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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1904
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040702020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904070202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904070202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-02
- Monat1904-07
- Jahr1904
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BezugS-PreiS k txr vaupteyedMon od«r deren Au-gabe» stelle« abqeholt: vierteljährlich 8.—. bei rwetmaliger täglicher Zustellung in« Hau« 8.7L. Durch di» Post bezogen für Deutsch. land n. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut ZettvngSpretSliste. NeZaMou: Johanutdaaste 8. Sprechstunde: Uhr Nachm. Fernsprecher: 153 Erpe-tttau. JohauutSgasse L Fernsprecher: L2L Ftlinlexpedtttaneu: Alfred tzah n.Buchhandlg., UniversttätSstr.3 tFeruspr.Sk. 4046). L Lösche, Latharinea- praße 14 (Fernsprecher Nr 2935) u. KSutgS- Platz7 (Fernsprecher Nr. 7505). Ha«pt-Atlt«le Dresden. Marienpraße 34 (Fernsprecher Amt 1 Nr. 1712): Haupt-Filiale Berlin: EarlDnncker, Herzgl.Bayr.Hofbuchbandlg- Lützowstraße 10(FerusprecherAmtVI Nr.4603.) Abend-Ausgabe. npMer TaMaü Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- «nb des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und des Vokizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 28 Reklamen unter dem Redaktionrstrich («gespalten) 75 nach den Fomitienuach» richten (6 gespalten) 50 xL- Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — teiebühren für Nachweisungen nutz Ossertenannahme 25 Srtra-Vetlagen (gesalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne PostbefSrderung 60.—, mit Postbefürderung 70.—. Annahmeschluß fvr Anzeigen: Ab end« Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen»Ausgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet- au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet voa früh 8 bis abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von S. Pol- tu Leipzig (Inh. Or. V., R. L W. Lltukhardt). Nr. 333. Sonnabend den 2. Juli 1904. 98. Jahrgang. Var Aicdtigrte vom rage. * Der Kaiser ist heute morgen 8*/r Uhr auf dem „Meteor" von Kiel nach Travemünde abgefahren. Die Regierung in Osnabrück löste den evangelischen Schulvorstand zu Bramsche auf, weil die Mitglieder, dem sozialdemokratischen Wahlverein angehören. * Zwischen dem griechischen Unterrichtsminister S ta'iS und dem Deputierten Hadjipetros hat ein Duell statt gefunden, bei dem der Deputierte ums Leben kam. Der Minister hat seine Entlassung gegeben. rb anarcbirtircde Leitungen erscheinen nach einer vom anarchistischen Komitee gemach- ten Zusammenstellung in der Welt. Australien und Asien scheiden aus, Afrika ist nur durch 3 anarchistische Zei- tungen vertreten, von denen zwei „L'Operais" und „Lux" in Alexandrien, „II Domani" in Kairo erscheinen. Die übrigen 83 anarchistischen Zeitungen kommen auf Ame rika und Europa. Der Löwenanteil entfällt auf Europa, das 55 anarchistische Zeitungen aufzuweisen hat; aufAinerika kommen 28. Südamerika ist mit 16 anarchistischen Zeitungen, Mittelamerika mit 2 und Nordamerika (Vereinigte Staaten) mit 10 vertreten. Drei anarchistische Zeitungen erscheinen in New Aork, darunter die berüchtigte „Freiheit" von Most, drei in Chicago (alle in deutscher Sprache: „Arbeiterzeitung", „Vorbote", die „Fackel"), eine in Brooklyn, eine in Barre, eine in San Francisco und eine in dem bekannten Anar- chistennetz Paterson, das ja anläßlich der Ermordung des Königs Humbert eine so traurige Rolle gespielt hat. In Paterson wird das schlimmste Hetzblatt „La Questione Soziale" herausgegeben. Cuba hat zwei anarchistische Zeitungen, Brasilien 5, Argentinien 6, Uruguay 2, Para guay 1, Chile 2. Es sind wohl meistens Italiener und Spanier, die hier den Stamm der anarchistischen Zei tungen bilden. In Europa ist Italien das Land, welches die meistenanarchistischen Zeitungen aufzu weisen hat. 13 erscheinen hier, davon zwei in der Haupt- stadt Rom. Eine der bekanntesten ist „L'Agitazione", das die Licblingslektüre des Mörders des Königs Humbert und der Kaiserin Elisabeth gebildet haben soll. Drei anarchistische Blätter erblicken in Genua das Licht der Welt. Spanien, das angeblich vom Anarchismus am meisten durchwühlte Land, hat 8 anarchistische Blätter aufzuweiscn, davon erscheinen 3 in Madrid und 3 in dem Anarchishmherd Barcelona. In der großen Streikbewegung vorigen Jahres spielt namentlich der „El Products" in Barcelona eine her vorragende Rolle. Spanien hat die hervorragendsten anarchistischen Schriftsteller: Teresina, Claramunts und Bonafulda sind in der ganzen anarchistischen Welt be kannt. Das kleine Portugal hat 5 anarchistische Zei tungen, 3 davon erscheinen in Lissabon. Holland hat 6 anarchistische Zeitungen, durch den früheren Sozial demokraten Domela Nieuvenhuis, der früher Geistlicher gewesen sein soll, ist die anarchistische Bewegung in Holland stark in die Höhe gekommen. In Belgien er scheinen 3 anarchistische Zeitungen (Lüttich, Brüssel, Ant werpen), in Frankreich 4 (alle in Paris), in England 3 (alle in London), in Oesterreich 4, darunter keine in deutscher Sprache. Hier sind die Träger des Anarchis mus Polen und Tschechen; die Zeitungen erscheinen in Hrobech, Prag, Lemberg und Brno Arnoldora. Deutsch land hat 2 anarchistische Zeitungen: „Der freie Arbeiter" und der „Anarchist"; in Berlin erscheinen sie beide. Der „Anarchist" ist nur in einem ganz kleinen Kreise v'erbrei- tet; „Der freie Arbeiter" soll über 3000 Abonnenten haben, davon zweifellos sehr viele in den Polizeidirek tionen. Es geht aus dieser Zusammenstellung klar hervor, daß die Romanen in erster Linie die Träger der anarchi stischen Ideen sind, die germanischen Völkerschaften sind im allgemeinen für diese verbrecherische Hirngespinste nicht zu haben. Leider ist die Hoffnung zur Zeit ge schwunden, daß das anarchistische Hauptorgan in Deutsch land „Der freie Arbeiter" wegen Mangel an „Muni tion" eingehen würde. Die letzte Quittung ist so groß wie noch niemals; es sind sicherlich über 300 ein gegangen; darunter befinden sich mehrere Zahlen von 30 Der k«5§i5ch japanische Krieg. Meldung Auroxatkinr. Ein Telegramm General Kuropatkins an den Kaiser meldet: Am 28. Juni ging in der Umgebung der Station Taschitschao und auf den von ihr nach Ssiujan führenden Wegen ein Platzregen nieder, der die Biwaks unserer Truppen unter Wasser setzte. Die Japaner rücken in mehreren Richtungen gegen unsere östliche und südliche Front langsam vor. Auf der südlichen Front ist festgestellt worden, daß japanische Truppen von Süden nach Osten vorrücken, um sich mit der Armee Kurokis zu vereinigen. Eine in der Richtung auf den Dalinpaß ausgeführte Rekognos zierung hat ergeben, daß die Japaner von den Stellungen, die sie am 27. Juni einnahmen, etwas zurückgegangen sind. Die von den Japanern zurückgelassenen Feldwachen in einer Stärke von einigen Kompagnien zogen sich nach einem kleinen Gefecht zurück. Aus der Umgebung von Föngwang- tschöng wird gemeldet, daß am 29. Juni japanische Truppen nach Usanguan, nach dem Fenschuigebirge und nach dem Liaholinpaß im Fenschuigebirge energisch vorrücken. Das Regenwetter hält an. Die Aämxfe rrm jsssrt Arthur. Wie General Schilinski dem Kriegsminister vom 30. Juni meldet, gingen aus Port Arthur Berichte vom 24. Juni ein, nach denen die Japaner auf allen Vorposten stellungen eine rege Tätigkeit entwickeln. Sie unternahmen einen Angriff, um den von ihnen verlorenen Berg Uaiseilassa, 20 Werst von Port Arthur, zurückzuerobern, wurden aber wieder zurückgeworfen. Die russischen Truppen be setzten sogar das Dorf Peihokonam am Nordufer der Hsianpintaubucht. Der Feind unterhielt ein heftiges Fernfeuer gegen den russischen linken Flügel. Das japa nische Geschwader befindet sich in der Talienwanbucht. Gegenwärtig sind 1 Kreuzer, 2 Torpedoboote, 7 Handels dampfer zu sehen. Wahrscheinlich brachten sie Material herüber. In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni er schienen wiederum feindliche Torpedoboote vor der Festung. Am 26. begann der Feind um 4 Uhr morgens in der Hsian pintaubucht das ganze Gebiet im Norden der Bucht bis zum Berge Uaiseilassa von den Schiffen aus zu beschießen. Hierauf griff der Feind mit großen Streitkräften zuerst die Höhe 131, darnach die Höhe 126, beide 20 Werst von Port Arthur entfernt, an. Die letzte Höhe wurde von der Front und im Rücken angegriffen. Zu dem Zwecke war eine geringe Abteilung gelandet. Beide Höhen waren von Freiwilligen besetzt. Nachdem die Freiwilligen drei Angriffe unter großen Verlusten abgeschlagen hatten, gingen sie unter dem Andrange des Gegners auf die Lumoantan- höhe, zwischen den Flüssen Huanmitschan und Lungwangho, 13 Werst von Port Arthur, zurück. Der Feind unternahm mit sehr großen Streitkräften, mindestens eine Division, Angriffe gegen diese Stellung. Alle Angriffe wurden abgeschlagen. Um 3l/» Uhr nachmittags erschienen große feindliche Streit kräfte auf der nach Port Arthur führenden Straße und griffen den Berg Huinsan, 20 Werst von Port Arthurs, an. Die Freiwilligen und Idie beiden Kom pagnien, die den Berg besetzt hielten, zogen sich, da der Feind vom Rücken aus angriff, unter bedeutenden Verlusten zurück. Die russischen Torpedoboote unterstützten die Ruffen, indem sie nach Lumoantan gingen und die vom Feinde besetzte Küste beschossen. Die Russen verloren etwa 200 Mann, 7 Offiziere verwundet. Die Flatterminen explo dierten rechtzeitig; nicht weniger als 50 Japaner flogen dabei in die Luft. Die Verluste der Japaner sind anscheinend be deutend. Den letzten Nachrichten zufolge rücken bedeutende Kolonnen des Gegners von Dalni nach dem Dorfe Suan- zangon an der Eisenbahn, 20 Werst von Port Arthur, und nach dem Berge Guinsan vor. Am 27. Juni fand ein Vor postengefecht im Osten von Lumoantung statt. Die Festungs batterien eröffneten das Feuer auf die feindlichen Torpedo boote. Von, Hort Arthnr-GesÄrwader. * Em Telegramm de- Statthalters Alexejew an den Kaiser vom 30. Juni besagt: Wie der zeitweilige Chef des Geschwaders von Port Arthur in einem heute er haltenen Bericht meldet, sandte er in der Nacht auf den 23. Juni 8 Torpedoboote zum Schutz der Reede aus. Die Torpedoboote zwangen die feindlichen Torpedoboote, sich zurückzuziehen. In dem Gefecht wurden ein Kapitän, 1 Leutnant, 2 Mann leicht verwundet. Gegen Morgen kehrten alle Torpedoboote zurück. Um 8 Uhr morgens gingen nacheinander „Nowik", „Diana", „Askold", „Sewasto pol", „Poltawa", „Zessarewitsch", „Pobjeda", „Tereswjet", „Retwisan", „Bajan" und „Pallada" auf die Reede. Die Schiffe ankerten, da man auf der Reede zwei japanische Minen schwimmen sah, und blieben liegen. Währenddessen fanden andere kleine Schiffe auf der östlichen Seite der Reede gegen 10 Minen und brachten sie zur Explosion. Die Minen waren, wie durch Untersuchung festgestellt wurde, wahrscheinlich in der Nacht von zwei feindlichen Torpedo booten gelegt worden. Um 2 Uhr nachmittags ging das Geschwader, dem Torpedoboote und der Kreuzer „Nowik" voranfuhren, in Kiellinie in See und wandte sich, nachdem es ohne Unfall 8 Meilen zurückgelegt hatte, nach Süden. Während der ganzen Zeit waren zwei japanische Aufklärungs schiffe vor dem Geschwader sichtbar, sowie eine Torpedoboot abteilung. 10 bis 20 Meilen vom Ufer wurde das japa nische Geschwader gesichtet, dessen Kurs den des russischen Geschwaders kreuzte. Es bestand anscheinend aus 4 Schlacht schiffen erster Klasse, einem zweiter Klaffe, 4 gepanzerten Kreuzern erster, "7 Kreuzern zweiter, 5 Kreuzern dritter Klasse, einem AufklärungSschffs, einem Dampfer und 3o Torpedobooten in zwei Abteilungen. Beim Näher kommen des Geschwaders wurde es klar, daß der Feind eine Kreuzerabteilung und Torpedoboote zwischen die Küste und die Ruffen zu bringen beabsichtigte, um nachts mit den Torpedobooten die russischen Schiffe anzugreifen und am Tage mit der gesamten Streit macht den Kampf aufzunehmen. Mit Rücksicht auf die Stärke des Feindes, die der der Russen weit überlegen war, beschloß der russische Geschwaderchef, nach Port Arthur zurück - zukehreu, um den Verhältnissen entsprechend zu handeln und größere Verluste zu vermeiden. Um 7 Uhr abends kehrte das Geschwader um. Der Feind versuchte weder sich zu nähern, noch den Rückzug zu hindern. Gegen 10 Uhr abends traf das Geschwader wieder auf der Reede ein und ging vor Anker. Während der Fahrt wurden auf die letzten Schiffe noch zwei Torpedoangriffe ausgeführt, die zurückgewiesen wurden. Auf der Reede unternahm der Feind trotz der mondhellen Nacht bis Tagesanbruch Torpedoangriffe, die erfolgreich zurückgeschlagen wurden. Morgens sand man in der Nähe der Schiffe beim Ufer 12 Whiteheadtorpedos, die der Feind aus weiter Entfernung abgeschossen hatte, da die Torpedo boote nur bis auf 12 Kabellängen herangelassen wurden. Sie gingen in einzelnen Gruppen zum Angriff vor; mindestens zwei wurden in Grund gebohrt. Morgens wurden die Leichen eines japanischen Offiziers und zweier Matrosen ans Ufer geschwemmt. Die erfolgreiche Zurückweisung der Tor- pevoangriffe, an dem mehrere Batterien teilnahmen, wurde dem Geschwader durch die Scheinwerfer am Ufer erleichtert. Am Morgen gingen alle Schiffe bei hohem Wasserstande in den Hafen. Die Stimmung in Japan. Aus Schanghai wurde nach Petersburg gemeldet: Infolge des Unterganges japanischer Transportschiffe begannen an einigen Orten Japans Volksunruhen. In Kobe ver suchte die Menge das Haus des Vizeadmirals Kamimura niederzureißen. Die Ausländer beginne», Japan zu verlassen. KolMrcbe Lagerrcha«. * Leipzig, 2. Juli. Genosse Schippel und der „Vorwärts". In der gestrigen Nummer beschäftigte sich der „Vorwärts" mit dem neuesten Artikel Schippels in der Chemnitzer „Volksstimme". Die Partei könne von einem Führer ver langen, daß er das, wofür er eintrete, und wofür er die Arbeiterklasse zu gewinnen suche, selbst denke und empfinde. Nur zu einem solchen Mann könne die Partei Ver trauen haben, nicht aber zu einem, der für alles, was er seit 20 Jahren für die Partei getan, nur noch cynischen Spott übrig habe. Der „Vorwärts" schließt seinen kurzen heftigen Kampfartikel, in welchem er Schippet des in ihn gesetzten Ver trauens der Partei für verlustig erklärt, als Antwort auf die Schippelsche lange und mit ätzendem Sarkasmus gefüllte Polemik gegen KaulSky und gegen die „offizielle, in überkommenen Schablonen befangene Sozialdemokratie", mit den Worten: „Man wird angesichts solcher Auslassungen zu der Annahme geführt, daß sich Schippel der Tragweite seiner Worte nicht ganz bewußt ist." — Die sozialdemokratische Parteizentrale, die seit vielen Jahren in den Genossen Schippel ein solches Vertrauen setzte, daß sie ihm die Leitung des Parteiarchivs überließ, stellt ihn jetzt als geistig minderwertig, als unzu rechnungsfähig hin, als einen Mann, der nicht weiß, was er tut! Nur der