmel der Sozialdemokratie ziehen wieder drohende Wolken empor, die für den Bremer Parteitag Blitz und Donner, unbildlich gesprochen, erregte Aus- einandersetzungen ankündigen. Diese Auseinander setzungen werden diesmal nicht den Zweck haben, auf die persönliche Gesinnung der Genossen einige Röntgen strahlen fallen zu lassen, sondern sich auf prinzipiellem Gebiete bewögen. Vor einigen Tagen hat der Berliner sozialdemokratische Stadtverordnete l)r. Friedcberg in einer großen Arbeiterversammlung die bisherige parla mentarische Taktik der Partei gegeißelt und d':e Ver legung des Kampfes vom politischen auf das ökonomische Gebiet, mit anderen Worten die Vorbereitung des „Generalstreiks" empfoblen. Was den kritischen Teil 'einer Ausführungen anbetrifft, so läßt sich ihm Berech tigung und Logik nicht absprechen. Es ist klar, daß das Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen und Man date keineswegs zur Erlangung der diktatorischen poli tischen Macht führen kann. Ueber kurz oder lang würden die sogenannten herrschenden Klassen sich zusammen schließen und das Reichstagswahlgesetz derartig abändern, daß der sozialdemokratische Einfluß erheblich zurückge dämmt würde. Diese Entwicklung erscheint auch uns, die wir das Wahlrecht bis zum lebten möglichen Augenblicke verteidigen würden, unausbleiblich für den Fall, daß wirklich abermals und abermals die Reichstagswahlen ein neues Amvachsen der Sozialdemokratie bekunden sollten. Wir halten dies allerdings nicht für notwendig, nicht ein mal für wahrscheinlich, wenn die Regierung der Sozial demokratie nicht unbewußt und ungewollt in die Hände arbeitet und wenn alle diejenigen, die die heutige Ge sellschaftsordnung zwar reformatorisch umbilden, aber doch in ihren Fundamenten erhalten wollen, ihre Plicht tun. Sollten aber, wie gesagt, wirklich die Reichstags wahlen wieder und wieder neue Erfolge der Sozialdemo kratie bringen, so wird natürlich eines Tages die Aende- rung des Wahlrechts eine absolute Notwendigkeit. Man wird doch schließlich dem herrschenden Regime keinen politischen Selbstmord zumuten dürfen. Es ist daher, wenn man diese Ueberlegung als berech tigt anerkennt, für die Sozialdemokratie nicht von der Hand zu weisen, daß sie solche Möglichkeit ins Auge faßt und die Frage aufwirft, ob der taktische Grundsatz, durch Erringung der politischen Macht allmählich die ökono mische Diktatur vorzubereiten, die Partei nicht in eine Sackgasse geführt habe. Der Abgeordnete Stadthagen ist inzwischen dieser Auffassung entgegengetreten und hat den Generalstreik für utopisch erklärt. Wir müssen auch ihm recht geben, denn wir glauben nicht daran, daß das Wort „Alle Räder stehen still" innerhalb des ganzen Reiches jemals verwirklicht werden kann. Es gibt eben auch im Proletariat eine ganze Reihe von Motiven, die trennestd, nicht einigend wirken. Indem wir also beiden Rednern recht geben, indem wir glauben, daß der parlamentarische Kampf die Sozial demokratie nicht zum Ziel führen wird und daß der öko nomische Kampf ihr gleichfalls keinen Sieg verbürgt, würden wir diese ganzen Ausführungen und ihr pro und contra nicht lehr ernst nehmen, wenn nicht aus ihnen her vorginge, daß wahrscheinlich der nächste Parteitag in die überhaupt schon schwer erschütterte Einigkeit der Genossen eine neue Bresche legen wird — was übrigens noch lange nicht die vielberufene „Mauserung" zu bedeuten brauchte. Es ist ja möglich, daß die führenden Männer den Versuch machen, nach dem Muster des bekannten Haustieres, um den heißen Brei herum zu gehen. Indessen ist die Partei in ihrer Gesamtheit für Vertuschungen nicht sehr eingenommen und man wird den Dr. Friedeberg, der ein alter Partei- genösse ist, nicht so leicht mundtot machen können, wie Herrn Göhre und seine Freunde. Neuer rum fall Mirbach. Die anqekiindigte Darlegung deS wirklichen Sachverhalts im Fall Mirbach-Wittgenstein darf man Wohl in einem längeren Gothaer Telegramm des „L.