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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1904
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1904-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19040709019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1904070901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1904070901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1904
- Monat1904-07
- Tag1904-07-09
- Monat1904-07
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Juli 1904. vn-eigm-Pret- die 6 gespaltene Petitzelle SS Kella««« unter dem RedaltiouS-rt- (4 gespalten) 7b H, «ach deu Familieuuach- richten K gespalten) bO Tabellarischer und Hisfrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Ossertrnannahme 2b Extr«-Veilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, oh«« Postbrsvrdrrung ^il 60.—, mrt Postbrsördrruug 70^—. «nnahmeschluß für Anreise«: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen stad stet» an di« Expedition zu richte». Di« Erveditiou ist Wochentag» ununtuLrochrn geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Druck and Verlag von G. Volz tu Leipzig (Inh. Dr. B, R. » W. Kltulhardv. 98. Jahrgang. Var Wichtigste vom rage. * Der König von Sachsen ist mit Gefolge nach Beendigung der Kur gestern nachmittag gegen 5 Uhr von Ems nach Gastein abgereist. — Der Kronprinz von Sachsen ist gestern nachmittag mit seinen Kindern zu dreiwöchigem Aufenthalt nach Schmecks in der Hohen Tatra abgereist. * Der „Konflikt" desbayerischenKrieq 8- Ministers mit dem Landtagsabgeordneten vr. Pich ler (Zentrum) ist durcb Vermittelung der Regierung bei- gelegt. (Siehe Deutsches Reich.) * Die sozialdemokratische Fraktion des bayerischen Abgeordnetenhauses hat an den Präsidenten des Hauses eine Zuschrift gerichtet, in der eine Klärung des Derkehrsverhältnisses mit der Reichsratkammer gefordert wird. (Siche Deut sches Reich.) sirrr v. Witte «na veutrcdlanä. Herr v. Witte kommt nach Berlin, und die -Offiziösen haben ihm bereits ein paar Bonbons an den Bahnhof gesandt. Herr v. Witte kommt nach Berlin, und — er wird der Mann des Tages sein. Die Reichshauptstadl ist dem vielgenannten Russen nicht unbekannt, er war mehrmals hier, allerdings immer inkognito, meist nur auf kurze Stunden. Dann fuhr er wohl nach seiner Agentur in der Kaiserin Augusta-Straße, solange dort noch der kluge und feine Timirjasseff seines schwierigen Amtes waltete, einmal sogar nach der Botschaft. Damals soll er auch den Wunsch geäußert haben, mit einigen Kollegen von der deutschen Politik Rücksprache zu nehmen, in der Wilhelmstraße aber soll man sanft geflüstert haben: „Lieber Witte flieg' weiter!" Und er flog weiter, nach Paris, nach Brüssel, nach London, geheimnisvoll und darum um so eifriger benierkt. Was hat man damals alles getuschelt von großen Finanztransaktionen und in ternationalen Vorbereitungen! Nun kommt Herr v. Witte wieder nach Berlin, an getan mit dem offiziellen Amtspurpur. Weit werden ihm die Türen aufgetan. Als er seinerzeit das Finauzporte- feuille abgegeben hatte und Vorsitzender des russischen Ministercomites geworden war, wußte zunächst niemand, ob er unfreiwillig die Treppe emporgefallcn war, oder ob er sich freiwillig rechtzeitig möglichen Konsequenzen der von ihm inaugurierten Politik entzogen habe. Da kam die Nachricht, daß der Zar ihm auch fernerhin die Leitung der Handelsvertragsverhandlungcn übertragen habe. Aus der aktiven Politik verschwunden war also Witte auf keinen Fall, man würde wieder von ihm reden und reden müssen, nicht heute, nicht morgen, aber eines Tages. In Deutschland haben wir unzählige Organisationen und Organisatiönchen, die in irgend welcher Weise der Vorbereitung der Handelsverträge dienen wollten oder dienen sollten. Außer