Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-08-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190408148
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19040814
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19040814
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-08
- Tag1904-08-14
- Monat1904-08
- Jahr1904
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.08.1904
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
4. Beilage Sonntag, 14. Auaust 1904. Leipziger Tageblatt und Anzeiger. Nr. 412. 98. Jahrgang. Feuilleton. Sein erster Schultag. Eine Skizze Don P. He in icke. Nachdruck verboten. „Heit mutzte in de Schul." Dcis war die ganze Borbereitung für Fränzls ersten Schulgüng gewesen. Für Fränzl hatte das auch genügt. Ihn hatte ja das Leben zu einer Zeit auf eigene Fütze gestellt, in der andere Kinder noch sorgsam von liebenden Eltern ge- gängelt werden. Als sich die halbblinde Großmutter die enge Stube hinaustastete, um die Ziege zu melken, zog Fränzl den untersten Kasten der wurmzerfressenen Kommode heraus, entnahm ihm eine Tafel und eine bereits ge brauchte Fibel und verließ damit das Haus. Golden strahlte die Sonne von dem blahblauen Dorfrühlingshimmel hernieder. Ein lauer Morgen wind kam aus dem Tale und blies Fränzl in das un gewaschene Gesicht und über die kurzen, borstigen Haare. Eine Mütze hatte Fränzl nicht. Wozu auch? Wenn er nur seinen Hunger stillen konnte. Den hatte er heute zum ersten Male vergessen. Fränzl hakte aber auch große Sorgen, Sorgen vor dem Ungewissen, das dort unten in dem großen Steinhause seiner wartete. Langsam verfolgte er seinen Weg. Auf einmal blieb er stehen und spähte. Dabei bohrte er mit der Spitze des einen Stiefels, den der Schuster übrigens an einem größeren Fuße angemessen hatte, in den Kot des erst vor wenigen Tagen frostfrei-gewordenen Weges. Der Junge hatte bald das Schulhaus im Tale ent deckt. In seine sonst so verschmitzt und altklug drein schauenden Augen, kam ein nachdenklicher, miß trauischer Ausdruck. Wenn er nicht hinunterginge. Es wurde ja nun immer schöner, und er sollte Tag für Tag da unten in dem großen Hause sitzen und lernen. Lernen Vorsichtig zog Fränzl die Tafel mit der darauf liegenden Fibel unter dem Arme hervor, schob das Buch auf seiner Unterlage zurecht und dachte an die krausen Schriftzeichen. Die sollte er einmal lesen lernen. Das mußte doch sehr schwer sein. Fränzl empfand etwas wie Furcht davor. Er stapfte weiter. „Ostern kimmste nei de Schul", hatte ihm eines Wintertages die alte Frau droben in dem baufälligen Hause gesagt. Und das hatte gerade so bestimmt ge lungen wie damals das: „Dei Muttr is tuet, un ds Tuetn kumme net Widder, un ne Votr Hamm se neis Hundsloch gesperrt, dar kimmt aa net glei Widder." Ja, Vater und Mutter waren wirklich nicht wieder gekommen, aber Elend und Hunger hatten sich dafür eingestellt schon seit langem. Und heute nun müsse er in me Schule gehen. Da gab es kein Entrinnen. Was die Großmutter sagte, die hart und blind wie das Schick sal selbst war, stand unabänderlich fest. So bummelte er den Berg hinab ins Dorf, dem Schulhause zu, in dessen Nähe er sich aufstelltc und wartete. Er war zu früh gekommen. Eine Schar Sperlinge tummelte sich aus der Straße. Fränzl warf heute keinen Stein nach ihnen. Unaus gesetzt behielt er die Tür des Schulhauses im Auge. Endlich kam ein Trupp Mütter mit Jungen in Fränzls Größe. Mit Stolz trugen die angehenden A-B-C-Schützen ihre Ranzen oder Mappen. Und wie fein die Jungen angezogen waren! Fränzl war seit langem damit auspesöhnt, für Sonn tags und