-A." erblicken, welches in dessen heutiger Morgennummer erscheint und in der Hauptsache folgendermaßen lautet: Nach Beendigung der Pflegschaft haben der älteste und der jüngste Prinz durch öffentliche Urkunden sich mit der Verwaltung und Führung der Pflegschaft durchaus einverstanden und vollkommen befriedigt erklärt. Sie haben Decharge erteilt und bezeugt, keinerlei Ansprüche gegen die Pfleger zu besitzen. Auch der jetzt oft genannte Prinz Friedrich hat am 28. September 1899 in notariell beglaubigter Urkunde nach einer formellen Einleitung wörtlich gesagt: „Ich erkläre mich bezüglich des Anspruchs auf Schluß rechnung den vorgenannten Herren Pflegern gegenüber für vollkommen befriedigt. Ich erteile den letzteren bezüglich der pflegschaftlichen Verwaltung volle Entlastung und leiste dem- gemäß auf die von mir in den Akten des Königl. Landgericht- Dortmund erhobene Klageforderung sowie auf die Rechte aus dem dort ergangenen Urteil Verzicht." Diese seine eigene solenne Erklärung hat dann später Prinz Friedrich mit der bekannten Behauptung angefochten, sie sei nur unterschrieben, nachdem ihm der Freiherr von Mirbach zugesagt habe, es solle ihm über sein mütterliches Vermögen Rechnung ge legt^ dieses Vermögen herausgegeben und von Mirbach die Standeserhöhung seiner damaligen Braut zur Prinzessin erwirkt werden. Prinz Friedrich, der sehr erhebliche Schuldverbindlich keiten eingegangen war, hatte nämlich inzwischen eine seither anderweit verheiratete, sehr reiche junge Dame in Köln kennen gelernt, bereu Mutter ihre Zustimmung zu einer Ver ehelichung nur erteilen wollte, wenn ihrer Tochter der Titel Prin zessin und die nach dem Wittgensteinschen HauSrechte erforderliche Ebenbürtigkeit verliehen würde. Um jene Zett bemühte sich deshalb der prinzliche Bräutigam in seinem eigensten Interesse, bet allen ihm zu gänglichen Stellen, auch bei dem Reichskanzler Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, seinem Onkel, und bei den Mitgliedern der Pflegschaft eifrig um die Erfüllung des Wunsches der Mutter seiner Erwählten. An sämtlichen Stellen wurde ihm eröffnet, daß keine Aus sicht auf Gewährung seiner Bitte bestehe; denn die Verleihung des Prin- zessinnentttels an eine junge bürgerliche Dame sei völlig außer- gewöhnlich, und die Ebenbürtigkeit mit Wirkung gegen ein reichS- uumittelbares Haus zu gewähren, stehe nicht in der Macht des Königs von Preußen. Prinz Friedrich war jedoch anscheinend ge nötigt, seinen Anspruch auf Rechnungslegung fwetter zu behaupten, weil der ihm von seinem Bevollmächtigten gewährte Kredit wohl wissentlich darauf gegründet wurde, daß er irgendwo noch andere Vermögensobjekte als die mütterliche Erbschaft besitze. Als nun das Oberlandesgericht Hamm erkannt hatte, daß jene Quittung des Prinzen Friedrich seinem Verlangen nach Rechnungs legung entgegenstehe und daß er deshalb nur durch deren eidliche Entkräftung sich gegen den Vorwurf der Arglist bei Erhebung seiner Klage schützen könne, legte er gegen dieses Urteil Revision ein. Hätte er den ihm vom Gericht über seine eigenen Behaup tungen auferlegten Eid leisten können oder leisten wollen, so wäre der Prozeß beendet gewesen. Er schwor indessen nicht. Die Revision hatte nun den Erfolg, daß das Reichsgericht sich der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm nicht anschloß, vielmehr in Ab weichung von früheren reich-gerichtlichen Urteilen verlangte, es müsse gegen den Prinzen festgestellt werden, daß er sich mit Be wußtsein der Rechtswidrigkeit auf die Hinfälligkeit seines Ver zichtes berufen habe. Ein solches Bewußtsein sei durch Tat sachen nicht erwiesen, namentlich nicht, daß der Prinz seine Behauptung wider besseres Wissen ausgesprochen habe. Der Beweis, den das Reichsgericht