den zuständigen Stellen und ihren beratenden Faktoren, welche in der Tat seit fünf Jahren ein riesiges Stück Arbeit geleistet haben, gibt es private Interessenvertretungen mannigfachster Art. Gewiß sind von privater Seite in Sachen der Handelsverträge recht wertvolle Anregungen ergangen, im ganzen aber kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, daß der Lärm ein bißchen sehr groß war und daß dem lauernden Ausland ein Bild der Zerfahrenheit und Disziplinlosigkeit manch mal in einer für den Patrioten recht unerfreulichen Weise enthüllt wurde. In Rußland haben sich alle Vorbereitungen hinter dichten Kulissen abgespielt. Nicht einen Augenblick hat sich Herr v. Witte, haben sich seine Agenten „decouvriert". Diese Agenten vor allem waren es, die dec Welt zeitweise etwas zu raten aufgabcn. Herr v. Witte, oder vielmehr sein früherer Unterstaatssclrctär Kowalewski, der so jäh in der Versenkung verschwinden sollte, hatte ein großarti ges wirtschaftliches — Spionagesystcm organisiert, ein System, in dessen Rahmen die ersten Finanz- und Wirt schaftspolitiker des Zarenreiches Gelegenheit zu sehr wir kungsvoller Betätigung fanden. Auf Berlin, Paris, Lon don und Washington waren vier Hauptagenturen ver teilt worden, die ganz im Stillen ihre Fäden spannen, unaufhörlich spürten und tasteten, lauschten und sammel ten, berichteten und gelegentlich wohl auch auf eigene Faust intrigierten. Nach dieser Richtung hin ist vor allem der ehemalige Londoner Vertreter des Herrn v. Witte, Serge Tatischtschcw, hervorgetrctcn, der nicht nur in dem Privatbureau Lord Revclstokes, des Seniorchefs der Firma Baring Brothers, ein gerngeschcncr Gast war, sondern es auch nicht verschmähte, in den Salons des Franzosen Herrn Werselitzki mit den „geistigen Trägern" jener dreibundfeindlichen „Allianz" Fühlung zu nehmen, deren Emanationen wir in den Reden und Schriften der Herren AndrS Chäradamc-Paris, Nowland Blennerhasset- London, Kramarsch-Prag, Ugran-Pest usw. zu kosten be kamen. Wir haben Herrn Tatischtschew auch jüngst in Berlin erlebt, wo er Herrn v. Witte in etwa» plumper Weise präludierte, indem er dem Vertreter einer Kor respondenz erklärte, Rußland werde zwar den Handels vertrag abschließen, aber nur — aus Sympathie mit den deutschen Agrariern. Etwas naiv! Nun kommt Herr v. Witte selbst. Wird er unsere Unterhändler einig und gewappnet finden? Man hat auch in Deutschland in letzter Zeit geglaubt, in puneto Diskretion etwas nachholen zu müssen, man hat es nicht ehr geschickt gemacht; der Laie erhielt fast den Eindruck, als solle einer ungünstigen Sachlage ein Mäntelchen um gehängt werden, ganz schlecht Informierte tuschelten so- gar von „Uneinigkeit vor dem Feind!" Wenn man bei uns etwas recht diskret betreiben will, so geschieht das meist mit einem großen Aufwand von Geheimniskräme rei, die dann die Neugierigen zu wilden Kombinationen, die Indifferenten zur Neugier und die Wissenden — zum Lachen reizt. Vertragsverhandlungen wie die jetzt zu ährenden vertragen eine atemlose Spannung weiter Volkskreise noch schlechter als die absolute Öffentlichkeit. Es muß daher von vornherein alles vermieden werden, was eine solche Spannung erzeugen könnte. Handels- vertragsverhandlungcn sind ein Geschäft, man betreibe sie sachlich und geschäftsmäßig und verzichte auch auf halbe Worte und vieldeutige Anspielungen. Wohin diese füh ren, kann man jetzt gelegentlich der russischen Anleihefrage beobachten. Der eine will wissen, die Negierung habe den Großbanken einen Wink gegeben, sich russische Geld- begehren gegenüber zurückhaltend zu zeigen, so lange der Handelsvertrag nicht unter Dach und Fach gebracht sei, und die hieran geknüpften Erörterungen haben in Ruß land, wie zuverlässig versichert werden kann, sehr vcr- timmt. Herr