Wochentage nur ein Gewand zu be sitzen. Als er aber jetzt die geputzten Jungen sah, wurde ec doch verlegen und beschämt. Am liebsten hätte er sich davon gemacht. Immer mehr Leute kamen mit ihren Sprößlingen und verschwanden im Schulhause. Endlich schlüpfte Fränzl ihnen nach. Sein Herz klopfte beklommen, als er die Treppe hinaufstieg. Leise tappte er hinter einigen Frauen her. Vor einer offenen Tür staute sich eine Menge von Frauen, Männern und Kindern. Niemand bekümmerte sich um Fränzl. So zwängte er sich, keck geworden, zwischen die Dastehenden und stand auf einmal im Schulzimmer. Ein freundlich dreinschauender junger Herr rief aus einem Blatt Papier Namen auf. Nach jedem Namenaufruf erscholl ein „Hier" zur Antwort, und ein Junge wurde vorgeschoben, den der „Herr Lehrer" unter Zureden bei der Hand nahm und auf eine der vielen Bänke brachte. Fränzl wartete nicht, bis er gerufen wurde. Un- bemerkt erreichte er eine Bank und nahm Platz. Hier fühlte er sich sicher und unbeobachtet. Der Lehrer war fortwährend in Bewegung und hatte zu tun, seine Schäfchen zusammenzubringen. Er tat es mit wirklicher Freundlichkeit. In seiner Stimme lag sehr viel Güte. Fränzl dachte Plötzlich an seine tote Mutter,- die war auch immer so mild und freundlich gewesen. Tie Großmutter konnte nur schimpfen, am meisten, wenn er oder seine Geschwister Brot verlangten. Fränzl kam es vor, als kenne er den Lehrer schon längst. Er fühlte sich gleichsam in die warme Frühlingssonne gerückt. Etwas Starres löste sich von dein kleinen, schon so verschlossenen Herzen des Mutterlosen. Wie Heim weh quoll es in ihm auf und leise Hoffnung, etwas Verlorenes, unendlich Schönes zu finden. — „Franz Kurzenberger", erscholl die Stimme des Lehrers. „Franz Kurzenberger!" Fränzl war zusammcngefahren. Da war am Ende er, das „Korznfränzl" gemeint. „Hier!" rief er und wurde krebsrot. Fränzl wünschte sich weit weg, als sich die lachenden Gesichter der Männer und Frauen ihm zuwandten. „Du hast dir also schon einen Platz gesucht. Es ge fällt dir gewiß recht hier. Das ist schön." Der Lehrer lächelte dem Jungen zu, der ihn erwartungsvoll ansah. Der Lehrer nahm seine Tätigkeit wieder auf. Fränzl saß bald wieder unbefangen da. Er verwandte kein Auge von dem Lehrer. Der ge fiel ihm, den konnte er schon gern haben, vielleicht so gern wie die Mutter . . . Dann musterte Fränzl seinen Nachbar. Der saß steif, die Hände krampfhaft gefaltet, neben ihm. Seine Nase guckte kaum über eine rotseidene Schleife hinweg. „'s is e Firnahmer", dachte Fränzl. Er kannte keinen der Jungen. Sein täglicher Spielkamerad, der Schusterlobl vom Waldwärter, der auch oben auf dem Berge am Walde wohnte, kam erst nächstes Jahr in die Schule. Endlich saßen sämtliche Kinder auf den Plätzen. Der Lehrer sprach noch einiges zu den Eltern, die darauf das Zimmer verließen. Der Lehrer lächelte befriedigt, als er die Schar der Neulinge überblickte. Da heulte einer der Jungen los: „Ich will Ham zer Mutter." Gewiß, er würde sie gleich heimschicken, tröstete der Lehrer. Nur müsse er ihnen erst etwas Schönes geben. Damit näherte er sich dem Schranke neben dem Pulte und öffnete. Die Jungen machten lange Hälse und: „Zuckertutn! Zuckertutn!" ging's durch die Schar der Kleinen. „Ja, und sie gehören euch. Ich habe sie vom Zucker- tütenbaum geschüttelt. An jeder Tüte seht ihr einen Zettel. Hier! Da steht darauf, wer die Tüte be kommen soll. Und nun will ich sie nur schnell aus teilen, damit ihr wieder zur Mutter kommt", plauderte der Lehrer. Daß die meisten Jungen über den Tüten baum gelacht hatten, nahm er nicht übel. Fränzl