hier verlangt, wird in der Juristensprache allgemein als „probkttio LadoUcm" bezeich net, als einer, den kaum der Teufel zu Wien vermag. Die Pflegschaft wird also nunmehr dem zuständigen Oberlandes gericht das Verzeichnis der Gegenstände, die zu dem an den Prinzen längst herauSgegebenen Schmuck gehören, einreichen, die von Baille- hache einem jeden der Prinzen seit Jahren zugänglich gemachten Rechnungen über das französische Vermögen nochmals vorlegen und damit den Gegenstand auch formell erledigen. Niemals hat irgend jemand, auch keiner der einstigen Pfleglinge, zu behaupten vermocht, daß außer diesen Ber- mögensteilen irgend welche andere in die Hände, Verwahrung oder Verwaltung der Pflegschaft gelangt seien. Fragt man schließ lich, weshalb die Pflegschaft nicht sogleich den hier zuletzt bezeich neten Weg eingeschlagen hat, so beruht dies darauf, daß die Pfleger sich nickt für verpflichtet hielten und auch heut noch nicht für verpflichtet halten, die Verantwortlich- keit für eine vor ihrem Eintritt in das Ehrenamt einem andern übertragene, während eines zwanzigjährigen Zeitraums durchweg im Ausland geführte, ziemlich verwickelte Verwaltung zu übernehmen. Aus alledem ist ersichtlich, daß die ganze Angelegen heit mit der öffentlichen amtlichen Stellung der drei Pfleger von ehedem nicht das geringste zu tun hat, daß für die von den Ver tretern des Prinzen mit Bezug auf den Freiherrn v. Mirbach anf- gestellten Behauptungen kein Schatten eines Beweises vorliegt und daß es lediglich private Verhältnisse sind, dir fett Wochen von der Presse erörtert werden. Wir freuen uns, in der vorstehenden Darlegung, so weit sie positive Nachrichten enthält, eine vollgültige Be stätigung dessen zu finden, was wir bereits nutgeteilt hatten. Daß die ganze Schilderung des „B. ,L.-A." eine dem Frbrn. v. Mirbach möglichst günstige Färbung erhalten hat, wird weiter fticht Wunder nehmen. Wir ver missen aber in den Gothaer Ausführungen eine Er klärung dafür, wie der oben wiedergegebene Verzicht des Prinzen Wittgenstein zustande gekommen ist. Die von der „Tremonia" veröffentlichte, auch unS bekannt gewordene Behauptung einer dienstlichen Einwirkung des Mili tär! ab inet s auf den Prinzen ist durch die erwähnte Aus lassung jedenfalls nicht widerlegt worden. Dem Oberhofmeister erwächst ein neuer Ver teidiger in dem Vorsteher des KaiserSwerther Diakonissen hauses, der in einer Zuschrift an die „Kreuzztg." die Verdienste Mirbachs um die evangelische Diakonie hervorhebt und schließlich betont, „daß die in unserer Zett für Altar und Thron so dringend nötige evangelische Diakonie viel, sehr viel verliert, wenn dieser Mann jetzt aus dieser seiner Tätigkeit zurücktreten sollte." Daß die evangelische Diakonie durch einen Rücktritt Mir bachs viel verlieren würde, kann nur bedingt zugegeben werden, denn wir können nicht als Gewinn schätzen, wa« mit nicht einwandfreien Mitteln erworben worden ist. — Mit den „Informationen", die der „L.-A." von „hoher Stelle" erhalten haben will, hat das Blatt nirgends Glück. Von links und rechts wird es in derselben Weise dafür an gegriffen, wie wir es gestern getan haben. So äußert sich die „Frkf. Ztg.": Mit dem Dementierungsversuch stimmt nicht die Tatsache über ein, daß die Pflegschaft vom Gericht zur Rechnungslegung erst nach träglich von den Gerichten verurteilt worden ist, ein Beweis, daß die Liste des Pariser Bankhauses nicht als Ersatz dafür anerkannt worden ist. Die Verdächtigung der Motive des Prinzen spricht nicht gerade für die Objektivität der Stelle, von welcher die Er- widerung auSgeht Die Einmischung des Militärkabinetts bleibt auch nach dieser Erklärung höchst befremdlich. Seit wann hat das Militärkabinett in Civilrechtsangelegenheiten von Offi zieren zu vermitteln, und auf Grund (welcher Bestimmungen darf es einen Offizier hierbei zu etwas zwingen, wozu er sich nicht ver- pflichtet glaubt? Damit wird direkt bestätigt, daß Einwirkungen auf den Prinzen stattgefnnden haben, die ebenso unangebracht wie nach unserem Rechtsempfinden unzulässig sind. Soweit sind die zitierten „Informationen" am wenigsten geeignet, das zu wider legen, was als falsch hingestellt werden sollte. Feuilleton. 