v. Timirjasseff fühlte sich zu der Aeußcrung gedrungen, es könnte gerade im gegenwärtigen Augenblick einen wenig „fairen" Eindruck machen, wollte man eine „Iunktion" zwischen Anleihe und Vertrag schaffen. Ander seits wurde davon geredet, daß die deutschen Banken zwar sehr „loyal täten", daß aber in Wirklichkeit schon die erste russische Anleihe mit deutschem Gelde bestritten worden sei, wobei man die Banque de Paris-Gruppe nur als Kulisse benutzt habe, und daß auch die zweite russische An- leihe diesen Weg nehmen werde. Das ist natürlich alles barer Unsinn, aber ein nicht ganz unbedenklicher Unsinn immerhin, wenn man die Resonanz im Auge behält. Es wäre durchaus unrichtig, behaupten zu wollen, daß derartige Kommentare eine notwendige Begleiterschei nung aller diskret betriebenen Angelegenheiten seien, sie sind es nur bei „geheimnisvoll" betriebenen. Herr von Witte kommt nach Berlin und die Offiziösen und Halb- offiziösen schicken sich bereits wieder an, der Welt klar zu machen, wie viel sie wissen, aber — „nicht sagen dürfen". Sie brechen in das Gebet aus, daß die bevorstehenden Konferenzen ein befriedigendes Ergebnis haben möchten. Den Wunsch teilt jeder, der sich klar macht, was ein vor teilhafter, langfristiger Handelsvertrag mit Rußland, der die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder auf eine dauernde Basis stellt, für Deutschlands ökonomisches Leben zu bedeuten hat. Zu der Erfüllung jenes Wunsches kann die Allgemeinheit jetzt nur noch wenig beitragen, sie kann sie aber erschweren durch törichte Reden und unzeit gemäße Gefühlsausbrüche. Wenn Herr v. Witte nach Berlin kommt, da hat auch er stets eine Frage im Auge zu behalten: „Wer ißt Roggenbrot?" Auch Rußland braucht den Handelsvertrag und Herr v. Witte bedarf unseres Entgegenkommens wie wir des seinen — ein Ge schäft, und ein ehrliches Geschäft! Es wird nichts ge schenkt und nichts verschenkt, meine Herren. Darum: etwas mehr Haltung, meine Herren! Das kann niemals schaden. Der rurrttcb-japanircde Krieg. Ver Vormarsch -er Japaner ans Lort Arthur. Reutermeldung aus Tschifu: „Ein als glaubwür dig angesehener Chinese", der von der Ostküste Liautungs unweit Port Arthur in Tschifu eingetroffen ist, berichtet: Eine Division der japanischen Armee erreichte am 5. Juli den Nordostabhang des Takuschan-Berges, dessen Gipfel weniger als 3 Meilen von Port Arthur ent fernt ist. Diese Division hatte sich auf der Landstraße nördlich von Port Arthur von der anderen Division ge trennt und war durch bergiges Land marschiert, während die andere Division den Marsch auf der Straße in der Richtung auf das Marinelager fortsetzte. Sie muß, um dieses zu erreichen, über ebenes Gelände marschieren; in dessen ist das Marinelager, sobald eine japanische Divi sion auf dem Takuschan-Berg steht, nicht zu halten. Das auf der Haupt-Verteidigungslinie gelegene russische Fort Nr. 16 wurde am 7. Juli von den Japa nern genommen. Admiral Aamimura» Mißerfolg. Der abermalige vergebliche Versuch Kamimuras, das Wladiwostok-Geschwader in einen Kampf zu ver- wickeln und ihm den Rückzug abzuschneiden, der mit Ver lust zweier japanischer Torpedoboote endete, bat am 2. Juli der „Nowoje Wremja" zufolge zu Kundgebungen des Volksunwillens geführt. Eine große Volksmenge versammelte sich vor dem Hause Kamimuras und warf Steine gegen diese». Die Familie de» Amdiral» rettete sich, hierauf wurde das Haus zerstört. Die Polizei war machtlos. Von russischer Seite wird bestätigt, daß der ganze Angriff Kamimuras ohne jede Energie erfolgte. Die japanischen Torpedoboote fürchteten sich offenbar, au die russischen Kreuzer heran zukommen. Die japanischen Kreuzer entwickeln auch vermöge ihres andauernden Gebrauches eine ge ringere Geschwindigkeit, so daß sie das rus sische Geschwader nicht