war starr vor Staunen. „Sette grüße Tute" hatte er noch nicht gesehen. Und „Zuckerstickle" drin! — Freudeglänzend hingen seine Augen an dem Lehrer, der unter Scherzen die Tüten verteilte. „Jech krieg aa aane, un ene grüße, 'r war doch vurneh su gut miet dr", ging's ihm durch den Kopf. Auf einmal stutzte er. „Woos is 'n des?" Ein Junge erhielt eine ziemlich kleine Tüte. „Sie ist nicht größer gewachsen", erklärte der Lehrer. „Aber es sind genau so feine Sachen drin wie in den anderen." Fränzl erschrak bei dem Gedanken, daß feine Tüte vielleicht auch so klein sein könnte. Er hatte sich schon eine recht große und bunte ausgemalt. Jetzt war sein Nachbar mit einer Tüte bedacht worden. Sie war groß, ganz mit Goldpapier beklebt und mit Gaze verschlossen. Apfelsmenduft stieg Fränzl in die Nase. Er wagte kaum zu atmen. Nun würde er an die Rejhe kommen. Sein Herz schlug heftig. Er starrte erwartungsvoll in den Schrank. Aber der Lehrer rief einen anderen Namen und immer wieder einen anderen. Jetzt waren noch drei Tüten vorhanden. Fränzl wurde es ganz heiß. Er rieb die gefalteten Hände aneinander, rückte unruhig auf seinem Sitze hin und her und schaute den Lehrer gespannt an, der nun die letzte Tüte dem Schranke entnahm. „Die is mei." Fränzl fuhr schon in die Höhe und streckte die Hände aus — da rief der Lehrer einen fremden Namen. Ein leiser Schmerzeüslaut entfuhr Fränzl. Er schluckte und würgte. Seine Augen standen voll Tränen. Das Zimmer tanzte um ihn und der Lehrer rückte in weite Ferne, ein schwarzer Fleck, der sich be wegte und seine Form fortwährend änderte. Jetzt näherte sich der schwarze Schatten. Dumpfes Murmeln schlug an das Ohr des wie betäubt dasitzenden Jungen. Es wurde lauter, und jetzt sah Fränzl den Lehrer wieder vor sich, ihm zuredend. Fränzl verstand nichts. Aber er kämpfte die Tränen zurück und schien ruhiger. Langsam formte sich in seinem Popfe die Frage: „Fer wos Hot 'r fer miech kaane, fer wos net?" Nun konnten sie gehen. Wie von Hunden gehetzt rannte Fränzl davon, den Weg nach dem Berge zu. . Oben angekommen, warf er Tafel und Buch in den Kommodenkasten und schlüpfte auf den Dachboden hinter einen großen Heukorb. Fränzl weinte sich aus. Dann sann er nach. Er dachte weniger an die Tüte. Seine Gedanken beschäftigten sich mit dem Lehrer, dessen freundlichem Gesicht und milden Worten. Und auf einmal blitzte es gehässig in den Augen des Jungen auf. „Lügngusch!" klang cs in ihm auf. Wie Er leuchtung und Befreiung wirkte dieses Wort aus ihn. „Lügngusch!" sprach er vor sich hin. Mit boshafter Freude wiederholte er immer wieder: „Lügngusch, Lügngusch — Enttäuschung, Wut und Haß vereinigten sich in diesem Worte, und das große Weh seines liebesuchenden Herzens, das von der Pforte des Paradieses getrieben worden war, als sie sich ihm eben öffnen wollte. „Lügngusch! Lügngusch!" Fränzl hatte überwunden. Ruhig ging er hinunter, suchte sich ein Stück Brot und trat vors Haus. Trotzig schaute er ins Tal. Morgen würde er nicht hinuntergehen. Dann aß er fein Brot. Kiichertisch. * Traum tn den Herbst, s Z^j Romane von I n" Tom der Reimer, j Max Geißler, j °°n Hermann Geißler, der bekannte Lyriker und Verfasser des Romans „Jochen Klähn" legt uns gleichzeitig diese beiden neuen Romane vor. Im „Traum in den Herbst" gehen zwei Kreise nebeneinander und be rühren sich lose. Der eine sit eine Dorfgeschichte, deren Helden der konservative Bauer Hauswald nebst seiner Tochter Lina und deren Werber Rasche sind, und eine Stadtgeschichte von dem Lehrer Gilbert Bach, seinem parvenüartig blasierten Weib Maria und dem sympathischen