211 Der Fall Lelotti. Roman von Woldemar Urban. Nachdruck verboten. Florence saß trotz der etwas empfindlichen Kühle im Garten, stand aber sofort ans, als sie ihre Mutter kommen sah und ging ihr entgegen. „Freue dich, Florence", sagte ihre Mutter laut und lebhaft, endlich nach so viel Trauer und Trübsal etwas Sonnenschein. Da lies." Florence nahm den Brief und las nun auch, daß sic das Glück des kleinen Silvain sei und daß er es für seine Lebensaufgabe halte, sic glücklich zu machen. Wunder liches Mädcbenherz! Florence wollte gar nicht glücklich gemacht werden, wenigstens nicht von Herrn Silvain. Sic wollte glücklich machen, Über nickt Herrn Silvain. Mit der stürmischen olles verheerenden Glut des Jugendhcrzens, wie sie immer ungebändigter und elementarer in ihrer Brust wogte, wollte sie jemand glücklich machen, trotz Trailer und Trübsal, trotz Not und Tod. Und wenn sie darüber zu Grunde gegangen wäre — was lag ihr am Leben, wenn sie nicht für — ibn leben durfte? Aber dieser jemand ging kalt und förmlich um sic herum, befangen in einer Menge Rücksichten und Erwägungen, von ihr getrennt durch mancherlei unglückliche Umstände, unter denen ihre eigene Mutter nicht der unbedeutendste war. Und wenn ja einmal sein Auge schärfer, heißer und sprechender auf ihr lag. so fiel ihr das Wort ihres Bruders Viktor ein, das schon damals in der Jolilotte wie Mehl tau in ihre Seele gefallen und die reinsten, heiligsten Triebe ihres Herzens zu vernichten drohte. „Er wird euch — was husten!" batte Victor gesagt nnd Florence stand mit ihrem tiefsten und innigsten Ge fühl am Pranger. Konnte sie sich ihm nähern? Konnte sie ihm den Weg zeigen zu seinem Glück? Vielleicht hielt er es gar nicht für sein Glück? Vielleicht wollte er gar nichts von ihr wissen, wollte ihr wirklich was . Nein, niemals! Das ließ ihr Stolz nicht zu. Sie konnte sterben, leichter als manche dachten, aber das konnte sie nicht tun. „Du glaubst nicht, wie froh ich bin, daß die Sache nun endlich so weit ist", plauderte ihre Mutter aufgeregt — Florence hörte es kaum. „Der kleine Silvain ist ein prächtiger Mensch. Er weiß eine Angelegenheit von der Stelle zu bringen, wo andere ewig hin und wieder laufen ohne daß etwas geschieht. Nun geht es vorwärts, und ich bin froh darüber. Wenn du nur erst versorgt bist, Florence, mit den anderen habe ich dann leichtes Spiel. Victor wird schon noch Vernunft annehmen, wenn er sieht, daß es hier vorwärts geht und daß ich Recht hatte. Ich verstehe überhaupt nicht, was in den Menschen ge fahren ist. Wie kommt er dazu, gerade jetzt seinen Kopf aufzusetzen, nachdem er bisher ein Faulpelz comme il kaut war und immer auf der Tasche von Papa gelegen. Wegen Judith und Hermann macke ich mir keine Sorge. Das wird sich später einmal ganz von selbst machen, wenn du nur erst verheiratet bist." Ihre Mutter war wirklich froh, daß sie sie los wurde. Florence erschien sich wie eine verlegene Ware, wie irgend ein Ding, gerade gut genug zu einer sich zufällig bieten den Verwendung. Es war ganz selbstverständlich, daß sie verwendet wurde, sie wurde gar nicht gefragt, ob ihr die Verwendung auch passe. Und doch handelte es sich um ihr Herz, um ihr Heiligstes, um ihr Leben! „Du wirst ihn« doch heute noch schreiben?" fragte ihre Mutter endlich nach schier endlosen Freudenbezeugungen und Lobsprüchen über den kleinen Silvain. „Ja, Mama, wenn du es wünschest", entgegnete Florence ruhig. Was sollte sie sagen? Ihre Mutter wollte sic verheiraten, ganz gleichgültig mit wem, wollte sie los sein, und da sich nun eine solche „Versorgung" bot. war Madame de Blois glücklich darüber. Wozu ihr also auseinandersetzen, daß und weshalb aus dieser Heirat nichts werden konnte? Sie hätte es ja doch nicht begriffen und es hätte nur unnötige Aufregung, Jammer und Herzeleid verursacht. „Ob ich es wünsche?" fuhr Madame de Blois fort, „selbstverständlich wünsche ich es. Und denke dir nur etwas Hübsches aus für den armen Hipolyte. Er hat's verdient um dich. Schreibe ihm recht nett. Hörst du, Florence?" „Ja, Mama." „Ich werde nach Tisch der Madame Silvain einen Besuch machen, uwd dabei alles in Ordnung bringen. Ich hoffe, wir werden morgen schon die Karten ver schicken können und die Hochzeit noch vor den Weihnachts feiertagen abhalten. Meinst du nicht, niein Kind?" „Ich fürchte, es wird nicht gehen, Mama", sagte Flo rence und sah starr vor sich hin, als ob sie über etwas nachgrübelte und nicht damit zu stände käme. „Warum nicht, meirv Kind? Laß mich nur machen. ES sicht ja ganz hübsch aus, wenn du etwas retardierst und wird auch auf Hipolyt einen guten Eindruck machen, aber im übrigen läßt man sich in solchen Sachen gern be siegen. Laß mich nur machen. Ich spreche noch heute mit Madame Silvain". „Bitte, Mama, tue das nicht", bat Florence leise. „Warum nicht, mein Kind?" „Warte noch einen Tag damit. Außerdem ich habe heute nachmittag etwas Besonderes vor, wozu ich unseren Wagen brauche. Würdest du mir ihn nicht über lassen können. Ich fahre natürlich nicht allein. Ich nehme Hermana mit." „Wohin?" „Oh nichts. Eine Spazierfahrt." „Du bist so sonderbar, Florence, du freust dich wohl gar nicht? Gefällt dir die Heirat nicht?" „Nein!" sagte sie einfach. „Um Gottcswillen, Kind, mache keinen Unsinn. Wer weiß, ob dir jemals wieder eine solche Gelegenheit ge boten wird. Verlaß dich auf mich, die ich dein Glück will. Wenn das auch nicht gerade so aussieht, wie du dir das vorgestellt hast, glaube mir, das findet sich alles, wenn du erst verheiratet bist. Nur keinen Unsinn, ich bitte dich. Zeige mir lieber erst den Brief an Hipolyte, ehe du ihn absendest. „Ja, Mama." „Und im übrigen, mein Kind, verlaß dich auf mich. Ich sorge für dein Glück und du wirst mir's noch im Grabe danken. Um Gotteswillen, Florence, nur keine Gedanken macken. Man lacht dich auS. Silvain ist, von allem abgesehen, ein ganz guter Junge und wird ein Mnsterebcmann sein, wenn du klug bist. Er liebt dich und will dick glücklich machen, ^lon ckieu, was willst du denn noch mehr?" Daß ihre Mutter Gründe hatte, diese Heirat so viel als möglich zu beschleunigen, das sah und hörte Florence sehr wohl, wenn sic sie auch nicht erfuhr. Sie hätte sie wohl auch nicht erfahren, wenn sie darnach gefragt hätte, aber in dem Augenblick, in dem ihre Mutter mit ihr sprach, war Florence so unschlüssig, so überrascht und ver wirrt, daß sie sich überhaupt nicht mit ihr auseinander setzen mochte. Sie mußte zunächst Ruhe haben, um mit sich selbst zu Rate zu gehen. Unwillkürlich steckte sie den Brief des Herrn Silvain in die Tasche und ging fort. Es war ihr peinlich, noch länger die weisen Ratschläge ihrer Mutter zu hören und zog sich auf ihr Zimmer zurück, um in Ruhe ihre Entschlüsse zu fassen. Einen Wunsch hatte Florence noch, der auch zugleich ihre letzte Hoffnung war. Sie hätte sehen mögen, was Vicomte Andr6 für ein Gesicht machte, wenn sie ihm die sen Brief zeigte. Aber dazu mußte fick doch erst eine Ge legenheit bieten. Wenn sie ibn am Abend vorher gehabt hätte, würde sie cs haben tun können, aber wo sollte sic jetzt, in so kurzer Zeit eine stücke Gelegenheit hernchmcn? Im ersten Augenblick dockte sie daran ihn zu besuchen, wenn nicht anders, heimlich. Aber dann erschien ibr daS denn doch zu verzweifelt, zu tollkühn. DaS hätte doch sehr
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