Genosse, der völlig und blindlings sich auf die Feuilleton. H Die Entgleisten. Roman von Caroline Deutsch. Nachdruck verboten. „Erinnere dich, Mutter! ... Ich war schon (als Kind schwerfällig und grüblerisch. Wie oft habe ich dich als Knabe mit Fragen gequält, die kein Ende nehmen wollten. Erklärtest du mir den Ursprung unseres Flusses, wollt' ich wissen, wie er in den Berg kam, wie sich seine ersten Tropfen sammelten . . . Das Stückchen Holz, mit dem ich spielte, zerlegte ich in die kleinsten Splitter, Steine zerschlug ich zu Staub, um noch etwas anderes zu finden, als bloß Holz und Steine . . . Wenn man erwachsen ist, nehmen die Gedanken die Arbeit des Zer splitterns und Zerklopfens . . ." „Das liegt in deinen Jahren, Andreas, die Jugend kann nicht stille stehn, man nennt es: Sturm und Drang." Er sah sie mit großen erstaunten Augen an, dann schüt telte er den Kopf. „Sturm und Drang?!... wie soll denn das zu uns kommen? — Zwei große deutsche Dichter habe ich gelesen. Schiller und Goethe und auch den Heine und unfern einzigen Petöfi!... es war lange vor der Priester- weihe, und ein Freund hat sie mir heimlich geborgt . . . Siehst du, Mutter, da ist Sturm und Drang!" Andreas' ». bleiches Gesicht rötete sich, in seine stillen Augen trat ein tiefes Feuer. „Da braust und rauscht es wie von taufend Quellen, wie der Wind, wenn er sich in unfern Bergen losreiht, wie wenn im Frllhlingswetter der Bach von den Höhen stürzt . . Ein solcher Geist dringt aber nicht in Klöster und geistliche Schulen . . ." „Ueberall hin, wo die Jugend wohnt", sagte die Pflegemutter mit leisem Lächeln, als läge sie dem, was er ihr bekannt, keine allzugroße Bedeutung bei. „In ! zedeni jungen Baum schwellen in der Feüh.'ingszcit die Säfte, mag er wo immer stehen. — Je weniger es jungen Menschen gegeben ist, sich nach außen auszustürmen, desto mehr gärt es in ihrem Geiste . . - Doch glaub' mir, mein Sohn, das ist auch nur eine Episode und oft nur eine sehr kurze .. . Man kommt rascher darüber hinweg, wie über so manches andere im Leben." — Trotz der heiteren Ruhe und Zuversicht, die in ihren Worten und mehr noch im Ausdruck ihrer Stimme lag, sah er heimliche Sorge in ihren Augen und da lächelte er sie beruhigend an. „Gewiß, liebe Mutter, so wird es kommen. Und du hast ja recht, ein anderes Leben beginnt jetzt für mich ... ich werde bei Euch, ich werde andern etwas sein können, und selbständiges Wirken macht die Seele frei, wie du so schön vorhin sagtest. — Weißt du, Mutter, so aus sich heraus können, graben, ackern, Holzhacken, so ein paar Stunden harter Arbeit am Tage, wo die Brust sich dehnt und jede Muskel sich spannt! . . . das . . . das müßte gut tun! — Wieder trat der Ausdruck verhaltenen Feuers in seine Augen. „Dies Vergnügen kannst du dir, so oft du willst, machen, Andreas, nur darfst du keine Zuschauer dabei haben", versetzte Frau Charlotte scherzend. „Ich glaube, das wäre für die Leute noch befremdlicher, als wenn du bei uns im Schlosse bliebest, doch jetzt, gute Nacht! Es ist spät, du solltest schlafen. Gott segne deine Heimkehr, mein lieber Sohn I" Sie küßte ihn zärtlich auf die Stirne und wandte sich zur Türe. Aber noch einmal kehrte sie zu ihm zurück. - „Versprich mir eines", sagte sie. „Was du willst, Mutter." „Was dich auch quälen und bedrücken mag . . . komm' zu mir damit!... So wie ich, versteht dich doch niemand." „Du brauchst es mir nicht erst zum Bewußtsein zu bringen, was du mir bist, Mutter . . . Heimat, Liebe, Frieden, das alles bist du für mich." — Und wieder nahm er ihre Hand und küßte sie. Andreas schlief in dieser Nacht wenig. Er lag mit offenen Augen in seinem Bette und starrte nach den gegenüberliegenden Fenstern, durch die der Himmel mit einem kaum bemerkbaren Schein hereinblickte, da die Vorhänge nicht zugezogen waren. Wie vom Sturme aufqescheuchte Vögel, so jagten sich Gedanken und Erinnerungen in seinem Geiste . . . Warum hatte er der Mutter einen Einblick in sein Seelenleben gewährt, und sie dadurch beunruhigt? Wa rum sie ahnen lassen, daß er nicht glücklich, nicht befrie digt sei, wo doch sein Glück der einzige Dank, der einzige Lohn für ihre Liebe und Güte gewesen wäre? — Dann sah er sich wie am Nachmittage im Parke, am Fluß, bei der Sägemühle, und Manschte: neben sich, wie ihr die Sonne auf das krause braune Haar schien und in das junge Gesicht lachte . . . Und merkwürdig — neben diesem erwachsenen schlanken Mädchen sah er zu gleicher Zeit die kleine Marischka von ehemals hcrschreiten, im kurzen Röckchen, mit flattern dem, zerzaustem Haar, den mutwilligen und zugleich so herzigen Blick in den Schelmenaugen. Waren diese beiden Gestalten eine und dieselbe? Sie waren es; nur das die große Marischka etwas Fremdes, Wunderbares umgab . . . etwas, das Scheu und Staunen zugleich einflößte. — IX. Bethlen Lavadi hatte angefangen, alle Brücken hinter sich abzubrechen. Er war nm seinen Abschied eingekom men und hatte einem Freunde in der Hauptstadt den Auf trag gegeben, die Einrichtung seines Junggesellenheims zu verkaufen, mit dem Erlös die Schulden, die er ihm an gab, zu begleichen, und wenn noch etwas übrig bliebe, es ihm nach Turdova zu senden. Viel würde das wohl nicht werden, und vielleicht reichte es nicht einmal für die stattliche Summe seiner dortigen Verpflichtungen . . . Bei derartigen Anlässen ging das Wertvollste zu Schleuderpreisen weg und seine Einrichtung hatte ihn schwere Tausende gekostet . . . Doch das war einmal nicht zu ändern, wie so manches andere nicht. — Vielleicht war das Einreichen um den Abschied ein zu übereilter Schritt, ein längerer Urlaub wäre fürs erste ausreichend gewesen. Er hatte es aber in einer ver zweiflungsvollen Stunde getan. Bei seiner plötzlichen völligen Mittellosigkeit war ihm der Gedanke an die Sol datenkarriere unerträglich geworden. Nach der Haupt- stadt zurückzukehren, war für ihn eine reine Unmöglich keit. Und sollte er sich in eine kleine Garnisonstadt ver- setzen lassen, in eines jener öden Nester vergraben, wo Geist und Seele verkümmern?! — Dann lieber Herr auf der eigenen Scholle sein, so dürftig und mager diese auch sein mochte! Zum Leben hatte Bethlen fürs erste, da er bis zum definitiven Abschied sein Gehalt bezog, und bis er ihn in Händen hatte, konnten Wochen und Monate, konnte der Sommer vergehen. In Turdova war es undenkbar, noble Liebhabereien zu befriedigen und ein Verschwender zu sein; sein Offi- zicrsgehalt war hier ein Vermögen zu nennen, und er hätte Ersparnisse machen können, wenn nicht auch hier Schulden an allen Ecken und Enden gelauert hätten, die von dem Verstorbenen herrührtcn und die in erster Reihe zu bezahlen Ehrensache für ihn war. Die große Sorge trat an ihn heran, Aussaat, Geräte, Arbeitskräfte anzuschaffen, wenn er die Felder anbauen wollte. Der junge Mann hatte überhaupt keinen Be griff von der Landwirtschaft; er war auf die zweifelhaften Kenntnisse des alten Dieners angewiesen und auch auf ein paar Bücher landwirtschaftlichen Inhaltes, die er in der Bibliothek seines Vaters gefunden, an die er sich mit guten Vorsätzen zwar, aber doch seufzend und schweren Herzens machte . . . Der Pfarrer konnte ihm seiner Meinung nach in die sen Dingen nicht helfen, und vor den anderen Herren, die er auch schon kennen gelernt hatte, wie Kommissar, "Notar, den Doktor, Apotheker, mit denen er hie und da im Wirtshaus zujammcnkam, sct-ämte er sich, seine gänz-
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