einholen können. Japanische Geheimniskrämerei. Nach einer Reutermeldung aus Tokio werden gegenwärtig Operationen von ernster Wichtigkeit inner halb des Kriegsgcbietes durchgeführt, es gelingt aber der Negierung, sie fast in ein vollkommenes Ge heimnis zu hüllen. Seit der Besetzung von Dalny hat die Negierung hinsichtlich der Belagerung von Port Arthur vollkommenes Stillschweigen be wahrt. Es gelangen zusammenhanglose Nachrichten aus verschiedenen Quellen, namentlich aus chinesischen, nach Japan, deren Bekanntgabe oder Ucbermittelung nach dem Auslände aber bei schwerer Strafe untersagt ist. Weder bei der Port Arthur belagernden Armee, noch bei der Armee des Generals Oku oder der Takuschan-Armee be findet sich ein Ausländer. Tie Kriegskorrcspondenten und fremden Militärattaches, die die Armee des Generals Kurocki begleiten, dürfen ein Gebiet von nur 2 Kilo metern Durchmesser nicht überschreiten. Aiantschau als Sufluchtrhafen? Das Gerücht, Kiautschau werde von den Ruffen als Zufluchtshafen benutzt, wird in Tokio nicht ernst genommen. Eine amtliche Erklärung, in der es heißt, die japanische Re gierung sei überzeugt, daß Deutschland die Neutralität aufrecht erhalten werde, ist am Donnerstag veröffentlicht worden. Liebergaben -er Zarin. * Aus Petersburg wird der „Rhein.-Wests. Ztg." berichtet: Die Kaiserin Alexandra Feodorowua hat nach Chardin 10 000 Pakete mit Geschenken für die Offiziere und 300 000 andere Pakete für die Soldaten senden lassen, deren Gesamtkosten aus ihrer Privatschatulle be stritten sind. Jedes Paket enthält ein Hemd, eine Unter hose, Strümpfe, ein Stück Seife, Tee, Zucker und Tabak. Die Soldaten erhalten gleichfalls Messer, Heiligenbilder, Briefpapier und Umschläge. Es sind besondere Dor- kehrungen getroffen worden, daß auch alles gut an seinem Bestimmungsorte ankommt und an die richtige Adresse gelangt. Hoffentlich versagen diese Vorkehrungen nicht. Deutsches Keich. * Berlin, 8. Juni. * Ein Alarmsignal wegen der Mischehen wird von dem offiziellen Organ der württembergischen Zentrumspartei gegeben. Es ist zum Ersten deshalb beachtenswert, weil es die konfessionellen Friedensschalmeien charakterisiert, in denen gegenwärtig die Zentrumspreffe sich ergeht, — vermutlich um auf der bevorstehenden Generalversammlung der Katholiken Deutschlands entsprechend belobt zu werden. Zum Zweiten ist das klerikale Alarmsignal aus dem Grunde wertvoll, sweil eS die weltlich-politischen Motive ver rät, die den KlerikaliSmuS im Punkte der Mischehen leiten. DaS württembergische ZentrumSorgan sagt in dieser Beziehung von der „kolossalen" Zunahme der Mischehen zunächst: „Die Verluste, welche hieraus der katholischen Kirche entstehen, sind gar nicht zu berechnen) hier liegt eine stille Los von Rom- Bewegung, die viel gefährlicher ist, als das offene Geschrei in Oesterreich und anderswo." Nicht also das Seelenheil, sondern die Seelen zahl, die der katholischen Kirche infolge der Mischehen angeblich ver loren geht, ruft an erster Stelle die Zentrumsklage über die Zunahme der Mischehen hervor. Das ist ohne Zweifel höchst weltlich in einer Frage gedacht, bei der gewohntermaßen geist liche und geistige Argumente bevorzugt werden. Sehr welt lich ist auch der politische Grund, den das württembergische 1 Zentrunisorgan gegen die Mischehen geltend macht, indem eS schreibt: „Ein weiteres Umsichgreifen der Mischehen gibt auch den Gegnern der konfessionellen Volksschulen leichter Waffen in die Hand; sie können dann sagen, daß so viele Prozente aller Eltern selbst simultan seien und deshalb die Simultanschule geboten erscheine." Man sicht, wie unbefangen rein politische Ziele des KlerikaliSmuS zum Beweise dafür herangezogen werden, daß Mischehen vom „katholischen" Standpunkte aus unstatthaft seien. So bedenklich dieses Verfahren ist, ebenso bedenklich sind die Folgerungen, die das württembergische Zentrums organ seinen Lesern für die Praxis des täglichen Lebens empfiehlt. Nach einigen Zahlenangaben über das Anwachsen der Mischehen gibt es nämlich folgende Losung aus: „Es ist Pflicht eines jeden guten Katholiken, in seiner Umgebung die Abschließung von Mischehen zu verhindern: wir müssen stets bedenken, daß wir einstens nicht nur Rechenschaft über unser Tun abzulegcn haben, sondern auch über das unserer Untergebenen in der nächsten Umgebung." Es springt in die Augen, worauf die vorstehende Norm des württembergischen Zentralblattes hinaus will: der soziale Einfluß deS wirtschaftlich Stärkeren soll dem KlerikaliSmuS in der Mischehenfrage dienst bar gemacht werden. Die damit empfohlene Bevor mundung bezw. Vergewaltigung der wirtschaftlich Schwächeren wird nicht besser, sondern vielmehr schlimmer dadurch, daß dem klerikalen Ansinnen ein religiöses Mäntelchen umgcbängt wird. Wer die weltlich-politischen Motive, die den Kleri- kalismus inbezug auf die Mischehen bestimmen, so klipp und klar verlautbart hat, wie das württembergische Zentrums organ, sollte einige Scheu empfinden, die Pflicht dereinstiger Rechenschaft vor dem obersten Richter in die Mischrhenfrage hiaeinzuzirhea. * Die Rede eines Oberbürgermeister» über Bismarck. Bei der Enthüllung des Karlsruher BiSmarck-Denkmal- hat der Oberbürgermeister Schuetzler eine Rede gehalten» die jetzt im Wortlaute bekannt wird. Er führte u. a. über den ersten Kanzler des Reichs und seine vorbildliche Bedeutung folgendes aus: „Nicht als schlauer Auskundschafter und gefügiger Vollstrecker jeder Wunschesregung hat er dem alten Helbenkaiser zur Seite ge standen, sondern als der offene Ratgeber, der auch mit der unerwünschten, selbst mit der bitteren Wahrheit nicht zurück hielt, wenn die Trenpflicht ihm gebot, sie zu sagen. (Bravo!) Leicht und bequem trägt sich die biegsame Gerte beim Spaziergang auf geebneten Pfaden, aber Halt und Sicherheit bei schwierigem Aufstieg bietet doch nur der feste widerstehende Stab. Nichts besseres also können wir dem deutschen Kaisertum wünschen, als daß ihm auch in künftigen ernsten Zeiten jeweils eine so zuverlässige, wenn auch knorrige und rauhe Stütze zur Hand sein möge, als es Bismarck war. Ein Realist ist er gewesen, aber gewiß nicht im Gegensatz zum Idealen, sondern nur im Gegensatz zu allem hohlen Glanz und Schein, zum Phrasentum und zur pathetischen oder sentimentalen Komödiantenhaftigkeit. Das möge uns sein Bildnis vom granitenen Sockel herunter lehren, daß wir unser» Sinn dem Kern der Dinge und nicht ihrer Schale zuwenden, und daß wir mehr nach dem guten Erfolg als nach dem lauten Beifall streben, und daß eine einzige wackere Tat tausendmal wertvoller ist alS ein ganzes Meer voll schöner Worte. Mut und Kraft haben geflammt in seiner deutschen Seele. Nun kann ja freilich ein Staatsmann auch vermittels glatter Geschmeidigkeit durch zahlreiche Hindernisse heil und unversehrt hindurchschlüpfen, aber große Ziele wird er damit allein niemals erreichen; denn die erschließen sich, wie die ganze Geschichte der Menschheit lehrt, doch immer nur dem kühnen Wagemut, sie wollen erkämpft und nicht er schmeichelt sein — und jedenfalls hätte unser Deutsches Reich in der milden Temperatur freundlichen Diplomatenlächelns nicht zusammengeschmiedet werden können. Ewig bleibt es wahr, daß man erst selbst warm sein muß, um zu erwärmen, daß man erst selbst brennen muß, um zünden zu können. Wir aber, die wir an Bismarcks Denkmal vorübergehen, wir wollen beachten, daß, der da oben steht, nicht nur ein «Welser, sondern auch ein Held gewesen ist, und daß er nur so dem Vaterlande wirken konnte, was er gewirkt hat. Die große Zeit der nationalen Einigung, der schweren Kämpfe und ruhmvollen Siege, womit das Reich erstritten wurde, ist nun in die Vergangenheit gesunken und eine neue Zeit mit neuen Problemen und neuen Aufgaben ist über unserem Volke heranfgezogen. Aber darin ist kein Wandel eingetreten, daß wir in kleinlichem Hader und Streit, in eitlem Scheinwesen und Phrasentum unfähig sein würden zur Betätigung schöpferischer Kraft, daß wir zu neuen glorreichen und beglückenden Errungenschaften nur gelangen können, wenn wir über alles Trennende hinaus fest zusammenhalten in treuem, un eigennützigem Dienste für die heilige Idee des Vaterlandes. Auch daran möge Bismarcks Bild uns und die Kommenden stets ein dringlich mahnen!" * Zum Besuche des russischen Ministerpräsidenten Witte erfährt der offiziöse „B. L.-A.": Der Präsident des russischen Minister-Comitvö Witte wird dem Grafen von Bülow in Norderney einen Besuch abstatten, um mit dem Reichs kanzler dort über den Abschluß des neuen Handels vertrags zu konferieren. Herr Witte wird voraussichtlich morgen hier eintresfen. Man nimmt an, daß die russische Regierung weitere Einwendungen gegen die Mindestzölle auf Getreide nicht mehr erheben wird.) — Ter frühere nationalliberale und dann nach der Sezession freisinnige Reichstagsabgcordnete Struve, der von 1877 bis 87 den Wahlkreis Frankfurt-Lebus vertrat und zuletzt Stadtrat in Berlin war, ist hier gestorben. Er ist, woran die „Frkf. Ztg." erinnert, dadurch bekannt geworden, daß er einst während einer Rede Bismarcks gegen die Berliner Stadtverwaltung zu einem seiner Nachbar» die Bemerkung „schamlos" machte. Der Ausdruck ivurde von Bismarck gehört und gab diesem zu einer sehr heftigen Replik Anlaß. — Gegen den Alkohol. Tie Eisenbahndirektion zu Münster hat kürzlich eine Warnung vor übermäßigem Alkoholgenusse an die Eisenbahnbediensteten ihres Bezirkes erlassen, in der es heilst: „Ob wohl immer wieder auf die verderblichen Folgen des übermäßigen Genusses geistiger Getränke sowohl für die Sicherheit des Be triebes als auch für die Gesundheit hingewiesen wird, ist dennoch die Wahrnehmung gemacht worden, daß sich einzelne Beamte und Arbeiter gelegentlich übermäßigem Alkohol genüsse hlngeben. Wir nehmen hieraus Veranlassung, nochmals alle Beamte und Arbeiter vor dem Mißbrauch geistiger Getränke ernstlich zu warnen. Ten Diensworgesetzten machen wir es zur Pflicht, streng darauf zu achten, daß die ihnen untergebenen Beamten und Arbeiter im Dienste stets nüchtern sind. Bei Zuwiderhandlungen werden wir nicht nur die Untergebenen, sondern auch den Dienst vorgesetzten, welcher es an der erforderlichen Beaufsichtigung des Perfonals hat fehlen lassen, zur Verantwortung ziehen." — Der Präsident des Abgeordnetenhauses v. Kr Scher hat sich zum Kurgebrauch nach Marienbad in Böhmen begeben. * * München, 8. Juli. Die bockwffiziöse „Korrespondenz Hoffmann" schreibt: Die Angelegenheit, die bekanntlich zwischen dem Krie,gs Minister Frbrn. v. Asch und dem LandtagSabgeordnetcn Dr. Pichler schwebt, ist infolge einer Intervention von Seiten der Regierung beigeleat worden, vr. Pichler bat sich aus den ihm hierbei gegebenen Auf klärungen überzeugt, daß der Vorwurf, der Kriegs minister habe in dem Falle des Einjahrig-Freiwilligen EraS einen BertrauenSbruch begangen, grund los war, und hat daher diesen Vorwurf zurück- genommen, und die Erklärung, die er schon am 15. März in der Abgeordnetenkammer abgegeben batte, wiederholt, daß ihm bei seinem ganzen Vorgeben jede Absicht, den Kriegsminifter zu beleidigen, vollständig fern gelegen bat. Hinsichtlich des von ihm in der Verhandlung vor dem Kriegsgericht erwähnten anderen Falles hat vr. Pichler erklärt, daß er diese Bemerkung ohnehin schon in brr Verhandlung vor dem Oberkriegsgericht dahm richtig
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