Schriftsteller Hrrtwig Reif, weichem Geißler viel Eigenes zu leihen scheint. Beide Geschichten gehen von demselben Dorfe aus, dann gehen sie auseinander; nur ideell überbrückt von dem Gedanken, day Hauswald wie Gilbert Bach einen „Traum in den Herbst des Lebens" träumen. Der Roman bat großen Stim- mungsaehalt, namentlich in seinen Dorfscenen, in den Träumen am Gardasee und in den Schlußkapiteln. Dagegen erscheint er in dem Aus druck seiner künstlerischen Absichten ein wenig über den Rabmen des Romans hinauszugehen; die Zeichnung der Maria und die Aeußerungen Reifs über eine volkstümliche Kunst, beides höchst interessante und kräftige Strichzeichnungen, entbehren ein wenig der künstlerische« Verklärung, was doch bet einem Dichter wie Geißler, der Schönes schreibt und schreiben will, Eintrag tut. Aber vielleicht gefallen diese Stellen gerade denen, die deutlichere Form und etwas treffenden Spott lieben. — Anders mutet „Tom der Reimer" an; anders, soweit eben ein Dichter mit eignem Stil anders schreiben kann; aber soweit gehen auch die beiden Werke in der Tat auseinander. Hier un „Tom der Reimer" romantische Schönheitskunst nach der alten Schule, und doch mit ergreifenden wunderschönen neuen Bildern. Der Bilderreichtum ist es auch, der diese Erzählung zu einer bedeutenden Erscheinung hoher Formenkunst macht. Den Inhalt bilden die schottischen Vor gänge unter Heinrichs II. Regierung. Thomas Learmont und Robm Hood reiten durch die schottischen Bergwälder, Lady Clifford und Lady Linn verschönen die Lande mit ihrer sonnigen Anmut. Dennoch ist das Ganze mehr Schilderung als Er zählung, es sind Zustandsbilder mehr als psychologische Entwickelung, Naturschilderung mehr als Seelenkämpfe. Das wäre kein Fehler, wenn nicht die Sorgfalt, die auf die Form gelegt ist, hier und da allzusehr auf dem Kothurn schritte und daher den Eindruck des Künstlichen, des Gemachten erweckte. Hier gebt die Romantik selbst im Romantischen zu weit, und die Neu romantik Geißlers würde zu ihrem eigenen Frommen gut tun, wenn sie die psychologischen Werte des Naturalismus hinzutäte zu der dem Dichter vortrefflich anstehenden reinen Weihe der Form. Damit braucht sie keineswegs dem Naturalismus weitere Konzessionen zu machen. Im „Traum in den Herbst" hat Geißler das ja auch versucht, und aus diesem Wege wird er allem Anschein nach zu seinem ureigenen Stil gelangen, der mit den dem Dichter eigenen warmen vollen Tönen und der scharfen Beobachtungsgabe von lite rarischer Bedeutung werden kann. Erfreuen aber werden sich Freunde künstlerischer Prosa und seiner Erzählunaskunst an beiden Werken, und die Ausstellungen sollen mehr dem Dichter gesagt sein als de« Lesern; denn sie sind doch immerhin zu subjektiver Art, als daß sie dem Urteil der Leser vorgreifen wollten. vr. L. Ausstellung von über 100 MuslerÄmmern Lieferung franiro staur ststaloae lrsrieufrel uuck frsuks redeiinntitit reeiemeo« * 6lietNNlt2 * Mnrterlager Leiprig ktablirrement kür einfache «na vornehme lllobnungseinrichtunge« una lnnen velroralisn LL MSbelksbrilr Notker h stulme Muster -Ausstellung lrsmplener Ammer Leipzig * LeplaMam i kcire sturprinrrrrarre Nerichtigung iraerreit bereitwillig;! geriatte». ir-r »roureue MeaaiNe, vrerae». lr-7 kdreupreir aer ZtSÜt L-lpÄ-. i-o- «oitieue MearMe, Lwlclra«. i-oo S-iaeue MeaaiNe, edeumitr. r-o- «ottieue MeSiiile, Leipzig. ritt r«» i. «er vauerntlen Sewerbeaurstellung.«««««m Zperialeinrichtung ross,— r-vle pd-r--rrpkirche Addiiauugeu unserer ilSNpiene» INTbrl-eiiilichnmgeii M. UVV.— 2VVV.— 5VVV,—
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder